Berufsverbot an der TU München – Kapitalismuskritik unerwünscht

Benjamin Ruß wurde von der Personalabteilung der Technischen Universität (TU) München als wissenschaftlicher Mitarbeiter abgelehnt. Grund dafür waren unter anderem kritische Äußerungen über das kapitalistische Wirtschaftssystem und seine Mitgliedschaft bei der Roten Hilfe. Nun befindet er sich in einem Rechtsstreit mit der Universität.
Nachdem Benjamin Ruß im Fragebogen des Bewerbungsverfahrens der TU München wahrheitsgemäß seine bestehende Mitgliedschaft bei der Roten Hilfe sowie seine vergangene Mitgliedschaft bei DIE LINKE.SDS angegeben hatte, nahm die Personalabteilung der TU München Kontakt mit dem bayerischen Verfassungsschutz auf. Im weiteren Verlauf stimmte die Personalabteilung in Abstimmung mit dem Verfassungsschutz der Einstellung nicht zu. Seine Klage gegen die Ablehnung seiner Einstellung ist vor dem Arbeitsgericht München anhängig. Der erste Prozesstermin ist der 9. Februar 2024.

Verlauf der Bewerbung und Rolle des Verfassungsschutzes
Im Januar 2022 bewarb sich Benjamin Ruß auf eine Stelle als wissenschaftlicher Mitarbeiter am Lehrstuhl für Kartographie und Visuelle Analytik an der TU München. Die zuständige Lehrstuhlinhaberin Prof. Dr. Meng suchte den Kollegen für die Besetzung der Stelle wegen dessen fachlicher Kompetenz und Eignung aus. Im Folgenden stellte der Lehrstuhl den offiziellen Antrag auf Einstellung mitsamt sämtlicher Unterlagen bei der Personalabteilung der TU München. Bei Stellen im öffentlichen Dienst ist nämlich die Zustimmung der zuständigen Personalabteilung erforderlich.

Diese meldete sich im April 2022 bei dem Jobanwärter, jedoch nicht mit den Vertragsunterlagen, sondern mit Fragen zu dessen Verfassungstreue. In der Zwischenzeit hatte diese Personalabteilung den bayerischen Verfassungsschutz kontaktiert. Grund dafür waren Ruß’ wahrheitsgemäße Angaben im auszufüllenden Fragebogen im Rahmen der Bewerbung. In Bayern und Baden-Württemberg wird Jobanwärter:innen vor der Einstellung eine Liste „extremistischer oder extremistisch beeinflusster Organisationen“ vorgelegt, wobei man dann angeben muss, inwiefern eine Mitgliedschaft in einer dieser Organisationen bestand.

Der Verfassungsschutz gab der Personalabteilung auf Rückfrage dann weitere gesammelte Informationen über den Kollegen preis. In dem Schreiben der Personalabteilung wurde Benjamin Ruß sodann eine verfassungswidrige Haltung und Gewaltbereitschaft unterstellt sowie die Bestrebung, die freiheitlich demokratische Grundordnung zu bekämpfen. Diese Vorwürfe begründet die Personalabteilung in Zusammenarbeit mit dem Kanzler der TU München, Albert Berger, mit den bereits genannten Angaben zu Mitgliedschaften sowie der Verwendung von Begriffen aus dem „linksextremistischen Duktus“. Außerdem sind als Gründe die Beteiligung an den G7-Protesten 2015 in München genannt sowie die Unterstellung seitens des Verfassungsschutzes, an einem Angriff auf einen Polizeibeamten 2016 beteiligt gewesen zu sein.

Rote Hilfe e.V und DIE LINKE.SDS
Die Rote Hilfe e.V. Ist ein Verein, der politisch Verfolgte aus dem linken Spektrum unterstützt. Dabei ist er keiner politischen Strömung oder Partei zuzuordnen. Die Personalabteilung kopiert auch in der Klageerwiderung anstelle einer inhaltlichen Auseinandersetzung mit den Antworten des Kollegen einfach den Wortlaut des bayerischen Verfassungsschutzberichts. Auf die Erklärung des Gewerkschaftsmitglieds wird weder im Bescheid der Personalabteilung noch in der Klageerwiderung der TU München eingegangen.

Währenddessen wurde die Rote Hilfe in verschiedenen Bundesländern sogar als Sachverständigen-Organisation hinsichtlich Neuerungen der Polizeigesetze angehört, prominente Mitglieder der Gesellschaft gehören dem Verein an. Gleichzeitig hatte Benjamin Ruß klargestellt, dass er nicht jeden Prozess der Roten Hilfe e.V. politisch gutheiße.

Bei DIE LINKE.SDS, der Studierendenorganisation der Linkspartei, stößt sich die Personalabteilung an der Formulierung in der Präambel zur „Überwindung der kapitalistischen Gesellschaftsordnung“.

Eine weitergehende Auseinandersetzung wird jedoch auch hier vermieden. Vielmehr kann aus der Argumentation der TU München unter Kanzler Albert Berger geschlussfolgert werden, dass das bestehende kapitalistische Gesellschaftssystem unantastbar ist.

“Linksextremistischer Duktus”
Der Personalabteilung missfällt u.a. die Verwendung der Begriffe „Polizeigewalt und -willkür“, „Monopolmacht“, „Rassismus“, „Kapitalismus“ und „Faschismus“. Diese würden staatliches Handeln delegitimieren und hätten einen „verfassungsfeindlichen, umstürzlerischen Horizont“.

Die Personalabteilung ignoriert dabei, dass es sich hier um politikwissenschaftliche Zentralbegriffe handelt, die unumgänglich in einer wissenschaftlichen Auseinandersetzung mit gesellschaftlichen Themen sind. Gleichzeitig wird Ruß angelastet, sich zu diesen Begriffen geäußert zu haben, obwohl er von der Personalabteilung gerade dazu aufgefordert wurde.

G7-Protesten 2015
Während der G7-Proteste 2015 in Garmisch-Partenkirchen und München war Benjamin Ruß Sprecher und Mitorganisator der Proteste. Von Seiten der Personalabteilung und des Verfassungsschutzes wird ihm ein Vorgehen mit Gewalt gegen die Verfassung unterstellt, das weder mit Aussagen noch in sonstiger Weise belegbar ist. Stattdessen setzte sich das Gewerkschaftsmitglied für das grundrechtlich verbürgte Versammlungsrecht und dessen Durchsetzung ein.

Lüge über den tätlichen Angriff
Der unterstellte Angriff aus dem Jahre 2016 auf einen Polizeibeamten ist schlicht gelogen. Nach mühsamer Akteneinsicht hat sich herausgestellt, dass das Ermittlungsverfahren eingestellt wurde, bevor es überhaupt zu einer Anklage kam. Der Tatvorwurf hat sich nie bestätigt. Benjamin Ruß musste sich zu keinem Zeitpunkt ein strafbares Verhalten vorwerfen lassen.

Vielmehr liegt aktenkundig sogar ein Entschuldigungsbrief der Polizeibeamten vor, die an dem Geschehen beteiligt waren. Trotz alledem wurde Ruß der gesamte, acht Jahre alte Vorgang zum Vorwurf gemacht. Nach der Richtigstellung wurde diese Anschuldigung einfach – ohne Entschuldigung für die falsche Unterstellung – fallen gelassen.

Vorwand der anderweitigen Besetzung
Im Juni 2022 ließ die TU München die Stelle mit einer anderen, bis dato unbekannten Bewerberin besetzen. Über diesen Vorgang wurde Benjamin Ruß, der die Ablehnung der Einstellung vom Kanzler der TU München Albert Berger erst im August 2022 erhielt, nicht informiert. Durch dieses Manöver nahm die Universität an, dass es nun auf sämtliche Fragen der Verfassungstreue wohl nicht mehr ankomme und äußerte sich auch dementsprechend in der Klageerwiderung.

Diese Art der Konkurrenzverdrängung ohne Information des verdrängten Konkurrenten ist arbeitsrechtlich eindeutig unzulässig. In der Folge kann die TU München einer Auseinandersetzung mit der inhaltlichen Kritik nicht mit dem Argument ausweichen, die Stelle schon anderweitig besetzt zu haben.

Kontinuität der Berufsverbote in der BRD
Das Einstellungsverbot von Benjamin Ruß steht in der Kontinuität von Berufsverboten in der Bundesrepublik Deutschland. Bereits 1950 gab es Anstrengungen, mit dem Adenauer-Erlass Linke aus dem öffentlichen Dienst zu entfernen. Die Mitglieder von 13 Organisationen – darunter u.a. die KPD, die noch ein Jahr zuvor 6% bei der ersten Bundestagswahl erhielt oder die Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes – waren von diesem Zeitpunkt an unvereinbar mit einer Anstellung im Staatsdienst. Elf dieser 13 Organisationen waren links, nur 2 faschistisch.

1972 folgte dann der Radikalenerlass. Dieser zwang nun alle Angestellten im öffentlichen Dienst, zu jeder Zeit und an jedem Ort für die freiheitlich demokratische Grundordnung im Sinne des Grundgesetzes einzutreten. Betroffen waren wieder hauptsächlich Linke in den sich anschließenden 11.000 Berufsverbotsverfahren. Wie anschaulich im Fall von Ruß zu sehen ist, werden die Angeschuldigten gezwungen, langwierige Gerichtsverfahren zu stemmen. Dabei besteht an der fachlichen Kompetenz und Eignung gar keine Frage. Die Anweisung zur Nichteinstellung erfolgt dann von Seiten des bayerischen Verfassungsschutzes, nicht etwa wegen irgendwelcher Bedenken direkter Vorgesetzter der Betroffenen.

Juristische Unterstützung durch ver.di-Rechtsschutz
Unterstützt wird das Gewerkschaftsmitglied Ruß im Rechtsstreit vom ver.di-Rechtsschutz. Dieser stellte sich in der Sache demonstrativ auf die Seite des Betroffenen, nicht nur durch die Organisation einer öffentlichen Diskussionsveranstaltung, unter anderen mit Mitgliedern der Roten Hilfe, sondern auch durch Veröffentlichungen in der Betriebszeitung der TU München. Vertreten wird der Kollege durch die Rechtsanwältin Prof. Dr. Däubler-Gmelin, Bundesministerin der Justiz a.D., und den Rechtsanwalt Manuel Gulde.

Der öffentliche Gerichtsprozess findet am 9. Februar 2024 um 11:15 Uhr am Münchner Arbeitsgericht statt. Um 10 Uhr ist eine Kundgebung an selber Stelle angemeldet. Benjamin Ruß freut sich über solidarische Unterstützung vor Ort.

https://perspektive-online.net/2024/01/berufsverbot-an-der-tu-muenchen-kapitalismuskritik-unerwuenscht/