hs turkey

111-facher Protest gegen türkische Staatswillkür

Dozentin und Lehrer in Ankara weiter im Hungerstreik / Innenminister beschimpft sie als Terroristen
Nach 111 Tagen Hungerstreik zweier Akademiker haben türkische Künstler und Intellektuelle die Regierung zum Handeln aufgefordert. Eine Zeitungsanzeige trägt die Namen von 111 Personen.
Von Jan Keetman nd 29.6.17

Eine Dozentin für Literatur, Nuriye Gülmen, und ein Grundschullehrer, Semih Özakca, haben ihren Hungerstreik für ihre Wiedereinstellung bis an den Rand des Todes getrieben. Beide gehören zu den gut 100 000 Personen, die seit der Verkündung des Ausnahmezustandes nach dem Putschversuch vom 17. Ju-li entlassen wurden. Außer ihrer Wiedereinstellung fordern sie auch die Rückkehr zumindest eines Teils der übrigen Entlassenen und die Aufhebung des Ausnahmezustandes in der Türkei.

Weil ihr Hungerstreik, den sie öffentlich in Ankara durchführten, Aufsehen erregt hat, wurden die beiden Hungerstreikenden des Terrorismus beschuldigt und inhaftiert. Die Logik ist ebenso klar wie universell einsetzbar: Wer gegen Maßnahmen der Regierung protestiert, die eventuell sogar zu landesweiten Unruhen wie 2013 nach der Räumung des Gezi-Parkes in Istanbul führen könnten, handelt im Sinne oder auch im Auftrag von Terrororganisationen, die auf diese Weise die Regierung stürzen wollen.

Die gleiche Logik wendet nun Innenminister Süleyman Soylu gegen die Unterzeichner einer Petition an, die den Staat auffordert, den beiden Hungerstreikenden entgegenzukommen, um ihren Tod zu verhindern. Zu den Unterzeichnern gehören Prominente wie der Musiker Arif Sag, die Schriftstellerin Elif Safak, der Journalist Can Dündar, der Parlamentsabgeordnete Ufuk Uras und die Schauspielerin Lale Mansur. Insgesamt 111 Intellektuelle haben die Petition unterzeichnet. Die Zahl der Unterzeichner steht symbolisch für den 111. Tag des Hungerstreiks.

Die Unterzeichner der Petition seien doch Leute, die weder der Polizei, noch dem Geheimdienst, weder Staatsanwälten noch Richtern vertrauen würden, wetterte Soylu. Stattdessen setzten sie sich für Leute ein, die Mitglieder einer Terrororganisation seien und die Wirklichkeit verdrehten. »Wissen Sie überhaupt, was Sie da unterschrieben haben?« fragt der Minister schließlich rhetorisch die Intellektuellen. Mit Mitgliedern einer Terrororganisation, er nennt die »Revolutionäre Volksbefreiungspartei-Front«, meint Soylu die Hungerstreikenden, obwohl diese bisher nicht verurteilt sind.

Nach Auskunft zweier Abgeordneter, die die Hungerstreikenden im Gefängnis besuchen durften, hat der Zustand der beiden Hungerstreikenden, die seit rund vier Monaten nur Flüssigkeiten und Vitamintabletten zu sich nehmen, mittlerweile ein kritisches Stadium erreicht. Die bereits vorher sehr schlank wirkende Nuriye Gülmen hat 14 kg Gewicht verloren, Semih Özakca sogar 23 kg. Beide haben Herzbeschwerden und können kaum noch gehen.

Eine wirkliche Alternative zum öffentlichen Protest haben die Geschassten kaum, denn wegen des Ausnahmezustandes können sie ihre Entlassung nicht gerichtlich anfechten. Zu Jahresbeginn wurde zwar eine Kommission ins Leben gerufen, die die Entlassungen überprüfen soll, aber schon personell gar nicht in der Lage ist, mehr als 100 000 Fälle zu beurteilen. Aufgrund der Umbesetzungen auf allen Ebenen der Justiz ist deren Neutralität bei Klagen gegen Maßnahmen der Regierung ohnehin zweifelhaft.

Demo und Kundgebungen nach Mord an zwei jungen Mapuche
Im Mai und Juni kam es in mehreren Regionen Chiles zu massiven Angriffen der Bullen auf Gemeinden der Mapuche. Schulen wurden mit Tränengas beschossen, Jugendliche gekidnappt. Am 10. Juni wurden zwei junge Mapuche von der Reaktion ermordet. Dennoch: In ihren Deklarationen und auf der Straße zeigt das Volk der Mapuche, dass es sich von der Reaktion nicht einschüchtern lässt. Ihr überleben hängt vom Kampf ab.

Über den Kampf der Mapuche schrieben die Genossen der Front der revolutionären Studenten und des Volkes in ihrer achten Ausgabe des Zeitschrift „Die Rebellion ist gerechtfertigt!“:

Das Volk der Mapuche kämpft und wehrt sich seit über 500 Jahren gegen andauernde Angriffe und Attacken. Als erstes gegen die der spanischen Krone, und dann gegen die des chilenischen Staats, welcher seit 1861 mit der militärischen Besetzung Araucanías versucht das Volk der Mapuche zu vernichten.
Heute ist das Volk der Mapuche nach wir vor im Widerstand, führt den gerechtfertigten Kampf für die Rückeroberung des besetzten Landes. Dies ist ein Kampf ums Überleben, denn die Mapuche leben hauptsächlich auf Land, welches heute in wenigen Händen konzentriert ist.
Dabei gehört das Land auf dem sie leben und jenes, welches Teil ihres historischen Erbes ist (bevor es ihnen geraubt wurde) selbst nach internationalem bürgerlichen Recht den Mapuche. Die aktuelle Welle der Repression des alten chilenischen Staates zeigt daher seine vollkommene Verrottenheit sehr deutlich: Er kann dem Kampf der Mapuche, selbst nach demokratischen Rechten, nicht anders begegnen als mit brutalster Gewalt. Das Interesse der Mapuche befindet sich in einem solchen Widerspruch mit dem Großgrundbesitzertum, dass nur noch ein Mittel in der Lage ist, diesen Widerspruch zu lösen.

Seitens der Reaktion ist dies der Terror gegen das Volk, der auf die Vernichtung der Mapuche abzielt. Nichts anderes ist es, wenn die ärgsten faschistischen Militärs aus Pinochet-Zeiten in den Regionen der Mapuche stationiert werden und ihre Morde – wie zuletzt am 10. Juni als ein Kommandeur ein ganzes Magazin auf zwei Jugendliche entleerte – gedeckt werden. Oder wenn Sonderkommandos – wie am 14. Juni – mit Panzern und Sturmgewehren vor den Schulen der Mapuche Gemeinden auftauchen, diese mit Tränengas beschießen und Jugendliche entführen. Dieser Terror wird erst mit der Zerschlagung des Großgrundbesitzertums und des mit ihm auf das engste verwobenen Staates aufhören. Wir begrüßen in diesem Sinne die kämpferischen Aktivitäten, die Demos, Kundgebungen, brennenden Barrikaden und Deklarationen, die trotz anhaltender Repression nach den Morden stattgefunden haben.

„Für jeden der fällt, erheben sich zehn“ – Mapuche Gemeinde Cacique José Guiñon

http://www.demvolkedienen.org/index.php/de/lat-amerika/1521-demo-und-kundgebungen-nach-mord-an-zwei-jungen-mapuche