Leipzig: Zwölf Personen weiterhin in Untersuchungshaft. Polizeigewalt teilweise dokumentiert
Von Henning von Stoltzenberg junge Welt 12.6.2
Auch eine Woche nach den Protesten gegen das Urteil im Antifa-Ost-Verfahren in Leipzig befinden sich noch zwölf Antifaschisten in Untersuchungshaft. Am Sonntag wendeten sie sich mit einem Kommuniqué an die Öffentlichkeit.
Darin heißt es: »Wir sind politische Menschen, solidarisch denkende und handelnde Genossen. Wir kommen aus unterschiedlichen Ecken der Republik und aus unterschiedlichen Spektren der außerparlamentarischen Linken. Uns eint die Solidarität mit Lina und Co. sowie das Streben nach einem selbstbestimmten Antifaschismus. Uns eint auch unsere aktuelle Lage als politische Häftlinge der JVA. Deswegen haben wir uns zusammengeschlossen, um uns nach Kräften zu unterstützen und auch hier drinnen Solidarität praktisch werden zu lassen.« Weiterhin arbeiteten sie an der Zusammenlegung in kleine Gruppen und protestieren dagegen, dass einem der Gefangenen notwendige Epilepsiemedikamente vorenthalten worden seien, was zu einem Notarzteinsatz geführt habe.
Auch von anderer Seite mehrt sich die Kritik am Vorgehen der Behörden. So erhebt beispielsweise die Gruppe »Eltern gegen Polizeigewalt«, deren Kinder mehrere Stunden im insgesamt elfstündigen Polizeikessel mit insgesamt circa 1.000 Personen am Alexis-Schumann-Platz festgehalten wurden, deutliche Vorwürfe gegen die Einsatzkräfte. Während der Polizeiaktion, die auf die Verhinderung einer Demonstration der Initiative »Say it loud« gegen die Einschränkung der Versammlungsfreiheit gerichtet war, sei es zu »gewaltsamen, sexualisierten und demütigenden Maßnahmen« gegen Minderjährige gekommen. Sie sollen der Einschüchterung der Demonstrierenden gedient haben und seien nicht zu rechtfertigen.
Auch das Sanitätsnetzwerk Hamburg zeigte sich erschüttert über die Vorgänge in Leipzig. Die ehrenamtlichen Demonstrationssanitäterinnen und -sanitäter berichteten von stundenlangen Kontrollen bei ihrer Anreise. Während ihres Einsatzes im Polizeikessel seien sie körperlich und verbal angegriffen worden. Es sei nicht zugelassen worden, Verletzte adäquat zu versorgen, ebenso sei ärztliche Hilfe verweigert worden. Des weiteren hätten Beamte ihnen wiederholt damit gedroht, dass sie nun Teilnehmende einer nicht mehr erlaubten Versammlung seien, falls sie sich den Anweisungen der Beamten widersetzen sollten. Auch eine Versorgung mit Rettungsdecken und Verpflegung habe die Einsatzleitung anfangs verweigert.
In einem Beitrag auf dem juristischen Portal Verfassungsblog äußert sich Tore Vetter, wissenschaftlicher Mitarbeiter am Zentrum für Europäische Rechtspolitik (ZERP) der Universität Bremen, zum Polizeieinsatz. Vetter kommt zu dem Schluss, dass der Kessel in allen Belangen unverhältnismäßig gewesen sei. Spätestens in seiner konkreten Ausprägung habe er in eklatanter Weise gegen verfassungsrechtliche Grundsätze verstoßen.
In einer ergänzenden Mitteilung widerspricht Polizeisprecher Olaf Hoppe diesen Darstellungen und behauptet, Nahrungsmittel, sanitäre Anlagen und medizinische Versorgung seien zeitnah zur Verfügung gestellt worden. Außerdem lägen keine umfassenden Angaben zu verletzten Teilnehmern der »Ausschreitungen« vor. Aus der »Umschließung« heraus seien Notrufe als medizinische Notfälle in einer mittleren einstelligen Zahl registriert worden.
Laut der Darstellung wurden insgesamt 112 Personen ins zentrale Polizeigewahrsam gebracht, 82 Personen zur »Gefahrenabwehr« in Gewahrsam genommen, wobei für fünf der längerfristige Gewahrsam nach richterlicher Vorführung angeordnet wurde. Alle anderen wurden wieder entlassen. Die Rote Hilfe Leipzig hat ein Spendenkonto für die entstehenden Verfahrenskosten eingerichtet. Sie rät dazu, Gedächtnisprotokolle anzufertigen, Verletzungen ärztlich dokumentieren zu lassen und warnt vor möglichen Hausdurchsuchungen im Nachgang der Proteste.