Am 1. Mai begannen Billy, Costa, Silvia und Marco Camenisch eine Hungerstreikstaffette. D.h. immer eineR der GefangeneN ist im Hungerstreik und übergibt diesen dann an den bzw. die Nächsten.
Seit mittlerweile beinahe 3 Wochen läuft nun dieser Hungerstreik, der bis zum 28. Mai angesetzt ist. Wir dokumentieren hier einen Beitrag von Billy zu ihrer gemeinsamen Initiative.
Beitrag zur gemeinsamen Initiative
1. Mai – 28. Mai 2011
m.c., Knast Lenzburg, Üb.
WissenschaftlerInnen und ForscherInnen, Industrien und Regierungen bewegen uns auf eine neue
verheerungsvolle Ära zu: die digitale, der intelligenten Umwelten, der Effizienz des unendlichen
Kleinen und der technowissenschaftlichen Konvergenz, die „Grosses“ verspricht. Ein Zeitalter, das
sich schon jetzt vor unseren Augen materialisiert, obwohl wir es noch als Sciencefiction
wahrnehmen, das epochale Umwälzungen mit sich bringen wird und das uns mit derselben
Oberflächlichkeit vorgeschlagen wird, mit der sie uns das neuste TV-Modell, ein neues Handy oder
x-“Konsumgüter“ tagtäglich vorschlagen. Sie möchten uns die Zukunft wünschenswert machen und
sprechen davon, wie etwa von einem Theaterstück im Programm, wie von etwas, das wir entdecken
werden wenn der Vorhang sich hebt und uns nur noch das Zuschauen übrig bleibt.
Die Industrie hat, wie immer schon, die in den letzten Jahrzehnten in der Gesellschaft
aufkommenden Spannungen gut zu erfassen und wiederzuverwerten gewusst. Zuerst durch einen
erschwinglichen Konsumismus, auch für die ärmeren Klassen der Gesellschaft, und nun durch einen
„neuen“ Konsumismus, der nur so strotzt von sozialem und ökologischem Verantwortungssinn,
sodass auch Dissens zu Profit wird und es ihnen gelang, die Massen von den Strassen und Kämpfen
für einen Umbruch in die Supermärkte hinein zu versetzen, in die Warteschlange vor der Kasse, wo
man sich schön gesittet den Lebensstil kaufen kann, den alle das Recht haben für sich auszuwählen.
Eine fast messianische Operation, der Konvertierung zu einem bewussten Konsum und zur
Hoffnung in die wissenschaftliche Forschung, die eine weitgehende Unterstützung durch den Profiund
Lobby-Umweltschutz gefunden hat, der sich dem Trend mit jenem Eifer angeschlossen hat, der
denen eigen ist, die zu ihrem neuen Jesus gefunden haben, dem man getrost das Schicksal des
Planeten, die Lösung aller Ungerechtigkeiten und sie Sühne aller Sünden anvertrauen kann. Also
bitte, nach dieser langen Zeit rauchender Schlote und Industrieabfallverklappung direkt ins Meer ist
es doch unmöglich ein Hightech-Zeitalter nicht willkommen zu heissen, das mit Grünem aus allen
Poren nur so um sich schmeisst! Wieso den ForscherInnen kein Vertrauen schenken, die das
versprechen, was wir für unmöglich hielten und in ihren Labors anscheinend den Heiligen Gral des
ewigen Lebens und nachhaltigen Wohlstands entdeckt haben? Das ist ihre Botschaft, die sowohl
von den Wirtschaftslobbys als auch von den Umweltlobbys lanciert wird, in peinlichem Einklang,
der wie eine Gehirnwäsche daherkommt. Und trotzdem stellt sich die Frage, in diesem Alltag, wo
wir unser Leben in einem Zement- und Asphaltlabyrinth fristen, wo unsere Hände mehr Tasten und
Bildschirme als andere Hände und Körper berühren und streicheln und unser Geist eher in der
Eventualität als in der unmittelbaren Wirklichkeit anwesend ist: von welchem Leben ist den die
Rede? Was sind denn in diesem Begriff vom ewigen Leben die 50’000 nicht menschlichen Spezies,
die wegen diesem „Fortschritt“ alljährlich ausgerottet werden? Und was heisst eigentlich
Wohlstand? Die Haufen „Konsumgüter“, die sich in Supermärkten und Konsummeilen der Städte
türmen und dazu bestimmt sind Abfall zu werden? Oder etwa die Lebenserwartung, die wir dadurch
fast verdoppelt haben, indem wir jene „Andere“ halbiert haben, die weit weg von uns wohnenden,
von uns ausgebeuteten SubproletarierInnen, der Unzivilisierten, die wir kolonisiert haben oder der
von uns gezüchteten und misshandelten Tieren? Ist es diese Sklaverei- und Abfallgesellschaft, die
wir nachhaltig und auf ewig reproduzierbar machen wollen? Denn der schädliche Charakter dieser
technoindustriellen Gesellschaft liegt nicht nur im Schaden, den sie der menschlichen Gesundheit
und der als touristische Ausstattung betrachteten Umwelt zufügt, ein Schaden, den sie im Rahmen
von Grenzwerten und jährlich zugelassenen Dosismengen zu halten versuchen. Ganz im Gegenteil
sind Klimawandel, Feinstaub, Bodenradioaktivität und die Folgen für unsere Gesundheit bloss die
offensichtlichsten Auswirkungen und Anzeichen der vom Metropolenleben, den verbreiteten
Metropolen, den Infrastrukturen der Industrieproduktion und des Massenkonsumismus dargestellten
Schädlichkeit. Die Schädlichkeit ist dieses Industriesystem selbst, das Autonomie und
Selbstbestimmung raubt, um alle und alles der Produktion von Dienstleistungen und Schrott zu
unterwerfen. Die Anzeichen einer Krankheit mit der eigentlichen Krankheit zu verwechseln bringt
nichts, führt zu keinen Lösungen. Folglich heisst die Weiterführung des Kampfes gegen die Folgen
des industriellen Systems, anstatt Kampf gegen das Industriesystem an sich bloss, dass die weitere
Zerstörung von Gebieten und Ökosystemen von Gemeinschaften und Spezies zugelassen wird, und
das einem geringen Prozentsatz aller BewohnerInnen dieses Planeten weiter zu ermöglichen an
ihrem eigenen Überfluss zu sterben. Die Forderungen nach einer ökosolidarischen oder
nachhaltigen Wirtschaft, anstatt der aktuellen neoliberalen, führt auch nicht viel weiter; das Lebende
wird weiter reifiziert und das Existierende weiter kommerzialisiert und der Marktwirtschaft zum
Fressen vorgeworfen, die Richtung wird dieselbe bleiben, nämlich schnurstracks in den sozialen
und ökologischen Kollaps hinein. Und wenn der gesellschaftliche Zusammenbruch an diesem Punkt
schon fast als Hoffnung betrachtet werden kann, um von Null an neu aufzubrechen, um uns der
Fäulnis der Institutionen und der solchen benötigtenden Mentalität zu entledigen, damit wir die
aufrichtige und spontane Solidarität unter Individuen endlich entwickeln, so können wir uns
keinesfalls den ökologischen Kollaps leisten. Entgegen allem Geschwätz der Pfaffen oder
TranshumanistInnen, unser Schicksal ist und bleibt das Schicksal der Erde.
Längs der gesamten Geschichte strebten die Männer und Frauen aller Zeiten nach einem
freien, selbstständigen und selbstbstimmten Leben. Ein Streben, das immer gegen Mächte
(Herrschaften und Regierungen, wirtschaftliche und politische Mächte) prallte, die hingegen immer
das Ziel hatten, die Kontrolle, den Besitz und den Missbrauch über das Leben anderer an sich zu
reissen. Die uns aus den Büchern bekannte Geschichte kann als chronologische Entwicklung dieser
Machtgier betrachtet werden, die von den antiken Zivilisation bis heute sich immer stärker
verbreitet, strukturiert, verfeinert und konzentriert hat. Paradox ist, dass im Zeitalter, das sich wie
noch nie mit der Etikette Freiheit voll klebt, diese Beherrschung die Möglichkeit hat den Kreis zu
schliessen, total zu werden, und das dank dem Beitrag von „Grössen“ der Wissenschaft, durch die
Kontrolle des unendlichen Kleinsten der Bausteine des Lebens möglich wurde: der Gene und der
Materie.
Leider ist jene Idee so verbreitet wie krankhaft, die den modernen Wissenschaften und den
von diesen stammenden Technologien eine neutrale und wesentlich positive Rolle in der
Geschichtsentwicklung zu spricht, während diese hingegen schon an sich TrägerInnen einer
Unterscheidung sind, als Ausdruck einer Kultur, die sich selbst ins Zentrum des Universums gestellt
hat, ihre Werte als überlegen und folglich allgemeingültig definiert hat, und die alles was „anders“
war zur Ressource zu ihren Diensten gemacht hat. Wissenschaft und Technologie als neutral zu
definieren ist nur schon angesichts ihres erdrückenden Beitrags, den sie zur Verbreitung und
Auferlegung unseres sozialen und wirtschaftlichen Modells auf beiden Halbkugeln geleistet hat,
gelinde gesagt naiv. Diese angebliche Neutralität ist eher eine gutmütige Fratze, die der
technoindustriellen Gesellschaft zum Heiligenschein einer natürlichen Evolution verhilft, um sie
uns besser als unausweichbar zu verkaufen. Bio- und Nanotech, die und die Medien und
Institutionen als vom Himmel geschenkte und gefallene Entwicklung-Manna zu verdealen
versuchen, die alle Probleme der Erde lösen und sie eilig retten wird, stellen ganz im Gegenteil für
das industrielle und technologische System die Chance dar, sich völlig neu zu definieren und seine
Herrschaft in der Chancenlosigkeit zu verankern , die wir alle haben werden um uns der
Abhängigkeit von seiner Produktion, seinen Infrastrukturen/Institutionen und seinen Technologien
zu entziehen.
Ein Beispiel mehr dieses modernen Jochs, der durch die Gewohnheit des Tragens unserer
Wahrnehmung entzogen wurde, liefern uns die jüngsten News über die steigenden Preise für
Nahrungsmittel als Bedrohung durch neue Hungersnot der Völker Asiens und Afrikas und nicht nur.
Preisanstieg als einen der Funken, welche die Revolten ausgelöst haben und nicht aufhören den
Flächenbrand in den arabischen Ländern zu nähren… Wie immer sind die
WirtschaftswissenschaftlerInnen mit prompten Rechtfertigungen zur Stelle, die ihren
wirtschaftlichen Gesetzmässigkeiten wie immer so schön entsprechen, mit denen sie seit
Jahrhunderten versuchen für die erpresserischen Sklaverei des Kapitals einen natürlichen Ursprung
herbeizureden. Sie geben der Dürre in China, dem zu vielen Regen in Indien, den
Überschwemmungen in Australien oder den Flächenbränden in Russland die Schuld. Manche
geben auch „Spekulation“ auf den Warenmärkten zu, als wäre das verwunderlich und zum
Kopfschütteln… Für sie, die Regierungen, die Welt der Wissenschaft und Wirtschaft ist,
selbstverständlich, wieder einmal die Natur für die x-te aufkommende Nahrungsmittelkrise die
Schuld, diese ach so unvollkommene und irrationale Natur und niemals der Kapitalismus, der den
Gemeinschaften die Ernährungssouveränität geraubt, und die Böden, Wälder, Gewässer und auch
das Leben von Milliarden von Unterdrückten der Plünderung durch Regierungen und Industrie
ausgeliefert hat. Ihre Lösung wird die ewig gleiche sein, Kampf(?) dem Hunger auf der Welt durch
Erhöhung der Produktion, ihre Rationalisierung und Technologiesierung … und eine weiter
Ausbreitung des Industriesystems, dieses Parasiten, der uns die gesellschaftliche und ökologische
Verheerung gebracht hat und mit dem wir zusammenleben müssen. Ähnlicherweise in Europa, wo
Regierungen und Agrobusiness immer mehr Druck aufsetzen, sich mit wissenschaftlichen
Grundlagen stark machen die ihnen nicht widersprechen, um die endgültige Vermarktung der GVO
durchzusetzen. Ein institutioneller aber auch sehr praktischer Druck durch „zufällige“
Kontaminierungen mit GVO-Samen plus des Werks der Medien und Lobbys um uns die
Hightechzukunft wünschenswert zu machen. Was ein klarer Wink mit dem Zaunpfahl ist ja bequem
im Sofa zu bleiben und resigniert zu warten bis der Vorhang aufgeht.
Bio- und Nanotech und die Entwicklung des Nuklearen nisten in unserem Alltag eine
Schädlichkeit ein, deren Tragweite sowohl der Verbreitung als auch der Bedrohung in der
Geschichte neu ist. Angesichts der Ökosysteme über und unter dem Wasser und ihres krassen
Zustandes bleiben wahrlich keine Ausflüchte mehr übrig um abzuwarten, dass „jemand“ etwas
unternimmt oder das Bewusstsein der Menschen endlich erwacht.
Dieser Hungerstreik ist um sich einmal mehr drinnen als KomplizInnen der Kämpfe draussen zu
fühlen. Um der Resignation einen Tritt zu verpassen. Denen drinnen wie draussen ein Lächeln, die
uns von Angesicht zu Angesicht sehen möchten. Euch draussen eine feste Umarmung, auch den
verhafteten Genossen von Bologna, den Schlaflosen CastorblockiererInnen in der ValSusa und allen
überall, die weiter nicht weichen.
Für Tier- und Erdbefreiung!
Billy, aus dem Knast des sozialen Friedens, der 29. April 2011