ARBEIT HINTER GINTERN Karlsruhe prüft Knastlöhne

Bundesverfassungsgericht verhandelt Klagen gegen Ausbeutung arbeitender Gefangener in Haftanstalten. Unternehmen profitieren von Plackerei

In den meisten Bundesländern müssen Strafgefangene in den Haftanstalten oft eher stupide Arbeiten erledigen, zum Beispiel Bauteile zusammenschrauben – und das für einen Stundenlohn, der weit unter dem »draußen« geltenden Mindestlohn liegt: durchschnittlich zwischen einem und drei Euro. Vor dem Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe hat am Mittwoch die zweitägige Verhandlung zu Verfassungsbeschwerden begonnen, die bereits vor Jahren eingereicht worden war. Geklagt gegen diese besondere Form der Ausbeutung haben zwei Betroffene aus Bayern und Nordrhein-Westfalen. Ein dritter Mann aus Sachsen-Anhalt hatte seine Verfassungsbeschwerde zurückgenommen. Die verbliebenen Klagen sind schon seit 2016 und 2017 anhängig.

Seit der Föderalismusreform 2006 sind die Länder für den Strafvollzug zuständig. In zwölf von 16 Bundesländern – auch in Bayern und NRW – gilt für Strafgefangene Arbeitspflicht. »Durch sinnvolle und nützliche Arbeit sollen die Gefangenen an ein auf eigener Arbeit aufgebautes Leben gewöhnt werden«, schreibt etwa das bayerische Justizministerium. In den Ohren der Betroffenen müssen solche Worte wie Hohn klingen. So hat die Bundesarbeitsgemeinschaft für Straffälligenhilfe erklärt, es handele sich oft »um einfachste Tätigkeiten mit sehr geringen Anforderungen«.

Das bestätigt auch Konstantin Behrens von der Gefangenengewerkschaft/Bundesweite Organisation (GG/BO) in Jena. Die Gefangenen würden zwar auch für komplexere Tätigkeiten eingesetzt, zum Beispiel in anstaltseigenen Kfz-Werkstätten, erklärte er am Mittwoch gegenüber junge Welt. »Es werden da nicht nur Tüten beklebt.« Tatsächlich seien viele Arbeiten aber eher einfach. Die Unternehmen nutzen die Knäste gern als günstige verlängerte Werkbank, sagte Behrens. Die Strafgefangenen wiederum seien oft arm. Für sie seien Tagesverdienste von 10 bis 15 Euro besser als nichts. »Dann sind sie bei der Arbeit auch unter Leuten, das ist auch ein Grund«, so der Aktivist.

Für die Gefangenen fällt tatsächlich kaum was ab bei der Plackerei. In Bayern etwa galt 2016 laut der Nachrichtenagentur dpa ein Stundensatz von 1,57 Euro. Je nach Leistung und Art der Arbeit bekommen die Gefangenen etwas mehr oder weniger, zwischen 75 und 125 Prozent. Das ergab Tagessätze von 9,41 Euro bis 15,69 Euro, plus Zulagen etwa für Überstunden. Außerdem zahlt der Staat in die Arbeitslosenversicherung ein. Drei Siebtel des Geldes dürfen Gefangene, so dpa, als »Hausgeld« für Einkäufe verwenden. Den Rest müssen sie zunächst als »Überbrückungsgeld« ansparen, und zwar für die ersten vier Wochen in Freiheit.

Die Gefangenen werden nicht nur gedemütigt – was einer angeblich gewollten Resozialisierung abträglich ist. Inhaftierte haben dazu oft auch Schulden, die sich mit dem bisschen Geld durch Knastarbeit nicht abtragen lassen. Viele Verurteilte müssen eine Geldstrafe zahlen oder Opfern Schmerzensgeld und Schadenersatz. Im Gefängnis können sie Unterhaltsverpflichtungen nicht nachkommen. Und so fehlt ihnen auch jede Möglichkeit, eine zurückgelassene Familie finanziell zu unterstützen. Verschärft wird die Situation dadurch, dass Gefangene – mit Ausnahme von Freigängern – nicht in die Rentenversicherung einbezogen sind. Eine lange Haft ist kaum zu kompensieren: Selbst wer es schafft, sich nach der Entlassung ein normales bürgerliches Leben aufzubauen, fällt im Alter fast zwangsläufig auf Sozialhilfeniveau zurück.

Falls das Karlsruher Gericht, dessen Urteil erst in einigen Monaten erwartet wird, zu der Ansicht gelangt, dass die Höhe der Vergütung Strafgefangener nicht mit dem Grundgesetz vereinbar ist, müssten vermutlich die Landesparlamente in Bayern und Nordrhein-Westfalen tätig werden. Aber auch auf andere Bundesländer mit ähnlichen Regelungen dürfte die anstehende Entscheidung Auswirkungen haben.

Von Kristian Stemmler junge Welt 28.4.22