FALL LINA E.

»Eine ungestörte Befragung von Zeugen ist unmöglich«
Dresden: Im »Antifa Ost«-Verfahren behindert Vorsitzender Richter die Verteidigung. Ein Gespräch mit Rita Belter
Interview: Henning von Stoltzenberg

Rita Belter ist Rechtsanwältin in Leipzig

In dem sogenannten Antifa-Ost-Verfahren hat es bislang schon mehr als 80 Verhandlungstage gegeben. Wie kommt der Prozess vor dem Oberlandesgericht Dresden voran?

Die Beweisaufnahme ist nahezu beendet. Die Plädoyers stehen ab Mitte März an, und mit einem Urteil ist noch vor Ostern zu rechnen.

Angeklagt sind vier Antifaschisten, die eine kriminelle Vereinigung nach Paragraph 129 StGB gegründet und Neonazis ­angegriffen haben sollen. Was wird Ihrem Mandanten vorgeworfen?

Er soll Ende Dezember 2019 mit anderen zusammen ein Führungsmitglied der kriminellen Vereinigung ­»Knockout 51« angegriffen haben, das Verbindungen zu dem deutschen Ableger der »Atomwaffen-Division« hat. Juristisch ist das eine gefährliche Körperverletzung und wird bei dem Amtsgericht verhandelt. In diesem Fall wird den anderen Angeklagten aber zugleich Mitgliedschaft in einer kriminellen Vereinigung vorgeworfen. Dieser vermeintlichen Vereinigung werden weitere Angriffe auf Neonazis zwischen Ende 2018 und Anfang 2020 zur Last gelegt. Die Bundesanwaltschaft hat die Ermittlungen von der Staatsanwaltschaft Meiningen an sich gezogen und mit einer Art Staatsgefährdung durch Angriffe auf Neonazis begründet.

Stimmt es, dass der Vorsitzende Richter die Verteidigung ­behindert und politische Bewertungen während der Verhandlung abgibt?

Beilage Feminismus am 08.03.
Eine ungestörte Zeugenbefragung durch die Verteidigung ist unmöglich. Ständig will der Vorsitzende den Zeuginnen und Zeugen unsere Fragen erklären und gleich selbst weiter fragen. Es ist ein ständiger Streit um Verteidigungsrechte. Eine ­gemeinsame Erklärung der ­Angeklagten hat er nicht zugelassen und die Verlesung unterbrochen. Der Standpunkt der Angeklagten interessiert ihn offenbar nicht. Er ist ein klassischer Vertreter der Hufeisentheorie. Es ist ihm offenbar wichtig, als Mensch aufzutreten, der einen reflektierten ­Umgang mit deutscher Geschichte hat und pazifistisch ­erzogen wurde. An anderer Stelle verglich er die Angeklagten mit der SS und zeigte damit, dass es mit seinem ­Geschichtsverständnis nicht weit her ist.

Auch gegen Polizeibeamte wurde ermittelt wegen Verstrickungen in die Neonaziszene. Wie geht es damit voran?

Ein Mobiles Einsatzkommando aus Dresden, welches in unserem Verfahren mit Observationen betraut war, wurde im Zuge der Ermittlungen gegen die ursprünglich 17 Beamten aufgelöst. Die Generalstaatsanwaltschaft in Dresden hat mittlerweile drei Beamte wegen des Diebstahls von Dienstmunition angeklagt. Betroffen sind zwei Schießtrainer der Spezialeinheit aus Dresden sowie der Kommandoführer der an das Landeskriminalamt angegliederten Einheit. Die Anklage steht im Zusammenhang mit Schießtrainings eines Mitglieds des rechtsextremen Netzwerks »Nordkreuz«.

Die angeklagte Antifaschistin Lina E. wird seit über 800 Tagen in Untersuchungshaft gehalten. Gibt es nicht so etwas wie ein Beschleunigungsgebot?

Seit Ende April 2022 fallen immer wieder Termine aus – einerseits wegen Urlaubs von Richtern oder Krankheit von Prozessbeteiligten, andererseits wegen der fünfmonatigen Vernehmungsdauer des sogenannten Kronzeugen, ein Beschuldigter, dem ebenfalls der Angriff in Eisenach vorgeworfen wird. Seine Vernehmung machte er abhängig von der Anwesenheit seines Verteidigers, der wenig Zeit hat. Und so wurde das Verfahren weiter verzögert.

Die Aufrechterhaltung der Untersuchungshaft gegen Lina ist in meinen Augen nicht gerechtfertigt. Sie hat ein stabiles Umfeld, ihre Mutter war bei fast jedem der Prozesstage. Sie hat Arbeit, eine Wohnung und muss aufgrund einer chronischen Erkrankung dauerhaft medizinisch behandelt werden. Es besteht offensichtlich keine Fluchtgefahr.

Der Haftbefehl gegen sie war in der Zuständigkeit des Amtsgerichts Meiningen außer Vollzug gesetzt worden. Ihre Festnahme erfolgte auf der Polizeistation, wo sie sich regelmäßig gemeldet hat, und wurde dann mit den medienwirksamen Bildern – Lina steigt in Karlsruhe mit Handfesseln aus einem Hubschrauber – in Szene gesetzt.

E