Wir dokumentieren eine Presseerklärung des Arbeitskreises Spitzelklage Heidelberg:
Seit Sommer 2011 klagen sieben Betroffene des Heidelberger
Spitzeleinsatzes gegen diese polizeiliche Überwachungs- und
Kriminalisierungsmaßnahme. Das baden-württembergische Innenministerium
ließ damals prompt die relevanten Unterlagen „sperren“, so dass nur Bruchteile der Akten in stark zensierter Form für die Kläger*innen zugänglich waren und somit weitere juristische Schritte zur Freigabe der
behördlichen Materialien eingeleitet werden mussten. Im Februar 2015 wurden nun die Schwärzungen etwas reduziert und einige weitere Abschnitte aus den Akten freigegeben.
Am 12.12.2010 wurde in Heidelberg ein Verdeckter Ermittler (VE) des baden-württembergischen Landeskriminalamts (LKA) enttarnt: Simon Bromma.
Als angeblicher Student „Simon Brenner“ hatte er über ein Jahr hinweg (von November 2009 bis Dezember 2010) die gesamte linke Szene Heidelbergs mit geheimdienstlichen Methoden ausspioniert, Unmengen an politischen Informationen und privaten Daten über Aktivist*innen gesammelt und diese in Berichtform an seine einsatzleitende Behörde in Stuttgart weitergegeben.
Am 05.08.2011 haben sieben von diesem VE-Einsatz betroffene Personen eine Fortsetzungsfeststellungsklage beim Verwaltungsgericht Karlsruhe eingereicht, um damit die offensichtliche Rechtswidrigkeit dieser abrupt abgebrochenen, jederzeit wiederholbaren polizeilichen Repressionsmaßnahme überprüfen und das Rehabilitationsinteresse der Kläger*innen untermauern zu lassen.
Daraufhin zogen nochmals mehrere Monate ins Land, bis der sozialdemokratische Innenminister Reinhold Gall nach § 99 VwGO (Verwaltungsgerichtsordnung) die Akten sperren ließ; den sieben
Kläger*innen wurde sodann ausschließlich die polizeibehördliche Einsatzanordnungsakte des Leitenden Heidelberger Kriminaldirektors Bernd Fuchs vorgelegt, der den VE in den Rhein-Neckar-Kreis beordert hatte.
Dieser Aktensatz war durch umfassende Schwärzungen zu weiten Teilen
unbrauchbar gemacht worden. Was weiterhin noch nicht einmal in verstümmelter Form vorgelegt wurde, waren die innerbehördliche Korrespondenz zwischen LKA und Polizeidirektion Heidelberg nach der Enttarnung des VE und die 15 Einsatzberichte Brommas, in die vom VE auch
Kopien von Flyern vermeintlich relevanter politischer Aktionen und
Veranstaltungen eingespeist worden waren.
Gegen diese Sperrerklärung legten die Kläger*innen Beschwerde ein, was in Folge dazu führte, dass diesbezüglich zunächst vor dem Verwaltungsgerichtshof Mannheim [Az. 14 S 928/12] und
schließlich vor dem Bundesverwaltungsgericht Leipzig [BVerwG 20 F 3.13 VGH 14 S 928/12] so genannte In-camera-Verfahren anhängig waren, bei denen – unter Ausschluss der Öffentlichkeit – die Rechtmäßigkeit dieser innenministerialen Vertuschungsmaßnahme fallabhängig unter
Sichtung des kompletten Aktensatzes zu prüfen war.
Nun hat es nochmals fast ein Jahr gedauert, bis die vom Bundesverwaltungsgericht Leipzig per Beschluss angemahnten Nachbesserungsvorschläge in Bezug auf die Einstufung des größten Teils
der Akten als „geheimhaltungsbedürftig“ umgesetzt wurden und in die Zurverfügungstellung der nun präsentierten Datensätze mündeten. Vor ein paar Tagen jedenfalls erreichte den Anwalt der Kläger*innen die nachgebesserte Sperrerklärung – und mit ihr die im Vergleich zur ersten
Version nun etwas weniger geschwärzte VE-Einsatzanordnungsakte der Polizeidirektion Heidelberg. Außerdem vorgelegt wurden zum ersten Mal nicht nur die mit dem Heidelberger Datensatz identische, aber abweichend nummerierte Einsatzanordnungsakte des LKA (Seiten 109-229), sondern auch
die innerbehördliche, mit „VERÄNDERUNGEN“ überschriebene und auf 28. beziehungsweise 29.12.2010 datierte Korrespondenz zwischen LKA und Polizeidirektion Heidelberg nach der unvorhergesehenen Enttarnung ihres Spitzels und ein paar DIN A4- Kopien von Flyern vermeintlich relevanter politischer Aktionen und Veranstaltungen, die Simon Bromma seinen
Einsatzberichten beigefügt hatte.
Nach intensiver Sichtung dieses Materials sind wir nun in der Lage, ein bisschen mehr Licht auf die unverhältnismäßige polizeiliche Repressionsmaßnahme zu werfen und unweigerlich zum Schluss zu kommen, dass bei diesem proaktiven VE-Einsatz weder „tatsächliche Anhaltspunkte“
dafür vorlagen, dass die in der Antifaschistischen Initiative Heidelberg (AIHD) aktive Zielperson künftig „politisch motivierte Straftaten“ begehen würde, die dann „Leben, Gesundheit und Freiheit einer Person“ gefährden könnten, noch, dass solch eine extrem weit reichende „Datenerhebung zur vorbeugenden Bekämpfung von Straftaten mit erheblicher Bedeutung“ logisch-konsequent dazu führen müsse, dass auch sämtliche Strukturen, Zusammenhänge und persönlichen Beziehungsgeflechte der gesamten Linken „aufgehellt“ werden müssten – um darüber so nahe wie
möglich an die „Führungsperson der Heidelberger antifaschistischen Szene“ heranzukommen.
Letztendlicher Dreh- und Angelpunkt der polizeilichen VE-Einsatzanordnungsbegründung bleibt der von den Sicherheitsbehörden beobachtete Umstand, dass „ihre“ Heidelberger Zielperson auf einer
antifaschistischen Demonstration in Sinsheim im September 2009 ein paar Worte mit einem Menschen gewechselt habe, in dessen Wohngemeinschaft (WG) in Helmstadt-Bargen am 04.11.2009 sieben „gebrauchsfertige Molotow-Cocktails“ gefunden wurden – im Rahmen einer Hausdurchsuchung in anderer Sache.
Das bedeutet letzten Endes, dass die Heidelberger VE-Zielperson von der Polizei mutwillig in „Kontaktschuld“ genommen wurde, und dass dieses konstatierte „Kontakt-Haben“ zu einem Menschen, in dessen 40 Kilometer von Heidelberg entfernten WG Mollis gefunden werden, die in einer
extremen Notwehrsituation angeblich zum Einsatz gebracht werden sollten, aber real niemals zum Einsatz kamen, den Umkehrschluss zulasse, dass nicht nur die Zielperson konkret an der Herstellung gebrauchsfertiger Brandsätze beteiligt sei, sondern die linke Szene an sich Molotow-Cocktails produziere.
Eine völlig willkürliche Konstruktion, deren Absurdität noch einmal dadurch belegt wurde, dass die bisher geschwärzten und nun freigegeben Stellen der Polizeieinsatzanordnungsakten keinerlei Gefährdungspotenzial für Bund oder Länder beinhalten, wie dies in der ersten Sperrerklärung
noch behauptet wurde. Gesperrt waren etwa die Hinweise auf eingestellte Verfahren von Ziel- oder Kontaktpersonen, die teilweise Jahrzehnte zurückliegen, öffentlich verteilte Flugblätter von Studierenden und Politgruppen oder Hinweise auf ein bereits bezahltes Bußgeld in Höhe von
50 Euro! Ob in diesem Zusammenhang und aufgrund der manipulierten Darstellung eine Klage wegen versuchten Prozessbetrugs möglich ist, werden wir prüfen. Wir hoffen nun, damit rechnen zu können, dass der mündliche Verhandlungstag beim Karlsruher Verwaltungsgericht auf einen
Termin im Juni 2015 angesetzt wird, damit noch vor der diesjährigen Sommerpause eine gerichtliche Entscheidung in unserer Sache ergehen kann.
Wir fordern nach wie vor die umfassende Aufklärung des Heidelberger Spitzelfalls, die Herausgabe aller vollkommen ungeschwärzten Akten, die Rehabilitierung aller betroffenen Menschen und die komplette Zurücknahme des unter grün-roter Regierungsägide nochmals verschärften Polizeigesetzes, das solche VE-Einsätze sogar erleichtert.
Der Einsatz des Verdeckten Ermittlers Simon Bromma war rechtswidrig!
Bei weiteren Fragen oder Unklarheiten stehen wir Ihnen gerne zur Verfügung:
Arbeitskreis Spitzelklage Heidelberg (AKS) |
ak-spitzelklage@riseup.net | http://spitzelklage.blogsport.de
Heidelberg, den 26.02.2015