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Befreundete Dienste (II)

BERLIN/WASHINGTON-
Bereits vor 25 Jahren hatte der Bundesnachrichtendienst (BND) weitreichende Kenntnisse über umfassende Spionage-Aktivitäten der NSA in der Bundesrepublik. Dies geht aus einem in Teilen neu veröffentlichten Medienbericht aus dem Jahr 1989 hervor. Demnach sind die deutschen Geheimdienste schon damals von der NSA mit Informationen versorgt worden, die sie selbst zu beschaffen nicht in der Lage waren. Dabei operiert der BND, wie Experten bestätigen, heute keineswegs grundsätzlich anders als die NSA.

Tatsächlich hat der Dienst nicht nur – wie die US-Behörde – Vorrichtungen zum Anzapfen der Telekommunikation direkt bei Netzbetreibern im eigenen Land angebracht, er spioniert auch Regierungen souveräner Staaten aus, etwa die afghanische, womöglich auch die syrische Regierung. Das zu Wochenbeginn in Kraft getretene neue Telekommunikationsgesetz eröffnet den Diensten auch den Zugang zu den sogenannten Bestandsdaten deutscher Nutzer. Die parlamentarische Kontrolle der Dienste wird von Fachleuten als völlig unzureichend eingestuft. Vor wenigen Jahren hat der heutige Finanzminister dennoch dafür plädiert, sie abzuschaffen.

„Die Amerikaner gefragt“

Wie aus einem Bericht der Zeitschrift „Der Spiegel“ vom Februar 1989 hervorgeht, den das Blatt aus aktuellem Anlass in Auszügen neu veröffentlicht [1], sind die bundesdeutschen Geheimdienste bereits Ende der 1980er Jahre über umfassende Spionage-Aktivitäten der NSA in der Bundesrepublik informiert gewesen. Mit Blick auf breite Abhörmaßnahmen der NSA hieß es in dem Bericht: „Westdeutsche Geheimdienstler wissen längst, dass das Fernmeldegeheimnis (…) nichts gilt.“ Ein hochrangiger bundesdeutscher Geheimdienstler wird mit den Worten zitiert, er könne sich „gut vorstellen“, dass die NSA „abhört, was der Hamburger Senat mit dem bayerischen Innenministerium zu besprechen hat“.[2] Bereits damals haben allerdings deutsche Behörden auch Nutzen daraus gezogen. So heißt es, es gingen immer wieder NSA-Berichte in den bundesdeutschen Geheimdienstzentralen ein, die Insider problemlos als Mitschrift abgehörter Telefongespräche identifizieren könnten. Schon in der Amtszeit von Bundesinnenminister Hermann Höcherl (1961 bis 1965) sei dies gängige Praxis gewesen. Abhören „hatten wir gar nicht nötig“, wird Höcherl zitiert; „wenn wir was wissen wollten, haben wir’s den Amerikanern gesagt“. Mit Blick auf die im Laufe der Jahre ausgeweitete Tätigkeit des BND rechtfertigte ein Vertreter der amerikanischen Seite die US-Spionagepraxis 1989 mit den Worten: „Warum auch nicht, ihr hört uns doch auch ab“. Dem Historiker Josef Foschepoth zufolge sind die gesetzlichen Geheimgrundlagen der Spionage-Kooperation heute noch in Kraft (german-foreign-policy.com berichtete [3]).

„Nicht so weit aus dem Fenster hängen“

Dass der deutsche Bundesnachrichtendienst (BND) nicht grundsätzlich anders operiert als die NSA oder als britische Spionage-Organisationen, hat noch vor wenigen Tagen der ehemalige BND-Präsident Hans-Georg Wieck bestätigt. „Wir machen das in Gestalt des Bundesnachrichtendienstes im Ausland selbst“, erklärte Wieck letzte Woche: „Das ist nicht mehr Illegales drin als in anderen geheimdienstlichen Tätigkeiten.“[4] Konkret gestattet es das sogenannte G-10-Gesetz [5] etwa, bei ernsten Gefahren für die Bundesrepublik den Datenverkehr mit dem Ausland zu kontrollieren, also die Auslandsknoten der in Deutschland tätigen Telekommunikations-Anbieter anzuzapfen. „Bei den Netzbetreibern, die die Verkehre ins Ausland leiten, hat der Bundesnachrichtendienst direkt seine Leitungen angelegt“, erklärt Klaus Landefeld, „Vorstand Infrastruktur und Netze“ beim „Verband der deutschen Internetwirtschaft“: „Die deutschen Behörden sollten sich also zum Thema Prism nicht so weit aus dem Fenster hängen“.[6] Auslandsknoten betreiben demnach etwa die Telekom, Vodafone, Telefónica und Verizon.

Schleppnetz und Harpune

Unmittelbar nach den Äußerungen von Wieck, die Tätigkeit des BND unterscheide sich nicht grundsätzlich von derjenigen der aktuell inkriminierten US-amerikanischen und britischen Stellen, sind in deutschen Medien mehrere Berichte erschienen, die dies zu relativieren scheinen. Demnach könne man die angloamerikanischen Aktivitäten mit einem Schleppnetz vergleichen, während der BND sehr gezielt operiere: Er fische nicht wahllos im Datenmeer, sondern operiere mit Suchbegriffen, weshalb er in der Lage sei, präzise zu treffen und unnötigen Beifang zu vermeiden – vergleichbar dem Fischfang mit einer Harpune. Als Beleg wurden unter Berufung auf BND-Quellen sinkende Zahlen der gesammelten Verkehrsdaten genannt.[7] Selbst wenn dies zuträfe, bliebe festzuhalten, dass die Suchbegriffe aus dem gesamten Telefon- und Internetverkehr herausgefiltert werden müssen, also die Ausforschung nicht unterbleibt, sondern allenfalls verlagert wird. Gänzlich unklar ist außerdem die internationale Arbeitsteilung der westlichen Dienste und in ihr die besondere Rolle des BND, der sich offenkundig auf die „Schleppnetze“ der „befreundeten Dienste“ verlassen kann.

Regierungen überwacht

Zu den speziellen Arbeitsfeldern des BND gehört dabei das Ausforschen staatlicher Behörden via Internet in ausgewählten Zielstaaten. Bereits im Jahr 2009 hatte der stellvertretende BND-Präsident Arndt Freiherr Freytag von Loringhoven bestätigt, der Dienst habe „in 90 Fällen“ Festplatten in fremden Staaten mit Hilfe von Trojanern ausgespäht – unter anderem in Afghanistan und im Kongo. Davon betroffen gewesen seien nicht nur Privatunternehmen, sondern auch „politische Institutionen“ und Behörden. In 2.500 nicht näher spezifizierten Fällen habe man zudem versucht, in E-Mail-Konten einzudringen.[8] Unlängst hat BND-Präsident Gerhard Schindler die BND-Praktiken konkretisiert. Demnach spioniert der BND unmittelbar die afghanische Regierung aus [9] – explizit auf Weisung des Bundeskanzleramts. Dabei fing der Dienst vor einigen Jahren auch E-Mails einer deutschen Journalistin ab, die elektronisch mit dem Handelsminister in Kabul kommuniziert hatte, obwohl das Ausforschen deutscher Staatsbürger dem Auslandsgeheimdienst explizit untersagt ist.[10] Schindler zufolge bezieht die BND-Internet-Spionage auch Syrien ein. Dies stellt erneut die Frage nach dem Ausmaß der deutschen Kriegsbeteiligung – schließlich ist bekannt, dass der Auslandsgeheimdienst seine Erkenntnisse mit „befreundeten Diensten“ und damit auch mit deren Kooperationspartnern teilt.[11]

Eine Ordnungswidrigkeit genügt

Der NSA-Skandal kommt für den BND zu einem recht ungünstigen Zeitpunkt, da er gegenwärtig seine Kapazitäten zum Ausspähen des Internets ausweiten will. Zu diesem Zweck verlangt er innerhalb der nächsten fünf Jahre 100 Millionen Euro, von denen die Regierung fünf bereits freigegeben hat. Einem Bericht zufolge soll die Abteilung „Technische Aufklärung“ 100 neue Mitarbeiter erhalten; außerdem sollen die Rechen- und die Speicherkapazitäten vergrößert werden.[12] Günstig fügt sich, dass am Montag (1. Juli) das neue Telekommunikationsgesetz in Kraft getreten ist. Es erlaubt den Behörden unter bestimmten Bedingungen, auf sogenannte Bestandsdaten zuzugreifen – Daten, die Name, Adresse, IP-Adressen, persönliche Kennziffern sowie Passwörter eines Anschluss-Inhabers umfassen. Konnten derlei Daten zuvor nur bei schweren Straftaten abgerufen werden, genügt jetzt schon das Vorliegen einer einfachen Ordnungswidrigkeit.

Kontrolle nur rudimentär

Bei alledem ziehen Kritiker die Wirksamkeit der offiziellen Geheimdienst-Kontrolle in Frage, die deutsche Stellen regelmäßig hervorheben. Dies trifft nicht nur auf die Inlandsgeheimdienste zu, die im aktuellen NSU-Skandal beispielsweise zahlreiche Akten schredderten, bevor sie den zuständigen Untersuchungsausschüssen und Gerichten zugestellt werden konnten (german-foreign-policy.com berichtete [13]). Über seine Erfahrungen bezüglich des BND erklärt der Bundestags-Abgeordnete Hans-Christian Ströbele (Bündnis 90/Die Grünen), der seit 2002 dem zuständigen Parlamentarischen Kontrollgremium angehört: „Die parlamentarische Kontrolle ist nur rudimentär möglich. Wir haben ganz selten durch eigene Kontrollmaßnahmen Skandale, Fehlentwicklungen oder Schlimmeres rausbekommen.“[14] Dennoch kann nicht einmal die rudimentäre parlamentarische Geheimdienstkontrolle als gesichert gelten. Im September 2009 sprach sich der damalige Bundesinnenminister Wolfgang Schäuble dafür aus, sie abzuschaffen.[15] Als Grund nannte Schäuble, es gebe bei „befreundeten Diensten“ häufig „Zweifel“ daran, dass ihre Kooperation und ihr Informationsaustausch mit mit dem BND sowie mit anderen deutschen Spionage-Organisationen „tatsächlich vertraulich“ blieben. Dem Einwand, ließ Schäuble erkennen, müsse Rechnung getragen werden.

Weitere Informationen finden Sie hier: Befreundete Dienste (I).