2012-03-21 mumiademo wilson

[Bln] – Demo für Freiheit von Mumia Abu-Jamal

Heute fand bei bestem Wetter in Berlin eine Demonstration für die Freiheit von Mumia Abu-Jamal statt. Der afroamerikanische Journalist ist seit über 30 Jahren politischer Gefangener in den USA. Erst vor einigen Monaten hatte der Oberste Gerichtshof seine Verurteilung zum Tod aufgrund schwerer Rechtsbrüche für verfassungswidrig erklärt. Trotzdem weigert sich die Justiz, ein neues Verfahren zu führen oder den Gefangenen freizulassen und will ihn statt dessen bis an sein Lebensende festhalten. 250 Teilnehmer_innen forderten außerdem auf Transparenten und in Parolen ein Ende der Masseninhaftierung, die Abschaffung der Todesstrafe und die Freiheit politischer Gefangener in den USA und überall.

Harold Wilson, der viele Jahre gemeinsam mit Mumia in zwei verschiedenen Todestrakten des US Bundesstaates Pennsylvania saß, war zu der Demonstration nach Berlin gereist und gab einen Überblick über den Rassismus in der Justiz und die politische Bedeutung der Todesstrafe in den USA. Er war nach über 17 Jahren Todestrakt und zwei bereits unterzeichneten Hinrichtungsbefehlen 2005 frei gekommen, weil es ihm entgegen starkem Widerstand der Staatsanwaltschaft gelungen war, seine Unschuld zu beweisen. In seinem dritten Prozess musste Staatsanwalt Jack McMahon sogar eingestehen, die entlastenden Beweise bewusst unterschlagen zu haben, um das Verfahren und damit seinen Ruf als harter „Law And Order“ Politiker zu retten. Staatsanwälte (und auch Richter höherer Instanzen) sind in Pennsylvania politisch gewählte Mandate auf Zeit. Harold Wilson gab einen sehr einfühlsamen Bericht vom Leben und Überleben im Todestrakt, der mit dt. Übersetzung vorgetragen wurde. Besonders ging er auf die Solidarität der Todestraktgefangenen untereinander ein. (Wilsons Rede ist im zweiten PDF eingefügt).

Die Demonstrant_innen forderten auch ein Ende der Masseninhaftierungen. 2,5 Millionen Gefangenen – ein Viertel aller Gefangenen auf der gesamten Welt – sind derzeit in den USA inhaftiert. Vor der Demonstration lief eine symbolische „Chaingang“ in orangen Overalls, wie sie in Mumias ehemaligen Knast SCI Greene unter Zwangsarbeit produziert werden (1). In Flugblättern und einem Redebeitrag auf der Zwischenkundgebung am Hackeschen Markt wurde auf die Haft- und Arbeitsbedingungen dieser Gefangenen hingewiesen und deutlich gemacht, dass diese nichts anderes als die Fortsetzung der offiziell abgeschafften Sklaverei unter anderem Namen darstellen. Die überwiegende Mehrheit der Gefangenen sind People Of Color, die in den USA gerade mal 20% der Gesellschaft ausmachen, in den Gefängnissen aber 2/3 der Gefangenen stellen. Im April 2011 räumte das Justizministerium ein, dass inzwischen mehr Afroamerikaner_innen Zwangsarbeit in der Gefängnisindustrie leisten, als 1850 zur Zeit der Sklaverei. Die enormen Gewinne des Gefängnisindustriellen Komplexes machen inzwischen 3% der gesamten US Wirtschaft aus und finden bereits nachahmung in Australien, Großbritanien, Polen und der Bundesreoublik (siehe auch drittes PDF). Der Autor Noam Chomsky schickte eine Grußbotschaft an die Berliner Demonstration, in der er auf den Zusammenhang zwischen der Gefängnisindustrie, den aktuellen Arbeitskämpfen und der Geschichte der Sklaverei in den USA hinwies. Chomsky ging auch auf die inzwischen massenhaft auftretende Isolationshaft ein. So sitzt der politische Gefangene Bradley Manning inzwischen knapp zwei Jahre ohne Prozess in Haft, die meiste zeit davon in Isolationshaft, die laut UN Menschenrechtskomission bei einer Anwendung von mehr als 14 Tagen den Tatbestand der Folter erfüllt.

Die Rolle der politischen Repression wurde in einem weiteren Beitrag angesprochen. In den USA gibt es derzeit mehrere Tausend politischer Gefangener, die extrem hohe Haftstrafen absitzen und das meist nur aufgrund ihrer politischen Einstellung. Stellvertretend wurden einige Fälle von Gefangenen aus der Black Panther Partei, dem American Indian Movement, der puertoricanischen Befreiungsbewegung und von Umweltaktivist_innen vorgestellt (siehe das 4. beigefügte PDF). Auch wenn die Repressionsschläge von Polizei, FBI und Justiz einzelne getroffen haben, liegt den Langzeitverurteilungen immer auch eine Botschaft an die jeweiligen Bewegungen inne, aus denen die Aktivist_innen stammen. So sehr sich viele der betroffenen linken Bewegungen auch unterscheiden, wird deutlich, dass es den Repressionsbehörden völlig egal ist, wen sie kriminalisieren. Sobald Aktivist_innen wie z.B. der unaufhörlich arbeitende Journalist Mumia Abu-Jamal öffentlich Gehör finden und den rassistischen Status Quo der Konzernherrschaft in Frage stellen, richtet sich die volle Härte der staatlichen Behörden gegen sie. In diesem Zusammenhang wurde auch die Notwendigkeit formuliert, innerhalb der politischen Linken strömungsübergreifend für die Freiheit der politischen Gefangenen einzustehen. Einer linken Bewegung, der es nicht gelingt, Genoss_innen zu befreien, wird auf Dauer keine Bereitschaft Jüngerer finden, sich ernsthaft auf den politischen Weg zu einer befreiten Gesellschaft zu machen.

Die Abschlusskundgebung fand vor der US Botschaft am Brandenburger Tor statt. Yok spielte mehrere Lieder und danach sprach Harold Wilson über seine Erlebnisse im Todestrakt und den Kampf der Gefangenen, die Haftbedingungen zu überleben sowie ihre Freiheit wieder zu erringen. Das Berliner Free Mumia Bündnis wies auf die zentrale Rolle der USA in der Frage der Todesstrafe hin. Die dortige Bewegung konnte seit den erfolgreich verhinderten Hinrichtungen von Mumia Abu-Jamal in den 1990iger Jahren enorme Erfolge erringen. Erst vor zwei Wochen schaffte Connecticut als der 17. Bundesstaat die Todesstrafe ab. Sobald die Todesstrafe in den USA gänzlich verschwunden ist, werden alle anderen hinrichtenden Regierungen auf der Welt keine Rechtfertigung für das angeblich „demokratisch legitimierte“ Ermorden von Gefangenen habe.

Im Kampf gegen die Todesstrafe als auch gegen die Masseninhaftierungen und die ihr zu Grunde liegende Gefängnisindustrie ist es wichtig, die Gefangenen und ihre Forderungen selbst deutlich zu Wort kommen zu lassen. Nicht nur das Hinrichten von Gefangenen gilt es zu beenden, sondern die rassistischen und Klassen-bedingten Grundlagen, die es in der Justiz erst möglich machen, Menschen für den Großteil ihres Lebens unter Zwang an staatliche oder private Fließbänder zu stellen (siehe 5. PDF).

Die Stimmung auf der Demonstration war sehr gut. Trotz der schwerwiegenden Thematik waren die Teilnehmer_inneren gut gelaunt und laut. Auch ein kurzer Regenschauer trug dem keinen Abbruch. Am Rande der Demonstration wurden viele Flugblätter verteilt und etliche Passant_innen schienen das politische Anliegen zu verstehen. Ab dem Hackeschen Markt schlßen sich sogar einige der Demo an. Ähnlich wie die jahrzehntelange Arbeit von Mumia Abu-Jamal selbst weist die Forderung nach seiner Freilassung auf viel grundlegendere Probleme hin. So wurde heute nur zwei Wochen nach der Transparent-Umzingelung der US Botschaft wurde die Forderung in Berlin bekräftigt (2).

Im Lononer Stadtteil Brixton fand heute zeitgleich eine Demo für Mumias Freiheit statt. Auch in Mexico City und in Frankreich kam es in verschiedenen Orten zu Protesten. Am kommenden Dienstag (Mumias 58. Geburtstag – sein 30. in Haft) werden US Aktivist_innen das Justizministerium in Washington DC occupieren, um Mumias Freilassung und ein Ende der Masseninhaftierung zu fordern (3). Auch In Amsterdam wird am kommenden Dienstag vor dem US Konsulat demonstriert.

Ergänzungen

(1) In der staatlichen Knastfabrik von SCI Greene leisten ca. 1500 Gefangene Zwangsarbeit. Laut offiziellen Angaben erarbeiten sie im Jahr 2009 über 49 Millionen US-$ Gewinn mit der Produktion von Gefängnisbekleidung und Möbeln.

(2) [Bln] 600 fordern Freiheit für Mumia (07.04.2012)
 http://de.indymedia.org/2012/04/328036.shtml

(3) Aufruf zu zivilem Ungehorsam am 24. April in Washington von Angela Davis u.a.:
 http://occupythejusticedepartment.com/