»Das Essen dort wird weniger und schlechter« junge Welt 15.8.22
Inflation im Knast: Steigende Preise für Lebensmittel treffen Gefangene besonders hart. Kritik an Anstaltskaufmann. Ein Gespräch mit Juliane Nagel
Interview: Jan Greve
Juliane Nagel ist Abgeordnete im Sächsischen Landtag für die Partei Die Linke
Die steigenden Preise für Lebensmittel stellen viele Menschen mit geringen Einkommen vor große Probleme. In einer Mitteilung haben Sie jüngst auf eine Gruppe hingewiesen, die viele nicht auf dem Schirm haben: Gefangene. Wie ist die Situation in den sächsischen Knästen?
Ich bin Mitglied des Anstaltsbeirats der JVA Leipzig. Dort wurde uns das Problem durch Mitglieder der Gefangenenmitverantwortung geschildert. Auch aus dem Frauengefängnis in Chemnitz erreichten mich Hilferufe: Sie berichteten von schlechterem und weniger Gemeinschaftsessen sowie von Preissteigerungen beim Anstaltskaufmann. In der Branche ist der Konzern Massak in Sachsen wie auch bundesweit Monopolist. Inflationsbedingt wurden die Preise für Waren des täglichen Bedarfs durch Massak schon zum Mai erhöht, bei Sonnenblumenöl sogar um 120 Prozent. Nicht erhöht wurden dagegen Vergütung und Taschengeld der Gefangenen.
Sie fordern, die Verpflegungssätze anzuheben. Wie hoch sind die, und wonach werden sie berechnet?
Für das Gemeinschaftsessen wird ein Verpflegungssatz zugrunde gelegt. Dieser liegt in Sachsens zehn Knästen bei durchschnittlich 3,24 Euro pro Kopf und Tag. Wir kritisieren schon lange, dass das zuwenig ist, um eine ausreichende und ausgewogene Ernährung zu sichern – angesichts der steigenden Preise ist dies nun aber definitiv nicht mehr möglich. Dass das sächsische Justizministerium jetzt auf Sonderangebote und Masseneinkäufe zurückgreifen will, ist keine Lösung. Darunter leidet die Qualität der Verpflegung.
Ältere Gerichtsurteile empfehlen für die Gefangenenverpflegung eine Orientierung an der in Krankenhäusern. Der Satz wäre in Sachsen dann doppelt so hoch und läge bei 7,67 Euro.
Was wissen Sie über die Lage in anderen Bundesländern?
Die Verpflegungssätze liegen in Gefängnissen anderer Bundesländer ebenfalls auf niedrigem Niveau, zwischen knapp über zwei Euro pro Kopf und Tag in NRW, fünf Euro in Hamburg, Hessen und mehr als acht Euro in Sachsen-Anhalt. Da die Inflation nicht vor Bundesländergrenzen halt macht, dürfte es überall Probleme dabei geben.
Was genau werfen Sie dem Konzern Massak vor?
Massak ist Monopolist, in Sachsen verkauft er in neun von zehn Gefängnissen Waren des täglichen Bedarfs. Der Konzern verdient an den Gefangenen mit zum Teil überhöhten Preisen, vor allem für die am meisten gekauften Produkte wie Wasser oder Eier. Kritik kommt von Gefangenen auch daran, dass die Einkaufslisten von Massak keine Inhaltsstoffe ausweisen.
Wie steht es um die Vergütung der Gefangenen, die einer Erwerbstätigkeit nachgehen?
Was Gefangene für die Tätigkeit in den Gefängnissen – zum Beispiel in der Küche oder Bibliothek – oder für externe Firmen bekommen, ist nichts anderes als ein Hungerlohn. In Sachsen beträgt die Vergütung maximal 2,15 Euro pro Stunde, die Ausbildungsbeihilfe liegt unter zwei Euro. Das Taschengeld für die, die nicht arbeiten, beträgt zirka 40 Euro im Monat. In anderen Bundesländern sieht es nicht anders aus. Diese Dumpinglöhne widersprechen dem Resozialisierungsgebot und sind ein sozial- und arbeitsmarktpolitischer Skandal. Gerade wenn wir betrachten, dass bundesweit Firmen billig in den Gefängnissen produzieren lassen. Hinzu kommt, dass Gefangene nicht in die gesetzliche Rentenversicherung einbezogen sind. Die Zeit, die sie im Knast arbeiten, wird ihnen später nicht angerechnet.
Drei Gefangene sind wegen der zu niedrigen Vergütungen vors Bundesverfassungsgericht gezogen, noch in diesem Jahr wird eine Entscheidung erwartet. Wir fordern den Mindestlohn auch hinter Gittern und den Einbezug in die Sozialversicherung!
Gefangene haben keine Lobby. Wie hoch schätzen Sie die Chancen ein, dass Ihre Forderungen umgesetzt werden?
Ich habe auf meine Anfrage vom Sozialministerium Signale bekommen, dass die Erhöhung des Verpflegungssatzes geplant ist. Damit die Zusammenarbeit mit Massak eingestellt wird, braucht es breitere Proteste und Vereinbarungen mit Einzelhandelsunternehmen, die die Knäste statt dessen beliefern. Sehr gespannt bin ich auch auf die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts. Ein Erfolg hier wäre ein entscheidender Knackpunkt für eine Gleichstellung von Gefangenen und ein Beitrag zu mehr sozialer Gerechtigkeit hinter Gittern.