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Als Klasse kämpfen – Tag der politischen Gefangenen

Am 18. März war der Tag der politischen Gefangenen. Wir fanden den Anlass passend um ein paar Gedanken zu Repression, zum Staat und zur kapitalistischen Herrschaft loszuwerden. Vieles haben wir in unserem Debattenbeitrag zu „Klassenherrschaft, Rechtsruck und antifaschistische Bewegung“ geschrieben, also lest da gerne auch mal rein.

Wir können Repression nicht isoliert betrachten. Das Wichtige ist für uns nicht die exakteste Definition von Repression aufzuschreiben, sondern Konsequenzen für die Praxis zu ziehen. Unsere Praxis zieht auch Repression nach sich, klar. Aber sie hat mit viel mehr zu kämpfen.

Die kapitalistische Klassenherrschaft basiert auf einem, an die jeweiligen politischen Bedingungen angepasstes, Verhältnis von „Herrschen und Führen“. Es ist unmöglich die lohnabhängige Klasse einfach dadurch zu unterdrücken, dass jeder oppositionelle Ansatz zerschlagen wird. Es ist notwendig, dass zumindest Teile unserer Klasse das System abfinden. Das setzt voraus, dass die kapitalistische Klasse die ideologische Hegemonie über die Gesellschaft behält. In Deutschland sind wir gerade in der Situation, dass die Hegemonie der herrschenden Klasse ungebrochen ist und sogar weit in die radikale Linke hineinwirkt. Wir glauben das liegt auch daran wie die Debatte geführt wird. Deshalb haben am Schluss noch ein paar Sachen dazu gesagt.

Ideologische Hegemonie
Das sich die Menschen zu einem großen Teil (in Deutschland) mit dem Kapitalismus abfinden, liegt nicht nur an RTL. Es gibt eine ganz handfeste ökonomische Grundlage die für Viele ein ganz akzeptables Leben ermöglicht.
Die lohnabhängige Klasse in Deutschland steht im internationalen Vergleich besser da als in abhängigen Ländern. Einige Beispiele dafür sind der Mindestlohn, Tariflöhne, Zeiterfassung auf Vertrauensbasis, aber auch Arbeitslosengeld und Hartz 4. Innerhalb unserer Klasse gibt es realistische Aufstiegschancen. Es ist zwar so gut wie unmöglich für uns jemals in wirklich leitende Positionen zu gelangen und damit die wirtschaftliche und politische Entwicklung Deutschlands und der EU entscheidend mit zu bestimmen. „Chef spielen“ in der Produktion, beispielsweise als Ingenieur*in oder in der Reproduktionsarbeit als Leiter*in eines Krankenhauses, ist schon drin – verbunden natürlich mit den Annehmlichkeiten die eine gut bezahlte Stelle mit sich bringt. Auch das ist aber bei weitem nicht allen Menschen aus unserer Klasse möglich. Hauptsächlich Rassismus und Patriarchat hindern viele Leute daran sich einen größeren Teil der Kuchenkrümmel, die der Kapitalismus für uns übrig lässt, zu holen. In keinem anderen Land Europas hängt der Bildungsstand der Kinder so direkt vom Portemonnaie der Eltern ab. Auf Arbeitskämpfe bezogen haben wir ein ganzes gesetzliches System, dass die Stellung der Gewerkschaften im Verhältnis zu den Kapitalisten regelt und dazu geführt hat, dass die lohnabhängige Klasse ihre ökonomischen Kämpfe fast ausschließlich nach den Spielregeln des Staates und damit in letzter Konsequenz der kapitalistischen Klasse spielt. Die weitreichende Einbindung der Gewerkschaftsverwaltung in die SPD und Linkspartei tut ihr Übriges.
Zur ideologischen Hegemonie gehört nicht zuletzt auch die Geschichtsschreibung. Die Genoss*innen der „Revolutionären Aktion Stuttgart“ haben das in der Einleitung der sehr lesenswerten Broschüre „Die Geschichte von unten schreiben“ zusammengefasst:

„Mit dem omnipräsenten Märchen vom Kapitalismus als letzter und bestmöglicher Gesellschaftsordnung soll den Menschen jede Basis zur Veränderung der Verhältnisse entzogen werden. Die Auseinandersetzung mit gewesenen und möglichen Alternativen wird bestenfalls als sinnlos, im schlechteren Fall als gefährlich eingestuft, weil es ja doch nur schlimmer werden könne. Die Bestimmung und Interpretation der Geschichte dient als Herrschaftsinstrument. Sie bestimmt welcher Widerstand in welcher Situation legitim ist und wo er unvertretbar wird, sie definiert das Wertesystem von Gesellschaften und beeinflusst das Verständnis von Moral und Ethik.“

Dasselbe gilt natürlich auch für „History in action“. Wir erleben immer wieder, wie Proteste und Strukturen (egal ob sie jetzt besonders militant sind oder nicht) mit Medienkampagnen angegriffen werden. In der jüngsten Vergangenheit waren vor allem Fridays for Future, Ende Gelände, die Aktivist*innen im Hambacher Forst und natürlich die Proteste beim G20-Gipfel davon betroffen. Wenn es fortschrittliche Bewegungen gibt, die entweder (potentiell) das kapitalistische System oder die direkten Profitinteressen bzw. das ungestörte Leben einzelner Kapitalisten bedrohen, dann müssen sie wenigstens vor den Augen „der Öffentlichkeit“ unmöglich gemacht werden.
Die ideologische Hegemonie der herrschenden Klasse ist der Grund warum „unsere“ Gesellschaft funktioniert. Die Träume vom Aufstieg, vom kleinen Glück, sind ein Ausdruck davon, dass sich Teile unserer Klasse mit dem Kapitalismus abgefunden haben. Das konsequenzlose Gemecker über Miete, Job, Armut und viele andere Sachen zeigen die Perspektivlosigkeit, die Unfähigkeit den Kapitalismus als überwindbar zu sehen.

Repression

Mehr zum Ausbau der Repressionsorgane findet ihr in unserer Broschüre

Egal wie demokratisch der jeweilige Staat ist, egal welche Partei gerade in Deutschland am Drücker ist, es gibt immer Repression. Das ist auch nicht verwunderlich, denn das Konzept von ideologischer Hegemonie und Repression ist wie so vieles abhängig von gesellschaftlichen Klassen. Natürlich wird der kapitalistische deutsche Staat alles in seiner Macht stehende tun, um den Kapitalismus zu erhalten. Sogar noch ein bisschen schärfer: die herrschende Klasse wird alles tun, um den Kapitalismus zu erhalten und dabei nicht ausschließlich auf den Staat zurückgreifen.

Der bürgerliche Staat steckt uns einen gesetzlichen Rahmen. Sobald wir diesen übertreten müssen wir mit Strafen und Knast rechnen. Es ist für eine Bewegung, die den Kapitalismus mit einer Revolution abschaffen will aber unmöglich sich an diesen Rahmen zu halten. Dafür müssen wir noch nicht einmal von Revolutionen reden. Solange wir unter dem Motto „Es gibt kein Recht auf Nazipropaganda“ Flyer verteilen, Demos organisieren etc. ist alles im Rahmen. Sobald wir hingehen und das auch in der Tat umsetzen wird es schwierig. Sogar einem Faschisten seine Flyer wegnehmen wird im Zweifel zur Nötigung – mit den entsprechenden Strafen.

Der deutsche Staat rüstet im Moment präventiv auf. Schon seit Jahren wir von der Bundeswehr Aufstandsbekämpfung geübt. Letztens erst wurden die Polizeigesetze verschärft und die Polizei aufgerüstet. Wie weit der Ausbau des Sicherheitsapparats durch die Corona-Pandemie beschleunigt wird, bleibt abzuwarten.

Perspektiven
Jetzt stehen wir als radikale Linke natürlich vor einer schwierigen Aufgabe und einem starken Gegner gegenüber. Eine passende Antwort haben wir weder in der Theorie, noch in der Praxis gefunden, sonst würden es hier ja ganz anders aussehen. Wir haben aber einige Überlegungen und Leitlinien mit denen wir versuchen uns den Antworten in der Praxis zu nähern.
Wir haben oben schon ausgeführt, dass wir, wenn wir gewinnen wollen, natürlich nicht nach den Spielregeln des Gegners spielen dürfen. Wenn wir uns gegen Abschottung der EU-Grenzen, die Zerstörung unseres Planeten oder die Ausbeutung am Arbeitsplatz wehren wollen ist es wichtig das wir uns selber überlegen welche Antworten wir formulieren und wie wir unsere Antworten im politischen Handgemenge mit Anderen zusammen durchsetzen. Hier können Gesetze der Regierung oder Auflagen der Polizei für uns natürlich nicht das Maß aller Dinge sein. Selbstbestimmter Protest heißt, dass wir unsere Ziele nach unseren Möglichkeiten gegen die herrschenden Verhältnisse erkämpfen. Hierbei steht uns die Staatsgewalt mit Knüppeln und Pfefferspray aber auch mit Geld- und Haftstrafen entgegen. Das ganze wird aber auch durch eine moralische Seite flankiert. Wenn kein Mensch in Deutschland beim Klauen ein schlechtes Gewissen hätte, wären alle Supermärkte sofort leer. Nicht nur das Regal mit dem Klopapier. Sexualisierte Gewalt gegen Frauen* wird zwar irgendwie verurteilt und gehört sich eigentlich nicht, aber dagegen dann mal Aufzustehen und den Macker handgreiflich aus der Bahn oder dem Club zu schmeißen, dass geht dann ja auch viel zu weit und fühlt sich irgendwie nicht richtig an.

Die Repression, also die Verteidigung der herrschenden und beschissenen Zustände, findet also nicht nur in direkter sichtbarer Gewalt gegen uns und unsere Klasse statt, sondern bildet auch Mauern in unseren Köpfen die wir gemeinsam einreißen müssen. Wenn nur noch die Polizei das Problem ist und nicht mehr die Angst vor der Polizei, dann sind wir schon einen sehr großen Schritt weiter. Gerade die deutsche Polizei ist eben keine Truppe „bezahlter Hooligans“. Wir unterstellen unseren GegnerInnen schon ein – wenn auch begrenztes Verständnis – der politischen Situation. Das heißt, dass ein Kampf um die Deutung von Aktionen und Aktionsformen stattfindet. Wenn ein Teil unserer Klasse versteht, dass wir gerade für ihre Ziele kämpfen ist einerseits der Handlungsspielraum für die Repression dadurch einschränkt. Andererseits wir können einen Schritt weiter gehen und die Selbstorganisation unserer Klasse vorantreiben.

Gegen den Staat zu arbeiten und militant zu sein heißt zwangsläufig auch uns dem Staat zu entziehen. Damit meinen wir nicht weglaufen oder der Auseinandersetzung auszuweichen, sondern uns und unsere Strukturen vor dem Staat zu verstecken. Wir wissen, dass das bei einem Gegenüber mit besserer Technik und mehr Mitteln nicht immer einfach ist. Gerade sich gleichzeitig demokratisch und klandestin zu organisieren ist noch mal eine größere Herausforderung. Wenn wir es aber schaffen zeigt sich, dass der Staat und seine Bullen eben nicht so allmächtig und allwissend sind wie sie sich immer geben.

Uns ist wichtig zu sagen, dass weder der Kampf gegen die ideologische Hegemonie noch militante Konfrontation mit dem Gegner überhaupt alleine gedacht werden können. Offene und total gesellschaftliche Aktionen wie etwa Ende Gelände oder die Seebrücke binden viele Menschen ein und können den Rahmen des Machbaren weiter verschieben und den Staat oder die Energiekonzerne ziemlich ärgern. Wenn der Staat und RWE aber wirklich keine Lust mehr haben und alles auffahren, kann damit in einem sich selbst immer weiter ausbauenden Polizeistaat aber auch ganz schnell Schluss sein. Kleine militante Gruppen schaffen es aber auch immer wieder politische Aktionen durchzuziehen und der Polizei einen Schritt voraus zu sein. Auch wenn die Bullen dann Hausdurchsuchungen machen und ganz Stolz zwei schwarze Jacken und ein bisschen Küchengerät in die Kameras halten ist ihre Chance mal jemanden zu schnappen dann doch relativ gering. Wenn sich die Beteiligten schlau anstellen kommen sie in der Regel weg. Was in dieser Herangehensweise aber viel viel schwieriger wird, ist den ersten Punkt zu erfüllen. Sie sind gerade auf Grund ihrer illegalen und klandestinen Aktionsformen für die Menschen die wir erreichen wollen oft nicht greifbar und auch nur eingeschränkt zu verstehen. Wir glauben, dass es ein großes Problem ist in „entweder-oder“ Kategorien zu denken. Entweder schöne Fotos für die Presse oder militant die eigenen Ziele durchsetzen. Entweder viele Menschen mit einbinden, oder in Kleingruppen die gesetzlichen Grenzen überschreiten. Der Kampf um den direkten Erfolg einerseits und andererseits die Deutungshoheit über die Aktionen ist viel zu komplex um mit irgendwelchen Patentrezepten heranzugehen. Es ist die Wechselbeziehung zwischen den unterschiedlichen Aktionsformen und zwischen der konkreten Praxis und der Theorie in den Köpfen, die das Entscheidende ist. Nicht irgendeine „wahre Lehre“, egal ob sie jetzt von dogmatischen Kommunist*innen oder von den undogmatischsten Bewegungslinken verkündet wird. Gerade das bewusste Überschreiten der Spielregeln des Staates ist einer der Punkte an denen die ideologische Hegemonie ins Bröckeln kommt, die Allmacht des Staates ihren Glanz verliert. Diese Momente bewusst und kollektiv zu produzieren, sie danach zu verwerten schützt uns vor der Einbindung in den Politzirkus. Die ideologische Hegemonie wird nur durch die kämpfende Bewegung gebrochen.

Was heißt das jetzt für den Klassenstandpunkt? Obwohl die lohnabhängige Klasse weit davon entfernt ist selbstbewusst als politischer Akteur für den Sozialismus zu kämpfen, versuchen wir unser Bestes. Die Erfahrungen in den Auseinandersetzungen mit dem Staat, bei der Selbstorganisierung, beim Aufbau von Gegenkultur und in jedem Bereich in dem wir arbeiten, müssen im besten Fall nicht noch einmal gemacht werden. Jetzt ist es an uns, an den Stellen wo sich die Widersprüche des Kapitalismus zuspitzen, anzusetzen und im politischen Handgemenge die Selbstorganisierung unserer Klasse und den revolutionären Aufbauprozess vorwärtszubringen

Für uns bedeutet das konkret vor allem eins: wir müssen gleichzeitig Alles lernen. Gute Öffentlichkeitsarbeit verbunden mit einer direkten Ansprechbarkeit, ohne die Gefahren der Repression aus den Augen zu verlieren. Welche Aktionen sind unserer Klasse vermittelbar? Was spitzt die Auseinandersetzung zu, erlaubt aber trotzdem, dass viele mitmachen können? Was bieten wir den Menschen, die nicht bereit sind das jeweilige Niveau der Auseinandersetzung mitzutragen? Welche Aktionsformen wählen wir nur „Weil hat ja immer schon geklappt“? Wie können wir die gesamte Bewegung im jeweiligen Kampffeld weiterentwickeln?

Am Ende bleibt die Frage, wie wir eine kämpfende Bewegung im konsequenten Widerspruch zum Kapitalismus aufbauen können. Diese Frage können wir nur in der Praxis klären.

Für eine kämpfende Bewegung!

Für den Kommunismus!

https://kommunistischelinke.noblogs.org/post/2020/03/29/als-klasse-kampfen-tag-der-politischen-gefangenen/