LAW AND ORDER BERLIN: »Es hing einfach ein langes Seil aus dem Fenster!«

JVA Tegel: Zwei Suizide in einer Woche, keine psychosoziale Betreuung. Verschlechterung der Haftbedingungen. Ein Gespräch mit Mark M.
Interview: Annuschka Eckhardt junge Welt 31.8.23

Mark M. ist Gefangener in der JVA Tegel (Name der Redaktion bekannt)

Während die Berliner Senatsverwaltung eine große Feier zum 125jährigen Bestehen der JVA Tegel plant, gibt es für die Gefangenen wenig zu jubeln. Was ist am Montag passiert?

Am Montag morgen ist ein Gefangener der Teilanstalt 5 erhängt in seiner Zelle aufgefunden worden. Aller Wahrscheinlichkeit nach war das ein Suizid, ein Abschiedsbrief ist wohl hinterlassen worden. Über den Inhalt wird viel spekuliert. In der Folge ist ein Gefangener auf eine Sicherheitsstation verlegt worden. Ob es Zusammenhänge zu einer vorangegangenen Auseinandersetzung gibt, ist noch unklar.

Dieser Todesfall war der zweite innerhalb nur einer Woche. Gibt es keine Unterstützung für suizidale Gefangene?

Eindeutig zuwenig. Die soziale und psychosoziale Betreuung ist insbesondere in der Teilanstalt 5 absolut mangelhaft bzw. nicht vorhanden. Wie unsensibel die Anstaltsleitung mit dem Thema Suizid umgeht, zeigt sich insbesondere daran, dass auch nach dem mutmaßlichen Suizid des Gefangenen am Montag kein Ansprechpartner da war. Erst in den Nachmittagsstunden wurden die Gefangenen, unter denen sich der Tod des Mitgefangenen herumgesprochen hat, lapidar darüber informiert, dass ein Gefangener verstorben ist. Insbesondere als unsensibel erlebten alle, dass das Seil, mit welchem mutmaßlich der Suizid begangen wurde, bis in die Nachmittagsstunden von außen aus dem Fenster hängend zu sehen war. Es hing einfach ein langes Seil aus dem Fenster! Konkrete Hilfsangebote gibt es grundsätzlich zu wenige, weil die Justizvollzugsanstalt, die Senatsverwaltung für Justiz und somit auch die Justizsenatorin vordergründig nur in die allumfassende Sicherheit und Ordnung der Haftanstalt investieren.

Habe ich das richtig verstanden? Ein langes Seil hing für alle sichtbar aus dem Fenster?

Ganz besonders makaber war das. Der normale Betrieb ging praktisch nur 45 Minuten verzögert weiter. Um 6.00 Uhr ist der Alarm passiert, um 7.30 Uhr durften alle wieder zur gesetzlich verordneten Zwangsarbeit anrücken.

Kürzlich musste eine Person wegen einer schweren Schädelfraktur auf die Intensivstation. Wie erklären Sie sich den Anstieg der gewalttätigen Auseinandersetzungen?

Es kommt zu einer ganzen Reihe gewalttätiger Vorfälle, die eindeutig auf die immer weiter wachsende Perspektivlosigkeit, die Gefangene hier erleben, zurückzuführen sind. Diese Perspektivlosigkeit ergibt sich daraus, dass Tegel für alle hier Endstation bedeutet. Dinge, wie Vollzugslockerungen und Entlassungsvorbereitung werden hier nicht umgesetzt. Die Situation hat sich nach dem Wechsel im Senat noch einmal deutlich verschlechtert.

Was hat sich nach dem Amtsantritt der neuen Justizsenatorin verändert?

Seitdem die neue Justizsenatorin Felor Badenberg im Amt ist, fühlen sich diejenigen, die eh gerne mit Repression spielen, ganz besonders animiert, noch mal eine Schippe draufzulegen. Zum Beispiel gibt es seit Jahren ein Dekret, in dem es heißt, dass die wenigen Habseligkeiten im Haftraum zu reduzieren sind. Das wurde bislang nicht wirklich umgesetzt. Jetzt schon.

Hinzu kommen die rassistischen Narrative von »Clankriminalität«, die fast schon mit Terror gleichgesetzt wird. Eine Vielzahl von Gefangenen ist aus dem offenen Vollzug entfernt worden, weil sie angeblich der organisierten respektive »Clankriminalität« zuzuordnen sind. Da reicht schon ein ähnlich klingender Nachname. Die möglichst zahlreiche Zuordnung verschiedener Personen zu diesem Bereich macht es möglich, Gelder aus den Haushaltskassen freizubekommen und durch die geschaffene Verunsicherung in Dinge zu investieren, die der »Sicherheit« dienen sollen.

Wie wird dieses Geld investiert?

Kürzlich ist an der Pforte ein Bodyscanner angebracht worden, wo jeder, der die JVA Tegel besucht, durchgehen muss, wie man es vom Flughafen kennt. Dann ist nach der letzten Flucht ein Herzschlagdetektor angeschafft worden. Das Land Berlin gibt für solche Sachen Millionen aus, für einen Bruchteil davon könnten vernünftige Sozialarbeiter, eine psychosoziale Betreuung und Haftplätze im offenen Vollzug angeboten werden.