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DD: 22.September.2021: Bericht zum 18.Prozesstag

Zur Diskussion kam es über das Abspielen einer Tonaufnahme aus einer PKW-Innenraumüberwachung. Die Entscheidung darüber wurde zunächst verschoben.

Erneut warteten seit den frühen Morgenstunden Unterstützer:innen vor dem Gebäude des OLG Dresden. Wie auch die Tage zuvor waren keine Nazis vor Ort, auch Presse tauchte erst zu Verhandlungsbeginn auf. Im Gerichtssal wurden die Beschuldigten heute nur mit gedämpften Applaus begrüßt, da der Senat ausrichten hatte lassen, dass er diesen nicht auf Dauer dulden würde. Um 9:45 Uhr begann der Verhandlungstag.

Als erster Zeuge wurde der Geschädigte Tobias N. gehört, der am 08.01.19 in Connewitz Opfer eines Angriffs durch vermummte Personen wurde. Er schilderte den Vorfall zunächst aus seiner Erinnerung. Während eines Arbeitseinsatzes in der Bornaischen Str./Hammerstr. habe unvermittelt eine vermummte Person vor ihm gestanden und ihm ins Gesicht geschlagen. Durch diesen Schlag seien seine Augenhöhle und Jochbein zertrümmert worden. Daraufhin sei er zu Boden gegangen und habe Schläge von mehreren Personen wahrgenommen. Dadurch habe er Verletzungen an Kopf und Rücken davongetragen. Laut Gutachter seien den Verletzungen zufolge dabei nicht nur Fäuste zum Einsatz gekommen. Er schilderte ausführlich angebliche Folgeerscheinungen. So habe er immer noch Angst alleine unterwegs zu sein.

Der Vorsitzende Richter Schlüter-Staats sprach N.‘s rechtsextreme Vergangenheit an. Als Jugendlicher hat N. diverse Straftaten, in Zusammenhang mit der rechten Szene, wie das Zeigen verfassungsfeindlicher Symbole, begangen und wurde u.a. mit 16 Jahren zu 6 Monaten Bewährung verurteilt. N. meinte er habe “mit allem abgeschlossen”, die Bewährungsstrafe habe ihm zum Umdenken veranlasst. In Zusammenhang mit seiner rechtsextremen Vergangenheit wurden Fragen zum vermuteten Tatgrund gestellt. Hier wird eine Mütze der rechten Marke “Greifvogel wear” aus Dresden mit der Aufschrift “radical warrior clothing – strength against the modern world” vermutet. N. bestritt etwas über die Marke zu wissen, er habe die Mütze vor langer Zeit von einem Freund geschenkt bekommen.
Es wurden spezifischere Fragen zum Ablauf seines Tages gestellt. Er sei den ganzen Morgen in Connewitz unterwegs gewesen um Kanäle zu überprüfen, dabei habe er die Mütze aber noch nicht getragen. Ein paar Fragen später meinte er dann aber sich doch erinnern zu können, dass er die Mütze schon vorher aufgesetzt habe.
Eine halbe Stunde nach Verhandlungsbeginn erschien nun auch Nebenklageanwalt Hanning mit Maske unter der Nase.
Es wurden Ausschnitte aus einer Vernehmung von N. verlesen und Fotos vom Tatort gezeigt. Diese deckten sich mit N.’s Aussagen.
N. ist sich sicher, dass es sich bei dem Angreifer um einen Mann mit kräftiger Statur handelte.
Er könne sich nicht mehr daran erinnern, dass der Angreifer gesprochen habe, daraufhin wurde ihm vorgehalten, dass er in der polizeilichen Vernehmung angegeben habe der Angreifer habe etwas gesagt, aber er habe kein Wort verstanden, da es sich um eine “osteuropäische Sprache” gehandelt habe. In einer weiteren Vernehmung hatte er ausgesagt, der Mann habe deutsch mit Akzent gesprochen. Des weiteren gab er an, er hätte die Augenpartie und Nase des Angreifers erkennen können, in einer Vernehmung hatte er allerdings angegeben der Angreifer habe eine Sonnenbrille getragen.
Die Person habe ihn an seinen rumänischen Kollegen Igor erinnert. Er würde allerdings ausschließen, dass dieser das war.
Auch konnte er sich nicht erinnern, ob die Angreifer vermummt waren, hatte damals aber angegeben, sie hätten Sturmhauben getragen. Darauf folgte die Frage des Vorsitzenden, ob er schon einmal “live” Menschen mit Sturmhaube gesehen habe. Die Antwort lautete “ja”. Zum Kontext machte er keine Aussage.
N. fiel selber auf, dass er sich oft widerspricht – er habe nach dem Vorfall versucht das Geschehene “zusammenzusetzen”, da er sich nicht mehr an alles erinnern konnte. So erzählte er zum Beispiel, die Angreifer hätten aufgehört als eine Straßenbahn vorbei fuhr. Gab aber später zu, dass er das nicht mitbekommen habe, sondern von seinem Kollegen erfahren.

Nach einer halben Stunde Pause wurden Bilder der fraglichen Mütze, sowie ein google maps Ausschnitt des Gebiets gezeigt. Dabei kam es zu Verzögerungen aufgrund der technischen Inkompetenz des Senats.
Die Bundesanwaltschaft befragte N. auffällig detailliert nach gesundheitlichen Folgen, Kosten und Behandlungen. Dabei kam heraus, dass N. das Krankenhaus zweimal gegen ärztlichen Rat verlassen und auch eine psychotherapeutische Behandlung nach 2-3 Sitzungen abgebrochen hat, da diese “nix gebracht” habe. Dennoch habe er Psychopharmaka verschrieben bekommen. N. betonte mehrmals, er hätte sein Augenlicht verlieren können, sei aber nicht mehr zum Arzt gegangen. Nun wollte auch Nebenklageanwalt Hanning Fragen stellen, die Verteidigung widersprach, die NK hätte kein Recht Fragen zu stellen, da sie dieser Vorfall nicht betreffe. Es kam zur Diskussion mit dem Vorsitzenden – die NK durfte doch Fragen stellen. RA Hanning fragte ob N. die Augenbrauen des Angreifers gesehen habe. Der Vorsitzende mischte sich ein – die Frage sei schon vorher beantwortet worden. Hanning suggestierte ob N. den Angreifer bei den Beschuldigten wiedererkennen könne. Dies rief Empörung im Zuschauer:innenraum hervor. N. verneinte. RA Aufurth beanstandete, dass der Vorsitzende Internetzugang habe (da dieser auf google maps zugreifen konnte) und stellte erneut einen Antrag auf Internet für alle im Saal. Der Zeuge wurde entlassen. Bilder des verletzten N. wurden gezeigt.

Nach nur 1,5h Anwesenheit verließ RA Hanning wieder den Saal.

Als nächstes wurde Mathias P., ein Kollege von Tobias N., in den Zeug:innenstand berufen.
Er berichtete, er habe auf der Rückseite des LKW gestanden, als zunächst ein maskierter Mann vor ihm gestanden und gesagt habe “von dir wollen wir nichts, geh mal bitte zur Seite”.
Dann habe er sich umgedreht und plötzlich habe ein maskiertes “Mädchen” vor ihm gestanden, gesagt “der ist ein Nazi, der hats verdient” und “bleib da stehen, dann passiert dir auch nix”, wobei sie ihm eine “Flasche”, eine Art “kleinen Feuerlöscher” ins Gesicht gehalten habe. P. will die Geschlechter der Personen anhand der Stimme identifiziert haben.
Es seien 2-3 weitere männliche Personen dazu gekommen, die mit der ersten männlichen Person um den LKW herum, auf die der Straße zugewandten Seite, wo N. gestanden habe, gegangen seien. Das “Mädchen” sei bei ihm geblieben und habe ihn “in Schach gehalten” und sich nicht an der Körperverletzung beteiligt. Er habe nicht gesehen was hinter dem LKW geschehen sei, aber habe Schreie gehört. P. betonte öfters, dass die Vermummten ihm gegenüber nicht aggressiv, sondern ruhig und “anständig” gewesen seien.
Als wenige Momente später eine Straßenbahn vorbeigefahren sei, seien die Vermummten an ihm vorbei zusammen in südliche Richtung geflohen.
Er beschrieb das “Mädchen” als sportlich, schlank, deutsch und 1,70- 1,75m groß. Alle seien schwarz, mit Sturmhauben und wahrscheinlich Handschuhen gekleidet gewesen. Sie hätten keinen Akzent oder Dialekt gehabt, sondern “normales Deutsch” gesprochen, was der Aussage N.’s eines osteuropäischen Akzents oder osteuropäischen Sprache widerspricht.

In der Mittagspause sammelten sich die Zuschauer:innen wieder vor dem Gerichtsgebäude. Dabei kam es zu einem kurzen Zwischenfall mit einem Nazi, der im Vorbeifahren aus seinem Auto heraus laut “Todesstrafe” in Richtung der Menschen vor dem OLG rief.

Nach der Pause wurde die Befragung des Zeugen P. fortgesetzt. P. wurde nach der (früheren) rechten Gesinnung N.‘s gefragt, wozu P. keine Angaben machen könne, da er N. zu dem Zeitpunkt erst seit einem Tag gekannt habe. Auch die Marke der Mütze habe ihm nichts gesagt. P gab jedoch an N. habe die Mütze den ganzen Tag getragen, was N.’s Aussagen eindeutig widerspricht.
Nach kurzer Befragung durch die Verteidigung, stellte die Nebenklage Fragen. Nebenklageanwalt Tripp fragte sehr direkt, ob P. in der Angeklagten Lina E. das “Mädchen” wiedererkenne. Erneut kam Empörung im Zuschauer:innenraum auf. Die Verteidigung beanstandete sofort die Frage. Der Vorsitzende meinte, der Zeuge habe bereits angegeben sich nicht an die Augenpartie erinnern zu können, außerdem sei eine solche Gegenüberstellung nicht verwertbar, wenn dann müsse man mehrere Personen gegenüberstellen. Die Frage wurde nicht beantwortet.

Der Zeuge wurde entlassen und der ermittelnde Polizeihauptmeister G. in den Zeug:innenstand berufen. Direkt beschwerte sich die Verteidigung, dass der Zeuge bewaffnet ist und es dadurch zu Einschüchterung kommen könnte. Daraufhin verließ der Zeuge den Saal wieder für 5-10min um seine Dienstwaffe und Schlagstock abzugeben.
Der Vorsitzende Richter begann direkt mit der Befragung, ohne dass der Zeuge zunächst erzählen konnte woran er sich erinnert, was die Verteidigung beanstandete, da es gegen §69 StPO verstoße. Der Vorsitzende war sichtlich genervt von der Beanstandung seiner Vorgehensweise.
Als G. am Tatort ankam sei N. in einem Hostel gewesen und dort von Kollegen und der Inhaberin versorgt worden und habe sich nicht erklären können warum er zusammengeschlagen wurde. Aufgrund seiner “polizeilichen Intuition” habe G. die Vermutung angebracht es habe an der Mütze liegen können, da es “in Leipzig öfter vorkomme, dass Menschen aufgrund ihrer Kleidung angegriffen werden”.
Als er N. auf die Mütze angesprochen habe, habe dieser erzählt er habe sie von einem Freund geschenkt bekommen, aber habe den Namen des Freundes nicht nennen wollen. Zur Vorbereitung habe G. (im Gegensatz zu KK Schlieker) nur Zugriff auf seine eigenen Aufzeichnungen und nicht die gesamte Akte gehabt. Es habe außer der Mütze noch weitere Ermittlungsansätze gegeben – welche das waren sagte er allerdings nicht, auch der Ermittlungsansatz “Igor” sagte G. nichts. Für eine Spurensicherung habe es keinen Anlass gegeben, eine Tatortfahndung sei ohne Ergebnisse eingestellt worden.

Nachdem der Zeuge entlassen wurde, sollte eigentlich eine Tonaufnahme aus einer PKW-Innenraumüberwachung abgespielt werden. Die Verteidigung legte jedoch Einspruch ein und es kam zu Diskussionen über die rechtlichen Grundlagen der Verwertung dieses Beweismittels. Die Begründung der Verteidigung: Innenraumüberwachung ist ein schwerer Grundrechtseingriff und darf nur durchgeführt werden wenn eine Katalogtat vorliegt (z.B. §129). Anklagepunkte (v.a. §129) könnten noch wegfallen,was nur noch Körperverletzung als Anklagepunkt überließe, was keine Katalogtat ist. Somit wäre die Verwendung dieser Beweismittel nicht mehr möglich. Die Bundesanwaltschaft erwiderte sie sei überzeugt davon, dass der Vorwurf nach §129 bestehen bleibt, sonst hätte die Verhandlung gar nicht erst am OLG stattgefunden.
Hinzu kommt, dass die Überwachung nicht im Zuge dieses, sondern eines anderen §129 Verfahrens stattfand. Die Beweismittel könnten zwar trotzdem als Zufallsfund genutzt werden, aber hier ist die Rechtslage schwierig, was auch der Vorsitzende zugab.
Der Senat und die Bundesanwaltschaft waren der Meinung die Erhebung (also das Abspielen im Gerichtssaal) sei unabhängig von der rechtlichen Grundlage zur Verwertung dieser möglich. RA Nießing widersprach jedoch – auch die Erhebung sei nicht rechtlich gedeckt.
Die Entscheidung wurde verschoben.

Der Vorsitzende empörte sich noch über die Verwendung des Begriffs “vermeintliche Opfer”, wem er die Verwendung zuschreibt bleibt unklar. Es sei ja keine Frage, dass Hr. N. “schrecklich zugerichtet” worden sei. Während seiner Ausführungen über die “schrecklichen Taten” nahm er oft Bezug zu Lina, nicht jedoch zu den anderen Beschuldigten. Außerdem schien er überzeugt, dass die “kriminelle Vereinigung” existiert hat.

Abschließend wurde verkündet, dass für den 22.09. Enrico Böhm geladen werde und der Zeuge Schlieker weiter vernommen werden soll. Außerdem ist die Zeugin Fr. D. erneut geladen.
Der Verhandlungstag endete um 14:55 Uhr.

Fortgesetzt wird die Verhandlung am Dienstag, den 21.09.21 um 09:30 Uhr.

https://www.soli-antifa-ost.org/bericht-vom-4-prozesstag-14-09-21/v