Erklärung von Ihsan CIBELIK vom 14. und 15.11.2023

Dokumentation der deutschen Übersetzung der Erklärung von Ihsan CIBELIK an den Staatsschutzsenat (7. Strafsenat) des OLG Düsseldorf im Strafverfahren gegen Özgür Emre, Serkan Küpeli und Ihsan Cibelik wegen Mitgliedschaft in der DHKP/C gem. §§ 129 a/b StGB – gehalten am 14.11. 2023 – 21. Hauptverhandlungstag – und 15.11. 2023 – 22. Hauptverhandlungstag

I. Einleitung

II. Die in den Anträgen erhaltenen Forderungen stehen in Bezug zu diesem Verfahren

Die im Antrag dargelegten Realitäten sind für dieses Verfahren sowohl hinsichtlich der Aktivitäten der Angeklagten als auch zum Zusammenhang von Tatvorwürfen und Beweisen von grundlegender Bedeutung!
In einem politischen Verfahren ist die politische Vergangenheit des oder der Angeklagten von Relevanz

III. Die Realität der Folter in der Türkei besteht unverändert fort

IV. Die Operation des Massakers vom 19. – 20. Dezember 2000, Birsen Kars – ein Begräbnis und dieses Verfahren

Das Çanakkale-Gefängnis und das Massaker vom 19. – 22. Dezember 2000
Vor und nach dem Massaker vom 19. – 22. Dezember 2000 – die Tatsachen
Birsen Kars und ein Begräbnis, ein Verfahren

V. GRUP YORUM, revolutionäre Kunst – die Realitäten der Türkei

VI. Resümee

Erklärung

Meine Erklärung befasst sich mit dem am 24. September 2023 vom Senat erlassenen Zurückweisungsbeschluss hinsichtlich des von dem Angeklagten Küpeli sowie den anderen Angeklagten zu deren Verteidigung gemeinsam vorgebrachten Antrags vom 30. August 2023.

I. Einleitung

Hinsichtlich dieser Erklärung, aber auch anderer Themen, bin ich mir unsicher, ob ich meine Einwände und Ansichten zur Sprache bringen sollte. Hierfür gibt es zwei Gründe. Der erste Grund: Wenn ich die mit Lügen und Widersprüchen vollen Akten lese, einige Dokumente und Quellen sehe, welche als Grundlage für den eigentlichen Gegenstand dieses Verfahrens herangezogen werden, sehe ich, dass diese Dokumente keinerlei rechtliche Bedeutung haben dürften. Ferner sehe ich, dass Behörden und Personen, die in keiner Hinsicht als vertrauenswürdige Quellen betrachtet werden können, als rechtsgültige Quellen anerkannt werden. Dokumenten, die über den Weg der Rechtshilfe aus der Türkei beschafft wurden, die als Grundlage der Anschuldigungen dienen oder dazu, uns in diesem Verfahren als schuldig darzustellen, werden zu diesem Zweck Sätze hinzugefügt; stillschweigend und bewusst werden diese von vornherein als wahrheitsgemäß angenommen und dementsprechend wird fortwährend von einer Richtigstellung abgesehen.

Ich hege die Hoffnung, dass sie möglicherweise richtiggestellt werden. Jedoch sehe ich, dass die in unseren Erklärungen und den Anträgen unserer Verteidiger dargelegten Forderungen in brüsker, starrsinniger Weise abgewiesen werden. Im Wissen, dass es von vornherein nicht zur Kenntnis genommen würde, bringe ich es nicht über mich, auch wenn es für das Verfahren von kritischer Bedeutung wäre, irgendetwas zu sagen.

Der zweite Grund: Ich möchte an die Möglichkeit eines rechtskonformen Verfahrens glauben, auch wenn dieses auf den Grundwerten des bürgerlichen Rechts beruhen würde, der Verlauf des Verfahrens jedoch lässt dies nicht zu. Alle unsere rechtlichen Widersprüche und Forderungen im Hinblick auf den Fortgang des Verfahrens werden im Gleichklang mit der ablehnenden Haltung der Bundesanwaltschaft abgewiesen. Abgesehen von dem Beschluss, uns nicht weiterhin hinter einer Trennscheibe sitzen zu lassen.

Wie kann es sein, dass unsere Forderungen, von denen wir denken, dass sie für die Wahrheitsfindung und ein wirklich faires Verfahren von großer Bedeutung sind, derart leichtfertig und mit schlichten, aber auch leichtfertig dahingeworfenen Begründungen abgewiesen werden? Die Bundesanwaltschaft als eine Behörde der staatlichen Bürokratie kategorisiert die Straftatbestände, die Verfahren, die Widersprüche, die Ermittlungen usw. Wie es bürokratisches Vorgehen erfordert, kategorisiert sie alles und schreibt damit in den staatlichen Archiven bestehende Eintragungen fort. Aus diesem Grund betrachtet die Bundesanwaltschaft jedes Verfahren sowie auch die Angeklagten nicht in einem neuen Sachzusammenhang, sondern in denselben Kategorien wie frühere, ähnlich gelagerte Fälle. Aus diesem Grund reagiert sie auf unsere Widersprüche und auch unsere Anträge immer in gleicher Weise. Wenn sie Erklärungen zu Ablehnungen von Anträgen abgibt, bezieht sie sich auf frühere Urteile in anderen Verfahren, die gegen Angeklagte erlassen wurden, welche derselben Kategorie zugerechnet wurden. (Möglicherweise war der Bundesanwalt in vielen dieser Verfahren selbst als Ankläger tätig!)

Was bedeutet dies? Dies beinhaltet auch eine richtungsweisende Ansprache an sie, die Richterinnen und Richter, die sinngemäß lautet: “Schauen Sie, Ihre Kolleg*innen haben zuvor schon derartige Anträge abgewiesen, bedenken Sie dies dementsprechend.“

Wir würden in diesem Verfahren gerne die Hoffnung hegen, die Richter*innen würden gemäß ihrer Urteilsfähigkeit handeln und eine Hypothek auf ihr Gewissen nicht zulassen, dass sie in der Lage wären, die Rechtmäßigkeit früherer Urteile zu diskutieren und unabhängig zu denken. Aber wir sehen, dass dies eine hoffnungslose Annahme ist und die Wirklichkeit sich ganz anders darstellt.

II. Die in den Anträgen erhaltenen Forderungen stehen in Bezug zu diesem Verfahren

Bei den Beschlüssen zur Abweisung unserer Anträge wird darauf verwiesen, dass hinsichtlich der Tatvorwürfe und Beweise die konkreten Realitäten in der Türkei keinen Bezug zum Verfahren hätten.

Dass es also keinen rechtlichen Bezug zwischen der Folter und schwerwiegendsten Rechtsverletzungen auf den Polizeistationen und in den Gefängnissen der Türkei und diesem Verfahren gäbe.

Die Tatsache, dass beim Übergang im Zeitraum des 19. und 22. Dezember 2000 wie auch im Folgezeitraum zum System der Isolationsgefängnisse des Typs F 28 Revolutionäre getötet, Hunderte Menschen verletzt wurden und durch ein Gas erstickten, das mit der Warnung “Nicht in der Nähe von Menschen verwenden!“ versehen war; dass während einer militärischen Operation im Frauentrakt des Gefängnisses Bayrampaşa sechs Frauen mit einer nicht näher bezeichneten chemischen Substanz bei lebendigem Leibe verbrannt wurden; dass Folter und schwerwiegende Rechtsverletzungen weiter anhalten; Dass 122 Menschen zwischen Oktober 2000 und Januar 2007 Widerstand durch ein ohne Unterbrechung fortgesetztes Todesfasten leisteten und dabei ihr Leben ließen, habe also keinerlei Relevanz für dieses Verfahren.

Birsen Kars war eine jener Frauen, die im Gefängnis Bayrampaşa durch Verbrennung getötet werden sollten. Es wird behauptet, dass das Schauen des Kinofilms mit dem Titel “Typ F”, der unter der Koordination der Grup Yorum von neun Regisseuren gemeinsam gedreht wurde, keinen rechtlichen Bezug zum Verfahren habe.

A) Die im Antrag dargelegten Realitäten sind für dieses Verfahren sowohl hinsichtlich der Aktivitäten der Angeklagten als auch zum Zusammenhang von Tatvorwürfen und Beweisen von grundlegender Bedeutung!

Dieses Verfahren ist ein politisches Verfahren. Die Versuche der Bundesanwaltschaft, sich hinter den Begriffen “Terrororganisation-Terroristen“ versteckend sämtliche Aktivitäten, die Gegenstand dieses Verfahrens sind, zu kriminalisieren, und uns Angeklagte als schuldig darzustellen, haben von Beginn an zu Ungereimtheiten und (ja, ich werde diese Begriffe verwenden) in Unsinn ausartenden Ergebnissen geführt.

Ich kann dies an Beispielen erläutern: Wenn Sie die Begriffe Terrororganisation und Terror ganz an den Anfang stellen, kann diesen ein weiterer Begriff hinzugefügt werden. Denn keinem der hier angeklagten Menschen wird zur Last gelegt, und auch in keiner der über 100.000 Seiten umfassenden Akten, an einer Gewalttat teilgenommen zu haben, “durch die Menschen, Institutionen, Gebäude zu Schaden gekommen” seien. Aber es scheint so, dass durch die Hinzufügung des Zauberworts “ Propaganda“ das Problem gelöst wird. Nein, es wird dadurch nicht gelöst. Es nimmt hierdurch sogar ein derart unsinniges und absurdes Ausmaß an, dass beispielsweise Versammlungen, in denen Lösungen für die vielfältigen Probleme von Familien diskutiert werden, als terroristische Aktivitäten angeklagt werden; Künstler- und Musikgruppen, die an diesen Versammlungen teilnehmen und ihre eigenen Lieder spielen, werden der Propaganda für eine Terrororganisation beschuldigt. Sie müssen eingestehen, dass keine Handlung ohne Grund geschieht, und es ist auch wichtig zu schauen, ob diese Gründe rechtmäßig sind oder nicht.

Können politische Verfahren von ihren politischen und sozialen Ursachen losgelöst betrachtet werden? Sollten Sie versuchen, eine solche Trennung vorzunehmen, wo ziehen Sie die Grenze? Wenn Sie mir beispielsweise meine Aktivitäten in Europa vorwerfen, sind dann die folgenden Fragen für Sie nicht von Belang?

Weshalb bin ich nach Europa gekommen?
Warum habe ich jegliche meiner Aktivitäten, seitdem ich hierhergekommen bin, beharrlich fortgesetzt?

Politische Verfahren können nicht von der gesellschaftlichen Realität, welche die politischen Gründe dieser Verfahren definieren, getrennt werden. Auch die Angeklagten müssen im Licht dieser Bedingungen und dem, was sie durchlebt haben, betrachtet werden.

B) In einem politischen Verfahren ist die politische Vergangenheit des oder der Angeklagten von Relevanz

Ich heiße İhsan CİBELİK. Die meisten der realen Ereignisse, die Gegenstand des Antrags sind, habe ich selbst erlebt. Und ich wurde Zeuge von viel mehr solcher Ereignisse, während ich in der Türkei war. In der Türkei wird Folter als Methode angewandt – um es in der Rechtssprache des Faschismus auszudrücken – um dem “ Täter habhaft“ zu werden oder jemandem eine Straftat anzulasten und damit die Akte zu schließen. Diese Methode betrifft zuallererst jene, die für revolutionär-demokratische Forderungen kämpfen.

Ich möchte, dass Sie wissen, dass Ich, İhsan CİBELİK, in der dem Polizeipräsidium Ankara unterstellten Militärpolizeiwache an der Technische Universität Mittlerer Osten, im Istanbuler Polizeipräsidium Vatan etliche Male jeglicher vorstellbaren Art der Folter ausgesetzt war.

Die Haftanstalten in der Türkei sind Orte, in denen insbesondere politische Gefangene unter der Überwachung durch die staatlichen Sicherheitskräfte, ohne irgendwelche Mittel sich zu schützen, festgehalten werden. Wenn gegen das Volk gerichtete, wirtschaftlich-soziale repressive, sogenannte “Programmpakete“ beschlossen werden besteht das erste Mittel, den Unmut des Volkes zu unterdrücken, darin, die revolutionären Gefangenen anzugreifen. Dies bezweckt, die als Vorreiter des Volkes angesehenen Revolutionäre in einem Zustand der Kapitulation, als niedergeschlagen und besiegt, und damit als warnendes Beispiel zu vorzuführen.

Sämtliche demokratischen Kräfte, insbesondere die revolutionären Gefangenen, sind sich dessen bewusst und zeigen Widerstand. Die revolutionären Gefangenen haben den Angriffen nichts anderes entgegenzusetzen als ihre Körper, um Widerstand zu leisten. Da in der Geschichte zahlreiche solcher Angriffe erlebt wurden, haben sich in der Türkei für die revolutionären politischen Gefangenen der Hungerstreik, der unbefristete Hungerstreik und bisweilen auch das Todesfasten zu einer Kultur des Widerstands entwickelt.

Als İhsan CİBELİK wurde ich in der Türkei wegen Mitgliedschaft in einer terroristischen Organisation angeklagt und in rechtswidriger Weise verurteilt, insgesamt war ich zehneinhalb Jahre in Haft. Auch ich war zahlreichen Angriffen ausgesetzt und habe meinen Platz in den Widerstandskämpfen eingenommen. Die insbesondere in der Phase des Übergangs zu den Gefängnissen des Typs F und in der darauffolgenden Zeit stattgefundenen Angriffe und den diesen entgegengesetzten Widerstand werde ich später noch detaillierter erläutern.

Ich möchte Ihnen als Juristen folgende Frage stellen:

Wäre dieses Verfahren eines gewesen, in dem es um ein „Asylbegehren aus politischen Gründen“ geht, wäre dann nicht das, was ich hier beschrieben habe, also die politischen Repressionen und Angriffe sowie die Folter, die ich selbst erlebt habe, dessen wesentlicher Gegenstand? Aber wenn dieses Verfahren eines ist, dessen Gegenstand die „Mitgliedschaft in einer terroristischen Organisation“ ist, wird angeführt, dass die unvermindert anhaltende Folter und schwerwiegenden Rechtsverletzungen, denen dieselbe Person ausgesetzt war, keinen Bezug zum Verfahren haben. Jedoch werden sämtliche Aktivitäten des Angeklagten, seien sie legal oder nicht, gegen ihn gewendet. Diesen Aktivitäten ging er von Europa aus nach, wohin er gezwungenermaßen gekommen war, um für den sozialen Kampf in seinem Land, gegen die Politik der Repression und der Folter einen Beitrag leisten zu können. Sie sollten die Gründe für die Abweisung unseres Antrags neu überdenken, da diese der Zustimmung zur Entwertung des Rechts, zumindest ihrer widerspruchslosen Hinnahme gleichkommt.

III. Die Realität der Folter in der Türkei besteht unverändert fort

Die Gründung der türkischen Republik sowie der Sowjetunion als ersten sozialistischen Staat fanden im selben Zeitraum statt. Die Kader, die die türkische Republik gegründet haben, haben von dem Zeitpunkt an, an dem sie die Ausrichtung des neuen Staates hin zu einem mischwirtschaftlichen System festgelegt haben, die Verhinderung jeglicher Bemühungen in Richtung des Sozialismus durch staatlichen Terror zur Grundlage ihrer Bestrebungen gemacht. Im Zuge dessen haben sie die führenden Kader der Kommunistischen Partei der Türkei, welche die sozialistische Organisationsform jener Zeit darstellte, anhand eines Komplotts ermordet; begleitet von ständigen systematischen Operationen, Folter und Haftstrafen. Seit den 1940er Jahren haben es sich die Regierungen der Türkei in der Zeit des kalten Kriegs zu eigen gemacht, mit dem kapitalistischen Block, zuvorderst mit dem US-Imperialismus, zu kollaborieren; sowohl gegen die Sowjetunion als auch im Inland gegen jegliche links orientierte revolutionär-demokratische Aktivitäten, die Organisierung der werktätigen Bevölkerung verfolgte sie eine Politik der permanenten Repression und Tyrannei. Der große Dichter Nazım Hikmet, Şoför İdris, dessen werktätige Frau Emine Hanım (sie wurde zu Tode gefoltert), die die größten Namen der Türkei aus Kultur, Kunst und Literatur repräsentierten, wurden Repression und Folter ausgesetzt.

Das bekannteste Folterzentrum bis in die 1950er Jahre war das Saasaryan Han in Istanbul. Das Folterzentrum des Militärputsches in den 1970er Jahren war die Villa Ziverbey in Istanbul. Aber mit dem 12. September 1980 wurden alle militärischen Einrichtungen der Türkei, sämtliche Polizeiwachen, sogar die Gebäude der Fleisch- und Fischgesellschaft, Sporthallen und – ja, alle Gefängnisse – zu Folterkammern.

Über die Folter und Massaker, die politischen Prozesse in der Zeit des faschistischen Militärputsches vom 12. September 1980 kann man eine Menge Quellenmaterial finden. Beispielsweise das Buch “1000 Menschen, 1000 Zeugen …“ des verstorbenen Journalisten Erbil Tuşalp.

Als ich auf der Wache der Militärpolizei an der Technischen Universität Mittlerer Osten so oft in Gewahrsam genommen wurde, dass ich es nicht mehr zählen kann, in den Zellen des Polizeipräsidiums Ankara, später des Präsidiums Istanbul, habe ich die Realität der Folter in all ihren Varianten kennengelernt.

Auch wenn die bis zum Jahr 1991 geltende Dauer des Gewahrsams von 30 Tagen ab diesem Jahr auf 15 Tage, später nach und nach auf vier Tage herabgesetzt wurde, war es stets eine gängige Methode die Gewahrsamsdauer jederzeit für die Durchführung der Folter zu verlängern, oder, wenn diese nicht reicht, die Zeiteinträge zu ändern, um die für notwendig erachtete Zeit zu erlangen. Kein einziger Staatsanwalt wies die Wünsche der Abteilung für Terrorbekämpfung des Polizeipräsidiums ab. Es waren an den Sondergerichten tätige spezielle Staatsanwälte, welche mit den Verfahren der Terrorbekämpfung befasst waren. Diese Gerichte wurden eine Zeit lang als Staatssicherheitsgerichte bezeichnet, jetzt heißen sie Große Strafgerichte mit besonderen Vollmachten.

Hier einige Beispiele zu den Foltermethoden:

Wer auch immer unter Terrorverdacht in Gewahrsam genommen wird, wird unausweichlich mit manchen oder sogar all diesen Foltermethoden konfrontiert werden … Das Abspritzen des nackten Körpers mit einem Hochdruckfeuerwehrschlauch, die Verabreichung von Elektroschocks am nackten Körper anhand am Geschlechtsorgan oder an den Zehen befestigter Kabel; die sexuelle Nötigung oder faktische Vergewaltigung von Frauen, die Vergewaltigung von Männern mit dem Schlagstock am Rektum; das Quetschen der Hoden; das Liegen zwischen Eisbehältern; die Person wird in gebückter Haltung in Autoreifen gesteckt und dabei mit dem Schlagstock geprügelt; das Aufhängen mit den Armen an Haken; das Aufhängen in Kopfüberhaltung, die sogenannte “Palästina-Schaukel” …; sitzen, ausruhen, schlafen wird verhindert, indem Wasser in die Zelle geschüttet wird; auf unbestimmte Zeit mit dem Gesicht zur Wand stehen; wer ohnmächtig wird und zu Boden fällt, wird mit Wasser übergossen und erneut zum Stehen gezwungen. Wenn ich noch mehr in die Einzelheiten gehe, würde ich noch viele Seiten brauchen … Während der Durchführung all dieser Maßnahmen wurden die Menschen ständiger Demütigung, Bedrohung ausgesetzt, mit dem Zweck, sie psychisch zu brechen. Sie werden unter starken Druck gesetzt, damit sie aussagen, was von ihnen erwartet wird, als Gegenleistung für die Kooperation wird ihnen versprochen, sie von den Schmerzen zu befreien.

Zehn Jahre nach der Folter, die ich 1994 im Gewahrsam erlebt habe, wurde ich im Jahr 2004 erneut in Gewahrsam genommen. Der Garagentrakt am Hintereingang des Polizeipräsidiums Ankara wurde Labor für Intensivforschung (DAL) genannt. 1994 wurden die aus nacktem Beton bestehenden Zellen mit Wandfliesen, zum Schlafen mit einer Betonerhöhung, auf dem eine dünne Schaumstoffmatratze lag, ausgestattet, also „modernisiert“. An den Händen der Polizeibeamten der Abteilung für Terrorbekämpfung, die in diesem Labor für Intensivforschung tätig waren, klebt das Blut von zahlreichen Revolutionären. Zwei von ihnen kann ich sofort namentlich nennen. Der unter der Folter ermordete Birtan Altunbaş, Student an der Hacettepe-Universität, er war mir ein sehr wertvoller Freund, den ich seinerzeit, wenn auch nur für kurze Zeit, kennenlernte. Ein anderer war Kenan Bilgin, der 1994 ins Gewahrsam gebracht wurde, als ich dort herauskam. Ich habe von seiner Ermordung in dem Gefängnis erfahren, in das ich nach meiner Festnahme gebracht wurde. Die, die mit ihm gleichzeitig in Gewahrsam genommen wurden, wurden festgenommen und ins Gefängnis gebracht. Aber Kenan Bilgin war im Labor für Intensivforschung verblieben. Er war also unter der Folter getötet worden. (Über all diese Folter und die Tötungen unter der Folter können Auskünfte zu den Verfahren gegen Birtan Altunbaş und Kenan Bilgin aus den Archiven des Menschenrechtsvereins Ankara sowie – ja, auch vom Justizministerium – eingeholt werden.)

Dies sind nur wenige, äußerst wenige Beispiele dafür, dass in der Türkei die Folter als systematische Methode angewandt wird. Die Folter hat nie aufgehört zu existieren. Auch wenn in manchen Jahren die Gewahrsamsdauer herabgesetzt wird, die Zellen neu gestrichen werden, um Europa gegenüber einen guten Eindruck zu machen, sind dies alles nur oberflächliche und vorgetäuschte Verbesserungen. Um ein konkretes Beispiel hierfür zu nennen, muss kurz davon erzählt werden, was Ayten Öztürk angetan wurde. Sie wurde 2018 am Flughafen Beirut festgenommen und mit einem Sonderflugzeug des MIT (Nationaler Nachrichtendienst der Türkei) an einen geheimen Ort gebracht. Dort wurde sie sechs Monate lang gefoltert und zur Zusammenarbeit gezwungen. Indem ihre Familie, ihre Freunde und all jene, die Teilnahme an ihrer Lage zeigten, sich für sie einsetzten, so wie wir auch, konnte verhindert werden, dass sie getötet und eine von den Menschen wurde, die wir verloren hatten. Sie wurde in Gölbaşı, an einem See am Rande Ankaras auf einem leeren Gelände abgesetzt. Unmittelbar danach wurde sie von Polizeibeamten der Abteilung für Terrorbekämpfung offiziell in Gewahrsam genommen und inhaftiert. Es wurden genau 898 Verletzungsnarben an ihrem Körper festgestellt. (Hierzu können von ihren Anwälten detaillierte Auskünfte eingeholt werden. Sie kam vor meiner Festnahme aus der Haft in den Hausarrest. Vielleicht können Sie auch von ihr selbst Auskunft erhalten, falls sie über eine telefonische Verbindung als Zeugin an der Verhandlung teilnehmen kann.)

Dies sind lediglich Beispiele dafür, wie im Faschismus der Türkei die Auffassung von “Sicherheit“ zu einem Reflex gegen Oppositionelle und den Kampf für Rechte und Freiheiten in vielen Teilen der Bevölkerung geworden ist. Wie hoch die Wahrscheinlichkeit ist, dass die Gerichte, die jetzt Große Strafgerichte mit besonderen Aufgaben heißen, zuvor als Staatssicherheitsgerichte bezeichnet, rechtmäßige Verfahren durchführen, wenn sie doch außer den von der Abteilung für Terrorbekämpfung vorbereiteten Ermittlungsunterlagen keinerlei weitere Beweismittel für erforderlich erachten, können Sie sich selbst vorstellen. Und die Urteile über die „Schuldigen“ in diesen Verfahren, welche sich auf Unterlagen stützen, die auf derartige Weise zustande gekommen sind, können entweder nur durch einen sehr breiten öffentlichen Widerstand durch ein höheres Gericht geändert werden oder wenn die Regierung unter dem Eindruck der politischen Konjunktur ihre Rechtsstaatlichkeit demonstrieren will. Beispielsweise, wenn die Verhandlungen zur Mitgliedschaft in der Europäischen Union näher rücken und die Kritik an derartigen Verhältnissen zunimmt. Aber es kann auch vorkommen, dass hierauf keine Rücksicht genommen wird. So war es in letzter Zeit, als der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte Urteile als rechtswidrig aufhob und dessen Beschlüsse mit Beharrlichkeit ignoriert wurden. Diesbezüglich können auf der Internetseite des EGMR die Türkei betreffende Auskünfte abgerufen werden. Die in den Akten der Bundesanwaltschaft vorliegenden Informationen zur Vergangenheit von Ihsan CIBELIK, also zu seiner Vergangenheit in der Türkei, wurden auf dem Wege der Rechtshilfe vom Justizministerium der Türkei übermittelt, zusammengestellt wurden diese Informationen wiederum von den leitenden Beamten der Abteilung für Terrorbekämpfung. Sie haben diese Informationen, ohne sich die in ihren Händen befindlichen gesamten Akten anzuschauen, unvollständig und fehlerhaft geschickt. Berichtigen wir die Fehler; ich bin von drei verschiedenen Gerichten zu jeweils 15,15 und 12,5 Jahren Haft, also insgesamt zu 42,5 Jahren verurteilt worden. Die entscheidende Grundlage für all diese Haftstrafen waren die Akten, die von den Folterern der Abteilung für Terrorbekämpfung zusammengestellt worden waren. Es handelt sich um von den Staatssicherheitsgerichten erlassene Urteile, deren Rechtswidrigkeit später festgestellt wurde. Diese Haftstrafen kamen so zustande, dass der Zeitraum von 1992-1996 in drei verschiedene Zeiträume aufgeteilt wurde und daraus schließlich drei Strafverfahren gemacht wurden. Ich weiß nicht, ob die Bundesanwaltschaft diese Akten hätte anfordern können oder von meinen Anwälten (die meisten von ihnen sitzen jetzt im Gefängnis) Auskünfte hätte einholen können. Aber das Problem ist folgende: Weshalb wird so verfahren, als sei dieses Strafverfahren eines, in dem die Akten lediglich der Aburteilung dienen sollen und man sich daher mit erlogenen und falschen Informationen zufriedengibt? Weshalb? Weshalb wird nicht nach den wahren Begebenheiten gefragt? Weshalb werden zum Beispiel nicht die Menschenrechtsorganisationen, die demokratischen Presseorgane, die Künstlervereinigungen oder andere Organe der Rechtspflege als Quellen herangezogen.

Die Existenz der Folter hebt eben eine derart wichtige Funktion auf. Überdies sind Sie imstande, mir direkt in die Augen schauend Begründungen vorzutragen, die sinngemäß der Aussage, “Es kann sein, dass du gefoltert wurdest, das betrifft aber weder uns noch das Verfahren. Uns interessiert, ob du Mitglied der Organisation bist“, gleichkommt.

Ich wiederhole: Der Mensch, den Sie hier anklagen, also ich selbst, hat die fortwährende Existenz systematischer Folter in der Türkei, wie im Antrag vorgetragen, selbst erlebt.

Ich, den Sie hier anklagen, bin Opfer und Zeuge einer Justiz, die den elementarsten Rechtsprinzipien zuwiderhandelt, in der die Polizeiberichte in den Händen der Staatsanwälte umstandslos zu Anklageschriften werden, welche dann von den Richtern der Gerichte mit besonderem Auftrag umgehend bestätigt werden.

Die Verfahren an diesen Gerichten haben einige charakteristische Eigenschaften:

Die Foltervorwürfe der Verteidigung, sogar die Beweise hierfür, wie auch im Laufe des Verfahrens sämtliche ihrer Beweise und Anträge werden im Einklang mit der Erwiderung der Staatsanwaltschaft abgewiesen.
Während die Erklärungen, die Anträge sowie die Verteidigung der Angeklagten verlesen werden, dösen die Richterinnen und Richter meistens vor sich hin.
Folglich sind die lange vorher von der Polizei vorbereiteten Urteile längst festgelegt worden. Selbst wenn jemand als unschuldig freigesprochen wird, ist dessen Name längst in einem politischen Verfahren im Kontext mit einer “verbotenen terroristischen Organisation“ verzeichnet. Diese Person ist nunmehr zusammen mit der Bezeichnung der Organisation in den Registern des Justiz- und des Innenministeriums festgehalten.

Diese Informationen machen ihren Weg durch die Akten und finden nun Eingang in die Akten dieses Verfahrens als “Hinweise zur Untermauerung der Schuld“. Aber deren Inhalt und Hintergrund werden nicht hinterfragt. Allein aus diesem Grund sind die durch den faschistischen Staat systematisch angewandte Folter und andere Menschenrechtsverletzungen in der Türkei, die gegen das Volk und gegen jene gerichtet sind, die bestrebt sind, den Kampf des Volkes für seine Rechte und Freiheiten zu organisieren, für dieses Verfahren von Relevanz.

IV. Das organisierte Massaker vom 19.-22. Dezember 2000 – Birsen Kars – ein Begräbnis und ein Verfahren

Die eigentliche Funktion der Gefängnisse in der Türkei im Sinne des Faschismus hatte ich hier bereits beschrieben. Um es kurz zu wiederholen: wenn die politische, soziale und wirtschaftliche Krise sich vertieft, muss das Volk mit Angst und Exempeln eingeschüchtert werden, um die der weiteren Ausbeutung dienenden, noch schwereren wirtschaftlich-sozialen Programmpakete umsetzen zu können. Zu diesem Zweck werden die Revolutionäre, die eine Führungsfunktion für das Volk haben, ins Gefängnis geworfen und unter Kontrolle gehalten; die gefangenen Revolutionäre, die sich nur mit ihrem bloßen Körper verteidigen können, werden brutalen Angriffen ausgesetzt. Deren Niederschlagung, ihre Niederlage, ihr Zustand der Kapitulation und die staatliche Gewalt, die Ihnen angetan wird, dient dazu, die unterdrückten Gruppen der Gesellschaft mit Furcht einzuschüchtern.

In dem auf unsere Erklärungen hin erfolgten Abweisungsbeschluss werden die zuvor dargelegten Massaker und Angriffe, welche in mehr als 20 Gefängnissen zwischen dem 19. Und 22. Dezember 2000 stattgefunden haben, als nicht verfahrensrelevant dargestellt. Jedoch wird in mindestens zehn Textstellen der Tausende Seiten umfassenden Verfahrensakte erwähnt, ich hätte “an den Begräbnisfeierlichkeiten von Birsen Kars teilgenommen, Lieder gesungen, reden gehalten“; und dies wird als Beweismaterial anerkannt.

Ich werde darlegen, weshalb und auf welche Weise die Realität der Gefängnisse und insbesondere der Operation vom 19.-22. Dezember in hohem Maße Bezug zu diesem Verfahren haben. Vor allem müssen die Auswirkungen des selbst erlebten Massakers auf mich, Ihsan CIBELIK, der ich hier angeklagt werde, unbedingt Thema dieses Verfahrens sein.

A) Das Gefängnis Çanakkale und das Massaker vom 19.-22. Dezember

In den Tagen des 19.-20. Dezember 2000 war ich mittendrin in den 55 Stunden lang im Gefängnis Çanakkale anhaltenden tödlichen Angriffen und dem diesem entgegengesetzten Widerstand.

Die Operation begann um 4:30 Uhr morgens. Fidan Kalşen war eine Freundin von uns, die von Beruf Krankenschwester war. Sie war eine von jenen, die, um das mindestens ein Jahr lang speziell vorbereitete Massaker aufzuhalten, angekündigt hatte: “Wenn Ihr die Operation nicht stoppt, werde ich mich selbst verbrennen!“ Sie haben die Operation nicht gestoppt!

Allein im Gefängnis Çanakkale wurden Fidan Kalşen, Sultan Sarı, Fahri Sarı und İlker Babacan getötet. Mindestens 20 Gefangene, unter denen auch ich mich befand, wurden durch Schüsse und Gasgeschosse verletzt.

Von den Soldaten, die an der Operation teilnahmen, wurde auch ein Rekrut der Militärpolizei mit dem Vornamen Nurettin, den Nachnamen kenne ich nicht, getötet. In dem Strafverfahren, das daraufhin gegen die Gefangenen eröffnet wurde, wurde nachgewiesen, dass er durch die Kugeln der Soldaten getötet wurde. Als während der Operation mehr als 150 Gefangene sich gegenseitig zu schützen versuchten, drangen einige durch die eingestürzten Wände nach draußen, woraufhin die so genannten Sondereinsatzkräfte sowie die Militärpolizisten auf die verletzten Körperstellen dieser Menschen schossen, so dass deren Tortur auch danach noch weiterging. Begleitet von unseren Schreien und Parolen wurden unsere Hände mit Kabelbindern auf dem Rücken gefesselt. In diesem Zustand wurden wir in die Gefangenentransporter aufeinander geworfen. Die Verletzten wurden nicht in Krankenwagen weggebracht.

Als wir im Krankenhaus auf die Bahre gelegt wurden, wurde unsere Kleidung, einschließlich der Unterwäsche, zerschnitten und weggenommen, und später auch nicht zurückgegeben. Denn auf ihnen befanden sich Spuren von verbotenen chemischen Substanzen, die während der Operation eingesetzt wurden. Durch ein während der Operation mit einem Gewehr abgefeuerten Geschoss erlitt ich einen Trümmerbruch am rechten Schienbein. Dank des persönlichen Einsatzes eines demokratisch gesinnten Arztes im Krankenhaus wurde der Knochen wieder gerichtet und gegipst, die Heilung hat eine lange Zeit in Anspruch genommen.

Wir wurden auf verschiedene Gefängnisse des Typs F verteilt. Nachdem wir bereits zwölf Tage in Çanakkale im Krankenhaus waren, wurde mein Bein gegipst, einen Tag später wurde ich mit einem Gefängnistransporter in Handschellen ins Typ-F-Gefängnis in Edirne gebracht. Der Arzt hatte mich am Tag zuvor gewarnt. Er sagte mir, mein Bein sei übel gebrochen, es müsste noch einige Wochen geschient bleiben. Aber er sei ständig von den Soldaten unter Druck gesetzt worden, damit er meinem Transport aus dem Krankenhaus -unter Zwang- zustimmt. Er riet mir dringend an, dass ich, falls ich einen Gipsverband bekomme, diesen an die Heizung halte, damit er über Nacht trocknet. Denn wenn ein Gips angebracht würde, könne er meinen Wegtransport nicht mehr verhindern, sie würden mich dann sofort wegbringen. Zerbräche der Gips, würde das Bein nicht mehr heilen können, unter Umständen müsse es dann amputiert werden. Am Typ-F-Gefängnis in Edirne stieg ich nur das eine Bein belastend aus. Danach durchlief ich die Tortur des zwangsweisen Entkleidens und der Haarschur; in entwürdigender Weise wurde ich am Körper durchsucht, anschließend auf einem Bein gehend durch die Flure geschubst und in die Zelle geworfen.

Ich werde Ihnen nicht lang und breit von der Isolationshaft und ihren Auswirkungen auf die menschliche Psyche erzählen. Ich werde ihn auch nicht lange davon erzählen, wie kreativ der Faschismus in der Türkei bei der Anwendung der Isolation auf die Gefangenen sein kann. Lediglich ein paar Beispiele: An den Wänden der Zellen sind Schalter für das Ein- und Ausschalten des Radios angebracht, außerdem zum Innenraum ausgerichtete Lautsprecher. Das Ein- und Ausschalten des Radios unterliegt nicht der Kontrolle der Insassen. Wenn Sie zu den Fenstern hinaus mit lauter Stimme Lieder singen, um sich gegenseitig zu motivieren und Mut zu geben, ertönen plötzlich in hoher Lautstärke faschistische Märsche aus den Lautsprechern. Dies wird Tag und Nacht zu jeder Stunde als Foltermethode angewandt.

Alle15 Tage werden die Zellen durchsucht. Die innerhalb des Gefängnisses tätigen Vollzugsbeamten sowie die für die äußere Sicherheit zuständigen Soldaten kommen gemeinsam, und wenn sie es für notwendig erachten, können Sie alle in der Zelle befindlichen Gegenstände mitnehmen, ohne sie zurückgeben zu müssen, beispielsweise die Bilder ihrer Kinder; das Zigarettenpapier, auf das sie mangels Heften ihre Liedertexte geschrieben haben; aus den Zeitungen ausgeschnittene in roter Farbe abgebildete Bildchen. Die Farbe Rot war verboten! Ich werde weiter nichts davon erzählen. Für weitere Einzelheiten können Sie nach kurzer Recherche hunderte Quellen finden.

In den Gefängnissen des Typs F in Edirne, Tekirdağ, und später, als ich erneut festgenommen wurde, im Ankara-Sincan Gefängnis habe ich die Isolationshaft und den Widerstand gegen die Politik, die uns diese Art Haft aufzwang, selbst erlebt.

B) Das Massaker vom 19.-22. Dezember – Und die Realität vorher und nachher

Der Beschluss zum Übergang zu Gefängnissen des Typs F und deren Umsetzung war eine der wichtigsten Wendepunkte in der Sozialgeschichte der Türkei. Zahlreiche Untersuchungen hatten zum Ergebnis, dass dieser Beschluss auf den NATO-Konferenzen gefasst wurde, aber aufgrund der politischen und sozialen Rahmenbedingungen in der Türkei dort erst mit Verspätung umgesetzt wurde.

Das Hauptcharakteristikum der Gefängnisse des Typs F ist die Isolationshaft. Gemäß dieser Logik sind sämtliche Gefangenen, zuvorderst die politischen, “zu heilen“, sie seien also “defekt und krank“. Über die Auswirkungen der Isolationshaft auf die menschliche Psyche gibt es eine Vielzahl von wissenschaftlichen Arbeiten. Die wissenschaftliche Öffentlichkeit ist sich einig darüber, dass dies eine viel komplexere Form der Folter ist als die bisher bekannte. Nach sehr spezifischen Vorbereitungen vor der Einführung des Typs F in der Türkei wurde diese seitens der staatlichen Autoritäten und von Forschern dokumentiert und befürwortet.

Aus den Operationen 1995 im Gefängnis Buca, 1996 im Gefängnis Ümraniye, 1999 im Gefängnis Ankara Ulacanlar, sowie den Vorbereitungen des Massakers vom 19.-23. April 2000 wurden bei den Planungen für die Einführung des neuen Systems zumindest nützliche Erkenntnisse gezogen.

Im Gefängnis Buca wurden drei Gefangene, im Gefängnis Ümraniye vier Gefangene, im Gefängnis Ankara Ulucanlar zehn Gefangene von den an der Operation beteiligten Beamten, ohne dass sie selbst irgendwelche Mittel zu ihrer Verteidigung hatten, mit Stöcken, Eisenstangen, Feuerwehrhaken misshandelt. In Ulucanlar wurden die Gefangenen mit Gas, Löschschaum, Geschosskugeln misshandelt und verletzt, und anschließend ins Dampfbad des Gefängnisses geworfen; dort wurden ihnen mit Skalpellen, die zuvor in eine Flüssigkeit, von denen man nicht wusste, welche Substanzen sie enthielten, man nicht getaucht wurden, Schnittverletzungen zugefügt und auf diese Weise gefoltert und getötet. Einer von ihnen, er hieß İsmet Kavaklıoğlu, war ein Revolutionär, den ich im Jahr 1996 während meiner Haft im Gefängnis Ulucanlar kennenlernte. Sie hatten İsmet im Dampfbad mit einer Kettensäge zerstückelt und auf diese Weise umgebracht.

Als Quellen für alles, was ich berichtet habe, können Sie sämtliche Institutionen, die sie als unabhängig erachten, und sogar direkt das Justizministerium heranziehen. Tun Sie dies bitte! Ich möchte damit sagen, dass die Bundesanwaltschaft belastende Dokumente anfordern kann, Sie, der Senat, jedoch sollten doch bitte zur Wahrheitsfindung diese Auskünfte einholen.

Die Operationen in den Gefängnissen des Typs F waren nahezu ein Jahr lang Thema in der Öffentlichkeit und in den Reihen der Gefangenen. Die Gefangenen und ihre Familien haben, selbstverständlich das Ausmaß und die Folgen der zu erwartenden Auseinandersetzungen im Blick habend, Kampagnen initiiert, um politische Parteien, demokratische Massenorganisationen, Künstler und Intellektuelle, alle Teile der Gesellschaft aufzurufen, diese Politik und deren verheerende Folgen zur Diskussion zu stellen und sich dagegen zu wehren. Die Beharrlichkeit der Regierung und insbesondere die gegen demokratische Aktivitäten gerichteten Repressionen zeigten, dass die schwerwiegenden Folgen dieser Politik einkalkuliert wurden und deren Umsetzung bereits feststand. Aus diesem Grund haben die revolutionären Gefangenen diskutiert, mit welcher Art Widerstand sie das Thema auf die Tagesordnung der Bevölkerung bringen und die Regierung zu einer anderen Lösung zwingen können. Daraufhin wurde im Oktober 2000 mit dem Widerstand in Form des Todesfasten begonnen.

Die Entscheidung, gegen diese Politik als Widerstandsform das Todesfasten zu wählen, hat eine große Mehrheit der revolutionären Gefangenen von Beginn an oder mit der Zeit mitgetragen und wiederum eine große Mehrheit hat sich aus freiem Willen persönlich an diesem Widerstand beteiligt. Im Monat Oktober haben die ersten Gruppen, am 35. Tag die zweiten Gruppen, am 45. Tag die dritten Gruppen mit dem Todesfasten begonnen. Es waren mehr als 100 Menschen. Gefangene jeden Alters, aus allen Teilen der Gesellschaft. Gleichzeitig haben die Angehörigen der Gefangenen und deren Unterstützer*innen untereinander darüber diskutiert am Todesfasten teilzunehmen. Sie begannen mit Hungerstreik und gingen dann zum Todesfasten über.

Der 19. Dezember 2000 war der 60. Tag des Todesfastens. Die Regierung hat im Jahr 1996 im Wissen, dass mit dem 60. Tag des Todesfastens Menschen sterben würden, dieses Datum gewählt, um mit einer militärischen Operation das Todesfasten zu beenden, bevor es Tote gibt.

Als die Repräsentanten des faschistischen Staates erkannten, dass große Teile der Öffentlichkeit die Forderungen der Gefangenen gegen das F-Typ-Vorhaben unterstützten, machten sie den Anschein, als würden sie sich die Vorschläge der Gefangenen anhören und für einen Kompromiss offen sein. Um zu vermitteln, wurde eine Delegation beauftragt, der der Journalist Can Dündar – den wir als Zeugen zu laden beantragten-, der Komponist und Autor Zülfü Livaneli, der Journalist Oral Çalışlar, der Abgeordnete und Mitglied der Menschenrechtskommission des türkischen Parlaments, Mehmet Bekaroğlu angehörten.

İm Gefängnis Bayrampaşa begannen die Verhandlungen mit den von allen Gefangenen gewählten Gefangenen Vertretern. Und Millionen Menschen warteten hoffnungsvoll auf eine Lösung. Der damalige Justizminister Hikmet Sami Türk gab eine Erklärung nach der anderen ab und sagte, das Problem würde mit einem Kompromiss gelöst werden. Aber mit einem Mal, am 14. oder 15. Dezember, als mit den Gefangenen die letzten Details verhandelt wurden, hat der Staat die Verhandlungen abgebrochen. Die Anfragen der Delegation, um die Zustimmung zu den Vorschlägen einzuholen, blieben seitens der Staatsvertreter unbeantwortet. Woraufhin Mehmet Bekaroğlu wie folgt erklärte: “Der Staat hat uns benutzt und alle hingehalten, er hat uns und alle anderen betrogen!“

In den Augen der Gefangenen stand die Operation bereits fest. Über die regierungsnahen Medien wurde die Lüge verbreitet, dass das Todesfasten den Menschen durch den verlängerten Arm der verbotenen Terrororganisation in den Gefängnissen aufgezwungen worden sei. Die Gefangenen haben auch darauf eine Antwort gegeben. Wenn das Justizministerium einen geeigneten Rahmen zur Verfügung stellt, könnten sie jeden Beteiligten des Widerstands mitnehmen und befragen. Dann würde herauskommen, ob sie unter Zwang gehandelt hätten oder nicht. Die aufständischen Gefangenen haben gegenüber den Verantwortlichen des Justizministeriums schriftlich erklärt, sie würden sich aus freiem Willen ergeben. Aber diese Lüge wurde weiterhin behauptet.

Als die Aufständischen verstanden, dass eine Operation unausweichlich bevorstand, schrieben sie als letzten Versuch an das Justizministerium: Sollte eine Operation geplant sein, so muss dieser Plan sofort verworfen werden. Ansonsten würden sie ihr Leben opfern, um diese aufzuhalten.

Am 19. Dezember 2000, in der Nacht von Donnerstag auf Freitag, begann in mindestens 20 Gefängnissen der Türkei die Operation, an der mehr Sicherheitskräfte beteiligt waren als Soldaten an der Zypern-Invasion Jahr 1974.

Der damalige Innenminister Saadettin Tantan erklärte, die Operation sei ein Jahr zuvor geplant und nach Abschluss der Übungen und Vorbereitung habe sie dann begonnen.
Nachdem der damalige Justizminister eine Woche zuvor verlautbarte, das Problem würde mit einem Kompromiss gelöst werden, sagte er nach der Operation: “Gott sei Dank, die staatliche Autorität hat sich durchgesetzt, bevor es zu schweren Verlusten kommen konnte.“
Der damalige Ministerpräsident Bülent Ecevit hat mit den folgenden Worten den wahren Grund und Zweck dieser Operation in die Annalen der Geschichte geschrieben: „Ohne die Lösung des Gefängnisproblems hätte das IWF-Programm nicht umgesetzt werden können!“ (Quelle: Veröffentlichungen sämtlicher Zeitungen, TRT- und TV-Nachrichtenprogramme am 19. Dezember 2000)

Das Todesfasten war nicht beendet. In den Gefängnissen des Typs F haben sich noch mehr revolutionäre Gefangene, die unter Folter weggebracht worden waren, am Todesfasten beteiligt. Der Widerstand mit dem Mittel des Todesfastens hat von Oktober 2000 bis Januar 2007 fast sechseinhalb Jahre lang fortgedauert. Er endete damit, dass 122 Menschen ihr Leben ließen, und mehr als 600 Menschen infolge des langen Hungerns, der Zwangsernährung und ähnlichem schwere bleibende gesundheitliche Schäden erlitten haben. Nach sechseinhalb Jahren erkannte der Staat an, dass die Isolationshaft unmenschlich ist, und beschloss erste Maßnahmen dafür, dass die Gefangenen miteinander kommunizieren konnten. Dieses wurde durch ein Dekret der Öffentlichkeit bekannt gemacht. (Diese Maßnahmen werden bis heute immer wieder ignoriert und ihnen faktisch zuwidergehandelt.)

Alles, was in den Gefängnissen des Typs F erlebt wurde, und auch heute noch erlebt wird, hat sehr viel Bezug zu diesem Verfahren. Wenn es Ihnen hilft, einen konkreteren Bezug herzustellen, so bin ich, İhsan CİBELİK, hier persönlich anwesend. Wie es in der Verfahrensakten aufgeführt ist, habe ich am Todesfasten teilgenommen und wurde während der Operation verletzt. Infolge des medizinischen Eingriffs leide ich bis heute noch unter den Symptomen der Wernicke-Korsakoff-Krankheit. Ich habe die Hälfte meines Gedächtnisses verloren, aber keinesfalls habe ich die Liebe zu meinem Volk, meinem Land, zur Gerechtigkeit, Freiheit und zum Menschen verloren. Ich bin ein revolutionärer Künstler, der all dies niemals vergessen hat. Also der, den Sie hier anklagen!

C) Birsen Kars – ein Begräbnis – ein Verfahren

Ich bin mehr als zehnmal auf den Namen Birsen Kars in den Akten dieses Verfahrens gestoßen. Dass ich an ihrem Begräbnis teilgenommen, Lieder gesungen, Reden gehalten habe, wird als Beweis für meine Mitgliedschaft in einer verbotenen terroristischen Organisation angeführt.

Birsen Kars war im Gefängnis Istanbul Bayrampaşa inhaftiert. Die Ereignisse während der Operation wurden zum Teil im Antrag seitens unserer Anwälte beschrieben. Für detailliertere Informationen kann ich Ihnen Dutzende Bücher nennen. Sie werden diese als “Publikation einer verbotenen Organisation“ nicht als Informationsquelle anerkennen. Ich schlage Ihnen andere Quellen vor.

Sie sollten die Verfahrensakte zur Operation des 19.-22. Dezember 2000 im Gefängnis Bayrampaşa vom Justizministerium anfordern. Nicht die Informationen von den Beamten der Abteilung für Terrorbekämpfung, sondern die aus der Verfahrensakte.
Eine noch eindrucksvollere Quelle: das Buch “Die Operation vom 19.-22. Oktober – Zurück ins Leben“ von General Zeki Doğan, der selbst einer der Kommandanten an der Operation gewesen war. In diesem Buch berichtet der Kommandant davon, dass die staatlichen Kräfte chemische Kriegswaffen eingesetzt hätten, von einem Pulver, das, wenn es über den Menschen geschüttet wird, die Kleidung nicht beschädigt, aber Fleisch und Knochen des Menschen zersetzt. Ferner von chemischen Geschossen, auf denen vermerkt ist, dass diese mindestens mit einer Distanz von 30 km entfernt von Menschen einzusetzen sei. Er gibt noch viel mehr Informationen preis, so berichtet er etwa davon, wie sechs Frauen durch Verbrennung getötet wurden.

Birsen Kars hat, indem sie mit lauter Stimme erzählte, wie sechs Frauen bei lebendigem Leibe verbrannt wurden, die Barbarei des Faschismus für die Welt und die Geschichte offengelegt. Jahre später wurden viele von uns wieder im Zuge eines neuen taktischen Angriffs seitens der Regierung aus der Haft entlassen. Der Staat hat, statt das Problem zu lösen, mit dem Ziel, den anhaltenden Widerstand zu schwächen und zu beenden, die aufständischen – gewissermaßen als Bestechung – entlassen und ihren Familien übergeben, und hat hierbei einen Weg gefunden, auch sie unter Druck zu setzen. Offiziell hieß es: “Sollte bescheinigt werden, dass eine Behandlung in der Haftanstalt nicht möglich ist, wird die Haftstrafe ausgesetzt für die Behandlung draußen und die Person aus der Haft entlassen“. Für diesen Zweck stellten die Ärzte der Regierung rechtsmedizinische Atteste aus. Obgleich die Behandlungen noch anhielten und sogar eine “dauerhafte Krankheit“ attestiert wurde, wie in meinem Fall, wurden die Atteste vieler Revolutionäre, wie auch bei Birsen Kars, annulliert und neue Haftbefehle erlassen.

Ich habe Birsen Kars in dieser winzig kurzen Zeitspanne während ihrer Behandlung kennengelernt. Ihre Schmerzen hielten jahrelang an. In Dutzenden von Operationen wurde versucht, ihren verbrannten Körper zu heilen. Sie hatte nie geklagt. Als sie verhaftet werden sollte, war es ihr gelungen, nach Europa zu kommen. Mich hingegen haben sie erneut ins Gefängnis gesteckt. Sie erkrankte an Krebs, später erfuhren wir von ihrem Tod. Ich weiß nicht, ob ich mehr hätte tun können, um ihre Schmerzen zu lindern. In dieser Welt war ich ihr gegenüber in der Pflicht, dazu beizutragen, eine Begräbniszeremonie zu ermöglichen, wie sie es sich von uns gewünscht hatte und die ihr gerecht wurde. Keinerlei Rechtsbestimmung, keinerlei legitime Macht kann dies als Schuld betrachten – und ja, keine Macht kann dies verhindern!

Was auch immer ich auf ihrer Beerdigung gesagt habe, es war zu wenig. Revolutionär zu sein, ist eine große Ehre. Sie war mir eine tapfere Genossin, die fähig war, ihre Schmerzen mit ihrer revolutionären Überzeugung zu besiegen. Jeder sollte ihr Leben gut studieren. Dies würde ich auch Ihnen nahelegen. Und die neugeborenen Babys sollten ihren Namen tragen.

Deswegen werde ich angeklagt, also mit der Behauptung “Birsen Kars war Mitglied der DHKP-C“. Ich solle sie mit den Worten “auch ich bin Mitglied der DHKP-C“ gepriesen haben. Wenn dies die Denkweise der Anklagebehörde ist, so unterscheidet sie sich nicht von der Staatsanwaltschaft der DGM, der Staatssicherheitsgerichte.

Und Sie! Wenn das, was sich in der Türkei ereignet hat; wenn das, was Birsen Kars durchlebt hat, wahr sein sollte, wenn Birsen Kars ein mir so nahestehender Mensch ist, für den ich alles in Kauf nehmen würde, damit ihm nicht ein Haar gekrümmt würde; und ich an seinem Begräbnis teilgenommen hätte, und ich deswegen hier angeklagt werde …, hat dies alles dann immer noch keinen Bezug zu diesem Verfahren?

V. Grup Yorum, revolutionäre Kunst – die Realität der Türkei

Grup Yorum hat von 1985 bis heute – ich selbst bin seit 1988 dabei und leiste meinen Beitrag – die wesentlichen Realitäten in der Gesellschaftsgeschichte der Türkei in ihren Liedern zum Thema gemacht. Sie hat es sich zur Aufgabe gemacht, den Widerstand der Werktätigen, Unterdrückten und jenen, denen Unrecht angetan wurde, im Kampf für ihre Rechte zu unterstützen. Auch wenn unser Kampf der größten Repression und Tyrannei, der weltweit je eine Künstlergruppe ausgesetzt war, ist unser Weg der richtige. Und Millionen sind auf unserer Seite, so wie wir zusammenstehen mit Millionen Werktätigen. Sollten wir die Themen unserer Lieder aufzählen, so können wir dies mit dem Satz zum Ausdruck bringen, der auch in der Verfahrensakte aufgeführt wird: “Vom Brot bis zur Liebe“, alles, was das Volk durchlebt!

Wir sollen die Gefängnisse der faschistischen Militärjunta vom 12. September 1980 zum Thema gemacht haben; sollen den Faschismus entlarvt haben, indem wir beschrieben, wie die Gefangenen, die sich an einem sonnigen Platz im Gefängnishof versammelt hatten, mit Schlagstöcken auseinander wurden; sollen aus einem Gedicht der Dichterin Gülten Akın das Lied Güleycan gemacht haben. Würde ich jetzt mit diesem Beispiel beginnend die Lieder aus unseren 22 legal veröffentlichten Alben erläutern, so würde dies Tage dauern.

Der Filmregisseur Zeki Demirkubuz sagte einmal, aus den Alben von Grup Yorum könne man die Gesellschaftsgeschichte der Türkei herauslesen. Und wenn Sie etwa mehr über die Geschichte von Grup Yorum wissen wollen, und aus welchen Gründen wir welche Lieder gemacht haben, kann ich Ihnen zwei Bücher des Musikwissenschaftlers Orhan Kahyaoğlu empfehlen. Auch er ist eine unparteiische Quelle.

Kann denn Grup Yorum, dazu noch eines ihrer Mitglieder, der in den Gefängnissen des Typs F dabei war und am Widerstand teilgenommen hat, überhaupt davon Abstand nehmen, diese Wirklichkeit zu thematisieren? Natürlich nicht! Er war sowohl drinnen als auch draußen produktiv. Er hat Dutzende Lieder geschrieben. Aber es gab noch viele Seiten des sieben Jahre währenden gigantischen Widerstands über die zu erzählen ist. Später haben dann neun Regisseure gemeinsam, jeder mit einer anderen Geschichte, die jeweils von der Wirklichkeit der Gefängnisse vom Typ F erzählten, einen Spielfilm mit dem Titel “Typ F – Der Film“ gedreht. Ich bin ein Mitglied von Grup Yorum, als solche sind wir zahlreichen Repressionen ausgesetzt, was auch vielfach in den Akten dieses Verfahrens dokumentiert ist. Und Sie meinen, behaupten zu können, dass die Ereignisse in der Türkei nichts mit diesem Verfahren zu tun haben?

VI. Resümee

Wirklichkeit ist, dass der Übergang auf der Isolationshaft basierende Übergang zum System der Gefängnisse des Typs F andauert, während gleichzeitig die Repressionen und schwerwiegenden Rechtsverletzungen zunehmen.
Auch wenn auf den Polizeistationen und in vielen Einrichtungen des Staates die Folter veränderte Formen angenommen hat, besteht sie als politisches Instrument in ihrer Intensität fort.
Real ist auch, dass die mit besonderen Aufgaben ausgestatteten Gerichte des Faschismus, ohne irgendwelche rechtmäßigen Beweise oder Verfahrensgrundsätze zu berücksichtigen, weiterhin zuvor vorbereitet Urteile erlassen, die, wie in jüngster Zeit die ganze Welt sehen konnte, in ihrer Gesamtheit den Anweisungen der politischen Macht folgen.

Diese Themen, die im Beschluss zur Abweisung unseres Antrags angesprochen wurden, stellen die Gründe für die gegen mich erhobene Anklage dar.

Denn die hier dargestellten Bedingungen sind die Gründe dafür, dass ich nach Europa gekommen bin.
Diese Bedingungen sind zugleich die Gründe dafür, dass der französische Staat meinem Ersuchen um politisches Asyl ohne zu zögern stattgegeben hat.
Diese Bedingungen sind die Gründe dafür, dass ich, nachdem ich nach Europa gekommen war, mit all meiner Energie, meinen Fähigkeiten und Talenten meinen Beitrag zum Widerstand in meinem Heimatland gegen genau diese Bedingungen sowie zum dortigen Kampf für Rechte und Freiheiten zumindest ein klein wenig leisten wollte.

Und obgleich alles, was ich getan habe, offen zutage liegt, ist all dies auch der Grund dafür, dass ich hier angeklagt werde.

Ich möchte, dass über unsere im Antrag zu Sprache gebrachten Forderungen noch einmal nachgedacht und diesen entsprochen wird.