Rigaer94: Nichts weniger als alles fordern – In Erinnerung an Kyriakos Xymitiris

Am 31.10. ist ein Jahr vergangen seit dem Tag im Jahr 2024, an dem unser Freund und Gefährte Kyriakos Xymitiris am Nachmittag in einem Apartment in der Arkadias Straße, Athen, sein Leben verliert. Als anarchistischer Revolutionär, der den bewaffneten Kampf wählte, stirbt er, durch die Explosion einer Bombe in seinen Händen.

Wenn hier die Straßen sprechen könnten,

dann würden sie von Diskussionen, begleitet vom blauen Rauch des Tabaks, erzählen

und sich dabei mit Schlappen in einen Plastikstuhl setzen.

Wenn hier die Straßen sprechen könnten,

dann würden sie mit deiner Stimme die Geschichte der kämpfenden Projekte erzählen, der Selbstorganisierung und Breite einer Bewegung

bevor, während und nachdem der „Krieg gegen das Virus“ sich anschickte, die Leben in den Metropolen zu formieren.

Wenn hier die Straßen sprechen könnten,

dann würden sie davon erzählen, wie du den Phoenicurus ochruros in die Hände nahmst

und ihr euch verbunden habt, diesen Ort mit ganzem Herzen und beiden Händen zu verteidigen.

Wenn hier die Bäume sprechen könnten,

dann würden sie davon erzählen, wie ihre Blätter im lauernden Licht des Gartens erstrahlten,

während du mit der Liebe auf den Schultern, im oder neben dem Takt der treibenden Musik,

in den Abendhimmel riefst.

Wenn hier die Bäume sprechen könnten,

dann würden sie vom Alltag erzählen, vom Genuss des Kaffee, einem Essen spät in der Nacht, und von den vielen Türen,

die Räume der Gemeinschaft und des ruhigen Moments verbinden.

Wenn hier die Bäume sprechen könnten,

dann würden sie davon erzählen, wie du den Feuerlöscher fest in die Hände nahmst

mit zitternden Händen vielleicht, doch mutig.

Im Hof – weißt du noch?

Am 31.10. ist ein Jahr vergangen seit dem Tag im Jahr 2024, an dem unser Freund und Gefährte Kyriakos Xymitiris am Nachmittag in einem Apartment in der Arkadias Straße, Athen, sein Leben verliert. Als anarchistischer Revolutionär, der den bewaffneten Kampf wählte, stirbt er, durch die Explosion einer Bombe in seinen Händen. Durch die Explosion wird unsere Freundin und anarchistische Gefährtin Marianna Manoura schwer verletzt. Sie wird aus den Trümmern der Wohnung geborgen, ins Krankenhaus gebracht, mehrfach operiert und nach nur fünfzehn Tagen – einen Tag nach einer Operation – ins Gefängnis von Korydallos transportiert. Seit dem 31.10.2024 wird sie vom griechischen Staat gefangen gehalten. Auch unsere anarchistische Freundin und Gefährtin Dimitra Zarafeta, Dimitris, Nikos Romanos und eine weitere Person werden in den folgenden Tagen und Wochen verhaftet, im Gefängnis von Korydallos inhaftiert und mit dem Anti-Terrorismusparagrafen des griechischen Staates §187a konfrontiert.

An diesem Nachmittag des 31.10.2024 verändern sich unsere Leben, innerhalb von Sekunden. In den darauf folgenden Tagen bahnen sich die Nachrichten und die verschiedenen Gefühle, die durch sie ausgelöst werden, ihren Weg durch Berlin: Schock, das Einprasseln tausender Gedanken, Gefühle und Bilder. Tränen, das Schnappen nach Luft, ein Schmerz, der den Körper einnimmt – das Unbegreifbare nicht verstehen wollen. Freund:innen, Gefährt:innen, Wegbegleiter:innen, bekannte und unbekannte Gesichter kommen zusammen. Wir treffen uns und weinen.

Was sind das für Zeiten, in denen unter Anderen auch du, Kyriakos, dein Leben in deine Hände nahmst und das Risiko wagtest? In denen du nichts weniger, als alles gefordert hast?

Diese Frage erinnert uns daran, dass wir uns vor vier Jahren, vor dem Versuch durch Leonid Medved, des Senats und ihrer Bullen, die Rigaer94 mithilfe einer Brandschutzbegehung zu räumen, ähnliche Fragen stellten: „Wieso jetzt angreifen, wieso jetzt das Risiko wagen, wieso jetzt Gefahr laufen, ein weiteres Mal überrollt zu werden?“ 2020 und 2021 waren die Jahre der Corona-Pandemie, die weltweit mit zunehmendem Autoritarismus staatlich verwaltet wurde. Hier in Berlin beobachteten wir, wie der Ausnahmezustand der Isolierung innerhalb der Gesellschaft diente und die dystopische Entwicklung dafür notwendiger technologischer Instrumente boomte. Gleichzeitig befanden wir uns in einer Zeit größerer und kleiner Aufstände und Revolten, lokal aber vor allem global gesehen. In diesem Kontext sahen wir die Notwendigkeit, für Selbstorganisierung, kollektive Räume und gegen die Verwertung von Wohnraum, unseren kleinen Teil zu den Kämpfen weltweit beizutragen zu wollen. Mit einer temporären autonomen Zone am 16. und 17. Juni 2021 wurde das in die Tat umgesetzt. Vier Jahre später – angesichts steigender Wohnungslosigkeit und täglicher Zwangsräumungen, der autoritären bis faschistischen Formierungen der Krisen, der Brutalität des Krieges der Machthabenden und Besitzenden gegen die Besitzlosen und Unterdrückten bis zu dem live geschalteten Genozid am palästinensischen Volk, – scheint es manchmal zum Greifen nahe, Perspektive, Verstand und Sinn zu verlieren. Wie also weiter?

Mit Hoffnung, rufen die einen. Mit Wut, die anderen. Indem wir die Erinnerung an die Vergangenheit bewahren, die Gegenwart von ihr nähren, um für die Zukunft zu kämpfen, die nächsten. Indem wir es wagen, zu träumen. Indem wir füreinander da sind und Gemeinschaften bilden. Indem wir analysieren, was uns umgibt, diskutieren, uns weiterbilden und uns selbst organisieren. Hier, in einem der kapitalistischen Zentren des imperialen Westens, tragen wir die Verantwortung, für einen Umsturz dieser mörderischen Verhältnisse einzustehen und nie damit aufzuhören. Dabei sind die Methoden in diesen Kämpfen so vielfältig wie die Menschen selbst, mit unterschiedlichen Risiken und Entscheidungen. Die verschiedenen Wege werden sich dabei immer wieder kreuzen. Gemeinsam bilden sie ein Geflecht an Pfaden, die uns zu einem anderen Ort führen, an dem wir uns wieder treffen können. Zu einem Ort, an dem unsere Beziehungen zueinander nicht mehr von Unterdrückung, Ausbeutung, Konkurrenz oder Macht geprägt sind. An einem Ort der Würde, der Freiheit, Solidarität und Selbstbestimmung. Ein Ort einer Welt, an dem kein einziger Mensch mehr aus anderen Gründen als an dem Kreislauf des Lebens sterben muss.

Kyriakos, zu früh hast du einen Platz neben vielen anderen Menschen eingenommen, zu früh bist du gegangen.Dein Tod hinterlässt eine große Lücke. Wir widmen dir diese Zeilen, die über das letzte Jahr gewachsen sind. Sie versuchen einen kleinen Teil davon in Worte zu fassen, wie wir dir erinnern. Gleichzeitig gibt es nicht genügend Worte, um die Trauer und den Verlust zu beschreiben, wenn uns jemand verlässt. Unsere Gemeinschaft hier hat sich immer wieder verändert, einige von uns haben mit dir Alltag geteilt, gekämpft, gelacht und geweint während andere dich nicht kennenlernen konnten. Es ist unsere Aufgabe, durch Erzählungen die Erinnerung an dich lebendig bleiben zu lassen. Wir erinnern dich als einen unermüdlichen Kämpfer, als Freund, als Gast und Teil unserer Gemeinschaft. Du warst aufmerksam und liebevoll. Voller Humor und Respekt. Du hast dich eingebracht, wo du konntest. Wir erinnern dein spätes Abendessen, wie du in der Küche standest und wer dabei den Salat gemacht hat. Wir erinnern dein Räuspern, dein Husten, die nächste Kippe. Wir erinnern die Diskussionen und Streits mit dir, deine Beiträge für den interkiezionalen Kampf, der die verschiedenen Kultur- und Wohnprojekte dieser Stadt miteinander verband. Wir erinnern dich als jemanden, der sich der Probleme und Gedanken seiner Freund:innen und Gefäht:innen annahm und auch wusste, sie zu seinen eigenen zu machen, um nach Lösungen zu suchen. Du brachtest die Menschen zusammen statt dich im Strom der Metropole zu verlieren. Gemeinsam und voneinander lernten wir den vielseitigen anarchistischen Kampf, mit Höhen und Tiefen.

Kyriakos, wir versprechen dir und uns allen, wir werden dich nicht vergessen. Wir versprechen dir, dass unser Schmerz und unsere Tränen dem Strom unserer Kämpfe zufließen werden, der uns eines Tages zu der Welt führt, von der wir noch zusammen träumten, für die du das Risiko gewagt und dein Leben gegeben hast.

Mit unendlich starker Liebe, Wut und geballter Faust rufen wir bis über die Mauern von Korydallos:

Freiheit für alle Gefangenen!

Kyriakos Xymitiris – immer hier!

Bis bald, Gefährte, Freund.

Rigaer94

https://de.indymedia.org/node/546794