Demonstration: 08. Juli 2012 | Insel, bei Stendal |
Treffpunkt: 14:30 UHR, Dorfplatz, Insel |
Beginn: 15:00 UHR |
Informationen zu Anreise, Route usw.: novolksmob.blogsport.de
In Insel im nördlichen Sachsen-Anhalt finden sich seit letztem Sommer regelmäßig Dorfbewohner zusammen, um zwei Männer, die in den 1980er Jahren wegen Vergewaltigung verurteilt wurden, aus dem Ort zu vertreiben. Zu diesem Zweck haben sie auch den Schulterschluss mit Neonazis geprobt. Ihre Forderungen fanden bei der Landesregierung, bei „Bild“ & Co. zumindest zeitweise Gehör. Anfang Juni versuchte ein 50-köpfiger Lynchmob, das Haus der beiden Männer zu stürmen. Er konnte nur durch vehementen Polizeieinsatz davon abgehalten werden. Die Demonstration „Insel fluten!“ richtet sich weniger gegen die Beteiligung von Neonazis am Protest, sondern gegen die ganz gewöhnliche Lynchmeute vor Ort, gegen die Zugeständnisse der Landesregierung an den Dorfmob und die Hetzkampagne von „Bild“ & Co.
FÜR DIE CHANCE AUF RESOZIALISIERUNG! FREIE WOHNORTWAHL FÜR ALLE!
Die 400-Seelen-Gemeinde Insel im nördlichen Sachsen-Anhalt ist ein ganz normales ostdeutsches Dorf. Es herrscht die Tristesse, die in diesem Landstrich überall beobachtet werden kann. Seit dem Sommer 2011 geriet der Ort jedoch immer wieder in die Schlagzeilen. Regionale und überregionale Medien berichteten aus Insel. Der Grund dieser Aufmerksamkeit war, dass die Bewohner des Dorfes deutlich machten, welches bedrohliche Potenzial sich hinter der Idylle aus Vorgärten, Geranien und sanierten Fassaden verbirgt.
DER HINTERGRUND
Im Juli 2011 zogen zwei Männer nach Insel, die vor 25 Jahren in Baden-Württemberg wegen der Vergewaltigung von Frauen verurteilt worden waren. Nach jeweils fünfjähriger Haft waren beide in Sicherheitsverwahrung gekommen, bis diese 2010 vom Europäischen Gerichtshof für rechtswidrig erklärt wurde. Die beiden Männer kamen frei und wurden zunächst von der Polizei überwacht. Sieben Monate später urteilte das LKA Baden-Württemberg in Abstimmung mit Psychologen und den anderen einschlägigen Instanzen in einem Gutachten, dass die Männer kein herausragendes Gefahrenpotential mehr darstellen würden. Sie hätten sich vorbildlich verhalten. Die Überwachung wurde eingestellt.
Wenige Wochen nach ihrem Umzug nach Insel begannen die Proteste gegen die neuen Nachbarn. Einwohner sammelten Unterschriften für ihren Wegzug, beriefen Versammlungen ein und fanden sich regelmäßig zu Kundgebungen vor dem Haus der beiden Männer zusammen. Gegenüber der angereisten Presse präsentierten sich die Demonstranten immer wieder als Opfer „der Politik“. Sie erklärten zugleich, dass sie Angst um sich und vor allem um ihre Kinder hätten, die sie dann auch prompt mit zu den Protesten vor dem Haus der beiden Männer brachten. Zur Sicherheit der Ex-Häftlinge wurde daraufhin ein Streifenwagen vor der Tür ihres Hauses postiert. Diesen Schutz hatten die beiden Männer auch bitter nötig: Schon wenige Tage, nachdem die Dorfbewohner von der Vergangenheit ihrer neuen Nachbarn erfahren hatten, versuchten einige besonders Engagierte, das Haus anzuzünden.
DER SIEG DER STRASSE
Dass es sich bei diesem versuchten Brand- und Mordanschlag um die Tat von Einzelpersonen handelte, die sich noch dazu übermäßig Mut angetrunken hatten, dürfte nicht zuletzt dem bis dahin halbwegs vorbildlichen Vorgehen der Landesregierung zu verdanken gewesen sein. Die Zustimmung der einschlägigen Autoritäten zum Losschlagen, auf die Proteste wie in Insel hinzielen, wurde in Magdeburg nicht gegeben. Justizministerin Kolb (SPD) erinnerte stattdessen daran, dass das Grundrecht auf freie Wahl des Wohnortes auch in Sachsen-Anhalt gilt. Sie erklärte darüber hinaus, dass den beiden Männern sowohl aus juristischer als auch moralischer Sicht eine Chance auf Resozialisierung zustehe. Selbst die Regionalpresse, die sonst eher dafür bekannt ist, ihren Lesern nach dem Mund zu reden, bemühte sich zeitweise um eine ausgewogene Berichterstattung.
Erst als die Demonstranten den offenen Schulterschluss mit Neonazis übten – Bürgermeister von Bismarck, ein Nachfahre des Eisernen Kanzlers und einer der Anführer der Proteste, begrüßte die angereisten Kameraden freundlich vor laufenden Kameras –, kippte die Stimmung. Kaum hatte sich der Dorfmob in großer Zahl mit bekennenden Nazis zusammengeschlossen, fanden seine Forderungen Gehör. Innenminister Stahlknecht (CDU) rief zum Krisengipfel und sorgte dafür, dass die beiden Männer kurz darauf eine Einverständniserklärung unterschreiben, das Dorf zu verlassen. Zwar handelte sich Stahlknecht für seinen Vorstoß weder vonseiten der Landesregierung noch aus Oppositionskreisen großes Lob ein. Die Landtagsfraktionen verabschiedeten vielmehr eine Resolution, in der sie sich großzügig zu Resozialisierung und Grundrechten bekannten. Stahlknechts Vorstoß rückgängig zu machen, die Männer zum Bleiben in Insel zu bewegen und den Insulanern zu signalisieren, dass sich die Landesregierung dem Druck von der Straße nicht beugen werde, wollte dann aber doch niemand.
Nur wenige Tage nach der Übersiedlung eines der beiden Männer nach Chemnitz – der andere wollte und konnte Insel aufgrund einer Krebserkrankung nicht mehr verlassen – machte „Bild“ mit der Schlagzeile auf, dass „einer der schlimmsten Sexgangster Deutschlands“ nun dort wohne. Da der Umzug offiziell geheim gehalten worden war, vermuteten einige Zeitungen, dass es eine undichte Stelle bei der Justiz oder der Polizei gegeben habe. Nur kurz nach Erscheinen der „Bild“-Schlagzeile versammelten sich vor der Wohnung des Mannes Demonstranten, die von der NPD mobilisiert worden waren. Ihnen gelang es, den 54-Jährigen so einzuschüchtern, dass er Chemnitz fluchtartig – laut „Mitteldeutscher Zeitung“ in Todesangst – in Richtung Insel verließ.
Die Protestbürger des nördlichen Sachsen-Anhalts wollten ihren Chemnitzer Gesinnungsgenossen jedoch in nichts nachstehen. Unmittelbar nach der Rückkehr des Mannes versuchten 50 Personen – laut Innenminister größtenteils Einwohner des Dorfes –, das Grundstück zu stürmen und in das Gebäude einzudringen. Zuvor war es zu einer Spontandemonstration gekommen, die am Dorfgemeinschaftshaus begonnen hatte. Der Polizei gelang es mit erheblichem Einsatz, den Angriff abzuwehren. Die Demonstranten ließen sich jedoch nicht beirren. Sie versuchten noch mehrere Male, das Haus zu stürmen, die Auseinandersetzungen zogen sich über mehr als vier Stunden hin.
INSEL DES SCHRECKENS
In Insel lässt sich die Funktionsweise einer Dorfgemeinschaft idealtypisch ablesen. Im Kampf gegen den auswärtigen Feind finden sich Menschen zusammen, die sonst die Straßenseite wechseln, wenn sie sich begegnen. Denn anders als gern behauptet, sind gerade Dörfer keine Orte der Harmonie, sondern wechselseitiger Eifersüchteleien und generationenübergreifender Feindschaften. Die Insel-Bewohner, die sich nicht gleichschalten und an den Protesten gegen die Ex-Häftlinge beteiligen wollten, wurden von den Lautsprechern des Protests angefeindet und verbal eingeschüchtert. Als klassische autoritäre Charaktere konnten sich die Demonstranten dennoch erst dann zum groß angelegten Losschlagen entschließen, als ihnen vonseiten anerkannter Autoritäten Verständnis signalisiert wurde. Schon durch die von Innenminister Stahlknecht arrangierte Einverständniserklärung der beiden Ex-Häftlinge, den Ort zu verlassen, war den Dorfbewohnern bedeutet worden, dass der Schulterschluss mit Nazis, die Androhung von Gewalt und die Forderung nach der Aussetzung von Grundrechten weniger auf Kritik stößt als belohnt wird. Durch die widerwärtige Kampagne der „Bild“-Zeitung war dem Anliegen des Dorfmobs zudem durch die berühmte „vierte Gewalt“ Absolution erteilt worden. Als der Justizstaatssekretär des Landes der Bürgerinitiative Ende Mai öffentlich ein Gesprächsangebot machte, wurde sie schließlich als Verhandlungspartner in einer Sache präsentiert, die sie nichts angeht: Wer darf in Insel wohnen und wer nicht? Der Lynchmob, der sich am 1. Juni zusammenfand, war insofern zwar in erster Linie die Tat der örtlichen Protestbürger. Er war aber zugleich eine logische Konsequenz des bisherigen Vorgehens von Landesregierung, „Bild“ & Co., denen damit eine Mitverantwortung zukommt.
Das Vorgehen der Demonstranten zeigte zudem, dass stets Vorsicht geboten ist, wenn sich die Deutschen über ihre Ängste ausbreiten. So dient die ostentative Rede von der eigenen Angst hierzulande vor allem dem Zweck, die eigene Straflust zu kaschieren. Unter Verweis auf die eigene Angst wird das eigene Losschlagen vorbereitet und legitimiert. Er zielt darauf ab, bald selbst Angst und Schrecken verbreiten zu dürfen. Dass dieses Bedürfnis bei sexuell aufgeladenen Themen besonders stark ist, ist darauf zurückzuführen, dass sich der Verfolger im zu Verfolgenden wiedererkennt. Glaubt man der Psychoanalyse, richtet sich der größte Hass nie gegen etwas, das vehement abgelehnt wird, sondern gegen Dinge und Taten, die man sich selbst versagen muss: Da die eigenen Obsessionen und sexuellen Impulse zwar geahnt, aber weder eingestanden noch ausgelebt werden dürfen, werden umso leidenschaftlicher diejenigen verfolgt, die es dennoch tun. Denn dass es einem Protestmob wie in Insel nicht um die selbstverständliche Verurteilung von sexuellem Missbrauch geht, weiß jeder, der schon einmal einer Stammtischzusammenkunft in einem x-beliebigen Dorf beiwohnen musste: Dort wird zu fortgeschrittener Stunde eine Vergewaltigung schon mal schenkelklopfend als adäquates Mittel zur eigenen Triebabfuhr bzw. zur Disziplinierung ungehorsamer und -gehöriger Frauen dargestellt.
So haben, wie der „Stuttgarter Zeitung“ passenderweise zu entnehmen war, auch einige der Bewohner von Insel sonst wenig gegen Sexualstraftaten einzuwenden. Eine Einwohnerin berichtete dem Blatt, dass ihre damals elfjährige Tochter vor einigen Jahren von einem Dorfbewohner sexuell missbraucht worden sei. Einige Einwohner hätten ihr damals von einer Anzeige abgeraten, um die Zukunft des Täters nicht zu zerstören. Zwar gehört es inzwischen zum Standardvorgehen entsprechender Bürgerinitiativen, Sexualstraftäter in jedem Fall als Kinderschänder zu bezeichnen: Mit der Aussage, gegen einen Kinderschänder vorzugehen, lässt sich der eigene Verfolgungsdrang noch weitaus besser legitimieren als durch Hinweise auf die Vergewaltigung Erwachsener. Der obsessive Drang der Insel-Bewohner, die beiden zugezogenen Ex-Häftlinge, die sich nie an Minderjährigen vergangen hatten, als Kinderschänder zu bezeichnen, dürfte seine Ursache dennoch auch im Missbrauchsfall haben, der vor einigen Jahren im Dorf stattgefunden hat. In Insel wird nicht nur das allgemeine Verfolgungsbedürfnis ausgelebt, das auch anderswo die Grundlage von Kampagnen gegen entlassene Sexualstraftäter bildet. Hier scheint sich zugleich die Möglichkeit zu bieten, die Konflikte, die im Zusammenhang mit dem Missbrauchsfall vor einigen Jahren zwangsläufig entstanden sein dürften, in der Verfolgung der beiden Ex-Häftlinge projektiv auszuagieren. Während der damalige Täter wohl aufgrund seines Standings im Ort nicht dorföffentlich angegriffen werden konnte – eine Anzeige wurde wohl dennoch gestellt –, konnte an den zugezogenen Ex-Häftlingen nun eine symbolträchtige Ersatzhandlung begangen werden. So fanden sich, wie die Mutter des damals betroffenen Mädchens der „Stuttgarter Zeitung“ berichtete, diejenigen, die ihr damals von einer Anzeige abgeraten hatten, bezeichnenderweise unter denen, die nun plötzlich gegen die beiden Männer demonstrierten und von ihrer Angst vor sexuellen Übergriffen sowie der Abscheu vor Sexualstraftätern sprachen.
ALLES AUF ANFANG
Wie dem auch sei: In Insel zeigt sich mehr als deutlich, wozu Dorfgemeinschaften willens und fähig sind. Hier kommt das Verfolgungsbedürfnis gegen Gemeinschaftsfremde unverstellt zum Ausdruck. Der dörfliche Selbstfindungsakt, der sich hinter der kollektiven Hetzjagd gegen die beiden Ex-Häftlinge verbirgt, wird zwar zwangsläufig scheitern. Ebenso wie das Dorfleben vor dem Zuzug der beiden Männer nie besonders harmonisch war, wird sich auch nach ihrer eventuellen Umsiedlung kein Frieden einstellen. Vielmehr werden die traditionellen Konflikte um die Höhe des Gartenzaunes, das sonntägliche Autowaschen oder das Verhalten beim Dorffest wieder aufbrechen. Im Zentrum des allgemeinen Verfolgungsbedürfnisses werden dann zunächst wohl die Einwohner stehen, die sich nicht an der Hatz auf die beiden Ex-Häftlinge beteiligen wollten. Den vielen kleinen Insels, die es in Sachsen-Anhalt gibt, wurde durch das Verhalten der Landesregierung (auch wenn sie nach dem versuchten Sturm auf das Haus der beiden Männer einige kritische Worte an die Dorfbewohner richtete) dagegen lange Zeit signalisiert: In Magdeburg ist man bei vielen Schweinereien bereit, erst einmal ein Auge zuzudrücken.
Im Unterschied zur Landesregierung sind wir nicht zu solchen Zugeständnissen bereit. Wir wollen weder aufklären noch, wie einige Landtagsabgeordnete und Minister vor kurzem bei einem Besuch in Insel erklärten, „ins Gespräch kommen“ mit Leuten, die das Haus ihrer Nachbarn am liebsten stürmen wollen. Während die Landesregierung und das Allparteienkartell des Landtages – von der Linkspartei bis zur CDU – darum bemüht zu sein scheinen, das Lynchaufgebot und die Vorgänge von Insel um der Wählerstimmen, des Landesimages sowie des Partei- und Fraktionsfriedens willen so schnell wie möglich in Vergessenheit geraten oder unter dem Teppich verschwinden zu lassen, geht es uns ausschließlich um die Denunziation der Dorfgemeinschaft und ihrer mal stillen, mal weniger stillen Unterstützer. Aus diesem Grund rufen wir zu einer Demonstration gegen die zeitweiligen Konzessionen der Landesregierung an die Dorfstraße, die Hetzkampagne von „Bild“ & Co. und vor allem gegen das Insulaner Verfolgerkollektiv auf! Wir wissen zwar, dass wir keinerlei Einfluss auf die Verhältnisse in Dörfern wie Insel haben. Den Dorfmob mit unserem Unmut konfrontieren können wir dagegen jederzeit. Wir wollen die ganz normalen Zustände und das Klima in einem Ort kritisieren, der eine Lynchmeute wie am 1. Juni hervorbringen kann. Aus diesem Grund fahren wir auch und gerade dann ins nördliche Sachsen-Anhalt, wenn es die Insulaner gerade mal nicht in die Schlagzeilen geschafft haben.
WIR SOLIDARISIEREN UNS MIT DEN OPFERN DES VOLKSZORN UND FORDERN EINE ENTSCHÄDIGUNGSLOSE FLUTUNG INSELS!
BÜNDNIS „8. JULI“