35. Todestag von Ulrike Meinhof

Anlässlich des 35. Todestags von Ulrike Meinhof veröffentlich wir hier den Text „Deprivation und Kolonisation“, den sie während ihrer Haft schrieb und für die Diskussion unter den Gefangenen und den AktivistInnen der Solidaritätsgruppen bestimmt war. In dem Dokument geht sie auch auf die Methodik der Isolationshaft ein.

Das Bild ist von einer Filmvorführung, die am 17. Mai in Stuttgart stattfinden wird, ebenfalls anlässlich des 35. Todestags von Ulrike Meinhof.

1. Zu Metropolenfolter

Weil Anti-Guerilla-Folter darauf abzielt, das Kollektiv zu vernichten, in den Kämpfern die Substanz des Kollektivs, d.h. ihr politisches Bewußtsein – ihre Aggressivität, d.h. ihre Fähigkeit zu kämpfen, das Diskriminierungsvermögen, damit sie Freund und Feind nicht mehr unterscheiden können, – zielt jede Verschärfung bei einem auf alle – trifft alle – wie jedes bißchen Luft bei einem bißchen Luft für alle ist. Der Tötung durch Deprivation den Widerstand eines kollektiven Bewußtseins entgegensetzen, heißt – deshalb ist es ein Kampf auf Leben und Tod – daß sie uns unserer Identität nicht berauben können, ohne zu töten, weil die Drohung mit dem Tod für uns keine Bedrohung ist, können sie uns unser Bewußtsein nicht entreißen.

2. Deprivation und Kolonisierung

Jetzt, wo mal bestimmt worden ist, was sensorische Deprivation überhaupt ist – nämlich der Entzug von Gesellschaftlichem, von dem Stoff, welcher erst (in welcher historischen Form auch immer) die gens ‚Mensch‘ entstehen und entwickeln läßt – ohne daß etwas Neues an seine Stelle tritt – wird klar, daß bei sensorischer Deprivation von derselben Sache die Rede ist, was mit den Völkern der Dritten Welt bei ihrer Kolonisierung gelaufen ist.
Marx über Indien: „England hat das ganze Gefüge der indischen Gesellschaft niedergerissen, ohne daß bisher auch nur die Spur eines Neuaufbaus sichtbar geworden wäre. Dieser Verlust seiner alten Welt, ohne daß eine Neue gewonnen worden wäre, gibt dem heutigen Elend des Hindu eine besondere Note von Melancholie und zieht einen Trennungsstrich zwischen dem von England beherrschten Hindustan und den ehrwürdigen Überlieferungen seiner ganzen geschichtlichen Vergangenheit.“ (Bei: Baran – Politische Ökonomie des wirtschaftlichen Wachstums. Luchterhand, S. 246)

Wenn Kolonisierung eine Eroberung war, bei der die vorhandenen gesellschaftlichen (ökonomischen, politischen, kulturellen) und Kommunikationsstrukturen vernichtet, d.h. den Eingeborenen entzogen wurden, sie stattdessen einem Herrschaftssystem unterworfen worden sind, -Kolonialregime/Imperialismus, an dem sie nicht teilnehmen,
in dem sie nur als Ding, als Sache vorkommen, –
dann ist das kolonisierte Individuum ein depriviertes Individuum, und der Deprivationsprozeß in der Isolation dasselbe, was Milliarden bei ihrer Kolonisierung erlitten, durchgemacht haben – woran unendlich viele ja auch zugrunde gegangen sind.
Fanon beschreibt dasselbe – dieselben Prozesse, die in der SD1 als Folter programmiert sind: „Weil der Kolonialismus eine systematische Negation des anderen ist, eine blindwütige Entschlossenheit, dem anderen jedes menschliches Attribut abzustreiten, treibt er das beherrschte Volk dazu, sich ständig die Frage zu stellen ‚Wer bin ich eigentlich?‘ Die Abwehrmechanismen, die aus dieser gewaltsamen Konfrontation des Kolonisierten mit dem Kolonialsystem entstehen, organisieren sich zu einer Struktur, in der sich die kolonisierte Persönlichkeit offenbart. Um diese ‚Empfindlichkeit‘ zu verstehen, braucht man nur die Anzahl und die Tiefe der Wunden zu untersuchen, die einem Kolonisierten während eines einzigen unter dem Kolonialsystem verbrachten Tages zugefügt werden… In Algerien gibt es nicht nur eine Fremdherrschaft, sondern die buchstäbliche Entschlossenheit, ein Gebiet einfach in Besitz zu nehmen. die Algerier, die Frauen im ‚haik‘, die Palmenhaine und die Kamele bilden das Panorama, die natürliche Kulisse für die Anwesenheit des Menschen, nämlich des Franzosen – die feindliche, widerspenstige, zutiefst rebellische Natur wird in den Kolonien durch den Busch, die Moskitos, die Eingeborenen, und die Fieberkrankheiten repräsentiert. Die Kolonisierung ist gelungen, wenn diese ganze unbezähmbare Natur schließlich doch niedergerungen ist. Eisenbahnlinien durch den Urwald, Trockenlegung der Sümpfe, politische und wirtschaftliche Nicht-Existenz der Eingeborenen – das ist in Wirklichkeit ein und dasselbe. Wenn in der Kolonisierungsperiode, in der es noch keinen bewaffneten Widerstand gibt, die Summe der schädlichen Reizungen eine bestimmte Schwelle überschreitet, brechen die Abwehrmechanismen der Kolonisierten zusammen, sie finden sich dann in beträchtlicher Anzahl in den psychiatrischen Kliniken wieder.“

Man versteht dann, warum es kein Zufall und nicht einfach Fanons starke Sprache ist, daß bei ihm dieselben Worte, Ausdrücke, Bilder auftauchen, die der camera-silens-Gefolterte im Kopf hat – weil von derselben Sache die Rede ist. (Es) wird aber auch klar, warum erst Fanon und warum erst wir es überhaupt bringen können, die Schmerzen der Kolonisierung, der Deprivation zu artikulieren, und es uns nicht mehr gefallen lassen, daß das, was zu sagen ist, als ‚Klage‘ denunziert wird, wir selbst daran erstickt werden. Weil es keine Instanz innerhalb des Systems gibt, an die sich der Kolonisierte, der mit der Deprivation Gefolterte wenden könnte – insofern Kolonisierung und Deprivation das Zusammenwirken, die Komplizenschaft von allem, was systemimmanent ist, voraussetzt – kann die Artikulation des Problems erst anfangen, wo die Lösung des Problems angefangen hat: Bewaffneter Widerstand – revolutionäre Gewalt.
Der gewaltsame Entzug von Gesellschaftlichem, ohne daß etwas neues an seine Stelle tritt, – Entmenschung – läßt nur eine Möglichkeit der Heilung zu: Die gewaltsame Eroberung, Rückeroberung seiner Menschlichkeit durch Eroberung dessen, was entzogen wird/wurde: Gesellschaft – durch Vernichtung des Systems das ‚entzieht‘ (Imperialismus) – Eroberung der Macht.

Bei Fanon die Worte, die das zum Ausdruck bringen, was der camera-silens-Gefolterte empfindet:
„Es handelt sich ganz konkret darum, die Menschen nicht auf Wege zu zerren, auf denen sie verstümmelt werden. Dem Gehirn keinen Rhythmus aufzwingen, der es rasch auslöscht und zerrüttet. Es darf nicht geschehen, daß der Mensch … hin- und hergezerrt, sich selbst, seiner Intimität entrissen, zermürbt und getötet wird.“
„Auf der individuellen Ebene wirkt die Gewalt entgiftend. Sie befreit den Kolonisierten von seinem Minderwertigkeitskomplex, von seinen kontemplativen, verzweifelten Haltungen. Sie rehabilitiert ihn in seinen eigenen Augen.“
„Er erkennt sehr oft, daß er nicht nur auf die feindlichen Kräfte Jagd machen muß, sondern auch auf die Kristallisationskerne der Verzweiflung im eigenen Körper.
„In der kolonialen Welt konzentriert sich das affektive Vermögen des Kolonisierten auf der Oberfläche der Haut; sie ist empfindlich wie eine offene Wunde gegen ätzende Stoffe. Und die psychische Disposition schrumpft ein, verkrampft sich und entlädt sich in muskulären Reaktionen, die manchen Wissenschaftlicher (kann man auch sagen Rechtsanwalt) auf die Idee gebracht haben, der Kolonisierte sei ein Hysteriker“ (der Rassismus gewisser Rechtsanwälte).
„Der Kolonisierte ist ein Verfolgter, der ständig davon träumt, Verfolger zu werden.“
„Für den Kolonisierten ist Objektivität immer etwas, was sich gegen ihn richtet“.
„Wenn sich die Gesten der Höflichkeit und des Entgegenkommens vermehren, hat der Kolonisierte konkret den Eindruck, ein Veränderung zu erleben.“

„Der Kolonisierte läuft Gefahr, sich jeden Augenblick durch irgendeine Konzession entwaffnen zu lassen.“
„Das kolonisierte Ding wird Mensch gerade in dem Prozeß, durch den es sich befreit.“

Wenn die Bundesanwaltschaft jetzt bei Bücherbestellungen nur noch Bücher die Anstalten zulassen will, d.h. auch den Hahn noch zudrehen – dann eben unter anderem deswegen, – was in Buddenbergs Grashoff-Beschluß2 schon voll zum Ausdruck kam – um uns von Allem, was bewaffneter Widerstand ist, vollends abzuschneiden. Weil wenn und solange es keinen bewaffneten Widerstand gibt, die Abwehrmechanismen der Deprivierten, die Summe der schädlichen Reizungen eine bestimmte Schwelle überschreitet, zusammenbrechen als Kalkül dabei. Insofern ist es ärgerlich, daß die Komitees unsere Forderungen nach freier politischer Information in den Gefängnissen scheints vergessen haben und hunderte Intellektuelle einschließlich Sartre, Gorz, Beauvoir eine Resolution unterschrieben haben3, in der ausgerechnet das fehlt. d.h. einfach, die camera silens ist das Produkt von Produktivkräften, die selbst schon entartet, pervertiert sind – nicht zum Zweck von Produktivität, sondern zum Zweck von Herrschaft, Beherrschung, Hierarchisierung, sozialer Unterdrückung so sind, wie sie konstruiert sind.
Von Produktivkräften, deren Konstruktionsprinzip nicht Produktivität, sondern Herrschaft ist, und zwar durch Intensivierung der Entgeistigung der Arbeit, Ausschaltung des Arbeiters von der Arbeit, soweit er selbst auch Verstand hat – deren Konstruktionsprinzip gegen das Volk gerichtet ist, kann logischerweise als Steigerung nur noch Gehirnvernichtung, Anti-Guerilla, Folter rauskommen – wie aus der gewaltsamen Unterdrückung des Volkes bewaffnete Guerilla kommt – Gegengewalt.
Die Deprivationsgitter vor unseren Fenstern sind nichts anderes. Wir hatten Fliegendraht, besser Drahtgaze vor den Fenstern, vercovert als: gegen pendeln und rauswerfen von Kassibern. Man konnte die mühelos abmachen, dann wurde es erneuert (ca. 25 DM plus Hausstrafen). Nachdem wir das wieder mal demontiert hatten, sitzt jetzt ein festes Drahtgitter davor. Mit einmal 1cm großen Drahtmaschen, 1mm-Draht, ungefähr, an allen Schnittpunkten verschweißt. Wenn man ne Weile drauf sieht, verschwimmt einem das bzw. das Netz fängt an zu tanzen, das Pendelverbot ist inhaltslos, weil wir Umschluß haben. Was durchstecken, rauswerfen, kann man auch. Licht nimmt es nicht weg. Es ist seiner ganzen Struktur/Konstruktion nach auf den einen Zweck reduziert:
einem die Augen zu verdrehen bzw. einen fester in die Zelle zu drücken, – Deprivation, Vernichtung -, Anti-Guerilla. Und kommt natürlich aus der heutigen Wahrnehmungspsychologie, Arbeitsphysiologie, Rüstungstechnologie.

Lenin: „Revolutionäre Armee – das ist auch ein sehr großes Wort. Sie zu schaffen, ist ein schwieriger, komplizierter und langwieriger Prozeß. Wenn wir aber sehen, daß dieser Prozeß schon begannen hat und überall abschnittsweise, stückweise vor sich geht, wenn wir wissen, daß ohne eine solche Armee ein wirklicher Sieg der Revolution unmöglich ist, dann müssen wir eine entschiedene und direkte Losung aufstellen, sie propagieren und zum Prüfstein der aktuellen politischen Aufgaben machen. Es wäre falsch zu glauben, daß die revolutionären Klassen immer über genügend Kraft verfügen, um einen Umsturz zu bewerkstelligen, wenn dieser auf Grund der gesellschaftlich-ökonomischen Entwicklung vollauf herangereift ist. Nein, die menschliche Gesellschaft ist nicht so vernünftig eingerichtet und nicht so bequem für die fortgeschrittenen Elemente. Der Umsturz kann herangereift sein, allein die Kräfte der revolutionären Schöpfer dieses Umsturzes können sich als ungenügend erweisen, ihn zu bewerkstelligen… – dann fault die Gesellschaft, und diese Fäulnis kann Jahrzehnte hindurch andauern…“
Daß der Umsturz gesellschaftlich/ökonomisch vollauf herangereift ist, beweist unter anderem die Analyse der Counter-insurgency-Waffen, der Metropolenfolter.
Muß man, muß das einfach sehen: Innerhalb der Kombination von Mitteln, durch die sensorische Deprivation aufgezwungen, erzeugt wird, bestimmte Maßnahmen eine andere proportionale Bedeutung haben, bekommen, – als außerhalb der Folter.

Der Deprivierte, der nicht arbeitet, nicht liest, entpolitisiert sich. Der Deprivierte, der den Kampf gegen die Deprivation, d.h. partiell geistige Umnachtung, nicht führt, geht in Arsch. Der Deprivierte, der das nicht checkt, daß er gefoltert wird – nur leidet, aushält – den Sisyphos nicht macht, rollt den Berg runter, den Bullen vor die Füße. Die Frage ‚Lesestoffentzug‘ ist auf alle Fälle ne zentrale Kiste in den Vernichtungsprogrammen – wenn man sie nicht verhindert. Man kommt aber – weiter – auch drauf, daß mit diesem Begriff von Deprivation/Kolonisierung (Entzug, Vernichtung von Gesellschaftlichem, ohne daß etwas Neues an seine Stelle tritt – denn die Inhalte, die der Umerziehungspsychiater bei der Gehirnwäsche einschießt, sind die alten zerstückelten, verfälschten Inhalte ‚eines verfälschten Lebens‘, die Lügen, die Plattheiten, die Brutalität, das kulturelle Talmi. Das nicht mehr aushalten zu können, denjenigen mal zur Guerilla, zur RAF gebracht hat) – auch das einen Namen kriegt, was überhaupt in den Metropolen läuft – die Folter nur die komprimierte, in kurzen Prozeß angewandte, von allen Störfaktoren gereinigte Form von dem ist, was gesamtgesellschaftlich läuft: Vernichtung – von gesellschaftlichem Reichtum durch Rüstung, Werbung, aufgeblähten Staatsapparat, Kapitalexport, Verschleißproduktion bei gleichzeitiger Faschisierung.

Verhinderung von gesellschaftlich Möglichem, Anpassung der Menschen, unerträglich gewordene Verhältnisse, statt Revolutionierung der Produktionsverhältnisse – was die Technokraten zum Beispiel ‚einfache zweite Analphabetisierung‘ nennen, der Dreck von Schelsky4.

Fanon: „ Aber was ist der Faschismus auf der Ebene des Individuums und des Völkerrechts anderes als der Kolonialismus innerhalb eines traditionell kolonialistischen Landes.“

Wenn die Überlegung richtig ist (sie unreif und nur mal so ausgesprochen) – würde das heißen: Das die Befreiungskämpfe der Dritten Welt nicht nur deswegen die Avantgarde der Weltrevolution sind, weil der Nord-Süd-Konflikt der universale Widerspruch ist und ihre Kämpfe die entfaltesten sind, sondern auch, weil sie die Schmerzen, die Verletzungen, den Zerreißprozeß, die Verzweiflungen schon kennen, aus denen die Guerilla kommt – die Härte, die die Palästinenser haben, die Algerier hatten, die der antiimperialistische Krieg verlangt und die aus dem seichten Milieu der Arbeiteraristokratie nicht kommt.
Man könnte dann sagen: Die letzte antagonistische Zuspitzung des Widerspruchs Lohnarbeit – Kapital – heute: Metropolen – 3. Welt – wäre dann der Widerspruch zwischen dem Imperialismus und den kolonisierten Massen der Welt – Sozialismus oder Untergang, Revolution oder Barbarei.
Deprivation – Kolonisierung wäre dann auch der politische Begriff dafür, daß die Leute auch hier inzwischen massenhaft in die psychiatrischen Anstalten abwandern, und Tranquilizer fressen – weil ihre Abwehrmechanismen im Prozeß der Faschisierung, Kolonisierung zusammenbrechen, solange es keinen bewaffneten Widerstand gibt. Die Erklärung dafür wieso das SPK5 so erfolgreich die Leute agitiert und begeistert hat, weil ja die Erkenntnisse alle gestimmt haben – den Kapitalismus vernichten, – um leben zu können – und zerfiel, zerfallen mußte, als nach der befreienden Erkenntnis die befreiende Praxis ausblieb, immer noch aufgehoben wurde, als alle Einsicht schon da war, es bei der Frage blieb, von der man nicht satt wird.

Dann die Krankheit – Deprivation – Kolonisierung – wie auch immer die Krankheitsbilder im einzelnen aussehen, der Organismus den Konflikt durch schlechte, aber ökonomische Mittel überwindet (Fanon) – hat eine materielle Ursache – Entzug von … – und es gibt keine, kann gar nicht, Heilung, Rehabilitierung geben anders als in der revolutionären Aktion, im Prozeß des antiimperialistischen Krieges, der Befreiung, Eroberung der Macht.

Sicher ist, daß die Metropolenfolter die Metropolenguerilla mit den Guerillabewegungen der 3. Welt zusammenschweißt – zum selben Feind: Imperialismus, derselben Organisationsform: Guerilla, schafft sie dieselben psychischen Voraussetzungen in den Kämpfern. Nicht nur „der revolutionäre Fortschritt bricht sich Bahn in der Erzeugung einer geschlossenen mächtigen Konterrevolution, in der Erzeugung eines Gegners, durch dessen Bekämpfung erst die Umsturzpartei zu einer wirklich revolutionären Partei heranreift“ ( Marx – Klassenkampf in Frankreich – Motto) – sondern die Konterrevolution selbst schweißt die Umsturzpartei, die Guerillabewegungen zusammen – mit Counterinsurgencyfolter.

Die Verbreitung der Folter, die Analyse der Foltermethoden selbst bringt einen noch einmal näher – stößt einen dahin, weil auch orientiert – auf den Standpunkt des proletarischen Internationalismus.
Bringt einen dahin, wovon sie einen abbringen soll – in den kollektiven Zusammenhang der Befreiungskämpfe -, zwingt einen zu der Artikulation, die als einzige den sensorisch Deprivierten, den Kolonisierten rehabilitieren kann, als einzige artikulieren kann, was sensorische Deprivation überhaupt ist: Gewalt.
Ist eben die Frage, wenn man mal anfängt, im nationalen Rahmen sich klassenanalytisch was zu überlegen, ob das in dieser Beschränkung überhaupt noch einen Sinn hat – so wie Lenin das gemacht hat. Einteilung der Klassen „….nach ihrem Verhältnis zu den Produktionsmitteln, nach ihrer Rolle in der gesellschaftlichen Organisation der Arbeit und folglich nach der Art der Erlangung und Größe den Anteils am gesellschaftlichen Reichtum, über den sie verfügen.“
Sondern eben so – Lenin: „nicht vom Standpunkt ‚meines‘ Landes darf ich urteilen (denn so urteilt ein kläglicher Dummkopf, ein nationalistischer, der nicht versteht, daß er ein Spielzeug in den Händen der imperialistischen Bourgeoisie ist), sondern vom Standpunkt meiner Teilnahme an der Vorbereitung, der Propagierung, der Beschleunigung der proletarischen Weltrevolution.“ (Die proletarische Revolution und der Renegat Kautsky – Dietz, S. 76);
noch schärfer – auch Lenin: „Es genügt nicht, die Menschen nach ihrem Verhältnis zu politischen Losungen zu gruppieren, darüber hinaus ist es erforderlich, sie nach Einstellung zum bewaffneten Aufstand (…) zu gruppieren, wer gegen ihn ist, wer sich nicht auf ihn vorbereitet, den muß man rücksichtslos aus der Zahl der Anhänger der Revolution streichen und zu ihren Gegnern, zu den Verrätern oder Feiglingen rechnen, denn es naht der Tag, an dem der Gang der Ereignisse, die Situation des Kampf uns zwingen wird, Feinde und Freunde nach diesem Merkmal voneinander zu scheiden.“ (Die Lehren des Moskauer Aufstandes bei Hallweg – Lehrm. des Klassenkrieges S. 76)

3. Technologie und Deprivation

Sicher ist sensorische Deprivation der tiefste, irreversibelste, destruktivste Eingriff am Menschen durch Folter, weil sie eben nicht nur allgemein seinen Körper, sondern direkt sein Gehirn angreift – darauf zielt, den Menschen in dem, was ihn zum Menschen macht, bzw. die Bedingung seiner Befreiung ist: Abwehrmechanismen zu haben – Freund von Feind unterscheiden zu können (Diskriminierungsvermögen) – kämpfen zu können – zu vernichten,
denn: die Metropolenfolter übertrifft die 3.-Welt-Folter in dem Maß, wie die Metropolentechnologie die 3.-Welt-Technologie übertrifft.

In der 3. Welt – sagt Fanon – wird „keine Feinarbeit geleistet“ – hier wird sie geleistet.

Sensorische Deprivation als Waffe gegen die Guerilla ist ohne Industrialisierung, die herrschende extreme Arbeitsteilung – Fließband, Akkord, MTM-Psychologisierung der Arbeitskraft6, die Verwissenschaftlichung des Produktionsprozesses nicht zu denken. Die Zerlegung/Zerstückelung des Menschen durch sensorische Deprivation setzt die Zerlegung/Zerstückelung der Arbeitsprozesse voraus, die Zerlegung-Zerstückelung des Menschen in seiner Anwendung als Arbeitskraft. Oder eben einfach Engels: „…Der Sieg der Gewalt beruht auf der Produktion von Waffen und diese wieder auf der Produktion überhaupt, also – auf der ‚ökonomischen Macht‘, auf der ‚ Wirtschaftslage‘, auf den der Gewalt zur Verfügung stehenden materiellen Mitteln… wie die Fortschritte der Technik, sobald die militärisch verwendbar und verwendet wurden, sofort Änderungen, ja Umwälzungen der Kampfweise fast gewaltsam erzwangen (oft noch dazu gegen den Willen der Heeresleitung) das haben wir … gesehen.“ („Anti-Düring“)

Die camera-silens-Forschung ist natürlich nicht – da stellt sich der KSV6 auf den Kopf – auf dem das ganze System steht – eine Voraussetzung, sondern sie ist die Folge, ein Produkt der herrschenden Arbeitsteilung. Sie setzt die Zerstückelung des Menschen im Produktionsprozeß als empirische Tatsache voraus und ist genau nicht ein Mittel, diese erst noch zu bewirken, zu vertiefen. Sie ist ein Gehirnvernichtungsmittel, was sie ausspuckt ist Anti-Guerilla-Folter und sonst überhaupt nichts.
Weiter. Gorz stellt in einem Aufsatz über technische Intelligenz und kapitalistische Arbeitsteilung (suhrkamp ed. Nr. 598 – Technologie und Kapital, Hrsg. von R. Vahrenkamp) dar, (Sohn-Retel im selben Band auch), daß die extreme Arbeitsteilung schon lange nicht mehr den Zweck hat, ein Maximum in der Produktion von Gütern zu erreichen – sondern „die Technologie ist vom Kapitalismus zu dem Zweck geformt worden, ein Maximum von Kontrolle über und Ausbeutung von Arbeit zu ermöglichen….“
„Diese Aufsplitterung diente dem Ziel, die bedeutende Kontrolle zu unterbinden, die der qualifizierte Arbeiter über seine Arbeitszeit und Arbeitsgeschwindigkeit hat, – eine Kontrolle, die es ihm ermöglichte, einen guten Teil seiner Arbeitskraft dem Kapitalisten vorzuenthalten. Die Minimierung von Fähigkeiten ist immer eine durchgehende Politik des kapitalistischen Mangements gewesen, da sie die Maximierung der Abhängigkeit und Verfügbarkeit der Arbeitskräfte erlaubt und somit die soziale Arbeitsteilung in der technischen widerspiegelt“. Und: „Hierarchische Reglementierung scheint eine Notwendigkeit zu sein, die sich aus der Reproduktionstechnik ergibt. Aber in Wirklichkeit ist sie in der Produktionstechnik eingefügt, insofern diese selbst ein Spiegelbild der gesellschaftlichen Arbeitsteilung ist.“

Geschrieben in der Haft ca. 1973/74.
Alle Anmerkungen im Text sind aus dem Original übernommen. Bei der Abschrift wurde lediglich der besseren Lesbarkeit wegen die durchgehende Kleinschreibung korrigiert.

Anmerkungen:
1 Abkürzung für „sensorische Deprivation“.
2 Buddenberg: Ermittlungsrichter für Staatsschutzverfahren am Bundesgerichtshof in Karlsruhe. Im Frühjahr 1972 verübte die RAF einen Sprengstoffanschlag auf das Fahrzeug des Richters, bei dem dessen Ehefrau verletzt wurde. Ulrike Meinhof bezieht sich hier auf einen Beschluß über die Post- und Buchzensur, den Buddenberg gegen Manfred Grasshoff, damaliger Gefangener aus der RAF, verfügte.
3 Jean Paul Sartre, André Gorz und Simone de Beauvoir unterschrieben mit anderen französischen Intellektuellen 1973 eine vielbeachtete Resolution gegen die fortwährende Anwendung der Isolationshaft in der BRD.
4 Rudolf Schelsky, konservativer Soziologe
5 SPK, Abkürzung für das „Sozialistische Patientenkollektiv“. Das SPK wurde 1971 in Heidelberg gegründet.
6 MTM-Psychologisierung, Begriff aus der Rationalisierung von Arbeitsabläufen.
7 KSV, Kommunistischer Studentenverband der KPD/AO.