Platzwunde am Kopf durch Polizeigewalt in Gießen: „Wir haben uns nicht brechen lassen, obwohl die Polizei alles dafür getan hat“

Am Samstag haben sich rund 25.000 Demonstrant:innen in Gießen versammelt, mit dem Ziel die Neugründung der AfD-Jugendorganisation zu verhindern. Die Demonstrierende Zoe Schiefer* erlitt durch die Schläge der Polizei eine Platzwunde und eine Gehirnerschütterung. Im Interview spricht sie über die Polizeigewalt und warum der Widerstand trotzdem notwendig bleibt.
Du hast dich dem Aufruf von widersetzen angeschlossen und warst am Samstag in Gießen dabei. Was war euer Ziel?
Wir waren mit verschiedenen Organisationen aus ganz Deutschland auf den Straßen in Gießen. Aufgerufen wurde vom Bündnis widersetzen, gemeinsam die Gründung der AfD Jugendorganisation zu verhindern. An verschiedenen Stellen haben wir die Anfahrtswege unzugänglich gemacht. Dadurch konnten die Teilnehmer:innen der AfD erst deutlich später als eigentlich angedacht an den Hessenhallen, dem Veranstaltungsort, ankommen. Wir haben dadurch zumindest den Beginn der Veranstaltung verzögert.

Angereist wurde in Bussen aus allen Regionen Deutschlands. Die Busse aus einer Stadt oder Region haben sich zu einem Konvoi zusammengeschlossen. Daraus haben sich dann die Demonstrationszüge als sogenannte „Finger“ formiert, und an den verschiedenen Zufahrtswegen Blockadeaktionen gestartet. So sollten die Faschist:innen nicht vorbei kommen.

Es gab auch einen größeren Teil an bürgerlich-demokratischen Organisationen, die mit Großkundgebungen und Musik einen ruhigeren Protest organisiert haben und durch die große Masse ebenfalls Einfluss ausgeübt haben. Insgesamt waren wir über 25.000 Demonstrant:innen in Gießen und zusätzlich noch mehrere Tausend im Umland.

Mir wurde im Nachhinein erzählt, dass einige Bus-Konvois gar nicht bis nach Gießen gekommen sind und die Demonstrierenden morgens ab etwa 5 Uhr im Dunkeln über die Autobahn laufen mussten, damit sie überhaupt in die Nähe des Veranstaltungsortes kommen konnten. Andere Konvois sind zwar deutlich näher an die Stadt herangekommen, aber früher oder später wurden fast alle Demonstrationszüge und Blockadeaktionen von der Polizei aufgehalten. Da sind neben Schlagstöcken und Fäusten auch Wasserwerfer und Protesträumfahrzeuge zum Einsatz gekommen.

Du hast bei der Protestaktion auch Polizeigewalt erfahren. Wie ist es zu dieser Situation gekommen?
Wir sind morgens sehr früh etwas westlich von Gießen aus mehreren Bussen ausgestiegen und haben uns auf den Weg gemacht in Richtung der DGB-Kundgebung. Diese war offiziell angemeldet. Auf dem Weg dahin gab es auch verschiedene Zufahrtsstraßen, die zu dem Veranstaltungsort der AfD-Jugend geführt haben. Etwa gegen 6:30 Uhr sind wir an einer Mahnwache vorbei gelaufen, die uns mit Parolen begrüßt hat in die wir eingestimmt haben. Sofort haben sich die Polizist:innen formiert und innerhalb von wenigen Augenblicken war die Straße vor uns von der Polizei versperrt.

Es gab keine Durchsage, zumindest soweit ich das gehört habe, sondern sie haben sofort angefangen auf uns einzuprügeln. Dabei haben sie vor allem Schlagstöcke verwendet um uns vom Weitergehen abzuhalten. Dabei habe ich mehrere Schläge abbekommen. Unter anderem am Ellenbogen und mehrere auf den Kopf. Einer der Schläge war sehr gezielt und heftig und hat mich am Hinterkopf erwischt. Sobald ich gemerkt habe, dass ich am Kopf blute bin ich zu den Demo-Sanitäter:innen gegangen, die mich dann auch sofort versorgt haben.

Neben mir gab es zur gleichen Zeit auch weitere Teilnehmer:innen die verletzt wurden und zu den Sanitäter:innen mussten. Eine weitere Person wurde am Kopf getroffen und eine hat eine schwerere Knieverletzung erlitten.

Wie ging es dann für dich weiter?
Da meine Platzwunde genäht werden musste und ich mehrere Schläge auf den Kopf bekommen hatte, wurde ich ins Krankenhaus geliefert. Zusammen mit einer weiteren Person, die ebenfalls eine Kopfverletzung hatte. Die Sanitäter:innen vor Ort waren sehr solidarisch, sie haben uns abgeschirmt, die Blutungen gestoppt und uns schließlich auch mit einem eigenen Krankenwagen direkt ins Krankenhaus gefahren. Dadurch ging nicht viel Zeit verloren und wir mussten auch in der Klinik nicht lange warten. Dort wurde mir die Wunde versorgt und genäht. Anschließend wurde festgestellt, dass ich ein leichtes Schädel-Hirn-Trauma, eine Gehirnerschütterung, habe.

Da wir von den Demo-Sanitäter:innen selbst ins Krankenhaus gebracht wurden, hatten wir das Glück, dass wir nicht von Polizist:innen empfangen wurden. Anscheinend gab es vorher eine Auflage von der Polizei, dass die verletzten Demonstrant:innen in ein bestimmtes Krankenhaus geliefert werden sollten, wo sich die Polizei auch bereits stationiert hatte. Wären wir dorthin geliefert worden, wären bestimmt unsere Personalien aufgenommen worden und sie hätten versucht, uns zu vernehmen.

Nachdem ich aus dem Krankenhaus entlassen wurde, habe ich über den Tag verteilt noch einige weitere Demonstrierende getroffen, die ebenfalls Verletzungen durch die Polizei erlitten haben. Viele haben auch von Fausthieben gegen den Kopf berichtet. Sie erlitten Prellungen aber auch schlimmere Muskelverletzungen. Eine Person sei zehn Minuten lang bewusstlos gewesen und die Polizei hat den Krankenwagen nicht durchgelassen.

Das was ich direkt am frühen Morgen erfahren habe, haben viele weitere Demonstrierende den ganzen Tag über sehr ähnlich erlebt. Das zeigt das allgemeine Bild, mit dem gegen die verschiedenen Protestaktionen vorgegangen wurde.

Was denkst du, warum hat die Polizei mit so einer Härte reagiert?
Ich glaube, dass die Blockaden gewaltvoll aufgelöst wurden, das war von Anfang an geplant und die Strategie der Polizei an diesem Tag. Man hätte in der Situation, in der ich die Schläge abbekommen habe, auf jeden Fall nicht so reagieren müssen. Es gab keinen Grund auf eine laufende Menschenmenge direkt mit Schlagstöcken einzuprügeln. Es wurde gehandelt, ohne zu zögern und das wurde auch vom daneben stehenden Einsatzleiter so bestätigt. Er hat mehrmals die Polizist:innen angefeuert, dass sie feste draufhauen sollen. Allgemein habe ich den Eindruck, dass der Fokus am Samstag von der Polizei sehr darauf lag, die Protestaktionen gewaltvoll aufzulösen.

In Teilen waren wir Demonstrant:innen der Polizei aber auch überlegen. Sie hatte wohl vorher nicht damit gerechnet, dass so viele von uns die Straßen auch blockieren wollen. Dadurch wurde deutlich schneller zu Gewalt gegriffen. Sonst hätten wir Demonstrant:innen sehr leicht die Polizei zurückdrängen können und so etwas lassen die sich natürlich nicht gefallen. Da prügeln sie dann lieber wahllos auf die Demonstrierenden ein und verschaffen den Faschist:innen so einen Weg zu ihrer Versammlung.

Größer gedacht geht es natürlich auch um Einschüchterung. Das zeigte sich ja bei mehreren Protesten allein in diesem Jahr. Egal ob bei den Protesten gegen Krieg oder gegen Faschist:innen. Klar ist das Ziel auch, unseren Widerstand zu brechen und das passiert vor allem über zwei Wege: Entweder durch direkte physische Gewalt, wie ich sie erlebt habe, oder durch Repression. Dazu gehören dann Festnahmen, Klagen und die dabei entstehenden hohen Kosten.

Am Samstag in Gießen lag der Fokus sehr klar auf der direkten Gewalt. Sie haben gar nicht versucht, allen Leuten nachzugehen, von allen die Personalien zu bekommen und so weiter. Es war sehr klar: Die wollten, dass die Straßen zur Messe frei werden, damit die AfD-Jugend ihre neue Generation Deutschland gründen kann und dafür war jedes Mittel recht.

Außerdem haben sie auch Bilder von extremer Polizeigewalt erzeugt, die jetzt in allen Medien zu sehen sind. Das soll natürlich auch Personen abschrecken sich an den nächsten Protesten gegen die AfD oder andere Faschist:innen zu beteiligen.

Wie gehst du im Nachhinein mit den gemachten Erfahrungen um?
Das Ziel der Polizei, uns durch massive Gewalt einzuschüchtern haben sie nicht erreicht. Für mich und sicherlich auch für viele andere ist klar, dass unser Widerstand weitergehen muss. Obwohl ich aufgrund meiner Verletzungen bei einem Großteil der Aktion nicht mehr dabei war, sehe ich den Tag als Erfolg. Wir haben gezeigt, dass wir uns nicht einschüchtern lassen. Auch wenn die Polizei zu massiver Gewalt greift. Man muss sich gerade bei solchen Erfahrungen immer wieder ins Bewusstsein rufen: Unsere Proteste sind legitim und wir vertreten richtige Positionen.

Es sind nicht irgendwelche Leute, denen in Gießen der Weg freigeprügelt wurde. Das waren führende Faschist:innen. Das waren Menschen, die aktuell gezielt eine faschistische Bewegung in Deutschland weiter aufbauen. Und wenn Polizist:innen sich dann gegenseitig anfeuern noch stärker auf unbewaffnete Menschen zu schlagen, dann stellt man sich schon sehr die Frage, auf welcher Seite der deutsche Staat und die Polizei eigentlich stehen.

Für mich war vorher klar, dass die Polizei an diesem Tag vor allem die Faschist:innen schützen wird und ihnen den Weg zu den Hessenhallen freimachen wird. Das wurde mit den gemachten Erfahrungen bestätigt und bestärkt gleichzeitig meinen Widerstand und meinen Eindruck, dass wir uns selbst organisieren müssen wenn wir einen konsequenten Kampf gegen den Faschismus führen wollen. Es reicht nicht, Faschist:innen losgelöst von den allgemeinen gesellschaftlichen Entwicklungen zu betrachten.

Aber es ist auch unsere Aufgabe einen kollektiven Umgang mit den Gewalterfahrungen zu finden, damit die Betroffenen mit den Erfahrungen nicht alleine gelassen werden. Ansonsten haben Staat und Polizei nämlich im Nachhinein doch ihr Ziel erreicht und unseren Widerstand geschwächt. Solche Erfahrungen können, wenn man nicht darüber spricht und die Gewalt nicht politisch einordnet, auch beängstigend und zersetzend wirken.

Als wir alle gemeinsam am Abreiseort waren, habe ich lauter Menschen gesehen, die zwar erschöpft waren, aber auch wissen, dass sie für das Richtige auf der Straße waren. Das ist bestärkend. Wir waren viele und wir haben uns nicht brechen lassen, obwohl die Polizei alles dafür getan hat. Das macht mich zufrieden und überwiegt die Gewalterfahrungen, die ich persönlich gemacht habe. Ich betrachte den Tag für uns in der Gesamtheit als Erfolg.

*Der Name der Interviewten wurde für diesen Artikel anonymisiert.

https://perspektive-online.net/2025/12/platzwunde-am-kopf-durch-polizeigewalt-in-giessen-wir-haben-uns-nicht-brechen-lassen-obwohl-die-polizei-alles-dafuer-getan-hat