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Abgesprochene Zeugenaussagen

Hamburger Polizeibeamte finden Vorbereitungstreffen auf G-20-Prozesse normal junge Welt junge Welt 22.1.18

Hauptsache hohe Haftstrafen – das scheint in Verfahren gegen G-20-Gegner die Devise zu sein. Ob die Strafprozessordnung eingehalten wird, interessiert Hamburgs Richter dabei immer weniger – das zumindest legen Vorgänge im Verfahren gegen Christian R. nahe, auf die der »Außerparlamentarische Untersuchungsausschuss G?20« (G20ApUA) am vorigen Dienstag auf seiner Homepage aufmerksam machte. Das Bündnis klärt Ereignisse rund um den Gipfel auf.

Trotz klarer Belege für Absprachen unter den fünf als Zeugen geladenen Berliner Polizisten sowie für Aktenmanipulationen habe Amtsrichter Johann Krieten am 9. Januar Christian R. zu dreieinhalb Jahren Haft verurteilt, der bisher höchsten Strafe gegen einen G-?20-Gegner, kritisiert der G20ApUA. Christian R. wurde wegen des Wurfs einer abgebrochenen Bierflasche auf einen Polizisten am 6. Juli verurteilt. Wie in den meisten anderen G-20-Prozessen beruhte auch dieses Urteil auf untereinander abgesprochenen Aussagen von Polizeibeamten. Vor Gericht berichteten laut G20ApUA alle fünf Beamten von einem Treffen kurz vor dem ersten Termin der Hauptverhandlung. Drei von ihnen erklärten, man habe dabei Erinnerungen an das im Verfahren thematisierte Geschehen ausgetauscht und abgeglichen.

Die Aktenmanipulation, bei der es um die angebliche Verletzung des von der Flasche getroffenen Beamten ging, flog schon am ersten Verhandlungstag auf, wie Matthias Wisbar, der Anwalt von Christian R., junge Welt am Dienstag bestätigte. Einer der Polizeizeugen sprach vor Gericht von einer Rötung an der Innenseite des Ellenbogens, in seinem Bericht in der Akte hatte er dagegen von einer Verletzung der Hand berichtet.

Am Ende stand fest: Der Zeuge hatte tatsächlich zuerst in einem Bericht von der Hand gesprochen, hatte dann, um seine Aussage der seiner Kollegen anzugleichen, der Sonderkommission »Schwarzer Block« einen neuen Bericht geschickt, in dem wie bei den Kollegen von einer Verletzung am Ellenbogen die Rede war. Versehentlich war aber der alte Bericht in der Akte geblieben. »Man erlebt es nicht oft, dass polizeiliche Manipulationen an Akte und Sachverhalt in der Hauptverhandlung so deutlich sichtbar werden«, kommentierte Wisbar.

Bereits im Dezember war im Prozess gegen den russischen G-20-Gegner Konstantin P. ans Licht gekommen, wie auch in diesem Verfahren Polizeizeugen ihre Aussagen aufeinander abstimmen (jW berichtete). Einer der Zeugen, ein hessischer Polizist, hatte sich anhand eines Ordners mit allen Unterlagen zum Gipfeleinsatz seiner Einheit in seiner Dienststelle vorbereitet, ein anderer hatte seinen Ordner zum Einsatz bei Kollegen herumgehen lassen. Der Prozess gegen Konstantin P. geht am kommenden Freitag weiter.

Am morgigen Dienstag um neun Uhr wird im Amtsgericht Altona das Verfahren gegen den italienischen Gipfelgegner Fabio V. (19) fortgesetzt. Darin geht es um den Polizeieinsatz im Industriegebiet Rondenbarg am 7. Juli. Die Beweissicherungs- und Festnahmeeinheit (BFE) »Blumberg« der Bundespolizei hatte dort eine Demonstration brutal zerschlagen, 14 Teilnehmer verletzten sich auf der Flucht zum Teil schwer. Beim Kurznachrichtendienst Twitter machten am Donnerstag Tweets die Runde, in denen auf die unrühmliche Geschichte dieser nahe Potsdam stationierten Einheit aufmerksam gemacht wird.

Unter der Überschrift »Schwerverletzte pflastern ihren Weg« berichtete etwa die Taz am 22. März 2016 über einen Einsatz der BFE »Blumberg« beim Castortransport im Wendland. Ein Mitglied der Truppe hatte dort einem Kletterer Reizgas ins Gesicht gesprüht, so dass dieser aus etwa fünf Metern Höhe von einem Baum fiel und einen Brustwirbelbruch erlitt. Beim Schanzenfest in Hamburg im September 2009 hatte die Einheit eine Nebenstraße gestürmt, ein 36jähriger erlitt durch einen Schlag auf den Kopf einen offenen Bruch der Stirnschale. Laut Gutachten der Rechtsmedizin war die Verletzung von einem »Tonfa« verursacht worden, wie er zur Standardausrüstung der BFE »Blumberg« gehört.