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Griechenland: Wird hier ein neuer Polizeistaat errichtet?

Die Abschaffung ermöglicht der Polizei fortan Zugang zum Campus, was ihr bisher untersagt war. Das «Universitätsasyl» geht auf den Studierendenaufstand am 17. November 1973 zurück. Dieser Tag wird bis heute als Nationalfeiertag gefeiert. Die Symbolkraft des Angriffs auf das «Universitätsasyl» ist also nicht zu unterschätzen. Gleichzeitig zielt die Bildungspolitik der ND auch auf eine Neoliberalisierung der Universitäten und auf die Privatisierung des Bildungssektors ab – mit dem Ziel, den universitären Raum zu entpolitisieren, die Studierendenzahl zu reduzieren. Aufgrund der massiven Polizeigewalt und einer unverhältnismässigen Repression haben sich die Proteste zwischenzeitlich massiv ausgeweitet. Maja Tschumi aus der re:volt Redaktion hat mit dem Aktivisten Pavlos Roufos in Athen über die aktuelle Situation gesprochen.

[Maja Tschumi:] Anfang des Jahres kam es in Griechenland zu einer erneuten Protestwelle gegen Polizeigewalt und Repression. Inwiefern knüpfte der jetzige Widerstand an den vorhergegangenen an?

Um genau zu sein, haben die Proteste in den letzten Jahren nie wirklich aufgehört. Es gab immer wieder antifaschistische Mobilisierungen oder Demonstrationen zur Unterstützung von Geflüchteten. Der Unterschied ist, dass die Proteste in den vergangenen Wochen wieder viel größer waren. Ein Grund, weshalb es im letzten Jahr allgemein weniger Proteste gab, war die Covid-Pandemie. Auch Leute aus der linken oder linksradikalen Szene hüteten sich davor, zu Protesten aufzurufen. Die meisten Menschen waren besorgt über das Virus, sie versuchten, vorsichtig zu sein und große Versammlungen zu meiden, auch, weil sie schon lange kein Vertrauen mehr in die Regierung hatten. Ihnen war und ist bewusst, dass das Gesundheitssystem in den zehn Jahren Austeritätspolitik starke Einbußen erlitten hat. Wenn Demonstrationen zu verschiedenen Themen stattfanden, konzentrierten sie sich auf die großen städtischen Gebiete Griechenlands, allen voran Athen und Thessaloniki.

Was waren denn konkrete Auslöser, die zu Protesten führten?

Die ersten größeren Demonstrationen waren eine Reaktion auf das neue Universitätsgesetz. Wenn man an die griechische Universität heute denkt, muss man sich die Situation und die politische Bedeutung der Universitäten in Frankreich in den 1960er und Italien in den 1970er Jahren vor Augen führen. Das neue Gesetz, das im Januar 2021 verabschiedet wurde, führt einen neuen Polizeiapparat innerhalb der Universitäten, Überwachungssysteme in den Hörsälen und elektronische Eingänge ein. Das Hauptziel davon ist, die lebendige Verbindung von den Universitäten – als Orte des Kampfes mit ihren Studierenden als politisierte Subjekte – mit breiteren politischen und sozialen Mobilisierungen und Nicht-Studentischen Bewegungen zu kappen. Zugleich diszipliniert das Gesetz auch die Studierenden in Bezug auf ihre eigenen politischen Aktivitäten. Unter dem typisch autoritären Vorwand der «Verbrechensbekämpfung» (die Betonung lag auf Drogenhandel und/oder Diebstahl, die an den Universitäten stattfanden) kriminalisiert das Gesetz auch studentischen Aktivismus (universitäre Beschäftigungen werden ebenfalls als «Verbrechen» kategorisiert). Nicht zuletzt reduziert das neue Gesetz auch die Anzahl der Studierenden drastisch: Allein in diesem Jahr wird es in Folge dessen zur Reduktion von etwa 20.000 Studierendenplätzen kommen. Die universitäre Ausbildung ist ein Mittel, einen besser bezahlten Job zu finden. Doch im Kontext von Rezession und Sparmaßnahmen ist das Ziel des Gesetzes, mit dem reduzierten Zugang auch Geld zu sparen und den Arbeitsmarkt nach unten umzugestalten.

Wie liefen die Proteste gegen die massiven Einschränkungen der Gesetzesreformen ab?

Die Studierendendemonstrationen wurden zum Teil brutal unterdrückt. Die Regierung nutzte dazu zum Teil ein neues Gesetz gegen Demonstrationen (es erfordert eine vorherige Genehmigung und einen Verantwortlichen für die Demonstration, Anm. Red.) sowie die Massnahmen gegen die Covid-19-Pandemie, um Menschenansammlungen aus Gründen der öffentlichen Gesundheit zu verbieten.

Für die nachfolgenden Massenproteste waren mehrere Faktoren ausschlaggebend. Einer davon war die Veröffentlichung eines Videos in den Sozialen Medien, das den brutalen polizeilichen Übergriff auf einen jungen Mann zeigte. Es geschah mitten auf einem Platz in einem bürgerlichen Teil von Athen. Der junge Mann wurde von den Polizisten angegriffen, weil er verbal gegen ihre willkürliche Entscheidung protestiert hatte, einer Familie mit Kindern eine Geldstrafe von 300 Euro wegen «Verstoßes gegen Anti-Covid-Maßnahmen» aufzuerlegen. Willkürlich, weil die Familie alle notwendigen Dokumente dabei hatte und Masken trug, die Polizisten sich aber nicht darum scherten. Die Aufnahme des Angriffs und die zynischen Versuche der Regierung, diesen zu rechtfertigen, machte die Menschen wütend. Viele identifizierten sich mit dem jungen Mann. Sie waren empört über die Lügen der Regierung, die eine Geschichte darüber erfand, wie die Polizisten kurz zuvor angegriffen worden waren; das Video jedoch zeigte, dass dies eine eklatante Lüge war. Die Menschen hatten schlicht von all dem genug.

Der andere Auslöser für die Großdemonstrationen ist die Situation von Dimitris Koufodinas, einem verurteilten Mitglied der bewaffneten Gruppe 17. November [1]. Er befindet sich seit 2002 im Gefängnis. Nach Verbüßung der bisherigen Haftstrafe war er berechtigt, in ein ländliches Gefängnis mit geringerer Sicherheitsstufe zu wechseln. Die «Nea Dimokratia» änderte nun jedoch ein Gesetz und schaffte dieses Privileg, das sich allein auf den Fall Dimitris Koufodinas bezog, ab. Und anstatt ihn in das vorherige Gefängnis zurückzuschicken wie im Gesetz vorgesehen, wurde er in eine andere Haftanstalt in Zentralgriechenland verlegt, Stunden entfernt von seiner Familie. Mit einem Hungerstreik forderte er deshalb im Wesentlichen nichts mehr als die Umsetzung des Gesetzes, das heißt, die Verlegung in ein anderes Gefängnis, in dem er vorher schon war und das einen speziell für N17 Häftlinge gebauten Block hat. Die Demonstrationen zu seiner Unterstützung waren anfangs eher klein, wurden aber dennoch sofort von der Polizei angegriffen und aufgelöst. In letzter Zeit wuchsen sie mit Tausenden von Teilnehmer:innen stark an. Ein Grund für die verstärkte Mobilisierung war einerseits die schiere Missachtung der Rechtsstaatlichkeit durch die griechische Regierung. Andererseits brachte das Ausmaß der Polizeibrutalität bei den ersten kleineren Demos mehr Menschen auf die Straße.

Es ist wichtig, im Hinterkopf zu behalten, dass einige der Demonstrationen, die aufgelöst wurden, von Anwält:innen aufgerufen und teilweise auch angeführt wurden. Der Staat zögerte nicht, auch sie anzugreifen. Obwohl die staatliche Propaganda versuchte, diese Demonstrationen als Mobilisierungen zur Unterstützung des «Terrorismus» darzustellen, ist die Wahrheit, dass die meisten Menschen gegen Polizeibrutalität und Autoritarismus auf die Straße gingen.

Wie war die Zusammensetzung und der Organisationsgrad der Proteste? Haben auch Gewerkschaften teilgenommen?

Die Demonstrationen gegen das neue Universitätsgesetz wurden hauptsächlich von Studierenden durchgeführt, mit der Teilnahme von Universitätsarbeiter:innen (Verwaltungspersonal). Die Demonstrationen zur Unterstützung der Forderung des Hungerstreiks waren sehr gemischt und wurden hauptsächlich von politischen Aktivisten getragen. Die Demonstrationen gegen die Polizeibrutalität jedoch zogen viel größere und sozial gemischtere Menschenmassen an. An ihnen haben keine Gewerkschaften teilgenommen, sie mobilisieren nur in Bezug auf direkte Arbeiterfragen.

In allen Fällen wurde die Corona-Pandemie entweder als Vorwand für die Auflösung der Demonstrationen oder als Anklage gegen die Verhafteten benutzt. So wurden alle Verhafteten wegen „Verbreitung von Covid“ angeklagt, was eine Geldstrafe von 300 Euro nach sich zieht. Dies nutzte die Regierung auch als propagandistische Waffe, indem sie behauptete, dass sich die Covid-Fäll durch die Demonstrationen erhöhen und diese also eine Gefahr für die Gesundheit aller darstellen. Wir wissen jedoch aus Untersuchungen in den USA und anderswo, dass dies eine Lüge ist. Vermummt draußen zu sein, ist wahrscheinlich eine der sichersten Handlungen, die man heute tun kann. Mit Polizisten, die selten Masken tragen, in Kontakt zu kommen, ist es jedoch nicht.

Wie war die Berichterstattung in Griechenland?

Die Mainstream-Medien unterstützen mit überwältigender Mehrheit die Regierung. Das ist nicht sonderlich neu. Aber die aktuelle Situation zeigt, dass ein neuer Tiefpunkt erreicht wurde. Vielerorts wurden die Proteste in den Mainstream-Medien nicht einmal erwähnt. Und wo sie es doch taten, wurden sie durch die Ansichten der Regierung oder der Polizei gefiltert. Für jüngere Generationen, die soziale Medien nutzen, ist die Situation anders. In gewisser Weise sind die sozialen Medien heute die einzige Quelle für alternative Informationen. Als Reaktion darauf wurden Versuche unternommen, auch die sozialen Medien zu behindern. Das offensichtlichste Beispiel für den Angriff von Facebook-Seiten (immer noch eine der am häufigsten genutzten Social-Media-Plattformen) war die Suspendierung oder Schliessung jener Seiten, die den Hungerstreik von Koufodinas unterstützten (oder auch nur erwähnten).

Was ist im Fall Dimitris Koufontinas weiter passiert – beziehen sich die Proteste noch auf seinen Fall?

Angesichts der Unnachgiebigkeit der Regierung und des Hinweises, dass sie bereit sei, ihn sterben oder zwangsernähren zu lassen, beendete Koufodinas am 14. März 2021 seinen Hungerstreik nach 65 Tagen, obwohl seine Forderungen nicht erfüllt wurden. Zu diesem Zeitpunkt hatten die massiven Demonstrationen gegen die Polizeibrutalität bereits begonnen und wurden von Tag zu Tag größer. Im Moment gibt es keine Demos zu diesem Thema, aber es gab einige zum Thema Migration, an denen sich ebenfalls hunderte Menschen beteiligten.

Im Einklang mit der allgemeinen autoritären Haltung der Regierung und den reaktionären/rechtsextremen Elementen, die an der Macht sind, hat sich die Situation der Geflüchteten seit der Parlamentswahl im Juli 2019 deutlich verschlechtert. Die gesamte «Migrationspolitik» wird von umfangreichen illegalen Push-Backs (dem völkerrechtswidrigen Zurückdrängen von flüchtenden Menschen, wenn sie sich schon auf Staatsgebiet befinden, Anm. Red) in Zusammenarbeit mit der europäischen Grenzbehörde Frontex und der Verschlechterung sowohl der Lebensbedingungen in den Lagern (die meisten davon auf den Inseln) dominiert. Auch die Asylverfahren verschlechtern sich immer weiter. Vor kurzem wurden individualisierte Interviews abgeschafft und es scheint, dass Anträge einfach auf der Grundlage des Herkunftslandes «eingeschätzt» – und dabei immer mehr Länder, wie Bangladesch und Pakistan, willkürlich zu «sicheren Drittstaaten» erklärt werden.

Du bist in Athen. Wie würdest du die aktuelle Situation in Griechenland beschreiben?

Im Moment scheint sich die Lage beruhigt zu haben. Vermutlich hat die Regierung verstanden, dass sie die Kontrolle über die Situation verliert. Die massiven Demonstrationen gegen die Polizeibrutalität haben sie offenbar erschreckt und ihr gezeigt, dass ihr Versuch, die Demonstrationen als das Werk von kleinen, marginalisierten Minderheiten darzustellen, nicht funktioniert hat. Wie bereits erwähnt, haben viele Menschen die Nase voll von den Covid-Maßnahmen, zumal diese in Griechenland völlig unwirksam sind. Seit Anfang des Jahres steigen die Zahlen konstant weiter an (Mitte April mit einer 7-Tages-Inzidenz von über 170, Anm. Red.), und das nach Monaten der Abriegelung. Der Grund dafür hängt direkt mit der Art des «Lockdowns» zusammen: Während Schulen, Cafés und Geschäfte geschlossen sind und abends Ausgangssperren gelten, arbeiten die Menschen weiter. Die Regierung hat für 50 Prozent der öffentlichen und privaten Arbeitsplätze die Umstellung auf Fernarbeit («Homeoffice») gefordert, aber es gibt nur minimale Kontrollen, und ich habe oft gehört, dass dies besonders im privaten Sektor nicht wirklich umgesetzt wird. Gleichzeitig fahren die Menschen mit Massenverkehrsmitteln zur Arbeit, was bedeutet, dass diese überfüllt sind. Auch hier versuchten die regierungsnahen Medien eine andere Situation zu zeichnen, allerdings nicht erfolgreich.

All dies findet vor dem Hintergrund eines reduzierten und prekarisierten Gesundheitssystems statt, das durch zehn Jahre Austerität zerstört wurde. Bereits 2011 wurden 25 Prozent des Budgets für die Gesundheitsversorgung gekürzt. Im letzten Jahr gab es trotz ständiger Warnungen des Gesundheitspersonals keine wesentliche Unterstützungsmassnahmen für die Gesundheitsversorgung wie in den meisten Ländern Europas. Es wurden einige Intensivstationen eingerichtet und einige wenige Tausend Mitarbeiter:innen des Gesundheitswesens erhielten Kurzzeitverträge, die wenige Monate abdeckten. Im Moment gibt es kaum verfügbare Intensivbetten in ganz Griechenland, wegen der Überlastung der Krankenhäuser wurden 80 Prozent der anderen medizinischen Verfahren (geplante Operationen, Behandlung von Krebs- oder Herzpatienten und so weiter) verschoben und Notfälle in Militärkrankenhäuser verlegt. Die Forderungen des Gesundheitspersonals, private Krankenhäuser zu requirieren, um die Covid-Pflege und andere medizinische Verfahren zu erweitern, werden indes als «zu kostspielig und zu langfristig» ignoriert.

Zeitgleich ist die Regierung vor allem damit beschäftigt, Griechenland rechtzeitig zur Tourismussaison wieder zu öffnen und der Premierminister kündigt eine «Rückkehr zur Normalität» bis Ende Mai an. Teilweise als Reaktion auf die Proteste und teilweise als Vorbereitung auf die Lockerung des Lockdowns zugunsten der Tourismusindustrie drängt die Regierung zwischenzeitlich die Menschen fast dazu, hinaus zu gehen, solange sie sich unweit ihrer Wohnungen aufhalten. Seit den Massenunruhen in Nea Smyrni hat die Polizei aufgehört, Kontrollen durchzuführen – offensichtlich auf Anweisung einer Regierung, die das Gefühl hatte, die Kontrolle zu verlieren. In Kombination mit der Wiedereröffnung für den Tourismus begannen die Maßnahmen (offiziell und inoffiziell) nachzulassen. Der Irrsinn bleibt jedoch bestehen. Während die Ausgangssperre nun um 23.00 Uhr beginnt (im Gegensatz zu 18.00 Uhr am Anfang und 21.00 Uhr in letzter Zeit), obwohl die Bewegung zwischen den Gemeinden wieder erlaubt ist, und obwohl Cafés und Restaurants im Freien wieder geöffnet werden, müssen die Leute immer noch eine SMS schicken, um ihr Haus zu verlassen. Das ist eine Maßnahme, die die Regierung aus „symbolischen und pädagogischen Gründen“ beibehalten hat. Gleichzeitig dürfen Cafés und Restaurants keine Musik spielen (!), eine Maßnahme, die eindeutig den ersten Platz im Wettbewerb der Irrationalität verdient.

Gibt es aktuell in Griechenland eine Ausweitung der Polizeibefugnisse? Die ansteigende Polizeigewalt klingt ja danach. Wie ist deine Einschätzung?

Es ist nicht so, dass die polizeilichen Befugnisse ausgeweitet wurden – es sei denn, wir nehmen die Einführung der neuen Polizeitruppen in den Universitäten als Beispiel. Was ausgeweitet wurde, ist die Anzahl der Polizist:innen. Es scheint der einzige öffentliche Sektor zu sein, in dem in letzter Zeit Masseneinstellungen vorgenommen wurden und noch werden. Was auch klar ist, ist, dass die Polizisten in Fällen von Brutalität oder Missbrauch ihrer Kompetenzen politisch gedeckt sind. Das war natürlich schon immer der Fall, aber in letzter Zeit hat sich die Stimmung stark verschärft. Das zeigt sich unter anderem an der Art und Weise, wie die Regierung auf die endlosen Fälle von Polizeibrutalität reagiert hat, die sich alleine in den letzten Wochen ereignet haben (wie auch auf die, die vorher stattfanden).

Würdest du sagen, dass sich der Staat zunehmend autoritär und national organisiert? Und welche Rolle spielen dabei die Kapitalfraktionen?

Was wir im Moment in Griechenland erleben, ist eine autoritäre neoliberale Regierung mit sehr deutlichen rechtsextremen Elementen. Ihr Autoritarismus zeigt sich nicht nur in ihrer Law-and-Order Politik, sondern auch in ihrer Missachtung der Rechtsstaatlichkeit, wann immer dies für sie politisch von Vorteil ist. Sie ist ebenso neoliberal, weil ihre Wirtschaftspolitik nicht nur der vorherrschenden ökonomischen Orthodoxie der Europäischen Union folgt, sondern die Regierung ihre Wirtschaftspolitik immer noch auf Austerität ausrichtet. Dies ist im Moment ein entscheidender Punkt, weil der griechische Staat, hauptsächlich als Reaktion auf die EU-Programme im Kontext der Covid-19-Pandemie, Zugang zu Milliarden von Euro aus EU-Fonds hat, die ohne Konditionalitäten, Sparauflagen oder weitere wirtschaftliche Umstrukturierungen vergeben werden. Allein die Europäische Zentralbank hat griechische Staatsanleihen im Gegenwert von fast 20 Milliarden Euro aufgekauft, während die Recovery and Resilience Facility der Europäischen Kommission ebenfalls Milliarden bereitstellen wird – als Zuschüsse und Kredite. Inzwischen hat der griechische Staat auch wieder Zugang zu den Märkten und kann Anleihen ausgeben, die von anderen Finanzakteuren gekauft werden. Mit anderen Worten: Die Finanzierungskapazitäten des griechischen Staates waren seit mindestens zehn Jahren nicht mehr in einem so guten Zustand wie heute. Nichtsdestotrotz und trotz der Pandemie und der klaren Notwendigkeit, das Gesundheitssystem zu stärken, hat die griechische Regierung diese Mittel verwendet, um (vorzeitig und daher unnötigerweise) alte Schuldenverpflichtungen zurückzuzahlen. Die IWF-Kredite, die während der Krise in der Eurozone gewährt wurden, wurden fast vollständig zurückgezahlt. Es ist sehr wahrscheinlich, dass die militärische Ausrüstung und die neuen Arbeitsplätze für Polizisten durch die EZB-Fonds und aus dem Überschuss, den Griechenland aufgrund der Austerität angesammelt hatte, bezahlt werden.

Schließlich sind die extrem rechten Elemente daran zu erkennen, dass die Regierung in ihrer Propaganda die typische rechtsextreme Perspektive übernommen hat, die «die Linke» als ein und dasselbe und als «Feind» behandelt. Es wird kein Unterschied gemacht zwischen Syriza, die heute eine zentristische Partei ist, Anwält:innen, radikalen Anarchist:innen und Kommunist:innen oder auch Koufodinas. Für die Regierung gehören all die zur «Linken» und stellen etwas Feindliches dar. Ihre Haltung gegenüber Linksradikalen ist dabei besonders brutal: Ein 21-jähriger Anarchist wurde kürzlich entführt und stundenlang im Hauptquartier der Polizei physisch und psychisch misshandelt, bevor er ohne Anklage freigelassen wurde. Es gibt Anzeichen dafür, dass sich diese Haltung ausweitet. Ein 18-jähriges Mädchen, das versuchte, einem Freund zu helfen, der während einer Demonstration gegen Polizeibrutalität von Polizisten verprügelt wurde, wurde geschlagen, verhaftet und ins Polizeipräsidium gebracht, wo sie weiteren Schlägen und ständigen Androhungen von sexuellen Übergriffen ausgesetzt war.

Obwohl Vergleiche mit Erdoğans Türkei oder Orbans Ungarn bis zu einem gewissen Grad machbar sind, ist es vielleicht präziser, Macron in Frankreich als näheren Bezugspunkt für die Form der griechischen Regierung heranzuziehen. Wie in Griechenland auch, werden dort beispiellose Formen polizeilicher Brutalität als Mittel zur Unterdrückung jeglichen Protests normalisiert, während das übergeordnete Ziel darin zu bestehen scheint, die Überreste eines sozialdemokratischen Modells ein für alle Mal zu begraben. Ein Modell, das versuchte, mit den Antagonismen umzugehen, die der Kapitalismus durch Inkorporation und Rekuperation schafft. Im Gegensatz zu diesem Modell scheint diese neue, fast hybride Form des autoritären Regierens entschlossen, die Widersprüche des Kapitals durch Repression und Ausgrenzung zu «lösen».

Wie wird sich die Situation deiner Meinung nach in der kommenden Zeit entwickeln?

Wie bereits erwähnt, scheint es so, als sei die Regierung durch die massenhafte Reaktion erschrocken. Sie hat nun einige Schritte unternommen, um die Lage zu beruhigen. Der Minister für Bürgerschutz, ein Euphemismus für das Ministerium, das die Polizei kontrolliert, entschuldigte sich öffentlich für bestimmte Vorfälle von Polizeibrutalität – natürlich nicht für alle. Aber da das Gesamtprojekt, das ältere sozialdemokratische Modell zu begraben, weiterhin die politische Inspiration der aktuellen Regierung ist, habe ich wenig Zweifel, dass das, was wir in den letzten Wochen gesehen haben, weitergehen wird. Die bevorstehenden Kämpfe, die zweifellos in Bezug auf das Universitätsgesetz ausgefochten werden müssen, sobald die Universitäten voraussichtlich im Herbst wieder öffnen, werden sicherlich erneut Massenmobilisierungen auslösen. Denn wenn die Studierenden zurückkehren, werden sie Polizeikräften im Inneren der Universitäten gegenüberstehen. Vielleicht passieren aber auch noch ganz andere Dinge bis dahin – angesichts der repressiven Entschlossenheit der Regierung wäre das keine Überraschung.

Anmerkung:

[1] Die bewaffnete, anti-imperialistische Gruppe 17. November, Mitte der 1970er Jahre nach dem Ende der Militärjunta gegründet, verübte vor allem in den 1980er Jahren zahlreiche Anschläge – insbesondere auf Militär, Polizei, Geheimdienste, Banken und Konzerne in Griechenland. Die Angriffe richteten sich gegen US-Militärangehörige und ausländische Diplomaten sowie gegen griechische Politiker und Industrielle. Mitglieder der Gruppe wurden 2002 zu mehrfachen lebenslangen Haftstrafen verurteilt.

https://revoltmag.org/articles/griechenland-wird-hier-ein-neuer-polizeistaat-errichtet/