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BERICHT/335: Rote Hilfe – gezügelt, bedroht, gefährdet … (SB)

Damit bestätigt sich, was wir von Anfang an wussten: Dieser Artikel war entweder eine dreiste Falschbehauptung ohne Recherchegrundlage oder ein böswilliger Versuch, angebliche Verbotsgründe herbeizuschreiben. Beides wäre nicht schmeichelhaft für ein Medium, das mit der Verbreitung von „Fakten“ für sich wirbt. Der Focus hat nicht einmal versucht, die Meldung zu verteidigen.

Bundesvorstand der Roten Hilfe [1]Am 30. November 2018 hatte Focus online berichtet, daß der Bundesinnenminister ein Verbot der Roten Hilfe e.V. plane. Autor des Beitrags „Seehofer will linksradikalen Verein verbieten“ war Josef Hufelschulte, der in der Vergangenheit auf höchster Ebene mit dem BND zusammengearbeitet hat, wie in einem Untersuchungsausschuß des Bundestags 2006 publik wurde. Er behauptete in dem Artikel, als Gegenleistung zur juristischen und finanziellen Unterstützung dürften „die Delinquenten keine Aussagen bei der Polizei machen und müssen sich verpflichten, auch nach verbüßter Strafhaft den ‚revolutionären Straßenkampf‘ fortzusetzen.“ Der Bundesvorstand der Roten Hilfe erwirkte dagegen eine einstweilige Verfügung, die nach Ablauf der Widerspruchsfrist rechtsgültig wurde. Die entsprechende Passage wurde kommentarlos aus dem Artikel entfernt.
Anfang 2018 hatte das Bremer Oberverwaltungsgericht erklärt, daß die Rote Hilfe im Verfassungsschutzbericht der Hansestadt nicht als „gewaltorientiert“ bezeichnet werden dürfe, solange die Innenbehörde „keine tatsächlichen Anhaltspunkte“ dafür vorlegen könne. Online mußte das Wort daraufhin gelöscht werden, der gedruckte Bericht durfte so nicht weiter ausgegeben werden. Das hielt den CDU-Obmann im Bundestagsinnenausschuß, Armin Schuster, jedoch nicht davon ab, Mitte April 2018 ein hartes Vorgehen gegen die Rote Hilfe zu fordern: „Bei aller notwendigen Konzentration auf extremistische Tendenzen innerhalb der AfD dürfen wir den linken Rand nicht vergessen. Ich hoffe, dass das Bundesinnenministerium angesichts der massiv rechtsstaatsfeindlichen Aktivitäten der Roten Hilfe ein Vereinsverbot prüft.“ Das Innenministerium erklärte auf Anfrage, daß man sich zu „etwaigen Verbotsüberlegungen“ generell nicht äußere. [2]Daß im Zuge verschärfter Repression auch jene Organisationen und Medien angegriffen werden, die sich dem Widerstand gegen die Übergriffe verschrieben haben und Betroffene unterstützen, liegt auf der Linie einer Staatsräson, die das Aufbegehren gegen die schubweise Etablierung eines nichterklärten Ausnahmezustands aktuell und präventiv einzuschüchtern, abzustrafen und auszuschalten trachtet. So wurde in mehreren Landtagen und sogar bei einer Debatte im Bundestag versucht, mit faktenfreien Unterstellungen gegen die Rote Hilfe e.V. Stimmung zu machen. Die Plattform indymedia.linksunten wurde kurz nach dem G20-Gipfel in Hamburg verboten, selbst Attac die Gemeinnützigkeit aberkannt. Stellt man diese Angriffe auf verschiedenen Ebenen in einen Zusammenhang, zeichnet sich das Gesamtbild einer von langer Hand geplanten Strategie der Bedrohung und Verunsicherung ab, die einem Verbot den Boden bereiten soll.
Um dem entgegenzutreten, bedarf es einer substantiellen Solidarität mit der Roten Hilfe, die eine zentrale Aufgabe linker Antirepressionsarbeit wahrnimmt. Würde die Rote Hilfe als eine parteiunabhängige, strömungsübergreifende Organisation verboten, käme dies einer Kriegserklärung an jeglichen linken Aktivismus gleich, gäbe es in diesem Land letztendlich keinen Platz mehr für linke Politik.
Jour Fixe 173 – Lange Tradition der Roten Hilfe
Beim 173. Jour Fixe der Hamburger Gewerkschaftslinken am 6. März im Curiohaus waren Katrin und Florian von der Roten Hilfe Hamburg zu Gast. Sie gaben einen aufschlußreichen Einblick in die Geschichte und Tradition ihrer Organisation, legten deren heutige Bedeutung, Zielsetzung, Struktur und Arbeitsweise dar, worauf reichlich Raum für eine intensive Diskussion über offene Fragen und insbesondere den Umgang mit der Verbotsgefahr blieb.
Wie die beiden ausführten, zählt die Rote Hilfe zu jenen Organisationen, die sich im Umfeld der Arbeiterbewegung gegründet haben, um Solidarität zu organisieren, denn mit Repression war die Bewegung seit jeher konfrontiert. Den 18. März rief sie bereits in den 1920er Jahren als Tag der politischen Gefangenen aus. Er erinnert an den 18. März 1871, an dem die Pariser Kommune militärisch zerschlagen wurde. Vorläuferorganisationen der Roten Hilfe gründeten sich 1919/1920 an verschiedenen Orten. So bildete sich nach der Niederschlagung der Räterepublik in München eine Gruppe proletarischer Frauen, die für die Hinterbliebenen Sorge trug. Initiiert von der KPD wurde 1922 erstmals eine Vereinigung verschiedener Gruppen im Deutschen Reich angestrebt. Die Rote Hilfe war anfangs stark an die KPD angelehnt, was dazu führte, daß sie von deren Verbot 1923 ebenfalls betroffen war, weil sie als Vorfeldorganisation der Partei angesehen wurde. Die Kommunistische Internationale hatte 1922 beschlossen, als politisches Äquivalent zum Roten Kreuz eine Organisation zur Unterstützung von Genossinnen und Genossen zu schaffen, die aufgrund ihrer politischen Betätigung Repression erleiden mußten. In diesem Rahmen wurde dann 1924 auch die Rote Hilfe Deutschland als eine Art Sektion neu gegründet.
Wo immer seinerzeit Kommunistische Parteien aktiv waren, war auch eine Rote Hilfe präsent, die in einem Netzwerk Solidaritätskampagnen wie etwa jene für Sacco und Vanzetti organisierte. In der Weimarer Zeit war sie die größte proletarische Massenorganisation. Die KPD hatte in ihrer Hochzeit um 1920 rund 350.000 Mitglieder, die Rote Hilfe zählte noch 1933 rund 530.000 Mitglieder. Angelehnt an die KPD, verkörperte sie doch deren Anspruch, als überparteiliche Organisation auch Genossinnen und Genossen zu unterstützen, die eine andere Linie vertraten. Das galt für den Rotfrontkämpferbund, die SAP, die KAP, Sozialdemokraten, Parteilose oder Arbeitslose. Damals konnte auf einem wesentlich höheren Niveau als heute Hilfe organisiert werden, was aber auch notwendig war, weil eine Verhaftung für viele Betroffene menschliches und wirtschaftliches Elend bis zum Ruin bedeutete. Die Rote Hilfe leistete nicht nur Öffentlichkeitsarbeit und besorgte Anwälte, sondern unterstützte in hohem Maße Familien, zahlte Mieten, sammelte Lebensmittelspenden und erbrachte weitere tätige Hilfe. Sie kümmerte sich um die Kinder, wenn die Eltern im Gefängnis saßen, und brachte sie für einige Zeit aufs Land, wo das möglich war. So stellte Heinrich Vogeler sein Haus in Worpswede zur Verfügung, um proletarischen Kindern eine Auszeit aus ihrem bedrängten Alltag zu ermöglichen.
Die Rote Hilfe betrieb eine aktive Frauenpolitik und erachtete für wichtig, daß Frauen möglichst gleichberechtigt beteiligt sein sollten. In den Leitungsstrukturen tat sich allerdings eine Kluft zwischen Theorie und Praxis auf, doch unter den Mitgliedern hatte sie im Vergleich zu anderen Organisationen jener Zeit einen sehr hohen Frauenanteil, wenngleich dieser nie 50 Prozent übertraf. Frauen transportierten in Zeiten des Verbots Flugblätter im Kinderwagen, umgekehrt gab es auch Nähstuben, in denen mehr Männer als Frauen arbeiteten. Eine aktive Kinder- und Jugendarbeit trug maßgeblich zur hohen Mitgliederzahl bei. Im ganzen Reich wurden Orts- und Stadtteilgruppen aufgebaut, die flächendeckend eine intensive Arbeit möglich machten.
Aus dem ersten Verbot von 1923 wurden verschiedene Schlüsse gezogen. Zum einen hielt man es für sinnvoll, parteiübergreifend zu arbeiten, was einen gewissen Schutz mit sich bringen würde. Auf diese Weise konnten eine gute Vorfeldarbeit geleistet und zahlreiche prominente Unterstützerinnen und Unterstützer gefunden werden. Der erste Vorsitzende der Roten Hilfe war 1924 Wilhelm Pieck, der spätere Präsident der DDR. 1925 löste ihn Clara Zetkin ab, die Vorsitzende der deutschen Sektion und zugleich der Internationalen Roten Hilfe wurde. Angesichts diverser Verbotsdrohungen gab es Solidaritätskomitees, denen Prominente wie Kurt Tucholski, Albert Einstein, Heinrich Zille, Käthe Kollwitz und viele andere links der Mitte in der Weimarer Republik angehörten. Dies bot bis 1933 einen gewissen Schutz.
Als Ende der 30er Jahre aufgrund der politischen Entwicklung die Komintern aufgelöst wurde, kam auch die Internationale Rote Hilfe zum Erliegen. In Deutschland wurde die Rote Hilfe 1933 zum zweiten Mal verboten, worauf sie im Untergrund weiterarbeitete und beispielsweise Flugblattaktionen durchführte. Nachdem die Reichsführung mehrfach zerschlagen und wieder neu aufgebaut worden war, wurde die Arbeit dezentral vor Ort organisiert, wo die Genossinnen und Genossen einander kannten und oftmals ohne Rückmeldung an zentrale Strukturen tätig waren. Einzelne arbeiteten weiter, so gut es ihnen möglich war. Im Zuge des Volksfrontkonzepts gab es Versuche, ins Winterhilfswerk der Nationalsozialisten zu gehen und aus diesem heraus Proletarierfamilien zu unterstützen. Bis 1940 finden sich noch vereinzelte Dokumente über die Arbeit der Roten Hilfe, die massiv verfolgt wurde. In Protokollen der Gestapo wird ihr ein erstaunlicher Organisierungsgrad und Widerstandsgeist attestiert.
Wiederbelebung in der Bundesrepublik
In der Bundesrepublik dauerte es lange, bis die Rote Hilfe wieder in Erscheinung trat. Erst als Ende der 60er Jahre angesichts weltweiter Befreiungskämpfe eine neue Bewegung entstand und staatliche Repression einsetzte, wurde sie neu gegründet. Im Juni 1967 wurde Benno Ohnesorg bei einer Demonstration gegen den Schah erschossen, nach dem Attentat auf Rudi Dutschke im April 1968 kam es immer häufiger zu massenhaften Demonstrationen in Westdeutschland und Westberlin. Damit gingen Festnahmen von Menschen einher, die zu Hunderten wegen Landfriedensbruchs angeklagt wurden. Angesichts der Repressionswelle zeichnete sich die Notwendigkeit ab, die Rechtshilfe zu organisieren. Es gründeten sich verschiedene Rechtshilfegruppen, die häufig an den Asta einer Universität oder den SDS angelehnt waren und oftmals republikanische Hilfe hießen. Das waren die Vorläufer dessen, was dann zum Jahreswechsel 1969/70 zunächst in Westberlin als Rote Hilfe wiedergegründet wurde. Dabei kamen Leute aus unterschiedlichen Organisationen und verschiedenen Parteien zusammen, die sich den Namen zu eigen machten.
In den 70er Jahren wurde sehr bald entlang ideologischer Grenzen diskutiert und heftig gestritten. Auch in der Roten Hilfe wurden solche Grabenkämpfe ausgetragen. Schon 1970 kam es in Berlin zur ersten Spaltung, worauf es einerseits die Rote Hilfe mit dem Sternchen und andererseits das Rote Hilfe Komitee gab. Es folgten Neugründungen in mehreren Städten wie München, Köln, Hamburg, Frankfurt, Fulda, Gießen, Nürnberg, Karlsruhe und Stuttgart. In Hamburg wurde die Rote Hilfe im April 1972 in den Räumen der Evangelischen Studentengemeinde gegründet. Es war ein bunter Haufen aus verschiedenen kommunistischen, aber auch antiimperialistisch orientierten Gruppen aus dem Hamburger Aktionszentrum. Im Mai 1972 verließ der KB die Organisation und gründete eine eigene Struktur. Die Rote-Hilfe-Gruppen, die Anfang der 70er Jahre in verschiedenen deutschen Städten geschaffen wurden, gründeten sich noch nicht als bundesweiter Zusammenhang oder als gemeinsamer Verein. Sie nahmen auf lokaler Ebene, aber in einem ähnlichen Kontext ihre Arbeit auf. Sie setzten sich mit Fragen von Demonstrationsrepression auseinander, sammelten Geld, unterstützten Leute finanziell, die vor Gericht standen, damit diese einen Rechtsbeistand der eigenen Wahl bekamen. Die Verhaftung von Menschen in bewaffneten Gruppen verschärfte auch die Auseinandersetzung um Repression und Gefangene, Isolationshaft, tote Trakte und Kontaktsperren. Die Rote Hilfe versuchte, die Kommunikationssperre zu durchbrechen und Kontakt zu den Gefangenen zu halten, sie in der Prozeßvorbereitung zu unterstützen und mit den Anwälten zusammenzuarbeiten.
Diese Orientierung auf politische Gefangene, wie sie bis heute praktiziert wird, war damals nicht unumstritten. Es gründeten sich weitere Gruppen wie die Schwarze Hilfe, die ihren Fokus auf Freiheit für alle Gefangenen richtete. In diesem Konglomerat von verschiedenen Hilfsorganisationen mit unterschiedlicher politischer Ausrichtung tauchte 1973 die Rote Hilfe e.V. auf, eine Gründung der KPD/AO, die gewissermaßen als Konkurrenzorganisation zu den bestehenden Roten Hilfen eine eigene, straffer organisierte Gruppe mit zentraler Struktur anstrebte. Diese Rote Hilfe löste sich 1979 auf. Auch die KPD/ML gründete eine eigene Rote Hilfe. 1974 gab es in Bochum einen großen Kongreß zur Sowjetunion, auf dem es gewaltig knallte. Die ML-nahen Rote-Hilfe-Gruppen wurden aus dem Kongreß ausgeschlossen und gründeten am 26. Januar 1975 die Rote Hilfe Deutschland, die sich in der Tradition der 1924 gegründeten Roten Hilfe sah. Sie war der KPD/ML angegliedert, die dann aber doch nicht wie erhofft zur Massenpartei wurde.
Letztlich führte die Entwicklung dazu, daß Anfang der 80er Jahre eine Neuorientierung und Umorganisierung anstand. Die Zahl der Aktiven wurde geringer, weil viele, die sich in der Roten Hilfe engagiert hatten, inzwischen im antifaschistischen, demokratischen Bereich neue Betätigungsfelder gefunden hatten. Es gab jedoch auch neue soziale Bewegungen und Repression gegen sie, wie insbesondere die Anti-Akw-Bewegung. Indem der Kontakt mit solchen Bewegungen verbessert wurde, änderte sich auch die Zusammensetzung der Roten Hilfe, nachdem diese Mitte der 80er Jahre mit nur noch 600 Mitgliedern bundesweit am Tiefpunkt angelangt war. Ende der 80er Jahre begann die Mitgliederzahl wieder zu wachsen, und es kamen ganz neue Leute dazu – zum einen aus dem autonomen Antifabereich wie dem Hausbesetzungsmilieu, zum anderen aus der Anti-Akw-Bewegung. Es gab Auseinandersetzungen um innenpolitische Gesetzesverschärfungen, die die Rote Hilfe stark machten, weil sie eine entsprechende Expertise aufgebaut hatte. Angesichts der steigenden Mitgliederzahl war es schließlich erforderlich, die Organisation umzustrukturieren.
Neuausrichtung als strömungsübergreifende Organisation
Ende der 80er Jahre wurde eine Satzungskommission eingesetzt, die einen komplett neuen Entwurf schrieb und zur Debatte stellte. Dieser wurde 1992 auf der Bundesmitgliederversammlung beschlossen und bildet die Grundlage der noch heute gültigen Satzung. Darin enthalten waren die Abkehr von der Bundesmitgliederversammlung hin zu einer Delegiertenversammlung, die Struktur der Ortsgruppen und die Rechte der einzelnen Mitglieder. Nach heftiger Kontroverse setzte sich die Fraktion durch, welche die Rote Hilfe als eine Schutz- und Solidaritätsorganisation sah, die sich um Antirepression kümmert, nicht aber um die Position zu China, Albanien und der Weltrevolution. Sie trifft also keine allgemeinpolitischen Aussagen, sondern verengt ihren Fokus auf die Frage von Repression. Aus heutiger Sicht hat genau das die Rote Hilfe wachsen lassen und stark gemacht. Als Herzstück der Satzung wurde Paragraph 2 verändert, der zum Inhalt hat, was die Rote Hilfe ausmacht:
Die Rote Hilfe e.V ist eine parteiunabhängige, strömungsübergreifende linke Unterstützungs- und Solidaritätsorganisation. Die Rote Hilfe unterstützt nach ihren Möglichkeiten die Solidarität für alle unabhängig von Parteizugehörigkeit und Weltanschauung, die in der BRD aufgrund ihrer politischen Betätigung verfolgt werden. Politische Betätigung in diesem Sinne ist zum Beispiel das Eintreten für die Ziele der ArbeiterInnenbewegung, die internationale Solidarität, der antifaschistische, antisexistische, antirassistische, demokratische oder gewerkschaftliche Kampf sowie der Kampf gegen Antisemitismus, Militarismus und Krieg. Unsere Unterstützung gilt denjenigen, die deswegen ihren Arbeitsplatz verlieren, Berufsverbote erhalten, vor Gericht gestellt oder zu Geld- und Gefängnisstrafen verurteilt werden oder sonstige Nachteile erleiden. Darüberhinaus gilt die Solidarität der Roten Hilfe den von der Reaktion Verfolgten in allen Ländern der Erde.
Im Jahr 1990 hatte die Rote Hilfe bundesweit 900 Mitglieder, 1995 bereits 1500 und 2006 stieg die Zahl auf 4300 Mitglieder. Inzwischen sind es mehr als 10.200 Mitglieder, womit sie die größte linke Organisation in diesem Land sein dürfte. Sie ist in den zurückliegenden Jahren kontinuierlich gewachsen und je größer die Organisation wird, desto bekannter wird sie, desto größer wird aber auch die Zahl der Anträge auf Unterstützung, desto höher ist die Unterstützung, die sie leisten kann.
Heute gibt es nur noch in Deutschland eine Rote Hilfe sowie Gruppen in Belgien und der Schweiz, die sich als Teile der Internationalen Roten Hilfe verstehen und mit der deutschen Organisation kooperieren. In der Schweiz wird sie in erster Linie vom Revolutionären Aufbau getragen. Es gibt jedoch viele andere Rechtshilfeorganisationen wie zum Beispiel Anarchist Black Cross, das europaweit aktiv ist und mit dem die Rote Hilfe teilweise kooperiert. Mit den Ermittlungsausschüssen arbeiten die meisten Rote-Hilfe-Gruppen recht eng zusammen, wobei es teils auch personelle Überschneidungen gibt. Zu nennen sind auch Amnesty International, verschiedene Hilfsfonds der Anti-Atom-Bewegung wie auch aktive Strukturen in anderen Zusammenhängen. Out of Action ist eine Gruppe, die sich um psychische Belastungen durch Gewalterfahrungen und Repression kümmern. Es gibt aber auch Richtungen wie die sogenannte Kreative Antirepression, mit denen die Rote Hilfe nicht zusammenarbeitet. In vielen anderen Ländern bestehen vor allem Strukturen auf lokaler Ebene, die Rote Hilfe hat keine landesweite Schwesterorganisation in anderen europäischen Staaten. Das ist noch ein Projekt der Zukunft.
Struktur und Arbeitsweise vor Ort und bundesweit
Die Rote Hilfe hat aktuell über 50 Orts- und Regionalgruppen, es gibt also kaum ein Fleckchen in Deutschland, wo sie nicht aktiv ist. Sie hat in Göttingen ihre Geschäftsstelle mit vier Festangestellten in Teilzeit, um die Mitgliederverwaltung zu gewährleisten, alles andere wird ehrenamtlich bewältigt. Viermal jährlich gibt sie eine in eigener Redaktion erstellte Zeitung heraus, eine Extraredaktion sorgt für die jährliche Sonderbeilage, die der jungen Welt wie auch einer ganzen Reihe anderer Zeitungen beigefügt wird. Ein Literaturvertrieb in Kiel ergänzt das informative Angebot. Dank der Beitragszahlungen und Spenden können sehr viele Menschen unterstützt werden, pro Jahr werden etwa 200.000 Euro an finanziellen Leistungen aufgewendet, worin noch nicht die Unterstützung bestimmter Kampagnen enthalten ist. Es geht um die anteilige Übernahme von Anwaltskosten, von Geldstrafen, Fahrtkosten zum Prozeß oder auch mal eine Mietzahlung. Normalerweise werden 50 Prozent der anfallenden Kosten übernommen, in bestimmten Fällen 100 Prozent, manchmal auch weniger.
Alle zwei Jahre findet eine Bundesdelegiertenversammlung statt, für die die Ortsgruppen nach einem bestimmten Schlüssel ihre Delegierten nominieren. Auf der Versammlung werden Beschlüsse zur Arbeit der Roten Hilfe diskutiert und gefaßt, an die alle Ortsgruppen und Mitglieder gebunden sind. Was die Gruppe vor Ort mit welchen Schwerpunkten macht, entscheidet sie jedoch selber. Auf der Bundesdelegiertenversammlung wird ein Bundesvorstand gewählt, der für zwei Jahre die Organisation vertritt und schlußendlich über die finanzielle Unterstützung entscheidet. Die Ortsgruppen sind insofern eingebunden, als Anträge auf finanzielle Unterstützung über sie laufen. Wer diese in Anspruch nehmen will, wird vor Ort beraten, worauf man gemeinsam einen Antrag vorbereitet, der samt einem Votum beim Bundesvorstand eingereicht wird. Das Geld wird also zentral verwaltet, doch hat jede Ortsgruppe ein eigenes Budget. Die Rote Hilfe Hamburg verfügt mit ihren rund 1000 Mitgliedern über ein größeres Finanzvolumen als kleinere Ortsgruppen. Braucht eine Ortsgruppe mehr Geld, als sie zur Verfügung hat, schreibt sie den Bundesvorstand an.
Die Rote Hilfe versteht es als ihre wichtigste Aufgabe, den Linken, die politisch aktiv sind und Repression erleiden, den Rücken freizuhalten. Das kann sie nur, weil sie eine große Organisation ist und über die Jahre und Jahrzehnte ein gewisses Know how erarbeitet hat. Sie geht transparent mit Geldern um und hat Kriterien erarbeitet, nach denen Einzelne unterstützt werden können. Neben dieser finanziellen Unterstützung führt sie Informationsveranstaltungen durch, bei denen die Rote Hilfe selbst wie natürlich auch Repression und Gesetzesverschärfungen thematisiert werden. Sie berät Menschen dabei, worauf sie zu achten haben, wenn sie auf Demonstrationen gehen, welche rechtlichen Schwierigkeiten ihnen ins Haus stehen können. Sie führt Kampagnen in verschiedenen Feldern durch, um Genossinnen und Genossen zu unterstützen. Die Rote Hilfe hat sich in den 90er Jahren gegen das PKK-Verbot engagiert, für die Aufklärung rassistischer Morde eingesetzt, sie ruft zum 18. März, dem Aktionstag für die politischen Gefangenen, auf, zu dem bundesweit Veranstaltungen und Demonstrationen organisiert werden und eine Zeitung erscheint. Der G20-Gipfel beschäftigt insbesondere die Organisation bis heute, nach wie vor sitzen Leute im Knast, es laufen zahlreiche weitere Verfahren, es gab viele Hausdurchsuchungen und die Öffentlichkeitsfahndungen, bei denen sämtliche informationellen Selbstbestimmungsrechte mit Füßen getreten werden. All das ist das täglich Brot der Roten Hilfe.
Maßgebliche Kriterien der Unterstützung
Im Unterschied etwa zu Amnesty International, das nur für Menschen eintritt, die nicht gewaltsam für ihre Interessen kämpfen, maßt sich die Rote Hilfe nicht an, Aktionsformen zu beurteilen oder zu verurteilen. Sie hat sich durch ihre Satzung einen Rahmen geschaffen, der festlegt, was für sie politischer Kampf in ihrem Sinne ist. Zu ihren Kriterien gehört, daß niemand bei Polizei und Staatsanwaltschaft Aussagen machen soll, welche die Verfolgung erleichtern und insbesondere Genossinnen und Genossen belasten. Davon abgesehen fragt niemand, wo jemand herkommt. Kann man von einer linken politischen Aktivität ausgehen, die mit Repression überzogen wird, sind das die relevanten Kriterien.
Natürlich gibt es oftmals Gründe, sich nicht politisch zu verteidigen, sondern auszusagen oder von vornherein einen Strafbefehl zu bezahlen. Die Rote Hilfe leistet jedoch nur dann finanzielle Unterstützung, wenn sich Angeklagte im Verfahren politisch verhalten. Dabei wird niemand persönlich wegen einer anderslautenden Entscheidung verurteilt, nur werden die Kosten eben in einem solchen Fall nicht mitgetragen. Die Rote Hilfe sieht es als ihre Aufgabe an, denjenigen den Rücken zu stärken, die ihre politische Aktion nicht verraten. Sie versteht sich als politische Organisation und nicht als Rechtsschutzversicherung.
Bei der Verfolgung der RZ haben einige Leute erst einmal Einlassungen gemacht, die sie persönlich betrafen. Nach G20 bekamen junge Elbchaussee-Demonstrierende Haftverschonung, nachdem sie auf Anraten ihrer Anwälte Einlassungen gemacht hatten. Sollte die Rote Hilfe angesichts der besonderen Umstände und der andernfalls drohenden schärferen Sanktionen nicht auch in solchen Fällen Solidarität üben? Katrin und Florian erläuterten dazu die Position der Roten Hilfe, die ein Resultat intensiver und kontroverser Diskussionen sei. Zum einen müsse man den Umgang miteinander berücksichtigen. Diskutiert man die Strategie im Vorfeld oder präsentiert man lediglich hinterher die Rechnung? Natürlich prüfe man jeden Einzelfall und bewerte unterschiedlich, ob ein 16jähriger erstmals vor einer solchen Situation steht oder ein langjähriger Aktivist wissen sollte, was er da tut. Als Organisation benötige man jedoch Kriterien, um nicht heute so und morgen ganz anders zu entscheiden.
Man kann in einem Verfahren politisch erklären, warum es absolut notwendig ist, gegen Nazis oder den G20-Gipfel auf die Straße zu gehen, und das jede Form von Widerstand legitimiert. Macht man jedoch Einlassungen, in denen man sich für etwas entschuldigt und sich distanziert, setzt der erste, der das macht, den Präzendenzfall. Alle Nachfolgenden kommen nur dann mit einer relativ niedrigen Strafe heraus, wenn sie dasselbe tun. Wer zuerst abschwört, setzt das Exempel. Alle anderen müssen ebenfalls den Kniefall machen oder gehen in den Knast. Das habe man aus den Castor-Prozessen gelernt, in denen genau das durchexerziert wurde. Vielleicht funktioniert es im Elbchaussee-Verfahren, was die Anwälte machen, vielleicht aber auch nur für die vier, die jetzt angeklagt sind, aber für alle nachfolgenden eben nicht mehr, sofern sie nicht den gleichen Weg gehen.
Den Ansatz der Selbstverteidigung sieht die Rote Hilfe skeptisch, wenngleich diese im Einzelfall mitunter funktionieren könne. Obgleich es nicht darum gehe, den Staat und seine Repressionsorgane zu überhöhen, sitze man doch Leuten gegenüber, die ausgebildet sind, Verhöre zu führen, und das Interesse haben, die Angeklagten zu verurteilen. Man könne sich zwar in vieles einarbeiten, doch biete die Rote Hilfe erfahrene juristische Experten auf, die links orientiert und sogar bezahlbar sind.
Was die Gefangenengewerkschaft betrifft, hat die Rote Hilfe deren Gründung begrüßt und unterstützt ihre Zeitung Outbreak finanziell. Sie arbeitet in einzelnen Städten mit den Unterstützungskomitees zusammen, was nicht immer konfliktfrei verläuft, weil die Gefangenengewerkschaft keinen Unterschied hinsichtlich der politischen Einstellung ihrer Mitglieder macht und auch Nazis aufnehmen würde. Generell wird jedoch Solidarität mit diesem Organisationsansatz geübt.
Die Rote Hilfe hat Angeklagte im MG-Verfahren unterstützt, bei dem es um in Brand gesteckte Bundeswehrfahrzeuge ging. Dies wurde nicht als Vandalismus nach dem fünften Bier, sondern eine militante Aktion im Zusammenhang eines antimilitaristischen Engagements gewertet. Ferner gibt es nach ihrer Einschätzung keine verbotenen linken Symbole, von der sie sich inhaltlich distanzieren müßte. Daher steht sie auch zu den kurdischen Bewegungen, verbreitet deren Symbole und unterstützt den Rechtshilfeverein Azadi finanziell. Sie thematisiert das PKK-Verbot und fordert seine Aufhebung. Man müsse nicht alles gut finden, was die kurdischen Bewegungen machen, wehre sich aber dagegen, daß diese Menschen unterdrückt und ihre Symbole verboten werden. Die Unterstützung hänge nicht davon ab, daß jemand unverschuldet in die Strafverfolgung gerät. Nur weil etwas verboten ist, sei das kein Grund, sich davon zu distanzieren.
Die Rote Hilfe ist heute stärker als vor zehn Jahren, aber immer noch winzig im Vergleich zur Weimarer Zeit. Damals hatte sie Anwälte, die sie selbst bezahlte, heute ist das nicht möglich. Man kenne die Anwälte im Elbchaussee-Verfahren und arbeite mit ihnen zusammen, aber nicht widerspruchsfrei. In Hamburg gebe es glücklicherweise viele Anwälte, die sich für links halten, wobei ihr Verständnis nicht immer parallel zu ihrem juristischen Agieren verlaufe. An anderen Orten müsse man indessen größere Kompromisse eingehen. Früher unterstützte die Rote Hilfe keine Verwaltungsverfahren, da ihre beschränkten Finanzmittel andernfalls dadurch aufgebraucht worden wären. Darunter fallen natürlich auch Asylfragen, in denen eine Unterstützung sehr wünschenswert wäre. Vor einigen Jahren wurde daher per Bundesdelegiertenbeschluß die Möglichkeit eröffnet, daß Asylverfahren im Falle eines politischen Zusammenhangs unterstützt werden können.
Strategien angesichts der Verbotsdrohung
Ein Verbot der Roten Hilfe ist in der Vergangenheit bereits mehrfach gefordert worden, und ob es bereits vor der Tür steht, läßt sich schwer einschätzen. Sie versucht, sich noch breiter aufzustellen, was insofern gelungen ist, als sie seit November sehr viel Solidarität erfahren hat. Sie bekam Grußadressen aus aller Welt und binnen weniger Wochen so viele neue Mitglieder, wie sonst im Laufe eines Jahres. Das sei die maßgebliche Möglichkeit, mit Verbotsandrohungen umzugehen. Die strömungsübergreifende Ausrichtung bietet der Roten Hilfe einen gewissen Schutz, da sie auf diese Weise nicht das Anhängsel einer bestimmten politischen Gruppe ist. Sie hat Mitglieder aus der SPD oder den Grünen, die Jusos haben auf ihrem letzten Bundeskongreß beschlossen, daß sich die Partei gegen ein Verbot starkmacht. Die Organisation hat heute eine andere Größe und Öffentlichkeit als noch vor zehn Jahren, was es schwerer macht, sie zu verbieten.
Das Perfide am Entzug der Gemeinnützigkeit bei Attac ist die Furcht, die dieser Angriff auch bei Trägern der sozialen Arbeit erzeugt. Hamburg ist eine große Stadt, in der sich niemand darum kümmert, daß die Rote Hilfe im Centro Sociale zusammenkommt. An vielen kleineren Orten, wo sich die Leute in öffentlich geförderten Räumen treffen, sieht das ganz anders aus. Die Vermieter solcher Räume haben Angst, ihrerseits Probleme zu bekommen. Die Rote Hilfe hat nie Gemeinnützigkeit beantragt, weshalb sie ihr auch nicht genommen werden kann. Eine Möglichkeit, Druck auszuüben, ist das mediale Sperrfeuer, das man als Einschüchterungsversuch wahrnehmen kann. Die Verbotsdiskussion wird nicht nur auf juristischer, sondern auch auf politischer Ebene geführt. Große Organisationen wie Attac sind nicht so leicht angreifbar, was einerseits auch für die gewachsene Rote Hilfe gilt, die jedoch andererseits gerade deswegen relevanter für den Staat als eine kleine Organisation ist.
Man kann mit Blick auf den offenbar gezielten Warnschuß des Innenministeriums auf zwei Präzedenzfälle verweisen, nämlich indymedia.linksunten und die rechtsgerichtete Hilfsgemeinschaft nationaler Gefangener, die 2011 verboten wurde. Davor gab es 2009 bereits Verbotsdiskussionen, und das Verbot ist dann auch durchgegangen. Deshalb steht zu befürchten, daß eine vergleichbare Vorgehensweise gegen die Rote Hilfe in Stellung gebracht wird, um bei passender Gelegenheit zuzuschlagen. Das indymedia.linksunten-Verbot hatte eine erhebliche Wirkung, weil dort Diskussionen geführt wurden, die für Fragen linker Bewegung relevant waren. Kurz nach dem G20-Gipfel und unmittelbar vor dem Klimagipfel in Bonn wurde damit die öffentliche Diskussion gravierend beschnitten. Dabei handelte es sich um ein Medium, das außerhalb der linken Szene kaum bekannt, aber aus staatstragender Sicht dennoch brisant war. Die Rote Hilfe ist demgegenüber erheblich größer, hat eine breitgestreute Mitgliedschaft und ist auch mit juristischen Organisationen gut vernetzt. Ihr Verbot wäre folglich ein Frontalangriff auf die gesamte Linke.
Würde die Rote Hilfe verboten, stünde es schlecht um linke Politik in der Bundesrepublik. Die Angriffe zielen darauf ab, die Unterstützung der Menschen einzuschränken, die von Repression betroffen sind. Je stärker die Rote Hilfe wird, desto mehr rückt sie ins Visier des Innenministers. Daß sie heute relevanter denn je in der Bundesrepublik ist, verschärft daher ihre Gefährdungslage. Sich davon einschüchtern zu lassen, würde jedoch bedeuten, daß die Gegenseite ihr Ziel erreicht hat. Ob ein Vereinsverbot juristisch haltbar wäre, ist umstritten. Ein solches Verfahren könnte jedoch Jahre dauern, und unterdessen wäre die Rote Hilfe lahmgelegt. Daher geht es vor allem darum, bereits im Vorfeld eine Verbotsverfügung zu verhindern. Sollte es aber dennoch dazu kommen, wäre die angemessene Antwort, daß in den Städten Hunderttausende auf die Straße gehen und dagegen protestieren. Dann müßten andere die Arbeit weiterführen und Geld sammeln, um gegen das Verbot vorzugehen. Die Rote Hilfe ist so stark, wie die Linke insgesamt, für deren Schutz im Falle der Repression sie eintritt. Folglich sollte es ein unabweislichen Anliegen der Linken sein, umgekehrt auch die Rote Hilfe gegen alle Angriffe zu verteidigen. So ließe sich die Bilanz des Jour Fixe der Hamburger Gewerkschaftslinken mit der Roten Hilfe zusammenfassen, der von lebhafter Diskussion geprägt war und allseits als fruchtbare Begegnung wahrgenommen wurde.
Fußnoten:
[1] www.rote-hilfe.de/news/bundesvorstand/971-falschbehauptung-einstweilige-verfuegung-gegen-focus-rechtskraeftig
[2] www.welt.de/politik/deutschland/article175430458/Rote-Hilfe-Armin-Schuster-CDU-will-Vereinsverbot-pruefen-lassen.html

http://www.schattenblick.de/infopool/politik/report/prbe0335.html
13. März 2019