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Das Gefangenen Info Nr. 422 erschienen!

Liebe Leserinnen und Leser,

mit einigen Verzögerungen veröffentlichen wir nun endlich die zweite Ausgabe dieses Jahres. Wie Ihr bereits bemerkt haben werdet, hat sich einiges am Layout verändert. Dies liegt in erster Linie daran, dass diese Ausgabe mit einem anderen Druckverfahren erstellt worden ist und wir das Layout bestmöglich an das Verfahren anpassen wollten, ohne zunächst zu viele Änderungen vornehmen zu müssen. Ob uns das gelungen ist, werden wir noch sehen. Einige Änderungen des Layouts wird es im Laufe des Jahres aber noch geben.

In dieser Ausgabe geht es vor allem um Zustände in der Forensik, wobei wir einen näheren Blick auf Bremen-Ost werfen.Wir danken allen Aktiven und Gefangenen, die den Schwerpunkt mit Inhalten gefüllt haben.

Wir wollen Euch an dieser Stelle einige aktuelle Infos mitteilen:

Andreas Krebs wurde zu 24 Jahren verurteilt. Am 1. April wurde das Urteil im letzten Prozesstag, in der ersten Gerichtsinstanz, verkündet: 24 Jahre Haft für Andreas, so wie es die Staatsanwaltschaft gefordert hat. Gerade jetzt ist es wichtig, dass ihr Eure Solidarität mit Andreas zeigt. Also schreibt ihm:

Krebs Andreas

st. 13 Sez.6

Via Roma Verso Scampia 250

Mediterraneo

CAP 80144 (NA)

-ITALY-

Seit Montag, den 25. März ist Rainer Loehnert aus dem Bunker wieder raus. Er war insgesamt zweieinhalb Wochen dort eingesperrt. Jetzt kommt er – bis auf seine Schreibmaschine – wieder an seine Sachen. Schreibt ihm, seine Adresse findet Ihr hinten im Heft.

Manfred Peter bleibt weiter im Regelvollzug. Er wird nicht entlassen, denn die gegenteilige Einschätzung vom 9. April 2019 basierte auf einem Irrtum. Auch er freut sich über Post, seine Adresse findet Ihr hinten im Heft.

In diesem Sinne:

Knäste und Klapsen zu Baulücken!

Eure Redaktion

Inhalt

3 Vorwort / Leserbrief und Bild von Conny

Schwerpunkt

4 Kein Schweigen

5 Ahmets Tod – nicht justiziabel?

6 Zwei Jahre nach dem gewaltsamen Tod Ahmet Agirs

10 Gründungsaufruf zur Kampagne „Weg mit § 63 StGB/ Gegen Zwangspsychiatrie“

11 AAK 9. Mai

12 Forensik-Gefangene haben das Wort

International

15 Grüße an die politischen Gefangenen aus

der RHI-Konferenz März 2019

16 Nazi-Richter fällt historisches Urteil

20 Grenzenlose Solidaritätsarbeit

22 Festnahmen und Gefängnisstrafen für

revolutionäre Intellektuelle in Indien

Inland

24 Solidarität Heißt Weiter Kämpfen!

26 Solidarität statt Angst

27 Aktivitäten zum Frauen*kampftag und dem Tag der politischen Gefangenen / Grußbotschaft zum Solidaritätshungerstreik vom 12.4. bis zum 15.4.2019 in Berlin

Gefangene

28 Zwei Beiträge von Thomas Meyer-Falk

29 Briefe von Erdal und Prozesstermine

30 Sunny W. zur Situation in der JVA Chemnitz

32 Drei Briefe von Manfred Peter

34 Ich wähle die Flucht (den Ausbruch)

36 Briefe ans GI von Rainer und Stefanie

37 Musa über Solidarität

Kultur

38 Frau Schlosser und der Wunsch nach Anerkennung

Aus dem GI 422 2 Artikel:

Ahmets Tod – nicht justiziabel?

Das Gefangenen Info ist erhältlichin dem Buch-/Infoladen eures Vertrauens und auf www.gefangenen.infooder übervertrieb@gefangenen.info“;>vertrieb@gefangenen.info

Einzelpreis: 2€. Ein Jahresabonnement kostet 25,20€ (Förderabo 28,00€), Buchläden, Infoläden und sonstige Weiterverkäufer erhalten bei Bestellungen ab 3 Stück 30% Rabatt. Bankverbindung: Gefangenen Info, Konto-Nr.10382200, Bankleitzahl: 20010020, IBAN: DE93 2001 0020 0010 3822 00, BIC: PBNKDEFF, Postbank Hamburg

www.political-prisoners.net // www.gefangenen.info

 

2 Artikel aus dem GI 422

– Autonomes Autorenkollektiv 9. Mai –

Es überrascht nicht, dass die Staatsanwaltschaft Bremen versucht, das Verfahren Ahmets Tod betreffend knapp zwei Jahre nach dem tödlichen Absonderungs-Versuch in Bremen-Ost einzustellen. Von Anfang an war zu erkennen, dass Zeugenaussagen von Inhaftierten nicht den gleichen Stellenwert erhielten wie Aussagen des Personals. Auch dass es trotz des Ermittlungsverfahrens wegen Körperverletzung mit Todesfolge zu keinen Suspendierungen/Versetzungen der Tatbeschuldigten kam, verriet, wie „Recht“ gesprochen wird. Die schriftlichen Äußerungen der Staatsanwaltschaft zeigen: was nicht passt, wird passend gemacht, weggelassen oder angepasst.

Wurde anfangs noch versucht, eine gänzlich andere Version zu konstruieren (eine von Ahmet verweigerte Urinkontrolle), wird nun seitens der Staatsanwaltschaft Bremen nur noch der Vorgang im Raucherraum verhandelt. Die Tatbeschuldigten befanden sich angeblich in einer „Notwehrsituation“, da Ahmet, nach Angaben des Personals, mit einem Glasaschenbecher warf. Die „Notwehrsituation“: erst drei Personen gegen Ahmet, dann über 20 Pfleger/innen und Securitymitarbeiter gegen ihn, so verschriftlicht es die Staatsanwaltschaft, machen Zeugenaussagen von Mitinhaftierten nicht weiter notwendig.

Auch rechtfertigt diese „Notwehrsituation“ angeblich die angewendeten (KDM)-Kampftechniken. Eine Fixierung in Bauchlage, die von Amnesty International als Folter bezeichnet wird und in den USA seit 20 Jahren verboten ist, war für die Staatsanwaltschaft Bremen eine angemessene „Selbstverteidigung“ der Tatbeschuldigten. Ahmet´s Kampf um Luft vor seiner Bewusstlosigkeit war kein Grund, von ihm abzulassen. Die Staatsanwaltschaft bewertet: da Ahmet noch lautstark schrie, kann er nicht wirklich in Not gewesen sein. Weiter, dass zu keinem Zeitpunkt Ahmets Luftzufuhr blockiert wurde. Dabei kosten angewendete KDM-Techniken und Fixierungen in Bauchlage immer wieder Menschen das Leben („Gewahrsamstod“).

Dass Ahmet, bevor es im Raucherraum zur Gewalteskalation kam, zuvor von der Deeskalationsbeauftragten provoziert wurde, er sich abwandte, in den Raucherraum lief und in diesem Moment der Absonderungszugriff (Eberhardt) ausgelöst wurde, bleibt unerwähnt.

Dabei macht ein Teil des Personals keinen Hehl daraus, zu benennen, was Realität ist. Sätze wie: „wenn jemand ins BEO soll, dann kommt der da auch rein, egal wie“. Oder: „Sie können sich beschweren, wie sie wollen, wir haben immer drei Menschen, die gegen Sie aussagen“, werden von einigen Mitarbeiter/innen, ebenfalls wie Drohungen (Verlegung, Entzug von Lockerungen, BEO etc.) geradewegs ausgesprochen.

Auch dass, nachdem Ahmet im Zuge der Gewaltorgie das Bewusstsein verlor, erst 13 Minuten später der Notruf ausgelöst wurde, betrachtet die Staatsanwaltschaft nicht als fahrlässig. Sie erklärt, dass fälschlicherweise ein zweiter „Kampf-Alarm“ (Eberhardt) statt des Notrufs (Elonore) ausgelöst wurde. Auch lässt die Staatsanwaltschaft Bremen unberücksichtigt, dass mehrere Defibrillatoren der forensischen Psychiatrie nicht einsatzbereit waren und im Zuge der polizeilichen Ermittlungen die Chips der Geräte nicht ausgelesen wurden/werden konnten.

Die Rechtsmedizin kam zu dem Befund, dass erhebliche Vorerkrankungen Ahmet´s seinen Tod (mit)begründeten. Dass Ahmet in sechs Monaten „Fürsorgepflicht“ im forensischem Vollzug unter Psychopharmaka 45 Kilo Körpergewicht zunahm und zuvor Arztkonzile verhindert wurden, bleibt von der Staatsanwaltschaft ebenfalls ausgespart.

Somit soll Ahmet´s Tod als einer von vielen „tragischen Unfällen“ im Vollzug unverantwortet bleiben. Ohne uns.

Repressive, pharmakologische Psychiatrie tötet und gehört abgeschafft!

Wir kämpfen weiter für Gerechtigkeit bezüglich Ahmet´s Tod und für die Menschenrechte Anderer im Vollzug.

Ahmet unvergessen!

Kein Vertuschen! Kein Vergeben!

Gründungsaufruf zur Kampagne „Weg mit § 63 StGB/ Gegen Zwangspsychiatrie“

– AK Psychiatriegewalt stoppen –

Wir möchten diesen Rahmen nutzen, um zur Gründung der Kampagne gegen die psychiatrische Sicherungsverwahrung aufzurufen. Das Aktionsbündnis ist parteien- und lagerübergreifend. Jede/r kann mitmachen.

Der Paragraph 63 ist eine Rechtsnorm, welche im Dritten Reich zur langfristigen oder dauerhaften Aussonderung „psychisch kranker“ und/oder nonkonformistischer Menschen geschaffen wurde. Seit 1945 hat sich an diesem, höchst fragwürdigen, Normzweck nichts geändert.

Der § 63 StGB stellt eine faktische Sicherungsverwahrung dar, er ist (daher) zudem auch ganz offiziell Teil des Maßregelsystems (der § 66 StGB), reguläre Sicherungsverwahrung ist bspw. ebenfalls eine Maßregel (MRV). Während zur regulären Sicherungsverwahrung nur derjenige verurteilt wird, dessen Tat das Merkmal der besonderen Schuld trägt, werden hingegen bei Verurteilungen gem. § 63 StGB all jene verurteilt, die offiziell „freigesprochen“ werden (wg. verminderter oder vollständig aufgehobener Schuldfähigkeit). Bereits dies ist paradox. Zynisch wird es jedoch dann, wenn in Fällen, in denen de jure Strafmilderung greift, gleichzeitig die Verurteilung zu einer unbegrenzten Inhaftierung erfolgt.

Alle MRV-Insassen werden länger inhaftiert, als ihre Parallelhaftstrafe hergibt, bzw. was das StGB im Falle einer vollständigen Schuldunfähigkeit eigentlich strafrechtlich für die zur Unterbringung führende Straftat hergibt. Wird also bspw. jemand aufgrund Eigentumsdelikten oder Schwarzfahrens zu einer Parallelhaftstrafe von 12 Monaten verurteilt und zudem verminderte Schuldfähigkeit festgestellt, so wird ein solcher Mensch tatsächlich weitaus länger festgehalten (Bundesdurchschnitt liegt mittlerweile bei fast 9 Jahren), als dies im Falle einer regulären Inhaftierung vollzogen würde.

Diverse aktuelle schlagzeilenträchtige Fälle (Mollath, Kulac, Haselbauer, Stein, Perez, Hoffmann etc. etc.) haben die Schwere einer solchen Unterbringung wieder in das öffentliche Bewusstsein gerückt. Manche der Menschen waren unschuldig, andere hingegen tatsächlich „schuldig“ und/oder „krank“. Sie alle waren aber zu Unrecht im MRV untergebracht bzw. weiterhin festgehalten; entweder weil sie nicht „krank“ waren oder aber weil sie viel zu lange in diesem System festgehalten worden sind.

Anders als der reguläre Strafvollzug, ist der psychiatrische MRV in Händen von privaten oder teilprivaten Trägern. Das Geschäft mit der Forensik ist lukrativ. Während der Staat händeringend darum bemüht ist, Straftäter/innen aus dem geschlossenen Vollzug fernzuhalten bzw. wieder loszuwerden (was zum Teil erschreckende Blüten treibt), so steigen die Einweisungen und Verweildauern im psychiatrischen Maßregelvollzug in exorbitanter Weise. Der Staat errichtet für die Forensikträger gratis Einrichtungen. Danach wird seitens des Staates eine monatliche pro-Kopf Pauschale an den jeweiligen Träger entrichtet, über die der Träger in der Praxis frei verfügen kann. Pro MRV-Insasse werden staatlicherseits ca. 10.500,00 € monatlich an die Träger ausgezahlt. Ein regulärer Haftplatz hingegen kostet den Steuerzahler lediglich ca. 30.000,00 € jährlich. Für den Staat ist die Unterbringung „gesunder“ Straftäter ein Minusgeschäft, für die privaten bzw. halbprivaten Träger jedoch eine wahre Goldgrube; sie bekommen gratis Einrichtungen gestellt und können danach kräftig abkassieren. Es werden immer mehr Forensiken errichtet, da die Träger den Staat, durch ihre repressive Linie so wenig Leute wie möglich wieder rauszulassen, dazu zwingen. In Bremen, bspw., wird seitens der Landespolitik (Rainer Bensch, Gesundheitspolitischer Sprecher der bremischen CDU-Bürgerschaftsfraktion) ganz offen auf den Missbrauch von eigentlich normzweckorientiertem staatlichem Budget hingewiesen. Die „Gesundheit Nord“ (GeNo) unterhält neben der Forensik nämlich u.a. noch einige marode, somatische Kliniken; an diese werden Teile des Forensikbudgets „abgezweigt“. Bereits aus diesen Gründen – erhebliche Steuergeldverschwendungen und Korruption – sollte ein Umdenken stattfinden.

Hinzu kommt die Tatsache, dass Gutachten ein ebenfalls lukratives Geschäft sind; ein forensisches Gutachten kann den Steuerzahler mal eben 10.000,00 € und mehr kosten. Diese Gesetzesnovelle vom 1. August 2016, welche auf die diversen Psychiatrieskandale zurückgeht und eigentlich übermäßig lange Unterbringen vermeiden helfen soll, führt nur dazu, das Gutachtergeschäft weiter zu beleben. Nunmehr sind alle zwei Jahre Gutachten durchzuführen – in tausenden von Fällen. Die Gutachter/innen können es sich leicht machen, indem sie sich für eine weitere Unterbringung aussprechen; so gehen sie kein Risiko ein – das Geld erhalten sie am Ende trotzdem. Viele Forensiken und Träger führen interne Listen mit derartigen „Gutachter/innen“ – eine Win-Win Situation. Da der § 63 StGB – bis heute – knallharte Kriminalpolitik darstellt, werden Gutachten und Anstaltsstellungnahmen von nahezu sämtlichen Gerichten in der BRD durchgewunken.

Es existiert ein flächendeckendes, allgemeinpsychiatrisches Wohnheimversorgungsnetz. Auch zivilrechtlich können potentiell gefährliche bzw. selbstgefährdende Menschen geschlossen untergebracht werden. Dies erfolgt aber in einem eben weitaus zivileren Rahmen und weist in der Praxis nicht die Verweildauern auf, wie dies im psychiatrischen MRV der Fall ist.

Diese finanziellen Gründe sind es aber auch, die den MRV für unseriöse Anbieter so lukrativ macht und somit zu immer längeren Verweildauern und steigenden Unterbringungen führt.

Die Gesetzesnovelle vom 1. August 2016 ist gescheitert; darin sind sich alle seriösen Fachleute einig. Die beiden aufgeführten Verhältnismäßigkeitsschwellen greifen nicht.

Eine Therapie kann nicht erzwungen werden. All jene, die sich auf eine Therapie nicht einlassen wollen oder können, fallen durch das Raster. Die Dunkelziffer der Fehleinweisungen ist hoch.

Wir leben in einem normativen Rechtssystem – der § 63 StGB hingegen ist ein anachronistischer Gummiparagraph.

Daher unsere Forderung:

I. Abschaffung des § 63 StGB als Teil der Zwangspsychiatrie

II. Angebot „Therapie statt Strafe“. Das heißt, dass in Fällen, in denen eine verurteilte Person eine Therapie machen möchte, sie dies tun kann. Dies wird strafmildernd bewertet. Die Person kann die Therapie abbrechen: dann Rückverlegung in die JVA

III. Zeitliche Befristung des § 63 StGB. Bei Aussichtslosigkeit entweder keine Aussprache der Maßregel im Hauptverfahren oder, falls bereits ausgesprochen und vollstreckt, Umwandlung/Überführung in JVA.

IV. Maximal Verweildauer der Maßregel siehe Parallelhaftstrafe (dies wird z.B. auch seit 2016 von den Grünen gefordert)

Wir möchten daher alle zur Mitarbeit aufrufen. Insbesondere suchen wir Leute, die in der Erstellung von Internetseiten und Medien versiert sind, aber auch Jurist/innen. Selbstverständlich sind aber auch alle anderen Menschen höchst willkommen. Wir planen eine eigene Internetseite und weitere Projekte. Aktuell könnt ihr uns unter:

ak-psychiatriegewalt-stoppen@web.de

sowie via GI (Redaktion leitet Zuschriften weiter) erreichen.

Am Ende wollen wir eine bundesweite Kampagne betreiben. Wir hoffen auf Eure Solidarität.

– Weg mit § 63 StGB –

– Gegen Zwangspsychiatrie! –