pal.27.12

Uniformierung Medien und Politik zu Antisemitismus

Antisemitismus hat in diesem Land eine furchtbare Tradition. Die spielte allerdings in der alten und neuen BRD so lange keine Rolle, bis nicht der letzte KZ-Baumeister wie Bundespräsident a. D. Heinrich Lübke 1972 oder der Ex»vertriebenen«minister und Anführer einer ukrainischen Judenmörderbande Theodor Oberländer 1998 in einem Gefängnisbett gestorben waren. Seither, glaubt man Bürgermedien und herrschender Politik, steht die Bundesrepublik in einem ständigen Abwehrkampf gegen Antisemiten. Die sind angeblich kollektiv links oder muslimisch, und ihr Erkennungszeichen ist: Sie unterstützen nicht die Kriege Israels.

Gegen sie haben Bundesregierung und Staatsmedien zwei Barrieren errichtet: Erstens die Erklärung, dass die Sicherung des »Existenzrechts« Israels Teil der deutschen Staatsräson sei – ausgesprochen von Angela Merkel 2008. Seither hat sich herausgestellt: Es ging nicht um das Existenzrecht der einzigen Atommacht im Nahen Osten, sondern darum, jeden ihrer Feldzüge vor allem durch Rüstungslieferungen zu fördern. Zweitens: Der flankierende Beschluss des Bundestages darüber, was Antisemitismus ist, vor genau zwei Jahren am 17. Mai 2019.

Beides hatte keinen besonderen Erfolg. Die Aktionen der Hightecharmee mit ihren enormen Todeszahlen unter Zivilisten lösen hierzulande wenig Hurrageschrei aus, obwohl der Bedarf an lautstarkem »Patriotismus« steigt, etwa beim Aufmarsch gegen Russland – eine Art Palästina mit Atomwaffen, um die Formel eines alten US-Haudegens abzuwandeln. Die 2019er Definition von Antisemitismus hat sich eher lächerlich gemacht als durchgesetzt. Die Absicht, Kritik an der Politik Israels als antisemitisch zu denunzieren, ist ihr Inhalt. Das Ergebnis ist eine Art ideologischer Stellungskrieg: Die »Antisemitismus«-Definierer haben in Ämtern und Großmedien das Sagen, können verbieten und hetzen, Linke und Muslime scheinen argumentativ in der Vorhand.

Das soll sich nun ändern. Die »innere Front«, wie Welt-Chefkommentator Jacques Schuster schrieb, soll beseitigt werden – durch Abschiebungen und härtere Strafen, vor allem aber durch Bekämpfung dessen, was Cem Özdemir »mi­grantischen Antisemitismus« nennt. Und was mit Volksverhetzung selbstverständlich nichts zu tun hat. Die Lage verlangt offenbar mehr Uniformierung von oben. Über die Illusion, Propaganda könne die inneren Konflikte tünchen oder gar kitten, kommen die Frontbegradiger nicht hinaus.

Von Arnold Schölzel junge Welt 18.Mai 2021