Azadi-Kopf

Festnahmen, Urteile, Prozesse 2019 / 2020

Bundesinnenminister Horst Seehofer (CSU) erklärte im Mai 2019 bei der Vorstellung der „Statistik politisch motivierter Kriminalität“ u.a.: „Mit dem militärischen Vorgehen der Türkei wurden ‚die Kurden‘ stärker als in der jüngeren Vergangenheit in den Augen der Öffentlichkeit als Opfer wahrgenommen.“

Das habe zwar zu einer „sensiblen außenpolitischen Situation“ geführt, doch bleibe „die langfristige ganzheitliche Bekämpfung der in Deutschland trotz des hier vorliegenden Betätigungsverbots weiterhin agierenden Arbeiterpartei Kurdistans (PKK) oberstes Ziel.“

Wie das konkret aussieht, zeigt nachfolgende Bilanz:
Festnahmen 2019: Mehmet E.O., JVA München und Mashar Turan, JVA Rohrbach
Festnahmen 2020: Gökmen C., JVA Frankfurt/M. 1 wurde am 2. Januar am Flughafen Frankfurt/M. durch Beamte der Bundespolizei festgenommen. Er wird beschuldigt, als „hauptamtlicher Kader“ der PKK verschiedene Gebiete und Regionen verantwortlich geleitet zu haben (§§129a/b StGB). In diesem Rahmen sei er für organisatorische, personelle und propagandistische Angelegenheiten zuständig gewesen, habe Veranstaltungen und Versammlungen veranlasst sowie Spendensammlungen koordiniert.
Mustafa Celik, JVA Bremen wurde am 6. Januar festgenommen. Erst im Mai 2018 war er nach Verbüßung einer Freiheitsstrafe von zwei Jahren und 6 Monaten aus der Haft entlassen worden. Das OLG Celle hatte es als erwiesen angesehen, dass Mustafa Celik die PKK-Gebiete Oldenburg/Hamburg verantwortlich geleitet habe, weshalb er gem. §§129a/b StGB angeklagt worden war. Nun wird er beschuldigt, von Juli 2018 bis Ende Mai 2019 „das dem Sektor Nord nachgeordnete PKK-Gebiet Bremen“ verantwortlich geleitet zu haben (§§129a/b). Seine „typischen Leitungsaufgaben“ seien „organisatorische, finanzielle, personelle, propagandistische und weitere Angelegenheiten“ gewesen. Über mehrere Seiten werden in dem Haftbefehl des Ermittlungsrichters beim Hanseat. OLG v. 4. 12. 2019 Veranstaltungen, Demonstrationen, Aktivitäten im In- und Ausland (z.B. Straßburg) oder Newrozfeiern aufgelistet, an denen Mustafa Celik teilgenommen und/oder sie organisiert zu haben.
Urteile 2019: 22. Februar gegen Mahmut Kaya durch Hanseat. OLG Hamburg: 1 Jahr, 5 Monate zur Bewährung nach §§129a/b; Aufhebung des Haftbefehls nach Urteilsverkündung 17. April gegen vier junge Kurden durch OLG Celle: 2 Jahre und 6 Monate bzw. 2 Jahre und 3 Monate wg. Anschläge 2018. Das Gericht sah es als erwiesen an, dass ein PKK-Jugendkader zu den Taten angestiftet haben soll. Deshalb waren die Jugendlichen zusätzlich wegen „Unterstützung“ auch gem. §§129a/b angeklagt 5. November gegen Semsettin Baltaş durch OLG Stuttgart: 2 Jahre zur Bewährung nach §§129a/b; Haftbefehl nach Urteilsverkündung aufgehoben; zahlreiche Auflagen.
Urteil 2020: 15. Januar gegen Salih Karaaslan durch OLG Stuttgart: 3 Jahre wegen „Mitgliedschaft“ gem. §§129a/b. Das Gericht sah es als erwiesen an, dass er sich zwischen 2016 und 2018 in Freiburg als „Gebietsverantwortlicher“ der PKK betätigt habe. Die Bundesanwaltschaft hatte 6 Monate mehr gefordert, Verteidigerin Anna Busl dagegen Freispruch. Sie hatte schon zuvor wegen des Gesundheitszustands von Salih Karaaslan vergebens auf Haftentlassung plädiert. Er hat Herzprobleme und musste wegen der Verhaftung eine geplante Knie-Operation verschieben. Der 63Jährige war in der Türkei über zehn Jahre in leitender Funktion für den linken Gewerkschaftsbund KESK tätig und leitete später die Zweigstelle Ankara des Menschenrechtsvereins IHD. Weil die Möglichkeit,
in der Türkei politisch aktiv zu sein, immer schwieriger wurde, ging der dreifache Familienvater nach Deutschland. Eine individuelle Straftat wurde dem Politiker nicht vorgeworfen. In seinem Schlussplädoyer hatte er deutlich gemacht, dass er seine Augen vor den Menschenrechtsverletzungen gegen die kurdische Bevölkerung nicht verschließen könne. Er habe „über Jahre hinweg im Land und von hier aus für Frieden und Demokratie gekämpft“. Sein Problem sei „das faschistische und despotische Gedankengut“, das den Menschen „einen Riegel vorschieben“ wolle. Gegen das Urteil wurden Rechtsmittel eingelegt; mithin ist es nicht rechtskräftig. Seit seiner Festnahme am 21. Juni 2018 befindet sich Salih Karaaslan in der JVA Schwäbisch-Hall.
In Strafhaft: Yunus Oğur, JVA Meppen, Hıdır Yıldırım, JVA Hamburg-Billwerder Beide waren gem. §129a/b verurteilt worden.
Laufende §129b-Prozesse seit 2019: 16. April gegen Evrim Atmaca vor OLG Stuttgart -Stammheim wegen „Unterstützung“ gem. §§129a/b und Tatvorwürfen wie Freiheitsberaubung, versuchter Nötigung. Am 13.12. wurde der Haftbefehl gegen sie außer Vollzug gesetzt; das Verfahren wird weitergeführt. 16. April gegen Özkan Taş vor OLG Stuttgart-Stammheim (Vorwürfe wie vor), U-Haft 16. April gegen Agit Kulu vor OLG Stuttgart-Stammheim (Vorwürfe wie vor), U-Haft 16. April gegen Cihan Aydın vor OLG Stuttgart-Stammheim (Vorwürfe wie vor), nicht in Haft.16. April gegen Veysel Satılmış vor OLG Stuttgart-Stammheim wegen „Mitgliedschaft“ gem. §§129a/b und Tatvorwürfen Freiheitsberaubung, versuchte Nötigung, U-Haft.
In diesem Prozess spielt ein eigenen Angaben zufolge „langjähriges Mitglied der PKK“ eine Rolle, das sich der Anklage als Kronzeuge angedient hat. Die Verteidigung hatte schon vor Prozesseröffnung kritisiert, „dass das Interesse der Strafverfolgungsbehörden an der Kriminalisierung kurdischer Aktivisten“ dazu führe, „dass sie sich für die Rachegelüste eines abgewiesenen Liebhabers instrumentalisieren“ lasse. Allein private Konflikte hätten laut Anwältin Antonia v.d. Behrens die Ermittlungen in Gang gesetzt. Stammheim solle den Eindruck vermitteln, dass es hier um „Terrorismus“ gehe. Nachdem der Kronzeuge seine Aussagen in mehreren Verhandlungen gemacht hatte und sich die Befragungen der Verteidigung anschließen sollten, bestand er auf seinem Recht auf Aussageverweigerung.

25. Oktober gegen Yildiz Aktaş vor dem Kammergericht Berlin. Sie hat in der Türkei für die Rechte und Selbstbestimmung von Frauen gekämpft und wurde wegen ihrer politischen Aktivitäten mehrfach festgenommen und inhaftiert. Bereits als 12jähriges Mädchen und damit als jüngste Gefangene war sie im berüchtigten Gefängnis von Diyarbakir in Haft. Dort hatte sie auch die in Paris ermordete Sakine Cansız kennengelernt, deren Tötung sie sehr erschütterte. Zu diesem Zeitpunkt war sie nach Deutschland geflohen. Im Gedenken an die getöteten Frauen hatte sie u.a. Kundgebungen und Ausstellungen organisiert, weshalb sie nun in Deutschland vor Gericht steht. Die Verteidigerin und ihr Kollege konnten erreichen, dass Yildiz Aktaş insbesondere wegen der Gefahr einer Retraumatisierung aus der Haft entlassen worden ist. Die in Berlin aktive Gruppe „Freiheit für Yildiz“ fordert u.a. einen „sofortigen Stopp der Zusammenarbeit deutscher und türkischer Verfolgungsbehörden“ sowie „eine Einstellung des Verfahrens“. Am 9. Januar fand im Gedenken an die Ermordung der Frauen in Paris vor dem Kammergericht in Berlin eine „feministische Solidaritätskundgebung“ statt. Nähere Informationen sind dem blog freiheit-yildiz.com zu entnehmen oder auf Twitter #freedom4yildiz.
Prozesseröffnung 2020: 27. Februar, 9.30 Uhr gegen Mashar Turan vor OLG Koblenz, Sitzungssaal 10, Regierungsstraße 7

AZADÎ – Info Januar 2020