Ein Paragraph gegen Taliban?

Die Zahl von Ermittlungsverfahren gegen sogenannte terroristische Vereinigungen im Ausland ist im vergangenen Jahr erneut angestiegen. Dies ergibt sich aus der Antwort der Bundesregierung auf eine Kleine Anfrage der innenpolitischen Sprecherin der Bundestagsfraktion Die Linke, Ulla Jelpke, nach Straf- und Ermittlungsverfahren nach den Paragraphen 129, 129a und 129b Strafgesetzbuch.

2010 war das Bundeskriminalamt (BKA) mit insgesamt 237 Ermittlungsverfahren nach Paragraph 129b befaßt, 123 davon wurden vom Generalbundesanwalt neu eingeleitet. Zum Vergleich: 2009 waren es 95 und im Jahr davor 57 neue Verfahren. »Eine Vielzahl dieser Ermittlungsverfahren wird im Zusammenhang mit den Anschlägen gegen die Bundeswehr in Afghanistan geführt«, begründet die Bundesregierung den Anstieg mit dem Widerstand gegen die Besatzungstruppen. Afghanische Taliban standen in Deutschland zwar bislang nicht vor Gericht. Doch am 9. März 2011 wurde Filiz G., die Ehefrau des Mitgliedes der Sauerlandzelle Fritz G., vom Berliner Kammergericht zu einer Haftstrafe von zweieinhalb Jahren verurteilt, weil sie Muslime aus dem deutschsprachigen Raum im Internet dazu aufgerufen habe, sich den in Afghanistan kämpfenden »Deutschen Taliban Mujahideen« anzuschließen.

Die Mehrzahl der Ermittlungsverfahren richten sich gegen den »Phänomenbereich Islamismus«. Aber auch gegen Tamil Tigers, griechische Anarchisten der »Verschwörung der Zellen des Feuers« sowie linke Vereinigungen aus der Türkei wurde ermittelt. Dabei wurden 121 Telefone und 13 E-Mail-Adressen überwacht und 26 Hausdurchsuchungen vorgenommen. 23 Beschuldigte kamen in Untersuchungshaft. 15 Mitglieder islamistischer Gruppen und Linke aus der Türkei wurden 2010 zu Freiheitsstrafen bis zu zwölf Jahren verurteilt.

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Bei Verfahren nach Paragraph 129b StGB »findet grundsätzlich ein Informationsaustausch mit ausländischen Sicherheitsbehörden statt«, gibt die Bundesregierung zu. Im Klartext heißt dies, daß grade bei Staaten wie der Türkei, Pakistan oder Usbekistan auch auf Informationen zurückgegriffen wird, die mutmaßlich unter Folter zustande kamen und damit nach deutschem Recht nicht in Gerichtsverfahren Eingang finden dürften. Bei den zum Teil noch laufenden Verfahren gegen mutmaßliche Mitglieder der linken »Revolutionären Volksbefreiungspartei-Front« DHKP-C aus der Türkei stützt sich die Anklage auf Beweise der türkischen Polizei.

Auch Geheimdienstquellen spielen eine Rolle. So wurden im Dezember 2010 die drei Funktionäre der legal in Europa tätigen »Anatolischen Föderation«, Nurhan E., Cengiz O. und Ahmet I. als angebliche DHKP-C-Führungskader zu Haftstrafen bis zu sieben Jahren und neun Monaten verurteilt. Gegen sie verwendet werden Aussagen des vom Bundesnachrichtendienst als V-Mann angeworbenen Kurden Alaattin A., der inzwischen selber wegen DHKP-C-Mitgliedschaft angeklagt ist. Wie aus einer Ermittlungsakte hervorgeht, hatte A. gegenüber dem BKA umfangreiche Angaben zur personellen Struktur der »Anatolischen Föderation« gemacht und Nurhan E. als »besonders wichtige Person für die DHKP-C in Europa« belastet. Möglicherweise spielte dabei auch der türkische Geheimdienst MIT eine Rolle.

Auf Nachfrage des BKA verdächtigt A. den Akten zufolge den ihm vom BND als Dolmetscher vorgestellten Türken »Cihan«, Mitarbeiter des MIT zu sein. Auch im seit 2007 laufenden Ermittlungsverfahren gegen die zur maoistischen TKP/ML in der Türkei gehörende Guerilla TIKKO erhoffte sich das BKA Unterstützung von A. Dem V-Mann wurden vom BKA Fotos vorgelegt, auf denen er unter anderem einen in Duisburg lebenden ehemaligen Mitgefangenen aus der Türkei als »einer höheren Ebene der TKP/ML« angehörig und einen Restaurantbesitzer in Köln als »alten Kader der TKP/ML« denunzierte.