129b weg

Ehemalige Gefangene im Gespräch über Münchner Kommunistenprozess

In Nürnberg fand eine Gesprächsrunde mit drei ehemaligen Angeklagten im Münchner TKP/ML-Prozess statt. Müslüm Elma, Haydar Bern, Erhan Aktürk sowie zwei Anwälte sprachen über Gründe und Bedingungen der Haft sowie über die politischen Implikationen.

Der sogenannte „Münchner Kommunistenprozess“ gegen neun Männer und eine Frau wegen Mitgliedschaft in der TKP/ML (Kommunistische Partei der Türkei/Marxistisch-Leninistisch) endete im Juli. In Nürnberg sprachen nun ehemalige Gefangene – darunter der Hauptangeklagte Müslüm Elma – über ihre Haftbedingungen und das als „Antiterrorprozess” inszenierte Mammutverfahren. Es war der seit vielen Jahren aufwändigste Prozess gegen zehn Linke, denen keine einzige individuelle Straftat zur Last gelegt wurde und die einer Organisation angehören sollen, die in Deutschland nicht verboten ist.

Die ehemaligen Gefangenen bedankten sich zunächst für die überwältigende Solidarität, die ihnen half, standhaft zu bleiben. Haydar Bern ging auf die Isolationsbedingungen während der Haft ein und merkte an, dass diese Art von Folter darauf abziele, den Willen zu brechen. Das kenne man auch von anderen Verfahren, sei es gegen die Arbeiterpartei Kurdistans (PKK) oder die DHKP-C. Auch in der Türkei sei Isolation an der Tagesordnung. Abdullah Öcalan auf der Gefängnisinsel Imrali ist das bekannteste Beispiel dafür, wie der Staat versucht, durch Verweigerung jeglicher sozialer Interaktion Menschen zu brechen. Der Widerstand in den Gefängnissen sei deshalb noch schwerer als der Widerstand außerhalb der Mauern, so Haydar Bern. Nur wer keinen Zweifel an seinen politischen Überzeugungen hat, ist in der Lage, der Totalisolation zu die Stirn zu bieten.

Angriff der „herrschenden Klasse“ keine Überraschung

Zu den Gründen ihrer Inhaftierung befragt, meinte Müslüm Elma, der Angriff der „herrschenden Klasse“ sei keine Überraschung gewesen. Im Laufe der Menschheitsgeschichte haben immer Kämpfe stattgefunden. Natürlich versuche der Staat, Revolutionäre, die sich gegen Ausbeutung und Unterdrückung auflehnen, zu bestrafen. Heute setzten die sogenannten Sicherheitsbehörden modernste Technologie ein, um Informationen über Widerstandsbewegungen zu sammeln und dann zuzuschlagen. Elma appellierte, daraus Konsequenzen zu ziehen und „zu den alten Methoden“ zurückzukehren – zum Beispiel solle man sich nicht in einer Wohnung treffen oder telefonieren, wenn man vermutet, dass man abgehört wird.

Erhan Aktürk schließlich zitierte Müslüm Elma, der zu Beginn des Prozesses meinte, ein Verfahren werde nicht im Gerichtssaal, sondern auf der Straße gewonnen. Weltweit gebe es Bewegungen gegen den Imperialismus. Wichtig sei es, diese Kämpfe zu verbinden. Als Beispiele nannte er den Widerstand gegen G-20 in Hamburg, die Demonstrationen der „Samstagsmütter“ in der Türkei oder die aktuelle Kampagne der Gemeinschaft der Gesellschaften Kurdistans (KCK) gegen Isolation, Faschismus und Besatzung.

Anwälte: §129 beabsichtigt Stigmatisierung

Am Schluss sprachen noch zwei Anwälte der ehemaligen Gefangenen. Sie hoben hervor, dass die Isolation ihrer Mandanten nicht nur die anwaltliche Kommunikation erschwert, sondern durch die Unterscheidung zwischen „normalen“ Inhaftierten und politischen Gefangenen auch zu deren Stigmatisierung führt. Durch den Paragraphen 129 sei dies beabsichtigt und ziele letztlich darauf ab, den Gefangenen von Anfang an den Stempel des „gefährlichen Terroristen“ auf die Stirn zu schreiben.

Im Laufe des TKP/ML-Verfahrens sei es jedoch gelungen, ansatzweise diese Sichtweise zu korrigieren, indem die Anwälte wiederholt die Frage aufgeworfen haben, warum deutsche Gerichte sich der Verfolgungsermächtigung beugen und im Sinne des §129b einen Unrechtsstaat wie die Türkei schützen. Damit werde ersichtlich, dass außenpolitische und ökonomische Interessen der Bundesregierung direkt Einfluss auf die Judikative nehmen. In der Berichtserstattung über das Verfahren wurde dieser Aspekt mehrfach aufgegriffen. Dies trug entscheidend dazu bei, dass sich weite Teile der Gesellschaft mit den Gefangenen solidarisieren konnten und die Widerstandsbewegungen gegen das türkische Regime gesellschaftliche Akzeptanz fanden.

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