Unter anderem in Baden-Württemberg wurde gegen eine Reihe von Kurdinnen und Kurden Ordnungswidrigkeitsverfahren eingeleitet, weil sie sich im April dieses Jahres trotz eines angeblichen Verbots im Zusammenhang mit der Corona-Pandemie mit mehr Personen als vorgeschrieben in einem nicht öffentlichen Raum – hier eines kurdischen Vereins – aufgehalten haben sollen. Dadurch hätten sie gegen bestimmte Vorschriften des Infektionsschutzgesetzes im Rahmen der Corona-Verordnung verstoßen.
Auf dieser Grundlage erhielten Betroffene Bußgeldbescheide in unterschiedlicher Höhe – in einem Fall über 2000 € -, gegen die Einspruch eingelegt wurde. Die Behörden haben diese Bescheide allerdings nicht zurückgenommen, sondern an die Staatsanwaltschaften abgegeben.
Aktuell wurde ein Fall bekannt, in dem die Polizei in Leipzig Teilnehmer einer Kundgebung eingekesselt und ID-behandelt haben mit der Begründung, die Veranstaltung sei lt. Corona-Schutzverordnung von Sachsen nicht zulässig.
Weil vermutlich auch Aktivist*innen in anderen Bundesländern mit ähnlichen Problemen konfrontiert sind, führte AZADÎ ein Gespräch mit Rechtsanwalt Frank Jasenski aus Gelsenkirchen.
Welche Schritte sollten Aktivist*innen unternehmen, die beschuldigt werden, angeblich gegen Corona-Verordnungen verstoßen zu haben und einen Bußgeldbescheid erhalten ?
Wer einen Bußgeldbescheid erhält, sollte auf jeden Fall zunächst innerhalb der 2-Wochen-Frist Einspruch einlegen, damit der Bescheid nicht rechtskräftig wird und genügend Zeit bleibt, die Sache genauer zu prüfen und Erfolgsaussichten einzuschätzen. Zurück genommen werden kann der Einspruch bis zum Verhandlungstermin notfalls immer noch, ohne dass dadurch nennenswerte weitere Kosten entstünden.
Wie kommen die teils gravierenden Unterschiede in den Höhen der Geldstrafen zustande?
Die Unterschiede bei den Geldbußen kommen dadurch zustande, dass sich diese nach den jeweiligen Corona-Verordnungen der einzelnen Bundesländer richten. Diese sind inhaltlich sehr unterschiedlich und verwirrend, weil sie ständig geändert werden. Unterschiedlich aber auch hinsichtlich angedrohter Bußgelder für bestimmte Verstöße: Handelt es sich um einen individuellen Verstoß (z.B. gegen die Kontaktbeschränkung oder Maskenpflicht) oder geht es um den Betreiber eines Vereins, für den ein angedrohtes Bußgeld in der Regel um ein Vielfaches höher ist.
Sollten Betroffene, deren Geldstrafen geringer sind, auch Widerspruch gegen einen Bescheid einlegen ?
Ich halte es für sinnvoll, dass zunächst alle Betroffenen (unabhängig von der Höhe) Einspruch gegen die Bußgeldbescheide einlegen. Voraussetzung ist allerdings, dass dann eine juristische Überprüfung der Berechtigung der Bescheide organisiert wird. Ohne Beratung und Prüfung macht ein Einspruch natürlich keinen Sinn, außer, dass sich dadurch die Fälligkeit des Bußgeldes bis nach einem Gerichtstermin verzögert. Geprüft werden müssen vor allem die Bußgeldbescheide, bei denen es um Treffen in Vereinsräumen geht. Hier sind die Bußgeldbehörden schnell dabei, diese als „verbotene Ansammlung“ zu werten, während es sich tatsächlich oft um zulässige politische Versammlungen im Sinne von Artikel 8 Grundgesetz (GG) handelt, die in den allermeisten Bundesländern auch in geschlossenen Räumen zulässig sind. So hat z.B. NRW eine Regelung, dass Versammlungen nach diesem Artikel in geschlossenen Räumen zulässig sind (Maskenpflicht und Abstand) und für solche Versammlungen auch Vereinsräume, Gaststätten etc. geöffnet werden dürfen – einschließlich einer Bewirtung der Teilnehmer*innen.
Welche Schritte zur juristischen Gegenwehr gibt es überhaupt bei Verfahren dieser Art?
Wichtig wäre m.E., dass dort, wo auch sinnvolle Gesundheitsschutzmaßnahmen dazu missbraucht werden, grundlegende demokratische Rechte und Freiheiten einzuschränken, offensiv der Kampf um die Wahrnehmung dieser Rechte und Freiheiten geführt wird. Es ist inzwischen vielfach bewiesen, dass auch unter „Corona-Bedingungen“ demonstriert werden und politische Versammlungen i.S.v. Art. 8 GG durchgeführt werden können. Unser Büro hat im Zusammenhang mit etlichen Demonstrationen und Versammlungen z.B. der MLPD eine ganze Reihe positiver Gerichtsbeschlüsse erwirken können. Das gilt natürlich auch für die Wahrnehmung des Versammlungsrechts in den Räumen kurdischer Vereine. Wir protestieren außerdem gegen schikanöse Kontrollen in den Vereinen etc. und machen dies öffentlich.
Zur „juristischen Gegenwehr“ siehe oben zu den Einsprüchen in den einzelnen Bußgeldverfahren. Das gilt aber auch für Eilanträge vor den Verwaltungsgerichten dort, wo Demonstrationen, Versammlungen oder andere Veranstaltungen eingeschränkt oder verboten werden sollen.
AZADÎ e.V., Rechtshilfefonds für
Kurdinnen und Kurden, Köln
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03. Dezember 2020