Dokumentierte Menschrechtsverletzungen der US-Regierung Folter in den USA

Derzeit ist die russische Armee wegen Verletzungen des Menschenrechts zu Recht in der Kritik. Dennoch sollte sich der Nato-Westen bei diesem Thema nicht zu weit aus dem Fenster lehnen.
Knast-Zellen im Camp Delta des berüchtigten US-Gefängnisses Guantanamo auf Kuba, April 2006.

Bild: Knast-Zellen im Camp Delta des berüchtigten US-Gefängnisses Guantanamo auf Kuba, April 2006. / US Federal Government (PD)
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Allzu schnell vergessen westliche Leitmedien, dass auch ihre eigenen Regierungen Verbrechen zu verantworten haben. Wer von Butscha redet, darf nicht schweigen über Guantannamo. Abu Ghraib und Belmarsh (Londons Hochsicherheitsknast, das „Britische Guantannamo“, wo Julian Assange widerrechtlich inhaftiert und gefoltert wird, wie UN-Folterexperte Prof.Nils Melzer bewiesen hat).

Noch vor einem Jahr sendete Arte Dokumentationen der Folter in den USA: „Eine Geschichte der Folter in den USA (Niemand darf der Folter unterworfen werden)“ und „Slahi und seine Folterer: Das Leben nach Guantanamo“.

Beide Filme sind sehenswert, verschweigen aber, dass USA und Grossbritanien den Wikileaksgründer Julian Assange seit zehn Jahren verfolgen und foltern, den wohl wichtigsten Kritiker der US-Politik. Trotzdem bieten die Arte-Dokus gute Hintergrund-Informationen zum Thema Folter und Regierungskriminalität. Denn Folter ist ein Verbrechen gegen die Menschenrechte, auch und gerade, wenn sie offizielle Regierungspolitik wird. Und nicht nur dann, wenn sie von Russland oder China begangen wird.
Gitmo – Die Folterindustrie der USA
„Niemand darf der Folter unterworfen werden“ (Filmtitel von 2019) wurde von Arte unter dem treffenderen Titel „Eine Geschichte der Folter in den USA“ gesendet. Die von Arte selbst (mit Programm33) produzierte Doku verfolgt die aktuelle US-Folterindustrie, die unter dem Namen „Guantanamo“ (kurz „Gitmo“) bekannt ist, zurück in die Zeit der Sklaverei.

Der Reichtum der frühen USA basierte bekanntlich auf Sklavenhaltung, auch George Washington und andere Gründerväter waren Sklavenhalter. Die Sklaven wurden mit Folter zur Arbeit angetrieben, sollten aber nicht an (Wiederverkaufs-)Wert einbüssen. Durch Folterspuren wären sie auf dem Sklavenmarkt als aufsässig erkennbar geworden, so wurden Foltermethoden entwickelt, die spurlos bleiben: Der historische Beginn der sogenannten „Weissen Folter“. Beide Dokus zeigen Folterer, die sich damit rechtfertigen, sie hätten ihren Opfern keine Wunden zugefügt.

Die Geschichte der Folter springt dann in den Kalten Krieg, wo die USA im Koreakrieg erlebten, dass gefangene GIs in Nordkorea gestanden, die USA hätten völkerrechtlich strikt verbotene bakteriologische Waffen eingesetzt. Daraus sei eine grosse Angst vor „kommunistischer Gehirnwäsche“ entstanden, die militärisch-geheimdienstliche Forschung zur Folge hatte (dass die USA tatsächlich bakteriologische Waffen eingesetzt haben könnten, hinterfragt Arte nicht).
Milgram und Zimbardo als Komplizen
Als mutmassliche CIA-Folterforschung wird nicht nur das berüchtigte Zimbardo-Gefängnis-Experiment angeführt, sondern auch das hochgelobte Milgram-Experiment. Letzteres wird meist als kritische Humanwissenschaft zitiert, mit dem Ziel, die Grenzen menschlicher Grausamkeit und Obrigkeitshörigkeit zu erforschen. Dass dies keineswegs kritisch motiviert gewesen sein muss, ist eine neue These dazu.

Man könnte auch geplant haben, die so erkannten Grenzen bei Ausbildung und Einsatz tatsächlicher Folterknechte auszunutzen. Das Zimbardo-Experiment führt diese Linie weiter, mit angeblich „simulierter“, aber tatsächlich realer Folter unter psychologischer Dokumentation. Der deutsche Film „Das Experiment“ orientierte sich an Zimbardos Militärforschung.

Zurück zur Arte-Doku: Im Rahmen von CIA-Folterforschung führte der Präsident der American Psychiatrical Association, Dr. Cameron, so die Doku, brutalste Experimente an Patienten durch. Alte Interviews mit Opfern werden gezeigt, so eine Ex-Angestellte des US-Verteidigungsministeriums, die nach Dr. Camerons Behandlung mit Elektroschocks und sensorischer Deprivation keine Erinnerung mehr daran hatte, was ihre Aufgaben für das Pentagon waren.
Propaganda: Hollywood foltert mit
In Guantanamo wurden bzw. werden (die Doku bleibt da unklar) diese Foltertechniken ungehemmt gegen Verdächtige eingesetzt. Verantwortlich sind US-Präsident Bush jr. (Sohn des gleichnamigen CIA-Chefs und US-Präsidenten), Cheney, Rumsfeld und er ihm unterstellte General Miller, der erst Guantanamo und dann Abu Ghuraib kommandierte, wo schlimmste Folter massenhaft gegen irakische Zivilisten eingesetzt wurde.

Man erfährt, dass parallel zur Ausweitung der Folter TV-Filme Propaganda für diese Verrohung der Kultur machten, dass die Serie „24“ mit Kiefer Sutherland sogar von den Folterern als „Inspiration“ genutzt wurde… wohl auch als moralische Rechtfertigung: In „24“ werden als Unmenschen dargestellte Terroristen brutal gefoltert, mit dem hehren Ziel, schlimmste Anschläge zu verhindern. Der „Tagesspiegel“ sprach in seiner Filmkritik der Arte-Doku verharmlosend von „vermeintlichen“ Foltermethoden des US-Geheimdienstes CIA:

„Man kann es auch so sehen wie CIA-Agent Michael Scheuer. Der antwortet im Film „Folter – Made in USA“ auf die Frage, ob „Waterboarding“, also das simulierte Ertränken, Folter sei: „Natürlich nicht. Es war vom Präsidenten genehmigt und von US-Juristen gebilligt.“ Im Frühjahr 2009 hatte US-Präsident Obama den Agenten und Verhörspezialisten Straffreiheit zugesichert, aber zugleich zahlreiche Regierungsdokumente freigegeben. Insofern enthüllt der Dokumentarfilm von Marie-Monique Robin keine Neuigkeiten.“ Tagesspiegel 20.6.2011

Nein, man kann es nicht so sehen wie der Folterknecht der CIA, denn Verbrechen bleiben Verbrechen auch als Staatsverbrechen. Von „simuliertem“ Ertränken zu reden ist ebenfalls verharmlosend. Da wird nichts simuliert, man holt die Ertränkten nur (meistens) wieder ins Leben zurück, um ihre Todesangst und Schmerzen als Misshandlungen zu nutzen. Dass Obama den Folterknechten Straffreiheit gewährte passt in die US-Menschenrechtspolitik: Die USA boykottieren den Internationalen Strafgerichtshof in Den Haag und haben ihm sogar Gewalt angedroht, sollte er US-Soldaten anklagen.

Daher werden wir wohl nie erfahren, wie viele Menschen im Dienste von US-Behörden in Gitmo und zahlreichen Geheimgulags („Blacksites“) zu Tode gefoltert werden. Damit -und mit dem andauernden völkerrechtswidrigen Drohnenkrieg- wird globaler Terror verbreitet und eine Kultur der Unmenschlichkeit gepflegt. Die derzeitige breite Medienkritik an Russlands Verbrechen in der Ukraine erscheint vor diesem Hintergrund als zynische Ablenkung von eigenen, westlichen Verbrechen.

In der Arte-Doku kommt Susannah Sirkin von der NGO Physicians for Human Rights zu Wort, die sagt, dass Folter nicht nur den Folteropfern schadet, sondern auch „eine Gesellschaft zu einer Gesellschaft der Grausamkeit macht“. Kiefer Sutherland hat etwa mit seiner Folter-Rechtfertigungs-Serie „24“ seinen Teil dazu beigetragen. Die Philosophie-Professorin Rebecca Gordon wird zitiert: „Wir haben weniger den Krieg gegen die Folter verloren als den Krieg gegen die Demokratie gewonnen.“ Und der Historiker der University of Wisconsin, Prof. Alfred McCoy, erklärt: „Mächte im Niedergang greifen zu Folter. Sie nährt die Illusion von Überlegenheit, Dominanz und Kontrolle.“

Am Ende wirft die Doku sogar die Frage auf, ob die zahlreichen in Foltertechnik geschulten US-Sicherheitsbeamten inzwischen bei Polizei und Einwanderungsbehörden ihr Unwesen treiben und dort Folter etwa an Migranten oder sogar Kindern ausüben. Man sieht die Latino-Kinder in Käfigen mit denen Donald Trump seine Anhänger hofieren wollte. Ein Hinweis auf den ebenfalls gefolterten und seit zehn Jahren mit Auslieferung an die USA bedrohten Julian Assange fehlt leider. Aus Angst der Filmemacher vor Zensur? Oder aus Unkenntnis infolge der fortgesetzten medialen Vertuschung der Verbrechen gegen Julian Assange? The Mauretanian: Slahi und seine Folterer Die zweite Folter-Doku die Arte im Juni 2021 brachte, heisst: „Slahi und seine Folterer: Das Leben nach Guantanamo“ und ist eine aktuelle NDR-Produktion (mit Arte, MDR und RBB) von 2021. Sie folgt der Hauptfigur aus dem US-kritischen Film „The Mauretanian“, dem Mauretanier Mohamedou Slahi, der 14 Jahre unschuldig von den USA inhaftiert und gefoltert wurde. Es werden seine Folterknechte und deren Hintermänner und -frauen aufgespürt und interviewt. Einige seien erst durch den Erfolg der Verfilmung von Slahis Tagebuch seines Leidens „The Mauretanian“ aufgeschreckt worden und zu Interviews bereit gewesen.

Einige Täter und eine Täterin, die den Befehl zu Slahis verschärfter Folter gab, sehen ihre Schuld bis heute nicht ein. Die US-Offizierin hält Slahi bis heute für den Anwerber von drei 9/11-Attentätern in Hamburg (wo Slahi studierte). Sie hält den inzwischen von allen Beschuldigungen freigesprochenen Slahi weiterhin für ein diabolisches Superhirn, das erst das Folter-System von Guantanamo manipulierte und jetzt auch die Filmemacher. Diese Folter-Verantwortliche, also eine Mittäterin, bekommt in der Doku breiten Raum für ihre Ansichten. Ihre Beheuptungen und Rechtfertigungen werden immerhin als gerichtlich widerlegt dargestellt, den Zuschauern bleibt jedoch offen, für wen sie sich entscheiden, denn Gerichte können bekanntlich irren.

Slahi liess sich, so die Doku, tatsächlich kurzzeitig von Al Qaida anwerben, doch zu einer Zeit da diese Terrorgruppe noch von den USA finanziert wurde. Sie sollte damals gegen die russische Besatzung von Afghanistan kämpfen, um der UdSSR zu schaden. So habe Slahi dies damals in den 80er-Jahren aus deutschen Mediendarstellungen erfahren und ist sich daher bis heute keiner Schuld bewusst. Genau wie seine Peiniger.
Rache, Schuld und Vergebung
Die Doku treibt die Darstellung von Slahi und seinen Peinigern auf die Spitze, in dem sie ihn in Skype-Telefonaten auf die Folterer treffen lässt. Man bekommt fast Mitleid mit einem brutalen 120-Kg-Bodybuilder, der unter seiner schliesslich eingestandenen Schuld langsam zusammenbricht. Slahi berichtet von seinen Rachewünschen, die er zu Gunsten einer umfassenden Vergebung aufgab. Diese Vergebung und ein künftig glückliches Leben zu führen sieht er als beste Form der Rache an seinen Folterern. Die Doku gibt ihm Recht, seine US-Widersacher scheinen als erbärmliche, teils dümmlich-unbelehrbare Ideologen einer bösartigen Folter-Maschinerie.

Slahi lebt inzwischen in Mauretanien, so die Doku, hat aber ein Kind mit einer in Berlin lebenden US-Menschenrechtsanwältin – zu dem deutsche Behörden ihn nicht einreisen lassen. Dass die Doku trotz dieser augenfälligen Parallele zu Julian Assange, ebenfalls Folteropfer der USA, der ebenfalls Kinder mit seiner Menschenrechtsanwältin hat, nicht explizit macht, spricht zwar gegen sie. Trotzdem ist sie fast so empfehlenswert wie die intellektuell weit anspruchsvollere Arte-Doku zum Thema, die bei ARTE leider nicht mehr zugänglich zu sein scheint (was bei einer Eigenproduktion, auf die man selbst die Urheberrechte hält, etwas seltsam ist).

Hannes Sies

Filmquellen:

Slahi und seine Folterer

ARTE: „Mohamedou Slahi war 14 Jahre lang im amerikanischen Gefangenenlager Guantanamo Bay interniert. Von 2002 bis 2004 wurde er immer wieder gefoltert. 2016, nach seiner Entlassung aus Guantanamo, beginnt der NDR-Journalist John Goetz, nach Slahis Folterern zu suchen. Seine Investigation führt zu bemerkenswerten Begegnungen und zu überraschenden Enthüllungen.“
https://www.arte.tv/de/videos/095726-000-A/slahi-und-seine-folterer/

„Niemand darf der Folter unterworfen werden!“

„Nach den Anschlägen vom 11. September 2001 setzte die USA gezielt Folter als Verhörmethode im Kampf gegen den Terror ein. Weniger bekannt ist, dass die CIA bereits kurz nach dem Zweiten Weltkrieg damit begann, Foltermethoden wissenschaftlich zu erforschen. Wissenschaftler und Experten sprechen über die lange Geschichte der Folterpraxis in den USA.“ (Bei Arte derzeit bzw. nicht mehr zugänglich)
https://www.arte.tv/de/videos/087405-000-A/niemand-darf-der-folter-unterworfen-werden/

https://www.untergrund-blättle.ch/politik/nordamerika/usa-folter-guantanamo-slahi-7092.html