Freispruch für die Gefangenen vom 17. Januar 09 in Zürich

Heute Mittag, am 26. September 2011, wurden die beiden Jugendlichen, welche am 17. Januar 2009 für zwei Wochen in Untersuchungshaft waren, nach zweieinhalb Jahren endlich vor dem Zürcher Jugendgericht freigesprochen! Ihnen wurde vorgeworfen, sich am 17. Januar 2009 an einem Farbanschlag gegen die UBS am Paradeplatz in Zürich beteiligt zu haben.

Bilder und mehr Hintergrundinfos auf www.rjz.ch

Kurze Erklärung der RJZ:

Aussageverweigerung lohnt sich!

Obwohl die Jugendanwaltschaft mehrere Indizien für die Schuld besass (Farbspuren auf den Kleidern, SMS-Nachrichten, welche zu Demonstrationen aufriefen und Verhaftung in zeitlicher sowie örtlicher Nähe zum Paradeplatz), gelang es der Jugendanwaltschaft nicht, ihre Anklagepunkte Sachbeschädigung und Landfriedensbruch zu beweisen. Denn es gilt das Prinzip der Unschuldsvermutung, dies bedeutet, dass die Staatsanwaltschaft die Schuld eines Angeklagten beweisen muss und NICHT der Angeklagte seine Unschuld. So haben auch die beiden Jugendliche ihre Aussage konsequent verweigert, denn es ist sicher nicht unsere Aufgabe den Bullen und Staatsanwälten zu helfen ihre Arbeit zu erledigen.

Fehlen Geständnisse oder widersprüchliche/falsche Aussagen, so muss das Gericht mit wissenschaftlichen Beweise (Fingerabdrücke/DNA/Foto- und Filmmaterial/Zeugenaussagen) versuchen die Schuld zu beweisen, was ihnen in diesem und den meisten anderen Fällen von willkürlichen Verhaftungen, wie Nahbereichsfahndungen oder Massenverhaftungen, nicht gelingt.

Freiheit für alle politischen Gefangenen!

Mit der Anordnung von mehrwöchiger Untersuchungshaft versucht die Zürcher Staatsanwaltschaft immer wieder Aussagen aus den Gefangenen heraus zu pressen und die Bewegung auf der Strasse einzuschüchtern. Eine solche absolut unangemessene und unberechtigte U-Haft erlebten nicht nur die beiden Freigesprochen, sondern ganz aktuell alle 15 Gefangenen, welche nun seit über einer Woche nach den Unruhen am Samstag beim Central in U-Haft sitzen! Die Gefangenen vom 17. Januar 2009 hielten mit der Aussageverweigerung durch und bekamen heute als Entschädigung für die Haftzeit je 3’500 Franken zugesprochen. Wir hoffen, dass auch alle Gefangene, welche zurzeit immer noch in U-Haft sitzen, die Kraft haben diese Zeit durchzustehen und auch bald ihre Entschädigung bei der Staatsanwaltschaft abholen können.

Den Spiess umdrehen – Kapitalisten in den Knast!
Freiheit für alle politischen Gefangen!
Der Kampf geht weiter!

Schlussplädoyer der Angeklagten selbst und politische Erklärung vor Gericht:

Liebe Anwesende, Sympathisanten und Sympathisantinnen!

r

Ich und der Mitangeklagte möchten nun, zweieinhalb Jahre nach unserer Verhaftung, diese Gelegenheit nutzen und einige Worte an alle jene richten, welche sich während der Untersuchungshaft und den mehrfachen Anklageversuchen, mit uns solidarisierten und uns unterstützten. Wir wurden zusammen verhaftet, sassen zusammen im Knast und stehen nun heute gemeinsam vor Gericht. Daher ist es für uns klar, dass wir auch diese Prozesserklärung gemeinsam geschrieben haben und nun gemeinsam vorlesen werden.

Wie gesagt, unsere Verhaftung liegt nun bereits mehr als zweieinhalb Jahre zurück. Daher werde ich nun unsere Geschichte von vorne erzählen, denn bereits unsere Verhaftung am 17.1.09 spielte sich äusserst Mysteriös ab. So wurden wir kontrolliert, nachdem ein Passant einen Polizeiwagen angehalten hatte und gesagt hatte, dass zwei Menschen in eine Seitengasse eingebogen sind. Dies reichte für die Polizei aus, uns zu kontrollieren und ohne Beweise in Polizeihaft zu nehmen. Wenn die Polizei auf jeden Hinweis so radikal reagiert, kennt man nun wohl auch die Ursache für die vielen Überstunden, über welche sich die Stadtpolizei beschwert.

Während der Polizeihaft folgte der Antrag der Jugendanwältin Rosmarie Müller auf eine zweiwöchige Untersuchungshaft. Dass der Haftrichter den Antrag einfach durchwinkte überraschte uns dann doch sehr. Wie absolut unberechtigt und unangemessen diese Untersuchungshaft gewesen war zeigte sich nämlich bei der Freilassung: Es wurden weder neue Beweise, noch Zeugen gefunden, was von Anfang an klar war. So muss man sich doch fragen, falls die Jugendanwältin konsequent wäre und das Gefühl hat richtig entschieden zu haben, wieso wir dann sogar einige Tage früher aus der U-Haft entlassen wurden, obwohl die objektive Situation haargenau die gleiche war, wie zum Zeitpunkt des Ablaufs der Polizeihaft.

Rosmarie Müller hätte sich entscheiden müssen: Konsequent sein und uns erst aus der U-Haft zu entlassen, wenn die Beweise und Zeugen gefunden sind, oder eingestehen, dass diese U-Haft von Anfang an nicht berechtigt war und von Anfang an einem anderen Zweck diente! Was war dann das Ziel der U-Haft? War es nicht der versuch die fehlenden Beweise durch erpresste Aussagen zu ersetzten? Wenn ja, dann misslang er. Wir sagten bis zum Schluss nichts, auch wenn wir dadurch von der Schule fernblieben und unsere Prüfungen verpassten.

Doch damit nicht genug:
Obwohl die Jugendanwältin auch nach der U-Haft keine Beweise hatte, versuchte sie den Fall vor Gericht zu bringen. Doch die Sinnlosigkeit dieses Versuchs wurde auch vom Gerichtspräsident erkannt und unter der Begründung, dass wegen der fehlenden Beweise und weil wir die Aussage verweigerten, ein Freispruch zu erwarten gewesen wäre und es sich daher aus ökonomischen Gründen für das Gericht nicht lohnen würde, abgelehnt. Die Anklage wurde also zurückgewiesen und wir konnten aufatmen. Doch die Hartnäckigkeit von Frau Müller war unermesslich. So begann sie, in einem Akt der Verzweiflung nach Zeugen zu suchen, welche sie anschliessend befragte. Dass sich das ganze Unterfangen als ziemlicher Unsinn herausstellt, zeigt sich, wenn man sich anschaut wer befragt wurde. So wurde ein Mann vom Sicherheitsdienst der UBS befragt, welcher sich zur Tatzeit gar nicht einmal am Paradeplatz befand.

Was sollte also dieser angebliche „Zeuge“ für neue Erkenntnisse bringen? Danach wurde noch der Tramchauffeur, welcher am Paradeplatz am Warten war befragt. Auch er konnte der Jugendanwältin nicht weiterhelfen. Schliesslich wurde auch noch der Polizist aufgeboten welcher uns verhaftet hat. Da der ganze Fall bei der Befragung jedoch bereits über 1 Jahr her war, wusste auch er nichts Neues zu erzählen. Also: Alles in allem brachten die Befragungen nichts Neues. Daher hätte man davon ausgehen können, dass der Fall erledigt war. Das Gericht sah dies jedoch anders. Denn als der zweite Anklageversuch der Staatsanwältin kam, wurde diese nun plötzlich zugelassen, obwohl sich an der objektiven Lage nichts verändert hatte. Die Zulassung wurde damit begründet, dass eine erneute Zurückweisung dem sogenannten „Beschleunigungsgebot“ in unerträglicher Weise entgegenstehen würde. Es scheint, dass auch das Gericht mit Arbeitsstress und Überstunden zu kämpfen hat und als einfachste Lösung auch einmal ein Auge zu drückt.

Doch auch am vorgesehenen Prozesstermin, dem 13.Januar 2011 kam es nicht zum Prozess, weil die Strafprozessordnung mit dem Jahreswechsel auch gleich erneuert wurde. Damit verlor das Gericht seine Zuständigkeit. Wir wollen auf diese Umstände nicht weiter eingehen, müssen uns aber doch fragen, ob die Jugendanwältin zu sehr damit beschäftigt war, Beweise und angebliche Zeugen herbei zu zaubern, dass sie nicht bemerkt hatte, dass am 1.Januar 2011 die Strafprozessordnung gewechselt hatte.

Nun stehen wir heute, nach zweieinhalb Jahren und mehreren Versuchen trotzdem vor Gericht. Wir sind zwar überrascht von dieser Härte und Hartnäckigkeit mit welcher die Jugendanwältin und das Gericht unseren Fall verfolgen, sehen aber zugleich, dass wir damit nicht alleine Sind. So wurden auch bei den Jugendlichen, welche bei den Unruhen in den vergangenen Wochen verhaftet wurden, alle in Polizeihaft genommen, auch wenn ein grosser Teil der Verhafteten in einem Kessel beim Landesmuseum festgenommen wurde, also einem Ort wo sich sicherlich auch unbeteiligte aufgehalten haben. 20 Personen sitzen nun seit über einer Woche in U-Haft, die meisten anderen, welche ihre angebliche „Schuld“ eingestanden haben, bekamen Strafbefehle wegen Landfriedensbruch mit enormen Geldstrafen. Sozialdemokratische Politiker forderten sogar noch weitaus höhere Strafen.

Wer verhaftet wurde, musste sich also entscheiden: Eine angebliche Straftat eingestehen damit man frei kommt, oder sein Recht auf Aussageverweigerung wahrzunehmen, mit dem Risiko die Kündigung zu kriegen, wenn man aus der wochenlangen U-Haft wieder entlassen wird. Dieses Vorgehen ist eine moderne Art der Erpressung und Unterhöhlt jegliches Recht auf Aussageverweigerung!

Man erkennt auch, sofern man seine Augen nicht unter einer doppelten Augenklappe verschliesst, dass überhaupt nicht jedes Delikt gleich behandelt wird und es sehr darauf ankommt, ob es in einem politischen Kontext steht oder nicht. So wäre unser Fall wohl schon längst vergessen gegangen, hätte es sich um irgendeine Sachbeschädigung, anstatt um einen Angriff gegen die krisengeschüttelte Schweizer Grossbank gehandelt. Es ist also ein Witz zu behaupten, irgendein Gericht in diesem Land sei frei von einer politischen Wertung, auch wenn die Anklagepunkte entpolitisiert werden und lediglich von „Sachbeschädigung“ gesprochen wird.

Doch nun nochmals zurück zum Anfang: Auch wenn uns die Härte der Justiz, welche uns mit der zweiwöchigen U-Haft mit voller Kraft präsentiert wurde, zutiefst schockierte, war es doch die Gegenbewegung, welche durch dieses harte Vorgehen der Zürcher Justiz ausgelöst wurde, welche uns viel stärker beeindruckte und uns half diese Zeit im Gefängnis zu überstehen. Es waren nicht nur die Gefangenen, die sich gegenüber uns als politische Häftlinge solidarisierten. Sogar ein Wärter im Bezirksgefängnis Zürich meinte zu mir: „Falls es stimmt was man dir vorwirft, so hättest du einen Medaille verdient und kein Gefängnisaufenthalt!“ Doch auch ausserhalb der Gefängnismauern regte sich widerstand und eine breite Solidaritätsbewegung formierte sich.

So schrieb zum Beispiel Anton Müller als Kommentar auf den Tagesanzeiger Artikel zum Angriff gegen die UBS: „Man sollte denen eher danken. Die haben für die Verschönerungsaktion ja sogar die offiziellen UBS-Farben gebraucht. Und wenn wir schon im Schnitt mit 10 000 Franken an der UBS-Rettung beteiligt sind, sollte man doch auch ein wenig bei der Fassadengestaltung mitreden dürfen.“
Auch Fritz Odermatt war empört und schrieb damals: „Natürlich gehen die Banker, die mit Betrug Millionen absahnen straffrei aus. Warum nimmt die niemand in Untersuchungshaft? Im Gegenteil, jetzt schiebt man den miesen Banken noch Geld nach, Steuergeld wohlgemerkt! Diese Jugendlichen drücken nur aus, was wir Schweizer alle denken!“

Auch James Munday fragt sich sehr über das harte Vorgehen der Jugendanwaltschaft und fragt: „Mehrere Wochen U-Haft für zwei 15 und 16 jährige Vandalen? Ich kann’s nicht fassen! Macht die Zürcher Justiz eigentlich auch was anderes, als Minderjährige wochenlang wegzusperren und Falschparker zu büssen? Hauptsache die „wahren“ Bösewichte laufen lassen. Bravo!“

Bei all dieser Solidarität, welche uns während der U-Haft, danach und auch heute, zweieinhalb Jahre später immer noch von ganz verschiedenen Seiten entgegenkommt, muss man sich doch schon fragen, ob heute die wahren Täter vor Gericht stehen, oder ob in der Schweizer Justiz ganz nach dem Motto „too big to fail“ der Grundsatz „Too big to convict“ , also auf Deutsch: „Zu gross um Verurteilt zu werden“ gilt? Angesichts der gigantischen Summe, welche die UBS verzockt hatte und welche nötig war um sie vor dem Kollaps zu retten, scheint der Brief der UBS welcher wir vor ca. 2 Monate erhalten haben umso grotesker. In diesem Brief wurden wir nämlich aufgefordert je 23’000 bei der UBS als Entschädigung einzuzahlen, wohlgemerkt, dies obwohl noch kein Prozess stattgefunden hat! Freundlicherweise wurde uns übrigens auch eine Ratenzahlung angeboten. Seit ein Beamter der UBS dann sogar zu Hause anrief und versuchte Druck auf unsere Eltern auszuüben, dass wir das Geld nun endlich einzahlen, fürchten wir, dass es um unsere Schweizer Grossbank erneut sehr, sehr schlecht steht, wenn sie mit solchen miesen Tricks versuchen muss Geld von Jugendlichen ab zu knöpfen.

Zum Schluss möchte ich mich noch einmal bei allen die uns in dieser Zeit auf unterschiedliche Art und Weise unterstützt haben bedanken und natürlich einen ganz besonderen Dank an alle die heute, sogar aus verschiedenen Städten so früh am Morgen angereist sind, um uns auch heute hier vor Gericht zu unterstützen! Herzlichen Dank!