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ÇHD-HHB: WIR SIND IM HUNGERSTREIK, UM UNSERE ZUKUNFT ZU SICHERN

Erklärung der inhaftierten RechtsanwältInnen des CHD (Progressiver JuristInnenverband) sowie Halkın Huku Bürosu (Anwaltskanzlei des Volkes), die am 3. Februar in einen Hungerstreik getreten sind.

„DIE WÜRDE STEHT ÜBER DEM TOD“!

Im Bewusstsein, dass dieser Kampf ein Kampf für unser aller Freiheit ist, appellieren wir an alle Menschen, die gegen Ausbeutung und Unterdrückung sind, diese Zeit gemeinsam durchzustehen und gemeinsam Anstrengungen zu machen, um jene im Widerstand zu entlasten.

Bis heute versuchten wir alle Möglichkeiten, die uns unser Beruf bietet auszuschöpfen, um das Rechtsbewusstsein zu stärken.

Wir wurden bedroht, doch machten weiter. Wir wurden zensiert und isoliert, ließen uns jedoch nicht entmutigen. Wir wurden gestoßen, unsere Arme und Schädelknochen wurden uns bei der Folter gebrochen, doch wir gaben nicht auf.
Wir wurden aus den Gerichtssälen geworfen, unsere Strafanträge wurden verjährt, unsere Forderungen blieben unbeantwortet.

Wir haben es immer wieder aufs Neue versucht.

Es wurde Anti-Propaganda gegen uns betrieben, wir wurden verhaftet. Mit Hilfe der Gerichte wurde eine Lügenmaschinerie in Gang gesetzt. Wir führten unseren Kampf fort.
Sonderstaatsanwälte wurden mit den Prozessen beauftragt, sie haben Sonderurteile gegen uns gefällt. Und nicht genug damit, die Namen unserer FreundInnen wurden auf „Terrorlisten“ gestellt.

Rechtsanwältin Sükriye Erden und Rechtsanwalt Özgür Yilmaz werden immer noch mit diesen Listen bedroht und es wird damit ein Nährboden für die Gefährdung ihres Lebens geschaffen.

SIE SAGEN UNS…

Sie sagen uns:
„Es gibt kein Recht, Gesetze sind keine Lösung, ihr seid ebenfalls Gefangene. Jetzt könnt ihr den Anwaltsberuf nicht mehr ausüben!“

Sie sagen uns:
„Ihr seid hilflos!“
Sind wir hilflos? Wurden alle Mittel und Rechtswege ausgeschöpft?

Wir werden also unseren Beruf als ‘AnwältInnen des Volkes‘ gegen das Monopolkapital nicht mehr ausüben können, während unsere Territorien völlig zerstört und vergiftet, während unsere Gewässer ausgetrocknet und unsere Luft verschmutzt wird?

Werden wir denjenigen, die uns sagen „Fügt euch den Erdbeben“ nicht mehr sagen können, dass sie „Schuldig“ sind?

Werden wir unsere Stimme nicht mehr dagegen erheben können, dass unsere Kinder als Spielzeug in die Hände von Sekten gegeben werden und ihre Zukunft verdunkelt wird?
Werden wir diejenigen, die die Bevölkerung auf der Grundlage ihres Glaubens, ihrer Konfession, Nationalität und Kultur spalten und gegeneinander anfeinden, nicht mehr bloßstellen?

Werden wir dazu schweigen, dass die KurdInnen als „Terroristen“ hingestellt werden und ihre politischen Entscheidungen ignoriert werden, dass sie bombardiert und einfach niedergeschossen werden?

Werden wir nun nicht mehr für die Rechte der durch Notstandsgesetze Entlassenen eintreten können?

Werden wir nicht mehr an der Seite der in die Arbeitslosigkeit gedrängten ArbeiterInnen und Werktätigen, die ihre Rechte fordern, stehen können?

Werden wir nicht mehr in der Lage sein für die Natur, die Tiere, die Umwelt, die Plätze und Wohnviertel einzutreten?

Wir werden also diejenigen, die ihre Zukunft in unsere Hände legen und uns ihre Vollmacht übergeben, um sie im Kampf für ihre Rechte zu unterstützen, nicht mehr verteidigen können?

WER SICH NICHT BEUGT, IST NICHT HILFLOS

Unsere MandantInnen haben gesehen, dass die Gerechtigkeit nicht einmal im Märchen existiert und sind in den Hungerstreik, ja sogar ins Todesfasten getreten. Und sollen wir sie jetzt trotz der Vollmacht nicht vertreten dürfen?

In den Kerkern des 12. September (Militärdiktatur 1980) haben sie Folgendes an die Wände geschrieben: „Hier gibt es keinen Gott!“ Ihr Ziel war es, den Menschen sogar die Hoffnung zum Beten zu nehmen. Heute wird die gleiche Politik fortgesetzt. Sie vermitteln der Bevölkerung das Gefühl, „hilflos“ zu sein. Sie sagen uns „Wir haben euch alle Mittel des

Kampfes entwendet“, „Ergebt euch“, „Ihr habt keinen Ausweg“.

Wer Widerstand leistet, sich nicht beugt, ist nicht hilflos.

WIR BEGINNEN MIT DEM HUNGERSTREIK, DENN…

Wir sind nicht hilflos; wir treten in den Hungerstreik.
Denn, es liegt im Wesen des Berufs, die Bevölkerung und die Rechte zu verteiden. Das ist es, was dem Anwaltsberuf Würde und Respekt verleiht.

Wir werden nicht zulassen, dass dieses Wesen zerstört wird, indem der Beruf zu einer Profitquelle gemacht wird.

Anwaltstätigkeiten dürfen nicht zur Anklage gebracht werden. Sinn und Zweck unserer „sogenannten“ Anklage und Verhaftung, unserer 159-jährigen Gefängnisstrafe, ist die Einschüchterung des Anwaltsberufs als Ganzes.
Unsere MandantInnen hungern seit Hunderten von Tagen, um die Gerechtigkeit, nach der wir uns sehnen, einzufordern.

Mustafa Kocak, die Mitglieder der revolutionären Musikgruppe Grup Yorum, Ibrahim Gökcek und Helin Bölek sind im Todesfasten, um Gerechtigkeit, ein faires Verfahren und die ihnen zustehenden Rechte einzufordern.

Wir sind im Hungerstreik um zu sagen ‚Die gerechten Forderungen unserer MandantInnen sind auch unsere Forderungen. Sie müssen anerkannt werden!‘.

Der Justizapparat dient mittlerweile als Werkzeug, um die Bevölkerung zur Ungerechtigkeit zu verurteilen, um politische Oppositionelle und Revolutionäre zu liquidieren.
Die „Gerichtsbarkeit“ köchelt als „Kochtopf des Unrechts“ vor sich hin, in dem Massaker an der Bevölkerung, Arbeitsmorde, Verbrechen des Staates oder aufgrund unterlassener Maßnahmen von Behörden vorhersehbare und herbeigeführte „Unfälle“ behelligt werden, während die Täter ungestraft bleiben und ihre Verbrechen legitimiert werden.

Ein Mechanismus, der die ‘AnwältInnen des Volkes‘ verhaftet und die Bevölkerung ohne Verteidigung zurücklässt, kann nicht als Gerichtsbarkeit bezeichnet werden.

Wir wollen ein Verfahren, in dem die infolge von Kämpfen errungenen juristischen Prinzipien zur Geltung gemacht werden, bei dem das Recht auf Verteidigung und eine faire Verhandlung gewährleistet wird, bei dem der „Strafbestand“ anhand konkreter, wissenschaftlicher Beweise nachgewiesen wird – ein Verfahren das offensichtlich, transparent, offen und im Sinne der Bevölkerung geführt wird.

Wir wollen, dass die Schauprozesse, die nicht einmal den Anschein von Gerechtigkeit aufweisen, ebenso wie der Betrug anhand von geheimen ZeugInnen, das Heranziehen von Kronzeugen, Verleumdungen, die forcierte Teilnahme an Prozessen mittels SEGBIS (Audiovisuelles Übertragungssystem), die Verurteilungen ohne Beweise, die sich auf Vermutungen und abstrakte Behauptungen stützen, und die Missachtung der Strafprozessprinzipien ein Ende nehmen!

Wir sind im Hungerstreik, mit der Forderung, dass “allen politischen Gefangenen, die infolge dieser ’sogenannten‘ Gerichtsverfahren verurteilt wurden, ihre Rechte zurückgegeben werden und die Prozesse zusammen mit all ihren Konsequenzen eingestellt werden!“.

Das Innenministerium entzieht der Gerichtsbarkeit ihre Kompetenzen und missachtet durch Veröffentlichung sogenannter “Terrorlisten“ das grundlegendste Strafprozessprinzip, die „Unschuldsvermutung“.

Die Terrorlisten schaffen den Nährboden für die Ermordung politischer Oppositioneller und Revolutionärer. Das Innenministerium macht sich schuldig, indem es ohne vorliegendes rechtskräftiges Urteil Menschen zur Zielscheibe erklärt und tötet.

Die „Terror“listen, zu denen auch Rechtsanwältin Sükriye Erden und Rechtsanwalt Özgür Yilmaz hinzgefügt wurden, müssen annulliert werden, die Massaker, die auf der Grundlage dieser Listen durchgeführt wurden, müssen unter Strafe gestellt werden.
Das Rechtswesen ist nicht nur ein Deckblatt für die Tyrannei der Herrschenden; es ist auch ein Instrument der Völker, das aus Tausenden Jahren anhaltender Rechtskämpfe hervorgegangen ist.

Heute sehen sich alle unsere Rechte und Freiheiten dem Angriff des Faschismus ausgesetzt. Angefangen von gewerkschaftlichen Rechten bishin zur Organisierungsfreiheit, von der Versammlungsfreiheit bishin zur freien Meinungsäußerung, vom Recht auf Leben, der Sicherheit am Arbeitsplatz bishin zum Recht auf ein Leben in einer gesunden, sauberen Umgebung, von einem fairen Verfahren bishin zum Recht nicht gebrandmarkt zu werden, wurden alle Rechte grundlegend verletzt, entkräftet oder völlig außer Kraft gesetzt.

WIR SIND IM HUNGERSTREIK, UM UNSERE ZUKUNFT ZU SICHERN

Als revolutionäre AnwältInnen befinden wir uns im Hungerstreik, um unsere Zukunft zu sichern. Wir stellen uns der Verantwortung, die historischen Rechte und Freiheiten zu verteidigen und sie weiter zu entfalten.

Indem unseren Völkern Hunger, Armut, Arbeitslosigkeit und Ungerechtigkeit aufgezwungen wird, zielt die Politik auf Entfremdung, Eliminierung von Werten und das Brechen der Würde des Menschen.

Mit Hilfe von Gesetzen werden menschliche Werte angegriffen und es werden sogar Prozesse aufgrund der Teilnahme an Beerdigungsfeiern und an traditionellen Totenmählern sowie aufgrund von Kondolenzbesuchen eröffnet, Menschen werden von der Polizei zum Verrat und zur Spitzelei angeheuert, moralische Vergehen, wie Verleumdungen von Personen werden legalisiert und kontinuierlich angewandt.

Wir wollen, dass diese entfremdende Praxis, die als „Effiziente Reue“ bezeichnet wird beendet wird, dass die angeblichen Beweismittel wie Denunziation oder geheime Zeugaussagen, zurückgezogen werden.

Auf jedem Quadratmeter unseres Landes werden natürliche, historische, kulturelle Reichtümer zügellos geraubt.

Wir sind im Hungerstreik, damit unserem Volk, unseren Kindern von dieser Regierungspolitik, die an nichts anderes denkt als an Profit, nicht die Zukunft genommen wird.

Wir befinden uns im Hungerstreik, weil wir uns gegenüber jedem Zentimeter dieses Landes verantwortlich fühlen.. gegen die Plünderung und die Zerstörung des Munzur Tals (Nationalparks), der Ayder Alm, des Salda Sees, von Hasankeyf, der Kaz Berge, Mersins, Sinops, der Nordanatolischen Wälder, Istanbuls, sowie der Hundertjährigen Olivenhaine und Ländereien von Thrakien mit Vorwänden wie Kohlegebiet, nuklearer Stützpunkt, Steinbruch, Pipeline, Tourismus, Stadterneuerung, u.ä.

Die Vollzugsregelungen und Praktiken, deren politische Feindschaft sich in den Gesetzen und Gerichtsurteilen zum Ausdruck kommt, obwohl es eine welteweit geächtete Praxis ist, Menschen der Isolationsfolter zu unterziehen, ihr Recht auf Bücher und Publikationen, auf gegenseitigen Austausch, freie Meinungsäußerung, den Bezug von Nachrichten und Kommunikation willkürlich zu entziehen, und sie mittels eines erschwerten lebenslangen Gefängnisvollzugsregimes „bis zum Tod“ ihrer Freiheit zu berauben, müssen aufgehoben werden!

Es muss damit aufgehört werden, die Krankheiten von Gefangenen als Mittel der Folter einzusetzen!

Wir sind im Hungerstreik, um die Menschenwürde gegenüber der Isolation und der Folter an kranken Gefangenen zu verteidigen.

Wir sind im Hungerstreik, um zu zeigen, dass wir niemals hilflos sein werden, dass wir nicht aufgeben werden, unsere Rechte einzufordern und unsere Würde als höchstes Gut zu verteidigen. Und wir werden siegen!

Wir werden nicht davon abweichen, unsere MandantInnen und unser Volk zu verteidigen!

Die Würde steht über dem Tod!

http://www.doganpresse.com/articles-detail?article-no=5076&;nf=ÇHD-HHB%3A+WIR+SIND+IM+HUNGERSTREIK%2C+UM+UNSERE+ZUKUNFT+ZU+SICHERN#.XkFfYKttu7I.facebook