Am frühen Morgen des 28. August 2025 hat die Berliner Polizei das teilbesetzte Hausprojekt in der Rigaer Straße 94 gestürmt. Mit einem Großaufgebot von etwa 700 Beamt:innen drangen Spezialeinheiten in das Gebäude ein – Ziel war die Identitätsfeststellung von 26 Personen.
In den frühen Morgenstunden hat die Berliner Polizei das teilbesetzte Hausprojekt in der Rigaer Straße 94 in Friedrichshain gestürmt. Mit einem martialischen Aufgebot haben die Beamt:innen dabei 12 Wohnungen des alternativen Wohnprojektes durchsucht.
Ziel der Aktion war offiziell, die Identität der aktuellen Bewohner:innen festzustellen – eine Maßnahme im Vorfeld geplanter Räumungsklagen des Hauseigentümers. Hierbei handelt es sich um einen weiteren Versuch, eines der letzten widerständigen Wohnprojekte Berlins einzuschüchtern und zu zerschlagen.
Ablauf der Razzia: 700 Polizeikräfte für 15 Bewohner:innen
Insgesamt waren etwa 700 Polizeikräfte in die Aktion eingebunden – ein großer Teil davon zur Absicherung des gesamten Stadtgebiets, etwa um mögliche Proteste am Landgericht oder an Büros der Eigentümerfirma zu verhindern. Direkt am Objekt in der Rigaer Straße waren in den Morgenstunden rund 200 Beamt*innen im Einsatz.
Mit schwerem technischem Gerät verschaffte sich die Polizei Zugang durch zwei verriegelte Tore und verbarrikadierte Eingänge. Bis zum Vormittag durchsuchten Einsatzkräfte mindestens ein Dutzend Wohnungen in dem Gebäudekomplex. Die Personalien der anwesenden Bewohner:innen wurden überprüft und aufgenommen.
Insgesamt registrierten die Behörden die Daten von 26 Personen im Haus, die nun mutmaßlich als Ziel weiterer Räumungsklagen dienen sollen. Festnahmen erfolgten offenbar nicht; alle angetroffenen Bewohnerinnen durften zunächst in dem Haus verbleiben. Gegen 10:30 Uhr wurde der Einsatz beendet und die Rigaer Straße wieder für den Verkehr freigegeben.
Das extreme Aufgebot von Hundertschaften der Berliner Polizei ist klar als Einschüchterungsversuch und politisches Signal gegenüber dem Hausprojekt zu werten. Bereits in der Vergangenheit hatte es immer wieder intensive Polizeieinsätze rund um die Rigaer 94 gegeben – für die Anwohner:innen steht das Haus sinnbildlich für einen fortwährenden Konflikt zwischen selbstverwalteter Stadtteilkultur und staatlicher Repression.
Hintergrund: Rechtsstreit um das Hausprojekt Rigaer 94
Um die Rigaer Straße 94 tobt seit Jahren ein erbitterter Rechtsstreit zwischen den Bewohner:innen und dem im Verborgenen agierenden Immobilieneigentümer. Das Haus, ein Altbau mit Seitenflügel und Hinterhaus, ist seit den frühen 1990er Jahren besetzt bzw. bewohnt und wurde zum Symbol der Hausbesetzer-Bewegung, weit über Berlin hinaus bekannt. Über 34 Jahre trotzte das Projekt der Gentrifizierung im Friedrichshainer Nordkiez. In einem Statement aus dem letzten Jahr betonten die Bewohner:innen, dass sie sich von „Briefkästen, Schlipsträgern oder wem auch immer“ nicht vorschreiben lassen wollen, was mit dem Haus geschieht.
Entsprechend häufig kam es in der Vergangenheit zu Polizeieinsätzen, politischen Debatten und juristischen Auseinandersetzungen um dieses Gebäude. Aktuell laufen mehrere Räumungsklagen des Eigentümers vor dem Landgericht Berlin, da dieser versucht, die verbliebenen Bewohnerinnen aus dem Haus zu entfernen. Die großangelegte Polizeirazzia am Donnerstag sollte vor allem der Beweissicherung und Identifizierung dienen, um in den anstehenden Gerichtsverfahren Informationen über die Bewohner:innen zu haben. Ein Umstand, der deutlich macht, wie eng Behörden und Eigentümer hier kooperieren. Faktisch agiert die Polizei hier als Vollstreckungs-Trupp eines privaten Investors, um dessen Eigentumsansprüche durchzusetzen.
Wegen Palästinasolidarität: Ehemalige Bewohner:innen entsolidarisieren sich
Eine weitere Entwicklung hat die Bewohner:innen der Rigaer 94 im letzten Jahr erheblich geschwächt: Ein Teil der Wohnungen im Seitenflügel und Hinterhaus war über Jahrzehnte formal an Mieter:innen von 1992 vergeben – Personen, die zwar längst ausgezogen waren, aber aus Solidarität ihre Mietverträge aufrechterhielten und juristisch gegen Kündigungen kämpften. Diese Alt-Mieter:innen bildeten lange Zeit einen wichtigen juristischen Schutzschild für das Projekt, da Gerichte ungern räumen, solange offizielle Mietparteien Widerspruch leisten.
Doch im Sommer 2024 entschieden sich mehrere dieser ehemaligen Bewohner:innen, den Widerstand einzustellen und mit dem Eigentümer zu kooperieren. Sie unterzeichneten Aufhebungsverträge und verzichteten darauf, ihre laufenden Berufungsverfahren gegen die Räumungsklagen weiter zu betreiben. Grund für diesen Rückzug war unter anderem die Palästina-solidarische Position der aktuellen Bewohner:innen seit dem 7. Oktober und dem Genozid in Gaza, die seitens einiger Alt-Mieter:innen zu einer Entsolidarisierung mit dem Projekt führte. Als Konsequenz konnten die Eigentümer im vergangenen Jahr wesentliche Etappensiege erringen, sodass die Gerichte nun neue Räumungsklagen zulassen.
Die Bewohner:innen und Unterstützer:innen des Hausprojekts aus Berlin kündigen an, den Kampf um die Rigaer 94 fortzusetzen. Für heute wird ab 19:00 Uhr eine Solidaritäts-Kundgebung organisiert, am Schleidenpalatz in der Nähe des Bahnhofs Frankfurter Allee.