Patriarchale Gewalt wird als Waffe eingesetzt: Sowohl in Kriegen, in den eigenen vier Wänden – und auch im Polizeikessel. Wir haben Teilnehmerinnen der Rheinmetall Entwaffnen-Demonstration vom 30. August nach ihren Erfahrungen mit patriarchalen Polizeibeamten gefragt und wollen die Berichte hier teilen. Letztlich ist klar: Die Ohnmacht durchbrechen wir nur im gemeinsamen Widerstand. – Ein Kommentar von Tabea Karlo.
„Dieser Staat schützt mich nicht – Meine Schwestern schützen mich!“ hallt es am vergangenen Samstag in der tiefen Kölner Nacht. Fast zehn Stunden nachdem die Polizei einen Teil der Abschlussdemonstration der Rheinmetall Entwaffnen-Aktionswoche einkesselte, sind ihre Stimmen noch immer nicht verstummt. Antimilitarist:innen aller Geschlechter und Altersgruppen stehen dicht aneinandergedrängt, die Arme verschränkt im Kessel – Stück für Stück zerrt die Polizei mühsam einzelne aus ihren Reihen.
Immer wieder erklingen neben klassischen Parolen der Antikriegsbewegung auch solche, die auf patriarchale Gewalt und die Rolle des Staates in dieser aufmerksam machen. Zufall ist das nicht. Insbesondere die Frauen spüren bereits, was sich später bitter bewahrheiten wird. Die Polizei wendet rigoros Gewalt an beim Auflösen des Kessels. Dass sie dabei auch nicht vor sexualisierten Kommentaren, Drohungen und Übergriffen zurückschreckt, ist kein Zufall, sondern zeigt, dass patriarchale Gewalt als Mittel dient, um den Widerstand gegen Krieg und Aufrüstung niederzuhalten.
Diese Berichte aus dem Kessel zeigen das wahre Gesicht einer frauenfeindlichen Polizei. Doch Sie erzählen uns zugleich über den Mut der Widerständigen – von Frauen die gemeinsam mit ihren Genoss:innen für eine bessere Welt kämpfen und der Gewalt entschlossen entgegen treten.
„Ein paar Personen von mir entfernt stand eine junge Frau in der Menschenkette am Rand des Kessels. Schon nach kurzer Zeit fiel mir auf, dass ihr Blick immer wieder auf etwas außerhalb des Kessels gerichtet war. Wenn man ihrer Blickrichtung folgte, wurde schnell klar, warum: Nur wenige Meter entfernt stand ein etwa Mitte dreißigjähriger Polizist.
Der Beamte schwankte ständig zwischen offenem Starren, schnellen Blicken zu ihr und leiser Unterhaltung mit seiner Kollegin. Immer wenn die beiden miteinander tuschelten, wirkte er auf einmal entspannt und belustigt. Auch seine Kollegin lachte mehrfach und beobachtete dabei die junge Frau im Kessel.
Doch sobald sein Blick sich wieder direkt auf sie richtete, veränderte sich sein Ausdruck deutlich. Er starrte sie regelrecht an – mit einem Gesichtsausdruck, der zugleich angespannt und unangemessen fixierend war. Von außen wirkte dieses Verhalten bedrohlich und sexualisierend zugleich. Noch jetzt, wenn ich daran zurückdenke, lösen seine Blicke in mir Ekel und Wut aus.
Die junge Frau ließ sich davon jedoch nicht einschüchtern. Sie reagierte gemeinsam mit den anderen neben ihr laut und bestimmt, direkt an den Beamten, seine Kollegin und die übrigen, untätig bleibenden Einsatzkräfte gewandt: „Dieser Staat schützt mich nicht – meine Schwestern schützen mich!“
Die Entschlossenheit der jungen Frau, die sich in diesem Bericht zeigt, zieht sich durch den Austausch mit den anderen Frauen, die etwas zu diesem Artikel beigetragen haben. In der Vergangenheit und auch aktuell gibt es zahlreiche Berichte darüber, wie sich Frauen gegen patriarchale Gesetze und patriarchale Polizeigewalt kollektiv zur Wehr setzen. Und die obenstehende Parole Wirklichkeit werden lassen.
Sei es Anfang der Siebziger, als gegen Frauen, die Abtreibungsfahrten nach Holland organisierten, mit dem Terrorparagrafen § 129 ermittelt wurde, heute in Indien, wo sich tausende der Gulabi-Gang anschließen, einer Frauengruppe, die gegen patriarchale Gewalttäter vorgeht – auch Polizisten – oder eben heute in Deutschland.
Politische Frauen rebellieren dabei nicht nur gegen das kapitalistische System, sondern auch gegen das Patriarchat. Das verleiht ihnen eine besondere Rolle und Kraft im Kampf, zugleich macht es sie eben auch zu einem besonderen Ziel von Repression. Denn ihr Kampf um Befreiung ist besonders gefährlich.
„Ich erinnere mich noch daran, dass ich den Kopf geschüttelt habe, als mich die Polizisten fragten, ob ich freiwillig mitkommen will. Noch bevor ich die Bewegung beenden konnte, haben zwei von ihnen meine Schultern gepackt. Sie haben mich aus der Reihe meiner Genoss:innen gezogen. Einer hat mich von hinten gegen meinen Rücken nach unten zum Boden gedrückt. Meine Arme hielten sie fest im Griff und verdrehten sie mir auf dem Rücken.
Als ich nicht mitlaufen wollte, zogen sie mich einfach weiter mit Gewalt nach vorne und schleiften mich vor den Augen der anderen Demonstrant:innen über den Boden in eine naheliegende Seitenstraße.
Durch das Ziehen an meinen Armen ist mein Oberteil nach oben gerutscht. Als ich das bemerkt habe, habe ich versucht, mich zu winden und es zu richten, aber ihre festen Griffe an meinen Armen verhinderten das. Irgendwann zogen sie mich ein Stück hoch – halb bin ich dann gelaufen, halb haben sie mich weitergeschleift. Ich konnte einige Polizisten vor mir in der Gasse erkennen. In dem Moment hab ich begonnen, mich zu fragen, ob der Rest der Demonstration auch sehen konnte, was die Polizisten in der Gasse sehen. Die Zeit, bis einer von ihnen kurz losließ und ich mich wieder bedecken konnte, hat sich wie eine Ewigkeit angefühlt.
Kurz danach haben wir vor einem Polizeiwagen gehalten. Einer der beiden Polizisten hat meine Tasche kontrolliert und danach die einzelnen Teile auf den Boden geworfen. Er hat mich angegrinst und gesagt: „Sie können das jetzt aufheben.“ Als ich ihn gefragt habe, ob er das ernst meint, hat er nur geantwortet: „Oder Sie lassen’s halt liegen.“
Im Hintergrund konnte ich ein Lied hören, das im Kessel gesungen wurde. Ich glaube, es war ein Arbeiter von Wien, ganz sicher bin ich nicht mehr. Obwohl drei Polizisten um mich herumstanden, hatte ich auf einmal nicht das Gefühl, alleine mit ihnen zu sein. Die Energie, die vom Kessel ausgegangen ist, habe ich selbst hier gespürt. Ich begann leise mitzusingen und die Genoss:innen zu grüßen, die neben mir abgeführt wurden.
Einer der Polizisten wurde weitergeschickt. Der, der neben mir stehen blieb, war genervt. Genervt vom Singen, genervt vom Ignoriert Werden – genau weiß ich es nicht. Im Laufe der Maßnahme ließ er mich das spüren. Zweimal machte er Bemerkungen darüber, dass bei mir „oben“ etwas nicht stimmen würde, mehrmals fixiert er mich unnötig und schmerzhaft an Schulter und Arm, blaue Flecken zieren meine Arme noch jetzt Tage später. Als ich ihn darauf ansprach, dass es offensichtlich keinen Grund gibt, mich zu fixieren oder überhaupt anzufassen, reagierte er mit einem abfälligen Kommentar über meinen Körper.“
Diese ersten Berichte aus dem Kessel zeigen uns bereits, dass Gewalt der Polizei, die sich gegen Frauen richtet, häufig eine besonders patriarchale Komponente hat. Die Gewalt, die gegen Frauen angewendet wird, ist nicht einfach die „gleiche“ wie bei Männern. Sie findet in einem anderen Machtverhältnis statt und baut darauf auf, dass Frauen sich ihrem Rollenbild als „schwaches“ Geschlecht anpassen sollen. Oft kommt eine sexualisierende und objektifizierende Ebene hinzu.
Das Patriarchat spiegelt sich ebenso darin wider, all diejenigen anzugreifen, die nicht in die vorgefertigte Vorstellung von Geschlecht passen. Immer wieder kommt es im Zuge dessen auch zu besonderer Gewalt gegen trans und nicht-binären Personen.
Wenn sich patriarchale Polizeigewalt gegen Frauen richten, dann soll sie diese in ihrer Rolle als Frau angreifen. Sie werden offen sexualisiert, oder anders versucht, zurück in ihre Rolle zu drängen. Auch im nächsten Bericht, der uns erreicht hat, spiegelt sich das wieder:
„Noch einmal, und dann hole ich dich eigenständig da raus!“ – die Stimme eines jungen Polizisten ertönte dicht an meinem rechten Ohr. Er richtete sich an eine junge Frau, die kurz zuvor eine Parole in seine Richtung gerufen hatte. Sie wirkte vielleicht 18 Jahre alt oder jünger, er schien mindestens doppelt so alt zu sein. Er trug vollständige Schutzmontur, eine Dienstwaffe am Gürtel und war umgeben von zahlreichen weiteren Polizist:innen.
Ich kann mich noch erinnern, wie wir mit verschränkten Armen dort standen – eine Reihe junger Frauen am Rand des Kessels. Zu diesem Zeitpunkt haben wir bereits seit neun Stunden oder länger ausgeharrt, es war schon mitten in der Nacht. Solche Szenen wiederholten sich immer wieder. Menschen wurden aus der Gruppe gerissen, eine nach der anderen – bis es irgendwann auch mich traf.
Und trotzdem ist da etwas, das mir genauso stark in Erinnerung geblieben ist: die Reaktion der Menschen im Kessel. Vor allem der Frauen. Wir rückten enger zusammen, da war dieser spürbare Wille, nicht nachzugeben.“
Das Bild, das sich hier zeichnet, ist das einer Polizei, die immer wieder versucht, den Widerstandswillen und die Moral der Frauen zu brechen. In unterschiedlichen Berichten, auch solchen, die hier nicht abgebildet sind, kristallisierte sich heraus, dass immer wieder auch bewusst Frauen angegriffen wurden, die vorher eine besonders hohe Moral zeigten.
Das Bild einer Polizei, die sich nicht zu schade ist, dafür auf die unterschiedlichsten Mittel zurückzugreifen – und das Bild einer Polizei, die an dem Vorhaben die Kämpfe der Frauen zu unterdrücken und lächerlich zu machen, trotz aller Mühe kläglich scheitert.
„Als ich aus dem Kessel herausgezogen wurde, versuchten die Polizisten immer wieder, mich und meinen Aktivismus lächerlich zu machen. Nach einigen Schritten vom Kessel weg, nachdem die Genoss:innen uns nicht mehr sehen konnten, begann der Polizist neben mir, meinen Arm nach hinten zu drehen. Während des Laufens schob er mich ins Gebüsch am Straßenrand und drückte mich durch die Äste. Als ich nach mehreren Bemerkungen über die „Sinnlosigkeit“ meiner Aktion noch immer nicht antwortete, schnippte mir der Polizist im Laufen meine Cap aus dem Gesicht. Er machte immer wieder Bemerkungen dazu, dass ich in meinem Leben sicherlich erfolglos sei und nur „Hartz IV“ empfangen könne.
Nach der ID-Behandlung rief ein anderer Polizist uns an: „Bring doch nicht immer deine Kinder mit!“ Während der Behandlung war ich vor allem wütend. Ich war wütend, weil man mich in eine Situation brachte, in der mit allen Mitteln versucht wurde, mir klarzumachen, wie hilflos ich sei. Ich wusste aber, dass das nicht stimmt. Wären wir hilflos, hätten wir es nicht geschafft, über die gesamte Woche erfolgreiche antimilitaristische Aktionen durchzuführen, die den deutschen Staat offensichtlich genau dort trafen, wo es am meisten wehtut.
Einige Minuten, bevor ich aus dem Kessel gerissen wurde, sah ich, wie vor allem Genossinnen vor mir standen. Bei jeder Einzelnen, die aus den Ketten gezogen wurde, riefen wir Parolen. „Frauen, die kämpfen, sind Frauen, die leben“, haben wir in dieser Nacht zur Realität werden lassen. Ich habe vor dieser Nacht kaum eine Situation erlebt, in der sich junge Frauen so entschlossen zur Wehr gesetzt haben und selbst nach über 10 Stunden noch mit voller Energie und Überzeugung den Angriffen dieses Staates trotzten. Mit dem brutalen Vorgehen der Polizei in Köln konnte mich dieser Staat nicht brechen, sondern vor allem darin bestärken, dass wir es sind, die eine befreite Welt erkämpfen werden.“
Das Zusammenspiel der verschiedenen Berichte zeigt die Vielfältigkeit, in der sich das Patriarchat auch in Situationen wie einem Polizeikessel oder Angriffen auf politische Veranstaltungen wie dem „Rheinmetall entwaffnen“-Camp insgesamt widerspiegelt. Letztlich wird auf unterschiedlichste Arten versucht, Frauen zurück in ihr Rollenbild zu drängen – dabei entsteht ein Spannungsfeld, daraus, Frauen auf der einen Seite nicht ernst zu nehmen und auf der anderen Seite jeden Ausbruch aus dem weiblichen Rollenbild zu dämonisieren.
Im letzten Bericht, der uns zur Verfügung gestellt wurde, zeigt sich, dass die Gewalt, die die Polizei gegen Frauen im Rahmen des Kölner Kessels anwendete, kein Einzelfall war. Die patriarchale Haltung und der Wille der Polizei, die Proteste mit unterschiedlichen Mitteln zu unterbinden, zeigten sich schon in der gesamten Aktionswoche zuvor.
Von Kundgebungen und Flyeraktionen, bei denen Frauen aus fadenscheinigen Gründen abgeführt wurden, bis hin zu offenen Übergriffen.
„Während des gesamten RME-Camps hat die Polizei vermehrt gezielte Gewalt gegen junge Frauen genutzt, um sie einzuschüchtern und zu isolieren. So auch bei der Besetzung des SPD-Büros in der Kölner Innenstadt. Dort haben wir mit etwa 20 Personen am Freitag gegen die Kriegstreiberei der SPD protestiert. Von Beginn an war klar, dass die Polizei sich darauf vorbereitet, die Blockade des Büros gewaltsam zu räumen. Bereits vor der Räumung haben mich drei männliche Polizisten gewalttätig von meinen Genossinnen losgerissen. Dann haben sie mich für fast zehn Minuten auf den Boden gedrückt. Während ein Bulle auf mir saß, haben zwei weitere mich durchsucht und mir mehrfach in den Intimbereich gefasst. Dabei haben die Bullen immer wieder sexistische Kommentare gemacht, sowohl mir als auch meinen Genossinnen gegenüber. Diese Gewalt seitens der Polizei hatte das Ziel, uns voneinander zu isolieren und vor allem den Widerstand der jungen Frauen sehr gezielt anzugreifen. Doch dieses Ziel haben sie nicht erreicht. Wir haben ihre Gewalt mit noch stärkerem Widerstand beantwortet, haben bis zum Ende Parolen gerufen und immer wieder die sexualisierte Gewalt der Polizei skandalisiert, haben uns gegen die Räumungsversuche gewehrt und auch die Durchsuchungen nicht einfach über uns ergehen lassen. Denn auch wenn die Gewalt das Ziel hat, uns voneinander zu isolieren und eine Scham in uns Frauen hervorzurufen, hat sie bei der Blockade am Freitag das Gegenteil bewirkt, denn wir haben eine kollektive Antwort gegeben und die Gewalt auch öffentlich skandalisiert.“
In allen Berichten, die im Zuge dieser Recherche übermittelt wurden, liest sich ein unglaublicher Wille zum Widerstand heraus. Frauen, die sich nicht kleinmachen lassen. Frauen, die wissen, dass der Widerstand gegen Krieg und die damit einhergehende Militarisierung notwendig ist. Und dass ihm das Richtige nicht durch Repression genommen werden kann.
Diese Tatsache darf nicht darüber hinwegtäuschen, dass Polizeigewalt und insbesondere sexualisierte Polizeigewalt Schaden anrichten. Sie ist dazu da, den Widerstand von Frauen zu unterdrücken, sie zu vereinzeln und zu isolieren. Wenn wir dem auf Dauer standhalten wollen, dann bedeutet das, dass wir einen organisierten und kollektiven Umgang mit allen Formen der Repression und ihren patriarchalen Elementen finden müssen.
Wichtige Elemente davon konnten wir im Umgang mit der Gewalt aus dem Kessel und beim „Rheinmetall entwaffnen“-Camp insgesamt sehen. Sowohl in der Solidarität im Kessel als auch in der Solidarität über seine Grenzen hinaus. Wir konnten sie sehen und wir müssen sie auch weiter schaffen im kollektiven Umgang und der Nachbereitung dieser Situationen. Und wir sehen sie auch darin, dass jetzt Frauen öffentlich die Konfrontation suchen und zeigen: Wir lassen uns nicht zum Schweigen bringen.