wattestäbchen

Fahndungseifer gegen Linke

Beschuldigte verweigern DNA-Abgabe 16.07.2013 ND  Von Niels Seibert
In drei Ermittlungsverfahren nach Paragraf 129 wird seit 2009/10 gegen 60 Personen ermittelt. Die Strafverfolgungsbehörden nutzen diese Verfahren vor allem zur Ausforschung der linken Szene und um ihre DNA-Datenbanken aufzufüllen.
Mit Wattestäbchen werden DNA-Spuren aufgenommen. 986216 Datensätze sammelte das BKA bis Dezember 2012.

Axel ist Antifaschist. Seine Meinung trägt der 32-jährige Berliner auch auf die Straße, beispielsweise wenn er mit seinen Genossinnen und Genossen in Berlin und anderen Städten demonstrieren geht. Er beteiligte sich unter anderem an den Blockaden des Naziaufmarsches in Dresden. Die Demonstrationen, die er selbst angemeldet hat, kann er schon gar nicht mehr zählen. Um die 50 könnten es sein, schätzt er. Auch deshalb ist Axel vielen Linken bekannt.
Zwangsläufig kennt ihn auch die Polizei. Und die hat den umtriebigen Aktivisten auf dem Kieker. Sechsmal saß er in den vergangenen sechs Jahren auf der Anklagebank, zum Beispiel wegen angeblichen Landfriedensbruchs während einer Demonstration anlässlich des G 8-Gipfels 2007 in Heiligendamm. Kein einziges Mal wurde er verurteilt, weil sich die Vorwürfe gegen ihn nie bewahrheiteten.

Seit Ende 2012 weiß Axel vom nächsten Kriminalisierungsversuch; dieses Mal unter der Federführung Sachsens. Er wird beschuldigt, an einer Brandstiftung gegen 42 Bundeswehrfahrzeuge in Dresden im Jahr 2009 beteiligt gewesen zu sein. Die sächsische Polizei ermittelt, so vermutet Axels Rechtsanwalt Martin Henselmann, wegen eines Verstoßes gegen Paragraf 129, der die Mitgliedschaft in einer kriminellen Vereinigung unter Strafe stellt.

In einem Schreiben vom November 2012 lud das Landeskriminalamt Sachsen Axel zur Abgabe einer Speichelprobe zwecks Feststellung der DNA ein. Wenn er bis Monatsende nicht freiwillig vorbeikomme, werde man eine richterliche Anordnung zur DNA-Entnahme einholen, drohte das LKA. Dabei machte es keine Angaben, welche Taten dem Berliner konkret vorgeworfen werden. »Ich nahm die Einladung nicht an, und seitdem ist Funkstille«, erzählt Axel. Ganz offensichtlich fehlen Beweise, um einen Richter davon zu überzeugen, dass eine Genanalyse gerechtfertigt ist. Viel mehr wissen Axel und sein Rechtsanwalt nicht. Die Staatsanwaltschaft verweigert ihnen die Akteneinsicht.
Die Dresdner Strafverfolgungsbehörden möchten natürlich wissen, wer die Urheber des Brandanschlags auf den Bundeswehrfuhrpark sind, die dort angeblich eine Genspur hinterlassen haben. Händeringend ermitteln sie, mit allen verdeckten Methoden, um etwas Verwertbares zu erhalten. Überwachung der Telekommunikation, Erstellung von Bewegungsprofilen und Observationen gehören dazu. Auch eine verstärkte Aktivität des Verfassungsschutzes stellte die »Kampagne Hundertneunundzwanzig e.V.« fest, ein Zusammenschluss unterschiedlicher Gruppen, der Solidarität organisiert und sich gegen solche politisch motivierte Repression wendet. Bislang scheinen die Ermittler völlig im Dunkeln zu tappen.

Ermittelt wird wegen des Brandanschlags auf Bundeswehrfahrzeuge gegen mindestens vier weitere Personen aus Sachsen und Brandenburg. Das wurde aus einem zweiten Paragraf-129-Verfahren bekannt, das die sächsische Staatsanwaltschaft im Zusammenhang mit den Anti-Nazi-Blockaden in Dresden seit 2010 führt. Es lief zwischenzeitlich gegen über 45 Personen, darunter der Jenaer Jugendpfarrer Lothar König sowie Antifaschisten aus Dresden, Berlin und Stuttgart. Der größte Teil von ihnen musste auf richterlichen Beschluss eine DNA-Probe abgeben. Dann, im Juli 2012, wurde das Verfahren gegen 21 Betroffene mangels Beweisen eingestellt, die Ermittlungen gegen die übrigen gehen jedoch bis heute weiter.

Der »Solikreis Dresden« vermutet, dass das LKA Sachsen den unaufgeklärten Anschlag als Vorwand nutzt, um weiter ermitteln und noch mehr linke Strukturen ausforschen zu können. Das ist rechtlich zweifelhaft, wie ein Fall aus jüngster Vergangenheit zeigt. Die mehrjährigen Überwachungsmaßnahmen des Bundeskriminalamts gegen drei radikale Linke aus Berlin wegen des Verdachts auf Gründung der militanten gruppe (mg) hatte der Bundesgerichtshof 2010 nachträglich für rechtswidrig erklärt.

Aus Paragraf-129-Verfahren ist bekannt, dass jegliches Verhalten der Überwachten auf negative Art und Weise interpretiert wird: Aus losen Beziehungen werden feste Gruppenzusammenhänge, aus Freundschaften werden Kommandostrukturen. Allein ein Besuch in der Wohnung eines Beschuldigten kann zur Ausweitung des Verfahrens auf den Gast führen. So ist es nicht verwunderlich, dass ein Linker wie Axel mit seinem bis nach Dresden reichenden Bekanntenkreis auch in das Visier der Ermittler geriet.

Am 22. Mai kam es in Berlin, Magdeburg und Stuttgart erneut zu Hausdurchsuchungen wegen eines weiteren, erstmals bekannt gewordenen 129-Verfahrens der Bundesanwaltschaft in Karlsruhe. Neun Personen waren von den Razzien betroffen, eine von ihnen sitzt seitdem in der JVA Berlin-Tegel. Sie werden beschuldigt, Mitglieder der Revolutionären Aktionszellen (RAZ) zu sein – laut Bundesanwaltschaft eine Nachfolgeorganisation der militanten gruppe. Nachdem auch sie zur DNA-Abgabe aufgefordert wurden, erklärten die Beschuldigten dieser Tage, dies nicht freiwillig zu tun. Manchmal reicht das aus, um der Sammelwut der Ermittler zu entgehen. In anderen Fällen, zuletzt Ende Juni, wurden Betroffene von der Polizei überraschend aufgesucht und in Handschellen zur zwangsweisen Blutentnahme in ein Krankenhaus gebracht.

Anlässlich der Durchsuchungen im Mai ging natürlich auch Axel wieder zu Solidaritätsdemonstrationen auf die Straße und vor die JVA Tegel.