Der vorerst letzte Prozesstag von Antifaschist:in Maja hat stattgefunden – im Januar soll es in Budapest weitergehen, ein Urteil wird erwartet. Während Faschisten:innen vor dem Gericht ihr Unwesen treiben, löst sich im Gericht die Hoffnung auf einen vermeintlichen Rechtsstaat weiter in Luft auf. Basti Jung war beim Prozess und kommentiert, warum es weiterhin Mut und Kraft braucht.
„Ich möchte nur kurz beantragen, dass ich heute entweder in der Pause oder im Nachhinein Familienkontakt haben kann“, sagt Antifaschist:in Maja T. an diesem Mittwochmorgen im Budapester Landgericht. „Természetesen”, antwortet der Richter József Sós – „Natürlich”, übersetzt der Dolmetscher. Am Anfang des über sechs Stunden andauernden Prozesses könnte man denken, der Richter meine es gut mit der angeklagten antifaschistischen Person aus Jena.
Dass dem nicht der Fall ist, sollten alle wissen, die sich einmal mit dem sogenannten Budapest-Komplex auseinandergesetzt haben. Die Geschichte startete im Februar 2023 zum sogenannten Tag der Ehre, dem wohl größten europaweiten faschistischen Vernetzungstreffen in „Gedenken“ an den Ausbruchsversuch der Nationalsozialisten im Jahr 1945. Junge, mutige Antifaschist:innen wollten den Anblick der Scharen von Nazi-Fanatikern in SS-Uniform nicht unkommentiert lassen und stellten sich diesen in den Weg – was folgt, ist eine der größten EU-weiten Repressionswellen gegen Linke der letzten Jahrzehnte.
Das betrifft besonders die bereits genannte nichtbinäre Person aus Jena: Maja wurde im Juni 2024 rechtswidrig von den deutschen Behörden nach Ungarn ausgeliefert. Dort befindet sich Maja weiterhin in Isolationshaft, weiterhin werden Majas Forderungen na einch besseren Haftbedingungen ignoriert, weiterhin verschwinden allmählich die Grenzen der Gewaltenteilung in der ungarischen Justiz. Am Ende des Prozesstags ist es allen nochmal umso klarer: Maja wird auch weiterhin kämpfen müssen.
Braune Raumnahme vor Gericht: Glatzen und Hundekot
Was für absurde Ausmaße die ungarische Gesinnungsjustiz zum Teil annimmt, wird schon vor dem Gericht erkennbar: Bereits seit Beginn der Prozesse in Budapest organisiert ein Soli-Komitee Kundgebungen vor dem Gebäude für Maja, so auch heute. Seit Ende September dürfen sie keine Musik mehr spielen, fast zeitgleich stuft der ungarische Präsident Viktor Orbán die Antifa-Bewegung als terroristisch ein.
Immer wieder laufen Teilnehmer des Gegenprotests – eine Ansammlung aus mehreren Dutzend Glatzen mit Bomberjacke im 90er-Jahre-Neonazi-Stil – zu den Antifaschist:innen hin und filmen ihnen offensiv ins Gesicht. Schon in der Vergangenheit war das ihre gängige Praxis. Dazu fragten sie „Are you gay? Are you Antifa?“ und stellten die Clips anschließend in einschlägige Telegram-Chats.
Einer von ihnen macht das an diesem 8. Oktober besonders häufig. Am ursprünglichen Kundgebungsort des Maja-Soli-Komitees riecht es streng nach Buttersäure, zudem sind verdächtig viele Hundekot-Haufen auf dem Fußweg verteilt. Ganz schamlos packt der Bomberjacken-Typ einen der stinkenden Haufen mit Kreppband, schmiert ihn am Lautsprecherwagen der Antifas ab und läuft wieder weg – vor den Augen der ungarischen Beamten, die es zu diesem Zeitpunkt nicht weniger interessieren könnte.
Zeugen vor Gericht: „Opfer“ oder extrem rechter Nazi-Rocker?
Weitere Ekelpakete vom ähnlichen Schlag findet man auch im Gerichtsaal – zwei von ihnen sind sogar als Zeug:innen geladen: eine Frau und ein Mann, die scheinbar eine gewisse Prominenz innerhalb der lokalen Naziszene genießen und bei ihrer Ankunft den Kot-Schmierer mit einer herzlichen Umarmung begrüßen. Sie sind nicht ohne Grund hier: die beiden sollen nochmals vor Gericht erscheinen, um Widersprüche in den Zeug:innenaussagen zu klären.
Der Mann – in den Medien teils als „der Musiker“ verharmlost – heißt László Dudog und ist antifaschistischen Recherchen zufolge alles andere als nur ein „zufälliges Opfer linksextremer Gewalt“. Ihn „Rechtsrock-Musiker“ zu nennen wäre ebenso eine Untertreibung, so trat er mit seinen Bandkameraden des Öfteren unter der Fahne des faschistisch-militanten Blood and Honour-Netzwerkes auf. Und auf seiner Brust prangt die Zahl 88 (faschistischer Code für „Heil Hitler“), auf der Schulter gibt’s ein Ku-Klux-Klan-Tattoo und an guten Tagen erwischt man ihn auch mal im Hakenkreuz-Shirt.
Passend zum Shirt findet man in Dudogs Kleiderschrank auch eine Winter-Mütze mit drauf gesticktem SS-Totenkopf. Es werden Bilder aus der Straßenbahn im Gericht gezeigt: kurz bevor er von Antifaschist:innen zu Boden getreten sein soll, trug er scheinbar diese Mütze. Dudog selbst will in der Wahl des Kleidungsstücks keine politische Motivation sehen – so sei er laut eigener Aussage ja nur „stolz auf sein Land“. Es ist klar, die militanten Faschisten haben in Ungarn Narrenfreiheit.
„Ungarn foltert, Deutschland liefert aus – Maja wir hol’n dich zurück nach Haus!“
Der Prozesstag ist ermüdend. Stundenlang werden verschriftlichte Video- und Bildaufnahmen verlesen, der ältere Herr in der letzten Reihe schreckt vom eigenen Schnarchen hoch und die Augen des hinter Maja positionierten Justizvollzugsbeamten fallen im Schlitz seiner Sturmhaube immer wieder zu – sein Kollege tippt mit den Fingern auf dem Maschinengewehr rum.
Aufmerksame Zuhörer:innen erkennen derweil unter den in Tausend-Seiten-PDF-Dateien genannten Tatverdächtigen die Namen der untergetauchten oder mittlerweile inhaftierten Antifaschist:innen des Budapest-Komplexes wieder: Clara, Hanna, Johann, Moritz, Paul, Zaid, Gino und so weiter. Gleichzeitig füllen auf der Straße gerufene „Free Maja!“-Parolen ab und zu den Saal, gegen Ende gibt’s noch „Denkmal“ und „Nur ein Wort“ von Wir sind Helden auf die Ohren – a capella gesungen, denn andere Musik ist auf der solidarischen Kundgebung verboten.
Diese Kundgebung und anderweitige Sympathieproteste sind für den Richter am Ende jedoch nur Beleg für die Zugehörigkeit Majas zu einer vermeintlichen „Antifaschistischen Organisation“. Allein so ließe sich erklären, warum es eine derartige „Demonstrationswelle“ vor dem Landgericht gäbe. So oder so ähnlich klingt es am Ende auch hier in Deutschland, wo noch im Herbst diesen Jahres Angeklagte des Budapest-Komplexes vor das Oberlandesgericht Düsseldorf gezerrt werden und sich dort teils gegen Vorwürfe des „versuchten Mords“ behaupten müssen.
Das Urteil bleibt aus, weiter geht’s im Januar
Doch Prozessbeobachter:innen ist weitestgehend klar: Selbst für Ungarns drakonische Verhältnisse ist dieser Prozess besonders drastisch. Der erneute Antrag von Majas Verteidigung auf erleichterte Zwangsmaßnahmen – „erleichtert“ in dem Falle beispielsweise durch ein Ende der folterähnlichen Isolationshaft – wird eiskalt abgelehnt, und nach der längeren Sommerpause ist weiterhin an einen möglichst selten unterbrochenen Prozess nicht zu denken. Weitergehen soll es nämlich erst im Januar, ein mögliches Urteil könnte am 22. Januar folgen – sofern dem Richter nicht doch noch einfällt, noch einmal alte Zeugen zu befragen.
Auch der Co-Vorsitzende der Linksfraktion im Europäischen Parlament, Martin Schirdewan, ist erneut vor Ort. In der knapp fünfzehnminütigen ersten Pause – viele hetzen zum Kaffeeautomaten oder aufs Klo – klagt er im Interview den politischen Prozess gegen Maja an und verurteilt die Untätigkeit der deutschen Verantwortlichen. Die Staatsanwältin und der Richter würden sich gegenseitig die Bälle zuspielen, die Rechtsstaatlichkeit sei in Ungarn schon länger passé. Doch warum macht sich Ungarn all die Mühe?
Ein erster Sieg vor dem EU-Parlament – Ungarn bleibt eiskalt
Erst einen Tag vor dem vorerst letzten Prozesstag gegen Maja stimmte eine äußerst knappe Mehrheit des Europäischen Parlamentes für den Erhalt der Immunität der ebenfalls im Budapest-Komplex angeklagten italienischen Politikerin und Aktivistin Ilaria Salis und verhinderte damit eine Strafverfolgung im anti-antifaschistischen Ungarn. Im abgestimmten Bericht heißt es gar, dass es sich im Falle von Salis und weiteren Personen um politische Verfolgung handele: Der Wortlaut selbst stellt gewissermaßen einen kleinen Erfolg dar, endlich wird das Kind beim Namen genannt.
Jedenfalls ist Salis mittlerweile Italiens Europaabgeordnete, was mit gewissen Rechten einhergeht. Doch der haarscharfe Sieg im EU-Parlament war nicht zuletzt auch auf Stimmen der Europäischen Volkspartei (EVP) zurückzuführen, die nicht gerade für ihr antifaschistisches Engagement bekannt ist.
Die Zuspitzung der innerimperialistischen Widersprüche auch innerhalb der EU könnte womöglich ebenfalls Auswirkungen auf den Entscheid gehabt haben: So sind große Teile der EVP stark EU-orientiert, wie beispielsweise Polen. Südosteuropäische Länder wie Ungarn, Tschechien und weitere schielen wiederum eher in Richtung Moskau. Dass sich EVP-Chef Manfred Weber gerade jetzt „für die Einhaltung der Rechtsstaatlichkeit“ einsetzt, mag Ausdruck dieser Widersprüchlichkeit innerhalb des konservativen bis faschistischen Lagers sein.
So oder so will der ungarische Staat hier ein Zeichen setzen: Es geht ihm gehörig gegen den Strich, dass mit Zaid und Gino bereits zwei Antifaschisten versuchen, mittels der französischen Behörden einer Auslieferung nach Ungarn zu entgehen. Er hat auch ein Problem damit, dass Maja mit dem eigens gestarteten Hungerstreik die Autorität der ungarischen Justiz vorgeblich unterwandern würde. Und es ist ihm ein Dorn im Auge, dass gerade ständig alle seine vermeintlich „rechtstaatlichen Verfahren“ in Frage stellen.
Jetzt, wo Maja einmal in seinen schmutzigen Händen ist, wird der ungarische Staat wohl keine Gnade zeigen. Nicht ohne Grund schlägt die Staatsanwaltschaft eine 24-jährige Haft für Maja vor – für Auseinandersetzungen, die laut Pressemitteilung des Soli-Komitees von Zeug:innen zum Teil als „fußballähnliche Prügeleien“ beschrieben wurden.
Wärmende Worte und Taten: Wir brauchen einen langen Atem!
Diese Ungerechtigkeiten an jedem einzelnen Prozesstag erneut zu fühlen, ist bitter – besonders vor dem Hintergrund, dass es bis Januar keine großen Neuigkeiten geben wird, und in der Zwischenzeit die Prozesse in Deutschland erst so richtig an Fahrt aufnehmen werden.
Gleichzeitig wirkt die Solidarität vor und im Gericht: Einzelne Prozessteilnehmer:innen singen im Flur für Maja. Und jedes Mal, wenn während der Pause die Fenster zum stickigen Gerichtssaal geöffnet werden, kann Maja für ein paar Augenblicke die Kundgebung auf dem gegenüberliegenden Bürgersteig erblicken: Dann ziert ein dankbares und zugleich verletzliches Lächeln Majas Gesicht.
Genau das sind die Momente, die auch Salome und Wolfram – Schwester und Vater von Maja – in Erinnerung bleiben werden. Und genau diese Momente werden uns auch für die kommenden Jahre Kraft und Mut geben: Gegen die faschistischen Übeltäter auf der Straße, gegen die Gesinnungsjustiz vor Gericht und für eine Welt ohne Folterknäste und SS-Schauspieler.