Viele der Leichen von Palästinensern, die kürzlich von Israel zurückgegeben wurden, weisen Folterspuren auf. Das reiht sich ein in langjährige Berichte über Folter in israelischen Gefängnissen.
Im Rahmen des Waffenruheabkommens zwischen Israel und Palästina kam es zur Übergabe israelischer Geiseln aus Palästina an Israel. Rund 2.000 palästinensische Gefangene wurden aus israelischen Gefängnissen nach Palästina gebracht. Außerdem wurden 165 Leichen in den Gazastreifen übergeben.
In Plastiksäcken mit Erde und Trümmern wurden die stark verwesten Leichen mit Hilfe des Internationalen Roten Kreuzes an das Gesundheitsministerium im Gazastreifen übergeben und in das Nasser-Krankenhaus in Khan Younis gebracht. Da die Kühlräume des Krankenhauses zu klein sind, müssen die Körper in Lebensmittel-Eistruhen gelagert werden.
Die toten Menschen wurden ohne Namen oder Todesursache ausgeliefert; sie waren ausschließlich mit Nummern versehen. Wer Verwandte vermisst, muss sich durch die Fotos von teils stark entstellten und verwesenen Leichen klicken und hoffen, jemanden wiederzuerkennen. Für eine weitere Identifikation durch DNA-Analysen oder ähnliche Methoden fehlt die Technik.
Die Gesichter der Verstorbenen sind nicht nur entstellt – sie weisen auch weitere Folteranzeichen auf. „Sie hatten ihre Hände auf dem Rücken gefesselt, an den Handgelenken und auch an den Knöcheln. Zwei hatten Augenbinden. Einer hatte ein Seil um den Hals. Es gibt viele Prellungen am ganzen Körper. Einigen wurde in den Kopf oder in die Brust geschossen“, sagt Ahmad Dheir, Chef der forensischen Medizin im Nasser-Krankenhaus. „Es gibt vielfache Brüche im Gesicht, am Kopf, an den Beinen und Armen“, führt er weiter aus. Seine Mitarbeiter:innen und er versuchen, die Fälle nach ihren technischen Möglichkeiten zu dokumentieren.
Das palästinensische Gesundheitsministerium in Gaza veröffentlichte auf X, dass die Leichen ihren Untersuchungen zufolge aus dem Gefangenenlager Sde Teiman stammen und die Menschen vermutlich bei ihrer Ankunft im Gefängnis noch lebten.
Berichte über Folter gibt es schon länger
Die UN veröffentlichte im September 2025 einen Bericht zu den Toten in israelischen Gefängnissen im Zeitraum seit Oktober 2023: 75 Palästinenser:innen sind seitdem gestorben, darunter Kinder im Alter von 16 und 17 Jahren.
Die israelische Menschenrechtsorganisation B’Tselem veröffentlichte im August 2024 einen Bericht mit dem Titel „Das israelische Gefängnissystem als Netzwerk von Folterlagern“. Im Bericht heißt es: „Die Zeugenaussagen weisen eindeutig auf eine systematische, institutionelle Politik hin, die auf die fortgesetzte Misshandlung und Folter aller von Israel inhaftierten palästinensischen Gefangenen ausgerichtet ist: Häufige Akte schwerer, willkürlicher Gewalt; sexuelle Übergriffe; Demütigung und Erniedrigung; absichtliches Aushungern; erzwungene unhygienische Bedingungen; Schlafentzug; Verbot religiöser Ausübung und Strafmaßnahmen dafür; Beschlagnahmung aller gemeinschaftlichen und persönlichen Gegenstände; Verweigerung angemessener medizinischer Behandlung.“ – die Liste ist lang.
Diese Berichte ähneln den Aussagen einiger der 2.000 freigelassenen Gefangenen – viele von ihnen zeigen Folterspuren. So auch der 28-jährige Mahmoud Abu Foul aus dem Norden Gazas. Er wurde im Dezember 2024 im Kamal-Adwan-Krankenhaus festgenommen und in israelische Gefangenschaft gebracht. Er beschreibt, wie er wiederholt geschlagen und gefoltert wurde. Einmal schlugen ihn die Wachen so heftig auf den Kopf, dass er bewusstlos wurde. Als er wieder zu sich kam, stellte er fest, dass er nicht mehr sehen konnte. Erblindet wurde er zurück nach Gaza geliefert.
Es gibt immer mehr aktuelle Berichte ehemaliger Gefangener: Ein Mann hat fast die Hälfte seines Körpergewichts in der Haft verloren. Ein weiterer Freigelassener sagte, er könne aufgrund der Schläge nicht auf dem Rücken liegen und müsse im Sitzen schlafen.
Eine besonders extreme Form sexualisierter Gewalt gegen Palästinenser wurde im August 2024 öffentlich. Verifizierte Videos aus dem Sde Teiman Gefängnis zeigen die Gruppenvergewaltigung eines Gefangenen durch einen Gefängniswärter. In dem Video ist zu sehen, wie andere Wächter ihre Schutzschilde hochhalten, um die Tat vor den Sicherheitskameras zu verbergen.
Israel bezieht keine Stellung – oder doch?
In einer Stellungnahme zu den Foltervorwürfen schreibt die israelische Gefängnisbehörde, sie arbeite gesetzeskonform und unter Aufsicht der zuständigen Behörden. Diese Aussage ist nicht überprüfbar und steht im Widerspruch zu den Berichten der Menschenrechtsorganisationen. Die Berichterstattung aus Israel durch nicht-israelische Medien ist seit dem 7. Oktober 2023 eine Seltenheit geworden. Bereits zuvor wurde es ausländischer Berichterstattung in Israel nicht leicht gemacht. Auch die UN muss Vorsicht wahren, seit dem tödlichen Angriff auf einen ihrer Mitarbeiter. Als Konsequenz daraus hat sie sich aus dem Gazastreifen zurückgezogen.
Itamar Ben-Gvir, Israels Minister für Nationale Sicherheit, verteidigte die Behandlung palästinensischer Gefangener mit den Worten, „die Sommercamps und die Geduld gegenüber den Terroristen sind vorbei“. Im August dieses Jahres veröffentlichte er außerdem ein Video, das ihn in der Zelle des prominenten palästinensischen Gefangenen Marwan Barghouti zeigt.
Das Palästinensische Zentrum für Menschenrechte fordert unter anderem, die entgegengenommenen Leichen zu konservieren und sicherzustellen, dass genaue, wissenschaftliche und ordnungsgemäße Fotoaufnahmen der Leichen gemäß den entsprechenden Verfahren für spezialisierte forensische Untersuchungen durchgeführt werden. Außerdem fordert es, die notwendigen Geräte und Maschinen in den Gazastreifen zu bringen, um die Trümmer zu beseitigen und bei der Bergung der darunter verschütteten Leichen zu helfen.
Das „Verschwinden“ von Palästinensern durch Festnahmen israelischer Streitkräfte ist seit Beginn des Genozids zu beobachten. Es werden keine Informationen zu den Gefangenen übermittelt. Tausenden Palästinenser:innen, die Angehörige und Freunde vermissen, bleibt nichts anderes übrig, als sich die Bilder der übermittelten Leichen anzuschauen und zu versuchen, jemanden zu finden, den sie kannten. Von den übergebenen 165 Leichen wurden bisher nur 25 von ihren Familien identifiziert. Zudem befinden sich weiterhin rund 9.000 Palästinenser:innen in israelischer Gefangenschaft.












