Berlin: 170 Beamte bei ZORA-Razzia wegen Palästina-Post im Einsatz – Spontanprotest angekündigt

Seit Mittwoch früh sind 170 Polizist:innen im Einsatz gegen die antikapitalistische Frauenorganisation Zora. Getroffen hat es auch ein linkes migrantisches Projekt und ein soziales Zentrum. Grund dafür soll laut Polizei ein „Flugblatt“ sein, welches auch als Post auf Instagram zu sehen ist. In diesem kritisiert die Organisation die Hamas und ruft zur „Stärkung“ „fortschrittlicher Kräfte wie z.B. der PFLP“ auf. Gegenüber Perspektive kritisiert sie die Razzien scharf. Für den Abend wird zu Spontanprotesten aufgerufen.
Seit 6 Uhr früh vollstrecken Mitarbeiter des polizeilichen Staatsschutzes und des Landeskriminalamt im Auftrag der Staatsanwaltschaft Hausdurchsuchungen in Berlin. Insgesamt wurden laut Polizeiangaben acht Objekte durchsucht. Darunter Wohnungen in Friedrichshain, Karlshorst, Kreuzberg, Neukölln und Prenzlauer Berg. Zudem seien zwei „Szeneobjekte“ in Neukölln und Wedding durchsucht worden. Dabei handelt es sich nach Perspektive-Informationen einerseits um das „Interbüro“ und andererseits um das „Karanfil“. Laut Polizei soll es sechs Beschuldigte geben. Darunter sind vier Frauen und ein Mann im Alter zwischen 18 und 23 Jahren, welche allesamt der der offenen jungen Frauenorganisation „Zora“ zugerechnet werden. Zudem gab es eine Hausdurchsuchung bei einem 67-jährigen der auf Facebook ein Logo der PFLP gepostet haben soll.

Hintergrund der Durchsuchungen sind Ermittlungsverfahren der Staatsanwaltschaft wegen der „Verwendung von Kennzeichen verfassungswidriger und terroristischer Organisationen“ (§86a StGb) – und zwar denen der Popular Front for Liberation of Palestine (PFLP). Bei der PFLP handelt es sich um eine 1967 gegründete links-nationalistische und säkulare Organisation, welche in den palästinensischen Gebieten aktiv ist. Derzeit ist sie auch an kämpfen gegen die israelische Armee beteiligt. Die PFLP steht zwar auf der „EU-Terror-Liste“ wird in Deutschland vom Inlandsgeheimdienst jedoch als „nicht terroristisch aktiv“ charakterisiert und ist hier auch nicht verboten.

„Fortschrittliche Kräfte stärken“
Nun wird der Organisation Zora dennoch Unterstützung der PFLP vorgeworfen, was in einem „Flugblatt“ geschehen sein soll, nach dem wohl auch bei den Razzien gesucht wurde, wie Perspektive erfuhr. Öffentlich einsehbar ist derweil nur ein Instagram-Post vom 12. Oktober auf den medial auch Bezug genommen wird, der auf den Accounts von „zora_berlin_“ und „zoradeutschland“ erscheint.

Auf einem Slide heißt es dabei: „Wir wissen, dass die Hamas kein Interesse daran hat, das Patriarchat zu zerschlagen. Gerade deshalb ist es so wichtig, die fortschrittlichen Kräfte, wie z.B. die PFLP, die auch Teil des palästinensischen Widerstands sind, zu stärken! Denn in Anbetracht der Tatsache, dass die palästinensischen Frauen unter dem Siedlerkolonialismus täglich immense physische und psychische Gewalt erleben, sehen wir, dass die nationale Befreiung Palästinas die Grundlage der Befreiung der palästinensischen Frauen ist.” Im Slide davor hatte die Organisation noch sexualisierte Gewalt von Seiten der israelischen Armee und der Hamas verurteilt.

Dieser Inhalt war offenbar für die Staatsanwaltschaft Grund genug, Hausdurchsuchungen anzuordnen, bei der etwa 170 Beamte im Einsatz gewesen sein sollen.

Zora kritisiert „absurde Ausmaße“
Eine Betroffene der Hausdurchsuchungen erklärte gegenüber Perspektive, die Hausdurchsuchungen seien “ein klarer Angriff auf alle fortschrittlichen Frauen die sich nicht dem deutschen Staat unterordnen wollen, sondern Seite an Seite mit ihren Schwestern weltweit gegen das Patriarchat kämpfen.” Aus ihrer Sicht sei “Palästinasolidarität legitim” und man werde weiter “die internationale Solidarität hochhalten, egal wie oft der Staat uns versucht einzuschüchtern”.

Zudem kritisierte eine Aktivistin von Zora in einem Statement „die Angriffe des Staates zutiefst“: „die Repression gegen jeglichen Protest in Solidarität mit Palästina nimmt in Deutschland absurde Ausmaße an. Dieser Angriff richtet sich aber nicht zuletzt gegen junge Frauen, die politisch aktiv sind. Wir wissen dass unser Protest legitim ist, und lassen uns von diesen brutalen Einschüchterungsversuchen gegen junge Genossinnen nicht kleinkriegen“, so die Aktivistin gegenüber Perspektive.

Zora bezeichnet sich selber als „unabhängige, antikapitalistische Organisation für junge Frauen“ :„Für unsere Befreiung müssen wir nicht nur das Patriarchat, sondern gleichzeitig den Kapitalismus und die Klassengesellschaft bekämpfen. Unsere Perspektive ist die Frauenrevolution, durch welche die Frauen und alle anderen vom Patriarchat unterdrückten Geschlechter befreit werden“, heißt es zu den Zielen der Organisation auf ihrer Website.

Der hauptsächliche Schwerpunkt der Organisation liegt deshalb im Frauenkampf. Man wolle zum einen „einen sicheren Raum schaffen, in dem wir uns alle in vertraulicher Atmosphäre austauschen können.“ Zudem setze man sich theoretisch und praktisch mit „gesellschaftlicher Diskriminierung in allen Formen auseinander“. Vor allem an Tagen wie dem Frauenkampftag, dem internationalen Tag gegen Gewalt an Frauen oder dem Stonewall-Jahrestag beteiligt sich ZORA deutschlandweit an Demonstrationen, wie auch ein Blick auf ihre Instagram-Präsenz verrät.

Zugleich hat sich die Organisation zuletzt deutlich zum Krieg in Israel/Palästina positioniert. Dabei kam es bereits in der Vergangenheit zum vorgehen staatlicher Akteure gegen die Organisation. So hatten etwa Polizisten in schusssicheren Westen einen Vortrag der Organisation gegen patriarchale Gewalt im Vorfeld der Proteste zum 25. November, dem internationalen Tag gegen Gewalt an Frauen in Hildesheim gestört, bei der man die Organisation der Verwendung verbotener Symbole beschuldigte. Trotz eingehender Untersuchung fand die Polizei jedoch nichts in dem öffentlichen Material.

In einem Statement erklärte die Organisation am 15. Dezember dazu: „Der Staat hat Existenzängste durch den Widerstand, der durch die Frauen geführt ist. Um seine Stabilität zu wahren, stärkt er in einem lauten Hilfeschrei in Form von deutlicherer Unterdrückung seinen autoritären Charakter. Die Repressionen scheinen uns manchmal den Hals zuzuschnüren, aber zeigen uns, dass wir eine Bedrohung für die kapitalistische Macht und die imperialistischen Staaten sind.“

Als „revolutionäre Frauen“ sei man sich der „besonderen Schlagkraft bewusst“: „Wenn wir uns als Frauen organisieren, stellen wir die größte Gefahr für den Kapitalismus und das Patriarchat dar.“, so die Organisation.

Interbüro und Karanfil verurteilen Razzia
Auch die zwei von den Hausdurchsuchungen linken Räumlichkeiten kritisierten das Vorgehen der Polizei. Das Interbüro verurteilte die Razzien klar: “Wir solidarisieren uns mit allen Betroffenen von politischer Verfolgung, die sich für Frieden im Nahen Osten einsetzen und bestehen auf das demokratische Recht auf freie Meinungsäußerung”, heißt es dazu in einer Pressemitteilung.

Das Cafe „Karanfil“ (türkisch für „Nelke“) ist gewissermaßen ein Treffpunkt für viele linke und migrantische Berliner:innen. Sein Betreiber Turgay Ulu war wegen seiner journalistischen Arbeit und kommunistischer Einstellung über 15 Jahre lang ohne Urteil oder Prozess in türkischen Foltergefängnissen inhaftiert. In Deutschland führte er seine politische Arbeit fort und setzte sich vor allem für die Rechte von Geflüchteten und gegen Abschiebungen ein. Nun wurde das Café in dem viele dieser Aktivitäten stattfinden durchsucht.

“Das ganze Café wurde durchwühlt. Etliche Flyer, Transparente und Zeitungen hat die Polizei auf den Boden geschmissen und einfach liegen gelassen”, so Ulu. Es handele sich um Repressionen. “Alle wissen, was wir hier machen, schließlich posten wir ja auch alles auf Social Media. Der Staat will Druck auf uns ausüben, weil wir gegen den Kapitalismus kämpfen. Für mich ist das keine Überraschung. Das Karanfil kämpft weiter. Solange es Kapitalismus und Faschismus gibt, kämpfen wir weiter”, erklärte Ulu weiter.

Proteste in Berlin verstärkt
Die Hausdurchsuchungen fallen in eine Zeit der sich verändernden öffentlichen Meinung zum Krieg in Israel/Palästina. International ist die Medienlandschaften mittlerweile dominiert von aufwühlenden Berichten aus Gaza, Erzählungen über durch israelisches Militär erschossene Geisel und immer heftigeren Kritiken an der Kriegsführung der IDF. Während auf israelischer Seite etwa 1200 Menschen getötet wurden, sind auf palästinensischer Seite mittlerweile rund 20.000 Menschen getötet worden. Darunter befinden sich rund 6000 Frauen und rund 8000 Kinder – weshalb der Krieg bereits als tödlichster für Kinder in der modernen Geschichte bezeichnet wird.

Zuletzt hatte die amerikanische Organisation „Human Rights Watch“ dem israelischen Militär vorgeworfen „Hunger als Waffe“ im Gaza-Krieg einzusetzen. Der israelische Premierminister Benjamin Netanjahu spricht derweil offen davon, niemals einen palästinensischen Staat erlauben zu wollen.

In diesem Zuge kam es gerade in der Hauptstadt zu verstärkten pro-palästinensischen Aktionen. So gab es vergangene Woche eine Hörsaalbesetzung durch Studierende an der FU Berlin und erst am Dienstag eine Blockade des Berliner Hauptbahnhofs durch mehrere hundert Menschen.

https://perspektive-online.net/2023/12/berlin-170-beamte-bei-zora-razzia-wegen-palaestina-post-im-einsatz-spontanprotest-angekuendigt/

Wie Perspektive aus Aktivisten-Kreisen erfuhr werden bereits in verschiedenen Städten Deutschlands Aktionen gegen die Razzien am Mittwoch Abend geplant, darunter in Frankfurt (18 Uhr Bockenheimer Warte) und Köln (18 Uhr Dom).

P.S.Ebenfalls in HH fand heute eine Kundgebung statt.