Ebru Timtik in Istanbul beigesetzt

Die an den Folgen eines 238-tägigen „Todesfastens“ für ein gerechtes Verfahren am Vortag verstorbene Rechtsanwältin Ebru Timtik ist in Istanbul beerdigt worden. Zuvor wurde ihr Leichnam von der Polizei verschleppt, Trauernde wurden angegriffen.

Die in der Türkei inhaftierte Rechtsanwältin Ebru Timtik, die am Donnerstag an den Folgen eines monatelangen Hungerstreiks in einem Istanbuler Krankenhaus verstarb, ist beigesetzt worden. Im Stadtteil Gazi begleiteten Angehörige, Kolleg*innen und Mandant*innen die 42-Jährige auf ihrer letzten Reise. An der Beerdigung nahmen auch viele Persönlichkeiten aus der Politik und Zivilgesellschaft teil.

Ebru Timtik war im Februar gemeinsam mit weiteren inhaftierten Kolleg*innen, darunter auch Aytaç Ünsal, in den Hungerstreik getreten, den sie am 5. April – dem „Tag des Anwalts” – in ein Todesfasten umgewandelt hatte. Sie war im März 2019 zu einer dreizehneinhalbjährigen Haftstrafe nach Terrorparagrafen verurteilt worden und forderte mit dem Todesfasten ein gerechtes Verfahren. Zuletzt wog sie nur noch 33 Kilogramm.

Die Beerdigung der Juristin sollte eigentlich am morgigen Samstag stattfinden. Da ein Antrag ihrer ebenfalls inhaftierten Schwester Barkın Timtik für die Teilnahme negativ beschieden wurde, ist die Beisetzung vorgezogen worden. Dennoch lief die Zeremonie nicht planmäßig ab, da die türkische Polizei den Leichnam von Timtik verschleppte. Bei dem Übergriff vor der Gerichtsmedizin im Stadtteil Yenibosna im Bezirk Bahçelievler wurde die Trauergemeinde zunächst mit Tränengas angegriffen, bevor der Leichenwagen mit dem Sarg von Sicherheitskräften beschlagnahmt und zum alevitischen Gebetshaus in Gazi gebracht wurde.

Die Totenzeremonie im alevitischen Gemeinde- und Versammlungshaus Gazi fand unter einer Polizeiblockade statt. An Straßen standen Panzerwagen und Wasserwerfer bereit, Trauergäste wurden zunächst mit Verweis auf die Corona-Bestimmungen an der Teilnahme gehindert, bevor die Polizei sie schließlich durchlassen musste. Die Zeremonie verlief den alevitischen Riten entsprechend, es wurden religiöse Gedichte und Lieder (Deyiş) vorgetragen. Nach einem Segensgebet wurde der Sarg von Timtik unter Parolen wie „Die revolutionären Anwält*innen sind unsere Würde” und „Ebru Timtik ist unsterblich” von ihren Kolleginnen zum Leichenwagen getragen und in einem langen Konvoi zum Friedhof begleitet. Währenddessen kam es zu einem weiteren Angriff der Polizei auf die Trauergemeinde, bei dem mehrere Anwält*innen leicht verletzt wurden. Als der Sarg mit Timtik wunschgemäß neben ihrer Mutter Fatma in die Erde gelassen wurde, flogen Kampfhubschrauber der türkischen Armee im Tiefflug über der Ruhestätte. Im Anschluss an die Beerdigung wurden mindestens sechs Personen festgenommen. Bei einem der Betroffenen handelt es sich um Eser Çelik, einen Mandanten der Rechtsanwältin.

DHKP-C-Verfahren

Ebru Timtik war eine von siebzehn Rechtsanwält*innen der linken Anwaltsvereinigung ÇHD (Çağdaş Hukukçular Derneği, deutsch: Verein progressiver Juristen), die im „Rechtsbüro des Volkes” (Halkın Hukuk Bürosu, HBB) tätig waren und im März 2019 im Komplex der Verfahren gegen vermeintliche Angehörige der DHKP-C (Revolutionäre Volksbefreiungspartei-Front) nach Terrorparagrafen zu hohen Freiheitsstrafen verurteilt wurden. Die Anschuldigungen gegen sie basierten ausschließlich auf den widersprüchlichen Aussagen des Kronzeugen Berk Ercan, Beweise für eine Straftat lagen nicht vor. Ebru Timtik ist bereits die vierte Oppositionelle aus dem DHKP-C-Verfahren, die dieses Jahr an den Folgen eines Hungerstreiks gestorben ist. Am 3. April starb Helin Bölek, Solistin der Musikgruppe Grup Yorum. Sie hatte 288 Tage lang aus Protest gegen die Inhaftierung von anderen Bandmitgliedern und einem Konzertverbot, mit dem Grup Yorum seit 2015 belegt ist, die Nahrungsaufnahme verweigert. Am 7. Mai kam der Yorum-Bassist Ibrahim Gökçek nach einem 323-tägigen Hungerstreik ums Leben. Zuvor war am 24. April bereits der politische Gefangene Mustafa Koçak an den Folgen eines 296 Tage andauernden Nahrungsentzugs gestorben.

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