Avas Statement vor Gericht

Endlich wurde auch Avas Statement, dass sie vor Beginn des Prozesses verlesen hat, abgetippt! Here we go:

Guten Tag sehr geehrte Damen und Herren und andere Personen.

Ich werde mich zu den gegen mich erhobenen Vorwürfen nicht äußern.
Allerdings möchte ich gerne grundsätzlich dazu Stellung beziehen, wieso störende Aktionsformen legitim, sinvoll und notwendig sind.

Dazu ist es mir wichtig zunächst daran zu erinnern zu welcher Situation wir uns befinden und wie wir hier hingelangt sind.

Wir befinden uns gegenwärtig in der womöglich größten Herausforderung der Menschheitsgeschichte: nämlich das Fortleben eines Großteils der sich auf dem Planeten befindenden Lebewesen zu sichern. Sowie das Leben wie wir es kennen zu erhalten. Jegliche Lebensgrundlagen wie Trinkwasser, saubere Luft, fruchtbarer Boden und bewohnbares Land stehen auf dem Spiel. Wir sind nur noch wenige Jahre davon entfernt, die Kipppunkte im globalen Klimasystem, deren Erreichen die Erderwärmung unafhaltsam beschleunigen werden, zu überschreiten. Doch den momentanen politischen Kurs werden wir alle von Dürren, Überflutungen, Hitzewellen, Ressourcenknappheit und anderen humanitären Krisen bedroht – unfairerweise wir in der westlicen Welt um ein Vielfaches weniger als die Menschen, die nur einen Bruchteil der Emissionen zu verantworten haben. Millionen Menschen haben bereits ihre Existenzgrundlagen, Gesundheit und Leben an das sich durch uns wandelnde Klima verloren. Und es werden noch Millionen folgen, wenn nicht endlich gehandelt wird.

Der Treibhauseffekt wurde bereits 1824 entdeckt – vor fast 200 Jahren! Regierungen und Konzerne wurden immer und immer wieder darauf hingewiesen und gewarnt. Spätestens seit den 70er Jahren gibt es in Deutschland eine Klimaschutzbewegung. Die Jahr um Jahr friedlich um Aufmerksamkeit kämpfen musste. Diese Kämpfe möchte ich hier dankend würdigen. Doch was hat sie in über 50 Jahren erreicht?

Neben der Tatsache, dass Politiker*innen mittlerweile – wenige Jahre vor Erreichen der ersten Kippunkte – immerhin im größeren Stil als früher Lippenbekenntnisse ablegen, wird gerne betont, das ist ja mittlerweile auch ein breite gesellschaftliches Bewusstsein für die Klimakrise gäbe. Aber man darf wohl meinen, dass es an dem Punkt, an dem wir uns befinden, bei weitem nicht ausreicht, dass die menschen wissen, auf welche Katastrophe wir zusteuern!

Und trotz diesem viel gepriesenen angeblichen gesellschaftlichen Bewusstsein steigen die Emissionen weiter an und es sieht absolut nicht danach aus, als würden sie in absehbarer Zeit gesenkt werden – geschweige denn: rechtzeitig und schnell genug.

Wir befinden uns an einem Punkt, an dem das Erreichen des 1,5°-Ziels des Pariser Klimaabkommens in vermutlich unerreichbare ferne gerpckt ist und selbst das 1,5°-Szenario hat bereits ein riesiges Ausmaß an fatalen und tödlichen Auswirkungen der Erderhitzung nahezu billigend mit einkalkuliert! Anstatt ernsthaft auf wenigstens dieses Ziel hinzuarbeiten, steuern wir aktuell auf eine 2-5°C wärmere Welt zu.
Die Folgen einer Erhitzung von auch “nur” 0,5°C mehr – also 2° – sind noch einmal um ein vielfaches katastrophaler als sie es bei 1,5° bereits sind! Auf dem diesjährigen UN-Klimagipfel lag der Hauptfokus nicht einmal mehr darauf all dies abzuwenden, sondern bereits darauf, wie und von wem die katastrophalen Folgen zu zahlen sind!
Was braucht es denn noch alles, um zu verdeutlichen, wie weit die Klimakrise schon vorangeschritten ist? Um zu verdeutlichen, wie tief wir im schlamassel stecken und wie verdammt kurz vor knapp es ist?
Und ich betone: wir sind an diesem Punkt trotz aller jahrelanger, weltweiten, friedlichen Proteste!
Wie konnte es so weit kommen?
Die antwort erhalten wir in nahezu jeder Diskussion um jede nochso kleine Klimaschutzmaßnahme: “Aber das Geld! Die Wirtschaft! Die Versorgung!”
Zum Thema Versorgung: wir reden hier nicht von Lebenswichtiger Versorgung, denn dafür würden unsere klimaneutralen Kapazitäten womöglich mit bereits wenig Ausbau ausreichen. “Versorgung” meint hier meist “Wohlstand”, “Luxus” – unser Leben im Überfluss. Und anscheinend gibt es immernoch kein Verständnis dafür, dass wir, wenn wir diesen Wohlstand nicht auf klimaneutrale, nachhaltige Weise aufrecht erhalten können, uns von gewissen Annehmlichkeiten über kurz oder lang verabschieden werden müssen, entwerder weil wir verantwortlich handeln und Emissionssenkung über Luxus stellen oder weit von uns irgendwann diverse Naturkatastrophen und Krisen in die Quere kommen. Die Staatsanwaltschaft Cottbus schreibt in ihrer Stellungnahme zu meiner Haftbeschwerde am 12.10.2022, eine Abwägung zwischen Versorgungssicherheit und Klimaschutz würde, Zitat “eindeutig zulasten einer potentiellen Schädigung des Klimas” – Zitat Ende, ausfallen. Abgesehen von der höchst kritisierbaren Benutzung des Wortes “potentiell” in diesem Zusammenhang, handelt es sich hier um eine absolute Scheinabwägung, die so überhaupt nicht in Frage steht!

Denn die Versorgungssicherheit von hunderten Millionen Menschen, heute und in der Zukunft, wird selbst in einer “nur” 1,5°C wärmeren Welt in Ausmaßen gefährdet sein, die wir uns heute noch gar nicht mehr vorstellen können! Die Frage ist also nicht, OB wir für die Bekämpfung der Klimakrise Opfer bringen, sondern WANN wir es tun. Und ob es dann noch reichen wird.

Zum Thema Wirtschaft und Gewinne: Wenn Geld die einzige Sprache ist, die Konzerne und Regierungen verstehen, dann muss Protest, der etwas bewirken soll, genau da ansetzen. Dass die Nutzung fossiler Brennstoffe als wirtschaftlich angesehen werden, ist ein riesiges Problem. Den Entscheidungstragenden scheint immer noch nicht klar zu sein, wie unfassbar unwirtschaftlich und gefährlich die Nutzung fossiler Brennstoffe im Blick auf andere Regionen der Welt und auf die zukunft ist, und dieser Irrglaube hat tödliche Folgen. Wie kann es sein, dass Gewinne mehr Wert haben als Menschenleben? Wie kann es sein, dass die Zerstörung von Lebensgrundlagen überhaupt Gewinn bringt? (Was sind Millionen Tote, Leidende oder vertriebene Menschen gegenüber
3 Millionen €?)

Mir ist vollkommen klar, dass die Störaktion die Klimakatastrophe nicht im Alleingang lösen können. Aber sie bewirken etwas sehr entscheidendes: Sie schaffen ein Ausmaß an Aufmerksamkeit für die genannten Probleme, wie es mit herkömlichen, gesellschaftlich “anerkannten” Methoden des Protestes niemals zu erreichen wäre. Und diese Aufmerksamkeit für die bereits gegenwärtige und sich mit jedem Tag weiter verschärfende Klimakrise ist bitter, bitter nötig, denn das allgemeine gesellschaftliche Bewusstsein ist anscheinend nicht groß genug um zu erkennen, dass all die viel gepriesenen herkömlichen Proteste, die nichts desto trotz richtig und wichtig sind, nicht zu den nötigen politischen Veränderungen geführt haben. Hätten sie das getan, wären wir jetzt nicht hier: wenige Jahre vom ersten Kipppunkt entfernt, die erste Klimawandelbedingten todbringenden Naturkatastrophen auf vermeintlich sicherem europäischen Boden bereits längst hinter uns, immernoch steigenden Emissionswerten, und Jahr um Jahr verfehlte Klimazielen – und das alles begleitet von leeren Versprechungen aus der Politik.

Und ebendiese Politiker*innen, Staaten und Institutionen, die diese gelinde gesagt ÄUßERST ungünstige Lage zu verantworten haben, wollen den Menschen jetzt vorschreiben wie sie sich gegen dieses Versagen wehren dürfen? Das ist an Dreistigkeit kaum zu überbieten!

Regierungen und Konzerne sägen lächelnd, Geld scheffelnd und auch mal grün angemalt auf dem Ast, auf dem wir alle sitzen. Und wenn jemand ihnen die Säge aus der Hand treten will, weil der Ast kurz davor ist, abzubrechen, heben sie empört Zeigefinger und Richter*innenhammer und schimpfen: “Nanana! So geht das aber nich! Stellt euch stattdessen mit einem Pappschild dahinten an den dafür vorgesehenen Platzund erklärt uns noch 1.000 mal, was ihr gegen das Sägen habt! Um die Wirtschaft nicht zu gefährden, sägen wir in der Zeit natürlich weiter. Uh und bitte bleibt FRIEDLICH dabei.”

Genau das ist es, was von meiner Generation erwartet wird: abwarten, betteln, Füße still halten – zumindest nicht viel bewegen, dass es tasächlich stört. Während wir, wie António Guterres richtig sagt, mit Vollgas auf einen Abgrund zurasen. Und als wäre das alles nicht genug, werden Leute, die die Säge treten, ins Lenkrad greifen, die sich gegen dieses mörderische so-weiter stellen, von Leuten wie Michael Stübgen, Innenminister Brandenburgs, als Klimaextrimistinnen und Verbrecherinnen beschimpft. Es soll also ein Verbrechen sein, die Einhaltung von Klimaschutzgesetzen und -Abkommen zu fordern? Es soll also extrem sein, sich gegen Leiden, Vertreibung und Tod von Millionen Menschen zu stellen?

Ich glaube ganz gewaltig nicht. Im Gegenteil: es ist ein extremes Verbrechen, es nicht zu tun und weiterhin an fossilen Rohstoffen festzuhalten. Und wo bitte wären wir heute, wenn Protest sich immer nur im Rahmen des gesellschaftlichen breit akzeptierten abgespielt hätte? Ich will es mir gar nicht ausmalen.

Eine Frau, die – und es ist mir wichtig, das zu betonen – sehr anderen Verhältnissen lebte und kämpfte als wie sie heute herrschten, aber deren Worte trotzdem Gültigkeit behalten haben, ist Sophie Scholl.

Sie wusste “das Gesetz ändert sich, das Gewissen nicht”. Heute ist es anders herum. Das Gesetz steht still, während das Gewissen kaum noch an sich halten kann angesichts der sich dramatisch verschlechternden Zustände. Unzählige Menschen können und wollen nicht mehr tatenlos oder bettelnd zusehen, wie Regierungen und Konzerne die Menschheit auf den Abgrund zusteuern.

Weil wir längst nicht mehr von einer hypothetischen Zukunft reden.
Weil keine Zeit mehr ist.
Weil es keine Wahl mehr gibt.
Weil anders nicht zugehört wird.

Störende Aktionen sinnd nach all dem nicht etwas, was bestraft werden sollte, sondern sie sind sinnvoll, legitim und notwendig.

Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit https://unfreiwilligefeuerwehr.blackblogs.org/2022/12/03/avas-statement-vor-gericht/#more-475

Posted on 3. December 2022 by feuerwehr