HAFT IN ISRAEL:Gefangene im Widerstand

Seit Jahrzehnten kollektive Hungerstreiks gegen Haftbedingungen für Palästinenser
Der Kampf der Palästinenserinnen und Palästinenser gegen die besonderen Haftbedingungen, mit denen sie seit Jahrzehnten konfrontiert sind, hat nie aufgehört. Die Gefangenen werden sowohl von Israel als auch von den palästinensischen Organisationen als die Spitze des Widerstands angesehen, auch weil sie, aus den Notwendigkeiten der Gefängnissituation, die Teilung der politischen Fraktionen weitgehend überwunden haben und sich als einheitlicher Zusammenschluss sehen. Dasselbe gilt für ihre Familien, die sich seit Jahren gegenseitig unterstützen. Bis vor zwei Wochen, als die komplette Kontaktsperre noch nicht eingeführt worden war, kämpften Mütter dafür, nicht nur ihre eigenen Söhne und Töchter besuchen zu können, sondern auch andere Gefangene.

Die einzige Waffe, die die Gefangenen selbst im Widerstand gegen die Zerstörung ihrer Integrität haben, ist der kollektive Hungerstreik. Nachdem klar geworden war, dass laut den in den Osloer Abkommen genannten Kategorien nicht alle Gefangenen freigelassen wurden, gab es im Jahr 1998 neun Hungerstreiks. Zwei Jahre später streikten 1.000 der damals 1.650 palästinensischen Gefangenen einen Monat lang »gegen willkürliche Misshandlungen, miserable Haftbedingungen, verhinderte Familienbesuche, Isolation, schlechte medizinische Versorgung und Israels Weigerung, die Gefangenen aus der PLO freizulassen«.

Anfang 2012 waren 1.800 Gefangene bis zu zwei Monate lang im Hungerstreik mit der Forderung nach Aufhebung der Isolation, Zulassung von Familien aus Gaza und Abschaffung der Verwaltungshaft. In der Folge wurde die Verwaltungshaft nur formal angepasst, aber der wegen »terroristischer Aktivitäten« beschuldigte Khader Adnan kam nach 66 Tagen Hungerstreik frei. Allerdings starb er im Mai 2023, zum zwölften Mal in Verwaltungshaft, nach 87 Tagen seines letzten Hungerstreiks.

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Im Mai 2016 wurden mehrere Gefangene nach einem 90tägigen Hungerstreik freigelassen. Sie waren verhaftet worden, als sie während einer Demonstration im besetzten Westjordanland die Übergabe der Leichname von erschossenen Demonstranten und verstorbenen Gefangenen an ihre Familien forderten – Tote, die von den israelischen Behörden bis heute in Kühltruhen und namenlosen Gräbern aufbewahrt und einbehalten werden, entweder weil die Gesamtstrafe der Gefangenen bei deren Ableben noch nicht abgesessen war oder um irgendwelche Zugeständnisse der Familien zu erpressen. Ein Jahr später streikten 1.500 Gefangene zwei Monate lang für eine Verbesserung der Haft- und Besuchsbedingungen.

Weitere Hungerstreiks gab es zwischen 2013 und 2022 sowie eine eintägige Solidaritätsaktion von 1.300 Gefangenen im Ofer-Gefängnis Anfang Oktober dieses Jahres zur Unterstützung des Hungerstreiks von Kayed Al-Fasfous, einem Palästinenser in Verwaltungshaft, der schon sieben Jahre in Haft verbracht hatte und 2021 auch nur nach einem Hungerstreik von 130 Tagen zusammen mit anderen entlassen worden war.
Hintergrund: Austausch von Gefangenen?

Von Ron Augustin

An der Mauer des Hochsicherheitsgefängnisses Gilboa im Norden Israels
Hintergrund: Austausch von Gefangenen?
Die Freilassung der palästinensischen Gefangenen war eines der Hauptziele des Angriffs vor zwei Wochen. Hamas zufolge sollen die von ihnen in Gaza festgehaltenen Geiseln gegen palästinensische Gefangene ausgetauscht werden. Laut Mustafa Barghuthi, Generalsekretär der Palästinensischen Nationalen Initiative, einer der politischen Parteien im Palästinensischen Legislativrat, haben die Regierungen von Ägypten und Katar angeboten, zu vermitteln.

Im Fernsehsender CNN teilte Barghuthi mit, dass der von der Hamas vorgeschlagene Austausch aus zwei Phasen bestehen soll. In der ersten würde Hamas alle israelischen zivilen Gefangenen gegen die palästinensischen weiblichen Gefangenen austauschen. In der zweiten Phase will Hamas die israelischen Soldaten in ihrem Gewahrsam gegen die männlichen Gefangenen austauschen. Ein entsprechender Vorschlag sei der Regierung Netanjahu übermittelt worden. Eine Reaktion aus Tel Aviv steht noch aus, aber am Montag vergangener Woche eröffnete Premier Netanjahu die Winterversammlung der Knesset mit den Worten: »Dies ist ein Kampf zwischen den Kindern des Lichtes und den Kindern der Dunkelheit, zwischen der Menschheit und dem Gesetz des Dschungels.« Nach Protesten wurde der Vergleich zwar von seinem X-Account entfernt, nicht aber von der Webseite des israelischen Außenministeriums.

Momentan sieht es nicht danach aus, dass die israelische Regierung zu Verhandlungen bereit ist. Sie ist aber dabei, ihre Verhandlungsposition zu stärken, indem sie neue Gefangene macht. In den vergangenen zwei Wochen sind allein im Westjordanland etwa 70 Menschen bei Zusammenstößen mit Siedlern und Soldaten getötet und mehr als 500 Palästinenser verhaftet und in israelische Gefängnisse und Internierungslager verschleppt worden. Es steht zu erwarten, dass, zusätzlich zu den Toten und Verwundeten, die Zahl der Gefangennahmen im Gazastreifen schnell ansteigen wird. (ra)

Von Ron Augustin
junge Welt 23.10.23