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Burg: Nach Entführung durch Neonazis – Interview mit Andre

200 Menschen demonstrierten am 2. November in Burg (Sachsen-Anhalt). Während die Demonstration sich nur in der lokalen Berichterstattung niederschlug, sorgen Ereignisse im Anschluss der Demo für bundesweite Aufmerksamkeit. Wir sprachen nochmals mit Maya, die die Veranstaltung in Burg mitorganisiert hatte und mit Andre. Er wurde im nächtlichen Burg von Neonazis gekidnapped…

Moin, Moin. Eigentlich waren wir ja verabredet, um über eure Demo zu sprechen. Allerdings macht weniger die Demo Schlagzeilen, als vielmehr die Ereignisse im Nachgang. Danke erstmal, dass du dich, Andre, zur Verfügung gestellt hast mit uns zu reden. Dir steckt ja sicher noch der Schreck in den Knochen. Wie geht es dir momentan?

Andre: Ich glaube, ich habe das Ganze immer noch nicht ganz verarbeitet und habe noch etwas Schmerzen im Gesicht. Die letzten Tage waren auch ziemlich stressig, aber ich bekomme viel Unterstützung aus der Familie und von Freunden.

Wie ist das genau abgelaufen? Warst du alleine unterwegs?

Andre: Ich war mit noch ein paar Anderen in Burg unterwegs und vor dem „Big Ben“ wurden wir von mehreren Nazis angegriffen. Gegen diesen Angriff wehrten wir uns und ein paar Nazis zogen sich in Richtung „Big Ben“ zurück. Daraufhin kamen weitere Personen aus Richtung „Big Ben“, riefen Parolen und kamen auf uns zu. Wir wollten dann nach Hause und teilten uns auf.

Was ist „Big Ben“ ?

Andre: Eine Art Disco, oder besser gesagt Kneipe in Burg, gegenüber vom Bullenrevier.

In Angesicht einer größeren Nazigruppe teilt ihr euch auf. Das klingt für mich eher so, als seid ihr geflohen?

Andre: Als da noch mehr Nazis auftauchten hauten wir natürlich ab und teilten uns dann auf, als wir niemanden mehr gesehen hatten.

Dann wurdest du aber offenbar von Nazis entdeckt. Was passierte dann?

Andre: In der Nähe des Bahnhofs sprach mich von hinten eine Person an und als ich mich umdrehte, schlug diese auch schon zu. Dann kamen ein oder zwei Autos angefahren und weitere Leute stiegen aus und zogen mich dann schon in ein Auto und drückten mich zu Boden. Dann fuhr das Auto auch schon los und die Leute fragten die ganze Zeit nach Nummern und Adressen von anderen Antifas. Während der Fahrt wurde ich immer wieder geschlagen und zwischen Detershagen und Burg hielt dann das Auto und ich wurde rausgezogen. Dann rief schon ein Freund auf meinem Handy an und die Nazis nahmen es mir weg und redeten mit meinem Kumpel und fragten diesen, wieviel ich ihm wert sei.

Was ging in dir vor, als du realisiert hast, dass du jetzt in dem Auto in der Falle sitzt und jetzt ja theoretisch alles mit dir geschehen kann?

Andre: Ich habe da gar nicht so drüber nachgedacht in dem Moment. Erst als die meinen Freund fragten, wieviel ich ihnen wert sei dachte ich mir so „Scheiße!“.

Wie hat dein Kumpel reagiert, als er merkte, dass am anderen Ende Nazis sind, die dich offenbar in der Gewalt haben?

Andre: Die haben ihn ja gleich an der Stimme erkannt und sprachen ihn dann auch mit seinem Namen an. Was er da genau gesagt hat habe ich nicht verstanden, zumindest legten die Nazis nach kurzer Zeit auf und hauten dann mit meinem Handy ab.

Nach dem Telefonat hauten sie einfach ab?

Andre: Ja.

Einfach So?

Andre: Naja. Mein Kumpel hat ihnen wohl zu verstehen gegeben, dass es drastische Konsequenzen geben würde, wenn sie mich nicht unverzüglich freilassen würden.

Eigentlich wolltet ihr sicherlich den Abend ruhig ausklingen lassen. Schließlich hattet ihr bereits einen anstrengenden Tag hinter euch. Hast du nach der Demo, auf der es ja schon Störungen gegeben hatte, mit so einer Eskalation gerechnet?

Maya meldet sich zur Wort. Mit ihr hatten wir vor einigen Wochen bereits über die Demonstration gesprochen.

Maya: Hallo. Also mit dem, was in der Nacht auf Sonntag in Burg passierte, damit hat wohl niemand gerechnet. Gegen 12:00 Uhr versammelten sich zwar schon Nazis im Stadtteil Burg-Süd, die zum Großteil von außerhalb anreisten und bewegten sich in Richtung Auftaktkundgebung, doch war das, wenn wir uns jetzt die letzten Monate hier anschauen, keine Besonderheit.

Inwiefern?

Maya: Alle körperlichen Angriffe oder Versuche wurden in den letzten Monaten nur mit Unterstützung von Nazis aus anderen Orten, wie z.B. Magdeburg, Schönebeck oder Brettin durchgeführt. Da war es auch nicht überraschend, dass auch am Tag der Demo extra Nazis nach Burg anreisen werden.

Hat die Aktivität von Nazis nach eurer Ankündigung zu der Demonstration zugenommen?

Maya: Natürlich haben die Nazis das gemacht, was sie immer tun. Ihre Propaganda verbreiten und versuchen ein Bedrohungsszenario aufzubauen. Ich glaube schon, dass unsere Demonstration sie noch ein bisschen angespornt hat.

Wenn dein Kumpel jetzt neben dir sitzt, mit noch immer deutlich sichtbar lädiertem Gesicht – bereust du dann, dass ihr die Demo gemacht habt?

Maya: Auf keinen Fall! Da sind wir uns alle einig, dass die Demonstration und die Arbeit im Vorfeld richtig und wichtig war. Dieser Angriff von Samstag/Sonntag ist ja nicht der erste Vorfall in diesem Jahr in Burg, aber ein trauriger Höhepunkt, der aber auch ohne die Demonstration hätte passieren können. Aus Zeichen der Solidarität mit dem Betroffenen wird es auch am kommenden Samstag eine weitere Kundgebung gegen den Naziterror in Burg geben.

Mal unabhängig von dem Vorfall. Wie zufrieden bist du mit der Demo?

Maya: Man muss sich überlegen, ob Demonstrationen, so wie sie in den letzten Jahren in Burg durchgeführt wurden, überhaupt noch Sinn machen. Wir sind hier jedes Mal mit einem massiven Polizeiaufgebot konfrontiert, was uns und die TeilnehmerInnen kriminalisiert. Darüber hinaus waren wir, wenn ich ehrlich bin, mit dieser Demo etwas überfordert, da wir seit mehreren Monaten massivem Naziterror ausgesetzt sind und dazu eine noch nie zuvor dagewesene staatliche Repression ertragen müssen.

Wie äußert sich diese Repression?

Maya: Bei der Demo bekamen im Vorfeld mehrere OrdnerInnen mit den unterschiedlichsten Begründungen Platzverweise. Der Lautsprecherwagen wurde über eine Stunde lang überprüft, da die Polizei meinte, dieser sei eventuell gestohlen. Die Demonstration wurde von Anfang bis Ende abgefilmt und die Polizei konnte machen was sie wollte. Im Vorfeld der Demo wurde sogar eine Person von „Mitarbeitern des Innenministeriums“ bedrängt und aufgefordert, mit diesen über die Demo zu sprechen.

Das hört sich echt nach Schikane an. Und dann kommt die Auseinandersetzung mit den Nazis ja noch dazu. – Andre wie ging es eigentlich weiter? Die Nazis sind dann abgezogen. Dein Handy hatten sie dir geraubt. Wie bist du überhaupt nach Hause gekommen?

Andre: Ich konnte ja niemanden anrufen und bin dann zurück nach Burg gelaufen und bin zu jemandem nach Hause gegangen, wo noch andere Leute saßen und dann haben wir erstmal über den Vorfall gesprochen. Etwas später haben dann die Bullen ein paar Leute in Burg angehalten und sahen bei einem die Verletzungen im Gesicht und stellten natürlich Fragen. Als ich dann zu Hause war und geschlafen habe, standen wenig später die Bullen vor meiner Tür und meinten, dass ich mitkommen muss und zu dem Vorfall aussagen soll.

Wo bist du eigentlich genau rausgelassen worden? War das mitten im Wald oder wie?

Andre: Das war so ein Weg an den Bahnschienen. Dahinter ist direkt ein Wald.

Nicht unbedingt ein romantischer Ort, umgeben von Nazis. Als die Cops vor deiner Tür standen, warst du da verärgert? Konkret gefragt: Wie hältst du es hier in diesem Fall mit der Polizei? Glaubst du, dass sie die Täter überführen kann oder will?

Andre: Ich halte nicht viel von der Polizei, darum bin ich auch nach der Sache nicht hingegangen. Als die dann vor meiner Tür standen, war ich erstmal erschrocken, da es hier ja in letzter Zeit mehrere Hausdurchsuchungen gab. Ob sie die Täter finden oder nicht, weiß ich nicht.

Eine, drücken wir es mal euphemistisch aus, distanzierte Haltung zur Polizei ist ja in der radikalen Linken nicht ganz außergewöhnlich. Bei der heutigen Überwachung dürfte es ja ohnehin nicht schwerfallen die Täter zu ermitteln, dazu müssten ja lediglich die Funkzellendaten ausgewertet werden. Dann sollten sich ja schnell einige Verdächtige herauskristallisieren. Liegen dir, unabhängig von der Arbeit der Polizei, selbst Erkenntnisse vor, die auf die Täter schließen lassen würden?

Maya schaltet sich wieder in die Diskussion ein…

Maya: Wir wissen nicht, wie weit die Polizei in ihren Ermittlungen ist, doch das ist uns eigentlich egal. Wir haben in den letzten Tagen selber recherchiert und klar ist, dass die Täter aus dem Spektrum der „BWSE“ („Blue White Street Elite“, zeitweise verbotene Hooligan- und Nazigruppe aus Sachsen-Anhalt, Anm. KF) stammen und die Person, mit der sie später ja telefonierten, kannten. Dazu kommt, dass auf Facebook ein Nazi einen Status („Scheiss Antifa…“) gepostet hat und darunter ein bekanntes Mitglied der „BWSE“ diesen ergänzt hat. Dieser Nutzer wusste offenbar, dass es einen erfolgreichen Angriff gegeben hat, obwohl dies noch nicht öffentlich kommuniziert worden ist. Später muss das der Person bewusst geworden sein, dass er damit Täterwissen offenbart und hat den Eintrag wieder gelöscht. Der Kommentar wurde von uns aber gesichert, so dass wir zumindest sicher bestimmen können, wer mit den Tätern in Kontakt stehen muss, sofern der Poster nicht selbst der Angreifer war. Dazu haben wir Aussagen von Zeugen erhalten, die sich in unmittelbarer Umgebung zum „Big Ben“ aufhielten und sagen konnten, was für Autos losgefahren sind.

Habt ihr irgendwelche Sicherheitsmaßnahmen ergriffen, um zu verhindern, dass euch sowas noch einmal passiert?

Maya: Zu den Sicherheitsmaßnahmen möchte ich mich jetzt hier nicht im Detail äußern, aber ich gehe davon aus, dass auch den Nazis bekannt ist, dass sie nicht unverwundbar sind und im Fall des Falles mit für sie unschönen Reaktionen rechnen müssen.