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Barfuß durch den Knastalltag

Vor einigen Jahren begann ich in der Haftanstalt barfüßig durch den Alltag zu gehen. Über die Reaktionen und Gespräche die hierdurch entstanden berichte ich heute.
 
Warum Barfuß
 
Zu Anfang, weil es schlicht bequem war, denn das lästige Anziehen und Ausziehen der Schuhe entfiel, dann wurde es zu einem Stück Lebensphilosophie. Der direkte, unmittelbare Kontakt mit dem Boden auf dem wir gehen wird durch Schuhe verhindert. Das Körpergefühl verändert sich tatsächlich, wenn wir barfuß gehen, man wird sensibler für den Untergrund, man spürt feine Erschütterungen oder Unebenheiten. Gesund ist es noch dazu. Da hier in der Haftanstalt Glas zu den verbotenen Gegenständen zählt, ist im Übrigen die Gefahr sich schwerer zu verletzen, z.B. durch das Treten in eine Glasscherbe, zu vernachlässigen.
 
Barfuß durchs Leben
 
In Bruchsals Gefängnis fiel mir vor vielen Jahren Georg auf. Er sitzt schon weit über 50 Jahre in Haft, die taz (www.taz.de) hatte zu seinem „50. Haftjahr“ ausführlich berichtet. Im Sommer drehte er seine Runden im Hof immerzu barfuß. Eines Wochenendes fing ich auch damit an, zu Anfang tat es weh, aber die Füße gewöhnten sich daran. Seit ich 2013 in die Justizvollzugsanstalt Freiburg verlegt wurde, gehe ich nur noch so durchs Leben. Zu Anfang sorgte dies für Irritationen bei Mitgefangenen und insbesondere dem Personal. Mehr oder weniger subtil versuchte dieses, mir die Vorzüge des „beschuhten Lebens“ zu vermitteln.
 
Exkurs: die smarte Macht des Gefängnispersonals
 
Knäste gelten als Paradebeispiele für „Überwachen und Strafen“ (Foucault), wo durch offene Repression Menschen in ein Korsett gezwungen, genötigt und geworfen werden.
 
Zumindest für den Bereich der Sicherungsverwahrung hier in Freiburg möchte ich eher von einer „smarten Macht“ (Byung­Chul Han) sprechen, die weniger offen-gewalttätig auftritt, als vielmehr permissiv, d.h. geradezu freundlich. Lächelnd schmiegt sie sich an die Psyche der Verwahrten an, eher sedierend, als repressiv. An deren Ende stehen jene Insassen, die „voll im Therapieprozess“ stehen, sich freiwillig ins Dienstbüro begeben, um dort eine DVD abzuliefern, weil sie doch diese DVD gar nicht besitzen dürften, die Sorge um die Therapie umtreibt, würden sie diese behalten. Besagte DVD befand sich in einem Heft, welches die Firma Massak Logistik GmbH geliefert hatte, die exklusiv die Gefangenen in über 140 Haftanstalten mit Waren des täglichen Bedarfs beliefert.
 
Die „smarte Macht“, sie verlangt vom Einzelnen kein Schweigen, sondern, dass er sich pausenlos mitteilt. Freiwillig. Eigene Sorgen, Wünsche, Phantasien sollen kommuniziert, dem Personal mitgeteilt werden, welches dann darüber Aktenvermerke fertigt. Wer sich unterwirft, der kann sich dann, so die Anstaltspsychologin, Frau W. „Sonderausführungen verdienen“.
Jeder Sicherungsverwahrte in Baden-Württemberg hat Anspruch auf vier bewachte Ausführungen im Jahr, alles was darüber hinaus geht muss man sich, wie erwähnt „verdienen“.
 
Für zwei Stunden wird man, mit Vollzugsbeamten, in die Stadt gelassen, darf einen Kaffee trinken oder ein bisschen einkaufen gehen.
 
Smarte Politik, so Han (in: „Psychopolitik-Neoliberalismus und die neuen Machttechniken“) suche zu gefallen, anstatt zu unterdrücken (a.a.O., S. 51). So auch im ganz Kleinen, vor Ort in der Haftanstalt. Gefangene sollen nicht mehr gefügig gemacht werden, sondern abhängig.
 
Und so gibt es jene, die täglich das Stationsbüro aufsuchen, sich über andere beklagen, ihr Herz ausschütten und jede Regung ihres Geistes oder Körpers dem Personal mitteilen, die diese Aussprachen ehrlich zu brauchen glauben.
 
Die das, was Beamte auch nur andeuten, was gut wäre zu tun, mit Inbrunst und Freude erfüllen.
 
Gespräche mit Gefängnisbeamtinnen zum Barfuß-Leben
 
Einer der ersten der mich ansprach war Amtsinspektor P., ob ich denn nicht außerhalb der Zelle Schuhe tragen „wolle“, fragte er mich im Herbst 2013. Denn es sei doch irgendwie „üblich“ Schuhe zu tragen, er selbst tue dies doch auch und komme nicht barfüßig zum Dienst. Auf meine Frage, ob er mir nun eine Weisung Schuhe zu tragen erteilen wolle, oder es sich um eine bloße Bitte handele, denn für den Fall einer Weisung würde ich sofort dagegen vor Gericht Klage einreichen, teilte er freundlich lächelnd mit, es habe sich nur um eine Bitte gehandelt.
 
In Erinnerung sind mir auch die anfangs doch recht beharrlichen Versuche der schon zitierten Psychologin W. Sie insistierte mehrfach, ob ich denn nicht zumindest dann, wenn ich zu ihr ins Büro käme, Schuhe tragen wolle. Nein, wollte ich nicht. Mittlerweile trägt sie diese Eigenart meiner Person gefasst und schweigend. Allerdings war es ihr wichtig mich wissen zu lassen, sollte ich denn eine bewachte Ausführung in die Stadt erhalten, dann müsse ich Schuhe tragen, denn man wolle nicht auffallen mit mir.
 
Ihr assistierte Hauptsekretär B., der sich ein wenig entrüstet zeigte über meine bisherige Vorgehensweise bei den vier jährlichen Ausführungen zu Freundinnen in Stuttgart und Bretten. Mit Gefängniskleidung und vor allem barfuß. Er stelle sich vor, die Presse bekomme davon Wind und fotografiere dies – ein Insasse, im Winter, gefesselt aus einem vergitterten Bus steigend, und dies barfuß. Das wäre ein „gefundenes Fressen“ für eine Skandalisierung, so Herr B.
 
Da ich täglich vom Haus der Sicherungsverwahrung in den Strafhaftbereich wechsele, um dort die Gefängnisschule zu besuchen, sprechen mich tatsächlich auch dort heute noch immer wieder Bedienstete auf mein Barfuß-Dasein an. So ruft des Winters Hauptsekretär H., der schon seine Pensionierung am Horizont immer näherkommen sieht, sobald er meiner ansichtig wird: „Ja, Du, hast Du keine Schuhe, frierst Du denn nicht?!“. Scherzhaft antworte ich dann mitunter, ich würde darauf warten, dass das Personal eine karitative Sammlung zu meinen Gunsten durchführe.
 
Gespräche mit Mitgefangenen
 
Auch Mitgefangene sprechen mich regelmäßig an, fragen, ob ich mich denn nicht ekeln würde, schließlich sei auf dem Boden Schmutz und Dreck.
 
Solche Fragen dienen vielfach dem Beginn ganz ernster Gespräche über das Leben, den Sinn und Unsinn von Gefängnissen, oder über die Möglichkeiten, auch unter restriktiven Bedingungen, wie denen einer Justizvollzugsanstalt, Autonomie und Selbstentfaltung zumindest in Ansätzen zu verwirklichen.
 
Einige halten mich sicherlich für „verrückt“, anderen fehlt (noch) der Mut, auch eigene Wege zu gehen, und wieder andere erscheinen plötzlich zumindest barfuß in Sandalen oder Schlappen.
 
Ausblick
 
Was soll denn das? Ein Text übers Ohne-Schuhe-und-Strümpfe-Gehen in einer Haftanstalt!? Ja, auch mich hat erstaunt, auf wie viel Abwehr, aber auch Interesse und Aufmerksamkeit so etwas Banales gestoßen ist und immer noch stößt. Sobald ein Mensch etwas nicht-tut, was alle andern um ihn herum für eine Selbstverständlichkeit halten, scheint dies etwas in ihnen anzusprechen. Vielleicht führt ihnen solch ein Beispiel vor Augen, wie sehr sie sich selbst schon angeschmiegt haben, an den Dienstherren, bzw. die Haftanstalt. Wie sehr sie bereit sind sich verführen zu lassen, von der „smarten Macht“ und sei es um das Vergessen ihrer ureigenen Wünsche und Bedürfnisse.

 
Thomas Meyer-Falk z.Zt. JVA (SV) Hermann-Herder-Str. 8
79104 Freiburg