Erklärung von İhsan Cibelik in der Hauptverhandlung am 27.02. 2024 vor dem Staatsschutzsenat (7. Strafsenat) des OLG Düsseldorf im Düsseldorfer Kommunistenprozess (DHKP/C-Verfahren)

Vorbemerkung: İhsan Cibelik leidet an Prostata-Krebs, der sich nach letzten Informationen weiter verschlimmert hat. In der Hauptverhandlung am 23.01. 2024 erklärte İhsan Cibelik, dass er seinen Hungerstreik unterbricht, nachdem sein Recht auf Operation anerkannt und ein OP-Termin in der Universitätsklinik Köln bestimmt wurde. İhsan Cibelik sollte in der dreiwöchigen Verhandlungspause zwischen dem 31.1. und 21.2. 2024 operiert werden. Am 15.2. 2024 informierte die JVA Köln İhsan Cibelik, dass Univ.-Prof. Dr. Dr. Axel Heidenreich von der Universitätsklinik Köln interveniert habe und die Operation nicht stattfinden könne.

İhsan Cibelik ist inzwischen seit fast 2 Jahren in Untersuchungshaft. Seit seiner Festnahme am 18. Mai 2022 wird sein Recht auf medizinische Behandlung seitens der Verantwortlichen geringgeschätzt und objektiv mit seinem Leben und seiner Gesundheit gespielt. Bereits bei der Festnahme war bekannt, dass er mit hoher Wahrscheinlichkeit an Krebs erkrankt ist. (Ausführlich: https://dhkpcverfahren2023129b.wordpress.com/2024/02/24/information-zu-krebserkrankung-ihsan-cibelik/ )
Die Verteidigung kritisierte in der Hauptverhandlung am 21.02. 2024 die Missachtung des Rechts von İhsan Cibelik auf Gesundheit, Leben und medizinische Behandlung. Der Senat verweigerte İhsan Cibelik am 21. 02. 2024 das Wort zu diesem Vorgang. In der Hauptverhandlung am 27.02. 2024 konnte İhsan Cibelik nun sprechen.

Nachfolgend die in türkischer Sprache vorgetragene Erklärung in deutscher Übersetzung.
Hauptverhandlung vom 27.02. 2024
İhsan Cibelik:
Ich habe heute nichts schriftlich vorbereitet, weil ich nicht wusste, ob mir das Wort erteilt wird oder nicht. So wie unsere grundlegendsten Menschenrechte, wie das Recht auf Leben, wird auch mein Recht ein paar Minuten reden zu dürfen, mit dem Vorwand, es würde den Ablauf der Verhandlung stören, beeinträchtigt und mir wurde bei der letzten Hauptverhandlung das Wort nicht erteilt. Das ist für mich unverständlich. Ich werde mich bemühen mich kurz zu fassen.

Es sitzt ihnen ein Mann gegenüber, der seit 23 Monaten darum kämpft, dass seine Krebszellen medizinisch behandelt werden. Sie kennen die Details des ganzen Verlaufs. Darum halte ich mich kurz. Es hat 14 Monate gedauert, bis bei mir eine Biopsie durchgeführt werden konnte. Nach der Biopsie habe ich mich 1 Monat damit auseinandergesetzt, welche Behandlung durchgeführt werden soll. Ich habe mich mit den verschiedenen Optionen beschäftigt und mich für eine Operation zur Entfernung der Krebszellen OP entscheiden. Ich kämpfe jetzt seit fast 6 Monaten darum, dass diese Operation unter den bestmöglichen Umständen durchgeführt wird.

Der PSA – Wert1 ist ein wichtiger Indikator. Es heißt, in meinem Alter liegt der Normalwert unter 3,0 ng/ml.2 Das erste Mal, als ich ins Gefängnis kam, lag der Wert bei 5,6. Es hieß, das sei nicht viel. Dann lag er bei 6.2 und jetzt bei fast 9. Sie können gerne nachschauen, wie gefährlich das ist.
Wegen dem Recht auf Behandlung haben meine Verteidigung und ich gesagt: Der Prozess kann warten. Der Vollzug der Strafe kann warten. Aber die Krankheit kann nicht warten, bitte lassen sie mich frei, damit meine Behandlung schnell durchgeführt werden kann.3

Die Art und Weise, wie dieser Antrag durch sie und den Bundesgerichtshof abgelehnt wurde, ist für mich auch ein gewisses rechtshistorisches Dokument.
Ich habe ihren Beschluss mit Entsetzen entgegengenommen und kann ihn und ihr Verhalten immer noch nicht nachvollziehen.
Bis dahin habe ich glauben wollen, dass der Senat zumindest die grundlegendsten Werte von Gerechtigkeit einhält und vertritt. So habe ich mich auch in den Auseinandersetzungen mit dem Senat ihnen gegenüber verhalten.

Aber nach dem Inhalt dieses Beschlusses, das habe ich auch in meiner früheren schriftlichen Erklärung dargelegt, muss ich davon ausgehen, dass wir uns in einer Verhandlung befinden, wo keines der grundlegendsten Rechte beachtet werden.

Während der Auseinandersetzung fragte Rechtsanwalt Roland Meister den Senat angesichts der Geschehnisse um meine medizinische Behandlung, ‚sind sie denn Gott‘. Und sie haben erwidert, das geht jetzt aber zu weit. Aber mittlerweile denke ich, dass er Recht hatte. Denn so verhalten sie sich.

Trotz ihrer Entscheidung habe ich erklärt, ‚gut dann legen sie uns einen Plan zur Behandlung und Operation vor und leiten das in die Wege.“
Die Gefängnisdirektion und die neue Gefängnisärztin, die noch Ideale hat, haben sich dann sehr bemüht.

Damit meine Forderungen, die sie nicht hören wollten, von der Öffentlichkeit und der Welt gehört werden, musste ich einen 36-tägigen Hungerstreik machen.
Nachdem mir von der JVA dann mitgeteilt wurde, es gibt nun eine Roadmap für meine Behandlung und Operation, habe ich den Hungerstreik sofort beendet.
Ich habe versucht meinen Körper auf die Operation durch Sport und Ernährung vorzubereiten.

Dann trat ein Mann auf den Plan, ein Professor, der Heidenreich heißt. Ich würde gegen meine Fesselungen bei der medizinischen Behandlung protestieren usw. Das ist jetzt meine Interpretation der letzten Geschehnisse. Ich sage das folgende jetzt als meinen Kommentar dazu:
Er negiert den Eid des Hippokrates. Er denkt wohl: ‚Vor allem bin ich ein politischer Mensch, kein Arzt. Wenn mir jemand gegenübersteht, der als Terrorist abgestempelt ist, ist es nicht wichtig, dass er schnell operiert wird. Selbst wenn dies zu seinem Tod führen sollte.‘

Und die Ärztin mit Idealen, die versucht hat, mir das zu erklären, hat fast mit mir zusammen geweint. Sie sagte, sie wüsste den Grund für die Absage der Operation nicht. Ich bin dann hierher zur Hauptverhandlung gekommen, um den Grund herauszufinden. Denn sofort, als ich die Information bekam, dass die Operation nicht stattfindet, wurde auch der Senat informiert. Meine Verteidigung informierte das Gericht, das überhaupt keine Ahnung hatte. Und ich bin zur letzten Hauptverhandlung gekommen und wollte das Wort ergreifen, um nachzufragen, warum das so abgelaufen ist. Aber dann wurde mir das Wort durch den Senat verweigert.

3 # Seitens der Verteidigung und FreundInnen waren dazu bereits mit einer der renommiertesten Klinken zur Behandlung von Prostatakrebs alle Vorbereitungen für eine Operation getroffen worden. Der Senat und die Bundesanwaltschaft – bestätigt durch den BGH – verweigerten dies und verwiesen darauf, dass Ihsan Cibelik kein Recht auf eine Behandlung in Freiheit bzw. in einer Klinik seiner Wahl habe.

Morgen soll hier ein Professor als Sachverständiger zur Menschenrechtssituation in der Türkei gehört werden. Ich frage mich, warum will ein Gericht, das selbst das grundlegendste Recht, nämlich das Recht auf Leben nicht respektiert, sich einen Sachverständigen zu Menschenrechten anhören?

Meine FreundInnen und ich können mit diesem Professor, der hier referieren wird auf einer wissenschaftlichen Basis diskutieren. Aber nicht vor diesem Gericht. Damit sich das Gericht diesen Mann anhört, müsste der Staatsschutzsenat doch erst einmal selbst die Menschenrechte respektieren. Aber das wird natürlich nicht geschehen.
Und so habe ich eine Frage an das Gericht: Was erwarten sie, wie ich mich jetzt verhalten soll?

Ich bin ein Gefangener in Untersuchungshaft, der krebskrank ist und gegen mich wird ein politischer Prozess geführt. Wenn ich ihre politische Ansicht mit berücksichtige – sie verhandeln also gegen einen Terroristen – gut.
Solch ein Mensch, der für sein Recht auf medizinische Behandlung kämpft, was erwarten sie von so einem Menschen? Erwarten sie von mir, dass ich mich hinsetze und der weiteren Verhandlung und Beweisannahme folge und mir alles stillschweigend anhöre?

Ich frage ganz aufrichtig, das ist eine ernsthafte Frage.
Sie wissen das ich Krebs habe und sie wissen nicht, welche Konsequenzen dies hat. Objektiv komme ich dem Tod jeden Tag näher. Sind sie der Meinung, dass die Dinge so in Deutschland laufen sollen?
Sie meinen, die Gesundheitsfrage, ob man also krank wird oder stirbt usw. sei nicht die Sache des Gerichts. Sie meinen, wir machen nur unsere eigene Arbeit, verhandeln und fällen ein Urteil. Und wenn du – der Angeklagte – in der Zwischenzeit stirbst, dann legen wir deine Akte zur Seite und machen mit anderen weiter.
Sie denken, wärst du halt kein Terrorist geworden und hättest dich nicht verhaften lassen. Dann hättest du dich wie andere auch behandeln lassen können.
Anders kann ich mir ihr Verhalten nicht erklären.

Für mich ist dieses Verfahren schon lange keine juristische Angelegenheit mehr.
Solche Vorgänge gegenüber Revolutionären sind in der Geschichte auf der ganzen Welt bekannt und die Geschichte ist voll von solchen Vorgängen.

Ich bin ein Revolutionär und Revolutionäre beugen sich nicht der Würdelosigkeit. Ich werde ihr Verhalten weiterhin bekannt und vor allem das Gericht für diese Vorgänge verantwortlich machen.
Und mit dieser Verantwortung werden sie leben müssen.
Ich bin mir sicher, irgendwann wird irgendwer kommen und nachprüfen, was mit mir passiert ist.
Herr Setton (Vertreter des Generalbundesanwalts), sie sagten, dass ich beachten sollte, dass das Gericht mir in der Sache am Anfang doch positiv entgegenkommen wollte. Denken Sie, dass ich dies nicht berücksichtige? Weder sie noch jemand anderes können behaupten, dass wir dem Gericht gegenüber respektlos eingestellt sind. Wir führen hier eine politische Auseinandersetzung. Das ist etwas anderes. Was ich sagen möchte, ist politisch wichtig.

Aus historischen Zusammenhängen, aus der Türkei und der Welt weiß ich eines. Wenn es um einen Menschen geht, der ein Revolutionärer ist oder der als Terrorist stigmatisiert wurde, kann ihm in der Untersuchungshaft, im Polizeigewahrsam oder im Gefängnis viel widerfahren. Und das ist in der Geschichte mit zahllosen Beispielen belegt.
Meiner Meinung nach hätte der Senat ganz einfach erfahren können, warum meine Behandlung nicht stattgefunden hat. Ich habe die Frage an sie als ein Mensch gestellt, der sich in dieser konkreten Situation befindet. Mit all meinen ganzen Gefühlen, meiner Wut und anderen Reflexen, die ich versuche zu kontrollieren. Was erwarten sie von mir als jemanden, der sich in solch einer Situation befindet?

Aufgrund meiner ganzen Erfahrung und aufgrund dessen, was geschehen ist, kann ich nur zum folgenden Ergebnis zur Haltung des Gerichtes in dieser Sache kommen:
Sie sagen sich, wir werden gegen dich den Prozess weiterführen. Wegen deiner medizinischen Behandlung werden wir mal sehen. Aber so richtig interessieren tut uns das nicht. Aber weil sie so darauf bestehen und es ja auch ein menschliches Thema ist, schauen wir mal.
Wie soll ich sie denn anders verstehen?

Das Gericht meint, für diese Frage müssen wir uns mit der JVA auseinandersetzen. Aber ich hatte bereits in meinen Erklärungen gesagt, die JVA ist keine Institution für medizinische Behandlungen. Sie sind für solche Situationen nicht vorbereitet. In den JVA gibt es keine Krankenstationen. Keinen Ort, wo man aus medizinischen Gründen überwacht wird. Es gibt keinen besonderen Raum für Gefangene, damit sie dort behandelt werden können.
Es gibt zigtausende Gefangene in den Gefängnissen. Wenn es in einem Gefängnis keine Krankenstation und keine besonderen Räumlichkeiten in Krankenhäusern für sie gibt, sehe ich das so: Wenn ein Gefangener krank ist und behandelt werden muss, erfährt er eine andere Behandlung wie jemand, der in Freiheit behandelt wird. Sonst hätten Vorkehrungen getroffen werden müssen. In einer entwickelten Demokratie wäre das so.

Aber ich habe hier mit Entsetzen festgestellt, dass es keine Vorkehrungen für Gefangene, die krank werden, im Gefängnis gibt.
Es gibt einen Arzt, der für tausend Gefangene zuständig ist. Wenn was vorfällt, wenn man in der JVA nicht behandelt werden kann, schickt man den Gefangenen nach Fröndenberg. Und wenn jemand wie ich auf sein Recht pocht, dann sagt man, er kann außerhalb unter Bewachung behandelt werden.
Als ich meinen Hungerstreik beendet habe, sagte ich: „Meinen Widerstand verstehe ich als einen Beitrag im Kampf um Menschenrechte für Gefangene – für deren Recht auf gründliche medizinische Behandlung.

Das ist ein wichtiges Thema, dem sich auch die Bewegung für Demokratie und Freiheiten annehmen muss.
Es wird sich auch mit den medizinischen Institutionen auseinandergesetzt werden müssen. Hier stellt sich folgendes Bild dar: Skandalös. Es sind erwachsene Menschen, Intellektuelle mit akademischen Graden. Dieser Prof. Dr. Heidenreich, der keine Ahnung davon hat, was die grundlegendsten Werte der Medizin sind, wird meinen Körper nicht anfassen dürfen.
Ich habe jetzt nur einen Wunsch an den Senat: Ich werde mit der Anstaltsärztin und der Leitung der JVA gemeinsam kämpfen, dass eine Lösung gefunden wird. Verhindern sie nicht, dass eine Lösung gefunden wird, das adressiere ich an den Senat.

Und an die Institution, die Herr Setton vertritt: das ist der Staat.
Sie hätten sicher die Möglichkeiten, das Nötige zu erreichen. Wenn sie nichts dafür tun, die Hindernisse aus dem Weg zu räumen – gut.
Für mich ist ausreichend, wenn sie meine Behandlung nicht verhindern.

Zum Schluss will ich noch einen wichtigen Satz sagen. Niemand soll die Hoffnung verlieren. Auch in der Türkei wollte man mich umbringen.
Auch damals sagte ich bereits: Es ist eine Besonderheit der Region von der ich stamme:
„Macht euch keine Sorgen. Ich werde Maisbrot essen und Horon1 tanzen“.