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Auf Zuruf von Wutbürgern G-20-Nachspiel: Ermittlungen gegen Organisatoren der Gipfelproteste in Hamburg, Prozesse und Razzien gegen mutmaßliche Plünderer

Der Staat schlägt zurück. In Hamburg schießen Staatsanwaltschaft, Gerichte und Polizei aus allen Rohren, um Bürgern und Wählern zu demonstrieren, dass der die »Riots« während des G-20-Gipfels Anfang Juli nicht ungestraft durchgehen lässt. Vor Gericht hagelt es in dieser Woche überharte Urteile gegen Gipfelgegner, am Mittwoch organisierte die Polizei eine Razzia gegen mutmaßliche Plünderer, und die Staatsanwaltschaft verkündete zeitgleich, dass sie gegen führende Köpfe des Gipfelprotests ermittelt.

Die Ermittlungen richten sich gegen Andreas Beuth und Andreas Blechschmidt, den Anwalt und den Sprecher des autonomen Zentrums Rote Flora, Emily Laquer von der Interventionistischen Linken (IL) und eine nicht genannte Person, wie Nana Frombach, Sprecherin der Staatsanwaltschaft, laut Taz vom Mittwoch erklärte. Geprüft wird, ob die vier Beschuldigten Straftaten gebilligt oder zu ihnen aufgerufen haben, die Ermittlungen ausgelöst haben Strafanzeigen in Braunschweig und Bielefeld.

»Das sind irgendwelche Wutbürger, die mich im Fernsehen gesehen haben«, konstatierte Laquer in der Taz. Sie, Blechschmidt und Halil Simsek vom »Roten Aufbau Hamburg« waren bereits vor dem Gipfel von Hamburgs Verfassungsschutz im Internet als militante Aktivisten an den Pranger gestellt worden. Die Erklärung der Staatsanwaltschaft ist offensichtlich eine Fortsetzung dieser Strategie, jeglichen linken Protest gegen den G-20-Gipfel zu kriminalisieren.

Ebenfalls am Mittwoch durchsuchten nach Medienberichten rund 100 Polizeibeamte 15 Wohnungen und einen Handyladen in Hamburg und dem nördlichen Umland. Ziel der Razzia: Beutegut aus der Plünderung eines Handyladens in der »Krawallnacht« im Schanzenviertel vom 7. auf den 8. Juli sicherzustellen. Die magere Ausbeute: sieben I-Phones. Die 14 verdächtigten Personen seien keine linken Aktivisten, eher »Gelegenheitstäter«, hieß es auf einer Pressekonferenz der Polizei am Mittwoch. Dort wurde deutlich, was für einen riesigen Aufwand die Polizei bei der Strafverfolgung von Gipfelgegnern betreibt und wie flächendeckend sie die Proteste abgefilmt hat. Die Mitte Juli aufgestellte Sonderkommission (Soko) »Schwarzer Block« umfasst 180 Beamte. Laut Welt vom Mittwoch bearbeitet sie mehr als 2.000 Ermittlungsverfahren, werde bei rund 3.000 Ermittlungsverfahren landen.

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Soko-Chef Jan Hieber rühmte die Qualität und Breite der Videodokumentation, es lägen Daten im Umfang einer zweistelligen Terabyte-Zahl vor, ausgewertet würden allein 25.000 Einzelvideos von Polizisten. »Die Herausforderung der Soko ist in der deutschen Kriminalgeschichte einmalig«, behauptete Hieber bei der Pressekonferenz. Viele Straftäter, »die sich derzeit sicher wähnen«, würden noch eine Überraschung erleben. Makabres Detail: Hiebers Soko arbeitet in der früheren Gefangenensammelstelle (Gesa) im Bezirk Harburg, in der Gipfelgegner misshandelt worden waren. Diese Übergriffe arbeitet die Soko nicht auf.

Auch die Gerichte setzen ihren Feldzug gegen Gipfelgegner fort. Am Dienstag verurteilte ein Amtsgericht einen 29 Jahre alten Tschechen, der gestanden hatte, am 7. Juli fünf Steine und zwei Flaschen auf Polizisten geworfen zu haben, zu 18 Monaten Haft auf Bewährung. Am Donnerstag standen zwei weitere Gipfelgegner, ein 32 Jahre alter Italiener und ein 21 Jahre alter Senegalese, wegen Flaschenwürfen vor Gericht.

Unterdessen haben Vertreter des Jugendverbandes Die Falken laut Spiegel online vom Mittwoch 15.000 Euro Schadenersatz von der Stadt Hamburg gefordert, nachdem ein Gericht ihre irrtümlich erfolgte Festnahme während des Gipfels als unrechtmäßig anerkannt hatte (jW berichtete). Falken-Chef Paul Erzkamp sagte, erhalte man das Geld, werde man einen Großteil an den Republikanischen Anwaltsverein spenden, der sich für G-20-Gegner einsetzt.

In der Bürgerschaft gibt es derweil Streit über den G-20-Sonderausschuss. Die CDU-Fraktion warf Innensenator Andy Grote (SPD) laut Taz vom Donnerstag vor, eine direkte Befragung von Polizeiführern zu verhindern, und drohte mit einem Parlamentarischen Untersuchungsausschuss (PUA). Ein PUA hätte mehr Rechte als ein Sonderausschuss.

Von Kristian Stemmler
https://www.jungewelt.de/artikel/319068.auf-zuruf-von-wutbürgern.html