Verteidiger der mutmaßlichen Ex-RAF-Terroristin im Interview

„Klettes Prä­senz an keinem der Tat­orte bewiesen“
Interview von Hasso Suliak18.07.2025

Seite März steht die mutmaßliche Ex-RAF-Terroristin Daniela Klette vor Gericht. Jetzt hat das LG Verden angedeutet, dass die 66-Jährige nicht wegen versuchten Mordes verurteilt wird. Ihr Anwalt Lukas Theune spricht von einem „Teilerfolg“.

LTO: Herr Theune, Sie vertreten mit zwei weiteren Kolleg:innnen die mutmaßlich ehemalige RAF-Terroristin Daniela Klette. Ihr und ihren angeblichen Mitstreitern, den gesuchten Ernst-Volker Staub und Burkard Garweg, wird vorgeworfen , 13 Raubüberfälle, aber auch einen versuchten Mord an zwei Geldboten 2015 im niedersächsischen Stuhr begangen zu haben. Bei den Taten sollen sie insgesamt 2,7 Millionen Euro erbeutet haben. Den Vorwurf des versuchten Mordes hat das Landgericht Verden jetzt fallengelassen.

Dr. Lukas Theune: Ja, das ist richtig. Die Schwurgerichtskammer hat einen rechtlichen Hinweis gegeben, dass die Person, die seinerzeit Schüsse auf einen Geldtransporter abgegeben hat und die Staatsanwaltschaft davon ausgeht, dass es sich bei einer Mittäterin um Frau Klette handelt, freiwillig und damit strafbefreiend von einem Mordversuch zurückgetreten ist. Damit hat sich der schwerste Anklagevorwurf erledigt. Wir verbuchen das auch als einen Erfolg der Verteidigung. Allerdings wird es jetzt darum gehen, auch den unterstellten Tötungsvorsatz zu widerlegen.

Auch wenn dieser im Ergebnis wegen des strafbefreienden Rücktritts keine Rolle spielt?

Es bleibt im Hinblick auf andere Tatvorwürfe zumindest im Rahmen der Strafzumessung relevant, ob man Frau Klette einen Tötungs- beziehungsweise Mordversuch attestieren kann. In Betracht kommt ja aus Sicht des Gerichts etwa ein versuchter schwerer Raub, bei dem „andere Personen“, hier die Geldboten, nach § 250 Abs. 2 Nr. 3b Strafgesetzbuch (StGB) „in die Gefahr des Todes “ gebracht wurden. Das Gericht wird weiter aufklären müssen, wie gefährlich es für die Fahrer des Geldtransporters wirklich gewesen ist.

Sie sagten, die Staatsanwaltschaft gehe davon aus, dass Frau Klette dabei war, als die Schüsse auf den Geldtransporter abgegeben wurden. Unabhängig von der rechtlichen Einordnung im Einzelnen: Bewiesen ist das Ihrer Meinung nicht?

Nein, die Präsenz von Frau Klette ist an keinem der Tatorte nachgewiesen. Kein Zeuge hat sie identifiziert, es gibt allenfalls alte und komplexe DNA-Mischspuren in Fahrzeugen, die allerdings nicht zwingend an den betreffenden Tagen des Überfalls in das Fahrzeug gelangt sein müssen.

„Suggestivwirkung öffentlicher Fahndung“
Frau Klette wird unter anderem vorgeworfen, 2016 bei einem Überfall in Cremlingen auf einen Geldtransporter zusammen mit Garweg und Staub rund 1.300.000 Euro erbeutet zu haben. Zeugen haben zwei Männer und eine Frau beobachtet.

Auch das ist nicht erwiesen. Die Aussagen zeigen vielmehr, welche Suggestivwirkung eine öffentliche Fahndung haben kann. Auf etlichen Plakaten in der Region hingen zum Zeitpunkt der Tat Plakate von Staub, Garweg und Klette. Vor diesem Hintergrund kann man dann schnell mal zur Überzeugung gelangen, dass die Personen, die man gesehen hat, die ohnehin Gesuchten sind. Zutreffen muss dieser Eindruck allerdings nicht.

Im konkreten Fall haben sich die Zeugen mit der Polizei zusammengesetzt und sind dann schnell zur Auffassung gelangt, dass es sich bei den Tätern unter anderem um meine Mandantin gehandelt haben muss. Eine Frau, die als Zeugin in der Hauptverhandlung geladen war, berichtete, wie die Polizei ihr fast schon einredete, dass sie doch die gesuchten „Terrorristen“ gesehen haben müsse. Diese Umstände wird das Gericht nun präzise aufklären müssen.

Aussagen zu einer möglichen Tatbeteiligung an den angeklagten Fällen sind von Frau Klette weiter nicht zu erwarten? Immerhin wurden ja auch Waffen in ihrer Berliner Wohnung gefunden, die eindeutig den Überfällen zugeordnet werden konnten.

Nein, Frau Klette schweigt zu den Vorwürfen der Anklage. Sie hat nur am Anfang des Prozesses eine politische Erklärung abgegeben.

„Das ist kein normaler Strafprozess“
Apropos „politisch“: Die Verteidigung, aber auch ihre Mandantin haben von Anfang an den Prozess als einen politischen Prozess bezeichnet. Sehen sie das immer noch so oder ist es inzwischen ein ganz „normaler“ Strafprozess?

Nein, das ist kein normaler Strafprozess, bei dem es darum geht, ein paar Raubstraften aufzuklären und gegebenenfalls zu ahnden. Vielmehr wird ein riesiger Aufwand betrieben, der in keinem Verhältnis zu den angeklagten Straftaten steht.

Geld spielt da überhaupt keine Rolle: So wurde für dreieinhalb Millionen Euro ein völlig überdimensionierter neuer Gerichtssaal geschaffen. Und Aktenberge, wie in diesem Verfahren, habe ich bisher noch nie gesehen. Daraus geht hervor, dass Hunderte Polizisten mit den Ermittlungen befasst waren und eine regelrechte „Schlacht“ der Sachverständigen stattgefunden hat.

Und in Berlin wurde die Wohnung meiner Mandantin minutiös auseinandergebaut, sogar Fußleisten wurden abgetragen, um dann alles so authentisch wie möglich in Hannover im LKA wieder aufzubauen. Kurzum: Ein absurdes und teures Spektakel, das sich nur mit dem vermuteten politischen Hintergrund unserer Mandantin erklären lässt. Insofern ist es ein politischer Prozess.

Stoßen Staub und Garweg eines Tages dazu?
Der überdimensionierte Gerichtssaal in einer ehemaligen Reithalle wird ja damit erklärt, dass vielleicht ja eines Tages die gesuchten Komplizen Staub und Garweg „dazustoßen“ könnten.

Ja, so argumentiert die Staatsanwaltschaft tatsächlich. Aber auch das ist doch hanebüchen und lässt daran zweifeln, ob man die Vorgaben der Strafprozessordnung überhaupt hinreichend kennt. Sollen die sich dann einfach dazusetzen? In ein laufendes Verfahren? Oder wird die Beweisaufnahme dann komplett wiederholt? Das ist alles sehr unausgegoren.

Gibt es denn Anhaltspunkte dafür, dass Staub und Garweg bald gefasst werden?

Als Verteidigung bekommen wir keine Auskunft zu der Zielfahndung. Aber die Staatsanwaltschaft gibt sich da optimistisch.

Frau Klette sitzt in der Justizvollzugsanstalt Vechta in Haft. Die Verteidigung, aber auch sie selbst hat von Anfang an die erschwerten Haftbedingungen gerügt. Sie werde fast den ganzen Tag videoüberwacht, genehmigte Bücher und Zeitungen würden nicht zugestellt. Nicht mal einen Kugelschreiber gebe man ihr. Wird ihre Mandantin weiterhin anders als andere Gefangenen behandelt?

Ja, wir streiten uns mit der Justizvollzugsanstalt tatsächlich über jede Kleinigkeit. Andere dürfen täglich in den Sportraum, sie nicht. Sogar das Kohle-Durchschlagspapier für ihre Schreibmaschine hat man ihr verwehrt. Und wie ja auch berichtet wurde, dürfen bestimmte Personen sie nicht besuchen.

Eine Frau etwa darf nicht mehr kommen, weil beim letzten Besuch meine Mandantin von ihr aus Neugier gefragt wurde, was sie denn sehe, wenn sie aus dem vergitterten Zellenfenster schaut. „Bäume, Himmel, und so weiter“ lautete die Antwort, die der Bundesanwaltschaft schon reichte, um zu unterstellen, dass ein Fluchtversuch in Planung sei.

„Bezweifle weitere Anklage der Bundesanwaltschaft“
Neben der Anklage vor dem Landgericht Verden wartet auf ihre Mandantin möglicherweise noch ein weiteres Verfahren, in dem es um politisch motivierte Anschläge geht, bei denen Klette dabei gewesen sein soll. Die Bundesanwaltschaft wirft ihr versuchten Mord in zwei Fällen sowie Mittäterschaft bei Sprengstoffexplosionen vor, begangen von der RAF in der Zeit von Februar 1990 bis März 1993. Wann rechnen Sie hier mit einer Anklageschrift?

Ich habe meine Zweifel, ob es diese jemals geben wird. Nach meinem Eindruck ist die Beweislage da ebenfalls äußerst dünn. Aber warten wir mal ab, was die Bundesanwaltschaft daraus macht.

Herzlichen Dank für das Gespräch.

Dr. Lukas Theune ist Fachanwalt für Strafrecht in Berlin. Zugleich ist er Geschäftsführer des Republikanischen Anwältinnen- und Anwältevereins. Im Team mit Rechtsanwalt Ulrich von Klinggräff und Rechtsanwältin Undine Weyers vertritt er im Strafverfahren vor dem LG Verden die am 26. Februar 2024 festgenommene Daniela Klette.

https://www.lto.de/recht/hintergruende/h/daniela-klette-raf-strafverfahren-interview-verteidigung-theune

Anmerkung: zu „Ex-RAF-Terroristin“: RAF war für uns keine Terrororganisation