Liebe Freundinnen und Freunde des ROTEN SALON HAMBURG!
Die Sommerpause ist zu Ende und der ROTE SALON, der zuletzt mit dem Thema „Digitalisierung von Gegenmacht“ eine gelungene Veranstaltung im „Wohl oder Übel“ auf St. Pauli hatte, beginnt die Herbst-Spielzeit in zwei Wochen, wenn am Montag, 7.10., Stephanie Bart mit ihrem großen Roman „Erzählung zur Sache“ zu Gast ist, diesmal wieder an der Uni.
KOMMT ZAHLREICH! BRINGT FREUNDE! ES WIRD EIN SPANNENDER ABEND!
Montag, 7.10.24, Universität Hamburg, Von-Melle-Park 5, WiWi-Bunker, 2.Stock, R.2163/2158
Es geht in „Erzählung zur Sache“ um die RAF-Zeit, mit besonderem Blick auf Gudrun Ensslin, eine „linke Zeitreise“, schrieb ein Rezensent. Der Roman hat viel Aufmerksamkeit bekommen und gilt vielen als literarische Meisterleistung. Das Buch passt perfekt ins Profil des ROTEN SALON, der sich mit politisch relevanten Büchern befasst, ohne sich auf ein Genre festzulegen.
Moderiert wird die Veranstaltung von der Hamburger Verlegerin Else Laudan, die den Argument/ariadne Verlag leitet.
Über die Website des ROTEN SALON, könnt Ihr Euch, wenn Ihr wollt, anmelden. Die Veranstaltung an der Uni Hamburg beginnt um 18:30 Uhr.
ZUR ANMELDUNG STEPHANIE BART
Warum hat der ROTE SALON gerade dieses Buch und diese Autorin eingeladen? Die Antwort: Der Terror ist heute allgegenwärtig und alltäglich und findet immer neue Formen. Gerade in diesen Tagen sind wir schockiert über die Pager-Attacke im Libanon, die dem Terror in der Verschmelzung von Cybergewalt mit analoger Realität eine neue Dimension gibt.
Terrorismus und Gewalt bleiben ein bestimmendes Thema unserer Zeit. Die Diskussion kann gar nicht aufhören.
Einen lesenswerten Beitrag dazu leistet Stephanie Bart selbst, in der ersten Folge der den ROTEN SALON begleitenden Inhalte, mit ihrem Text „Erklärung zur Gewaltfrage“.
LESESTOFF ZU STEPHANIE BART: Erklärung zur Gewaltfrage
Erklärung zur Gewaltfrage
Am Montag, 7.10., kommt Stephanie Bart mit Ihrem Roman “Erzählung zur Sache” in den ROTEN SALON HAMBURG. Es geht darin um die RAF-Zeit, mit besonderem Blick auf Gudrun Ensslin, eine “linke Zeitreise”, schrieb ein Rezensent. Der Roman hat viel Aufmerksamkeit bekommen und gilt vielen als literarische Meisterleistung.
Ein breiter, drängender, filmischer Erzählstrom führt Riesenmengen an dokumentarischen, bisher unbekannten Details wie Treibgut mit sich und bahnt sich mit Macht den Weg ins Bewusstsein des Lesers und der Leserin, die hier eine ganz außergewöhnliche Leseerfahrung machen können. Das Buch passt perfekt ins Profil des ROTEN SALON, der sich mit politisch relevanten Büchern befasst, ohne sich auf ein Genre festzulegen.
Moderiert wird die Veranstaltung von der Hamburger Verlegerin Else Laudan, die den Argument/ariadne Verlag leitet. Über die Website des ROTEN SALON, der auch auf Social Media erreichbar ist, könnt Ihr Euch, wenn Ihr wollt, anmelden. Die Veranstaltung an der Uni Hamburg beginnt um 18 Uhr 30. https://roter-salon-hamburg.de/
steohaniebart22
Im MAC Blog beginnt heute die Veröffentlichung vorbereitenden Materials, wie Ihr es schon von bisherigen ROTEN SALONS kennt. Und ganz am Anfang steht ein Originalbeitrag von Stephanie Bart selbst, der die alte Frage des Sympathisantentums aufnimmt, die 40 Jahre danach immer noch in den Köpfen herumspukt.
Obwohl das Buch sehr gut für sich selbst stehen kann, bemerkte Stephanie Bart an der Rezeption einen von ihr als Autorin geforderten „Rechtfertigungsreflex“, den Druck, der Gewalt (okay, ohne Anführungszeichen) abzuschwören, ohne je gewalttätig geworden zu sein. Ihr Text beinhaltet zu diesem Thema wichtige Klarstellungen aus einer antikapitalistischen Perspektive, die sehr gut an den Beginn der Diskussion über das Buch passen.
Es ist immer noch heikel, sich mit der RAF zu beschäftigen, wenn man kein „Ich distanziere mich“-Tatoo auf die Stirn gestempelt hat. Auch vom ursprünglich gewählten Titel des ROTEN SALON „Warum wir die RAF heute noch brauchen“ wurde besorgt abgeraten. Getextet wurde er im Februar 2024, als der ROTE SALON mit Stephanie Bart das erste Mal angekündigt werden konnte, unter dem Eindruck der Verhaftung der RAF-Rentnerin Daniela Klette, die von Staat und manchen Medien dermaßen groß inszeniert wurde, dass man schon sehr große Balken vor den Augen haben musste, um nicht zu erkennen, wie sehr der Staat Staatsfeinde braucht, um sich selbst zu spüren. Kein Staat ohne Staatsfeinde, eigentlich klar.
Das Wort ist schon gefallen, antikapitalistische Perspektive. Warum hat der ROTE SALON gerade dieses Buch und diese Autorin eingeladen? Die Antwort ist ganz kurz: Der Terror ist heute allgegenwärtig und alltäglich und findet immer neue Formen. Gerade in diesen Tagen sind wir schockiert über die Pager-Attacke im Libanon, die dem Terror in der Verschmelzung von Cybergewalt mit analoger Realität eine wirklich neue Dimension gibt. Terrorismus und Gewalt bleiben ein bestimmendes Thema unserer Zeit. Die Diskussion kann gar nicht aufhören. Wichtig ist, ihr eine antikapitalistische Dimension zu geben. Dazu wollen wir einen Beitrag leisten. M.H.
Von Stephanie Bart
In der Rezeption von »Erzählung zur Sache« gibt es den Reflex, mir als Autorin Sympathie mit der Roten Armee Fraktion vorzuwerfen oder mich gegen diesen Vorwurf damit zu verteidigen, dass er unzutreffend sei. Dabei wird stillschweigend vorausgesetzt, es sei deshalb verwerflich, mit der Roten Armee Fraktion zu sympathisieren, weil ihre Aktionen gewalttätig waren.
- Die Methode der Gewalt ist die Zufügung von körperlichen, emotionalen und geistigen Schmerzen, sie verursacht Leiden, Leiden ist intrinsisch schlecht: weg damit! Weg frei für die gewaltfreie Gesellschaft! Je schneller, desto besser. Gesellschaften, die sich gewaltfrei reproduzieren, gibt es schon immer, sie werden wissenschaftlich untersucht unter dem Begriff »peaceful societies«.
Ich bekenne mich hier ausdrücklich zum Ziel der gewaltfreien Gesellschaft, nichts will ich mehr als diese, nichts weniger als die Gewalt. Unbedingt will ich eine Gesellschaft, in der Finanzminister Lindners »Brutalitäten in den Sozialsystemen« erst gar nicht möglich sind.
»Brutalitäten in den Sozialsystemen« sind keine Lindner-Spezialität, sondern ein Kennzeichen des Kapitalismus, sind nicht bug, sondern feature, nicht Auswuchs oder Störung, sondern Gestalt gebendes Fundament seiner gesellschaftlichen Ordnung. Diese Gewalt besteht darin, Menschen von den Früchten der Erde via Privateigentum an der Erde abzuschneiden, damit sie dazu erpresst werden können, um ihrer nackten Existenz Willen Surplus zu schuften für die Privateigentümerinnen an der Erde. Die Erde, das ist der nicht angewachsene Leib des Menschen, seine Lebensgrundlage, seine Existenzbedingung und das Abschneiden davon ein Vorgang, der ohne Gewalt überhaupt nicht vonstattengehen kann, weil die Existenz zum Existieren essen muss, ran muss an die Früchte, von denen sie abgeschnitten wird. (Keine Supermarktkasse ohne staatliches Gewaltmonopol.) Und dann muss diese Trennung aufrecht erhalten werden, was die dauerhafte Wiederholung der Gewalt notwendig macht; und dann muss zusätzliche Gewalt zwischen den Abgeschnittenen erzeugt werden, sie müssen gegeneinander aufgebracht werden, weil sie viel mehr sind als die Enteignerinnen und diesen im Zusammenschluss ihr mörderisches Handwerk legen können; und dann muss noch mehr Gewalt eingesetzt werden, denn man kann die notwendigen Arbeitskräfte nicht erpressen, wenn man die überflüssigen essen lässt, daher das Verbot des Containerns. »Wer den Hungernden kein Brot gibt, der will die Gewalttat.« (Brecht 1931) Und obendrein muss die notwendige Gewalt kontinuierlich mit dem berühmten »Wirtschaftswachstum« mitwachsen, genau wie seine Widersprüche und das Ausmaß der ökologischen Zerstörung mit ihm mitwachsen. Kurz, die Privateigentümer*innen an der Erde machen allen anderen effektiv ihr Existenzrecht streitig durch Entzug der Existenzbedingung. Das Privateigentum an der Erde, das ist der Terrorismus seiner Definition nach: nämlich die Verbreitung von Angst und Schrecken. Welche Angst und welcher Schrecken könnten weiter gehen als der Entzug der Existenzbedingung? Und die »verbreitet« werden müssen, um Terror zu sein, in die Breite der Gesellschaft wirken, die also nicht etwa nur einzelne Individuen, zum Beispiel einen Milliardär, adressieren dürfen, sondern auf die Vielen zielen müssen. - Die Gewaltbilanz der Roten Armee Fraktion, das sind 34 Tote in 28 Jahren, steht gegenüber der Gewaltbilanz des von ihr bekämpften Kapitals, das ist kein Tag ohne Krieg und Hunger, das sind die Massengräber im Mittelmeer und in der mexikanischen Wüste, das sind Obdachlose bei leerstehenden Häusern, das ist die Vernichtung von Nahrungsmitteln bei Hunger, das ist die Extraktionsindustrie, das ist die Vernichtung der Lebensgrundlage der Menschheit und zahlloser anderer Lebewesen: das ist der Ökozid. »… im Blute watend, von Schmutz triefend – so steht die bürgerliche Gesellschaft da, so ist sie.« (Luxemburg 1915). Die bürgerliche Gesellschaft ist Inbegriff und Verkörperung der Gewalt. Die Gewaltmittel, die sie entwickelt, ihre Waffensysteme, ihre Überwachungssysteme und ihre zahllosen Zwangsanstalten sagen alles über sie. Es läuft darauf hinaus, dass das Kapital sich mehren oder untergehen muss, und dass es darum in den nazifaschistischen Arbeits-KZs, wo es nicht für den Erhalt der Arbeitskraft bezahlen muss, ganz zu sich selbst kommt: Da optimiert es sich – das steht geschrieben in seinen Bilanzen. Wer Gewalt ablehnt, muss die kapitalistische, mithin maximal gewalttätige und destruktive Reproduktionsweise der bürgerlichen Gesellschaft ablehnen.
Wer Gewalt ablehnt, muss die kapitalistische, mithin maximal gewalttätige und destruktive Reproduktionsweise der bürgerlichen Gesellschaft ablehnen.
Angenommen, man hält das bis hier Gesagte für unzutreffend, so muss man doch irgendeine Erklärung beibringen, wie man nicht mit Leuten sympathisieren kann, die den Computer zerstören, mit dem eine Weltmacht den Vernichtungskrieg gegen eine Bevölkerung von kolonisierten Reisbäuer*innen steuert. Vorausgesetzt, dass man nicht mit dem Vernichtungskrieg sympathisiert, muss doch das Herz aufgehen, wo diesem Grauen Einhalt geboten wird, und Erleichterung dabei empfunden werden. Und wenn man das nicht fühlen kann, kann man sich immerhin gedanklich in die Lage der Betroffenen versetzen und so ganz leicht ermessen, wie segensreich dies Attentat war und wie es hätten noch viel mehr solcher Attentate sein sollen (anstatt der sinnlosen Angriffe auf deutsche Polizeistationen). - Die Gewalt hat eine Richtung. Sie wird von Täterinnen angeordnet und exekutiert gegen Opfer. Täterinnen und Opfer befinden sich an je bestimmten Stellen in der Gesellschaft und üben bestimmte Funktionen im Reproduktionsprozess aus. Sei es, dass sie den Reichtum hervorbringen, verwalten oder aneignen, sei es, dass sie die Armut erzeugen, aufrechterhalten oder erleiden müssen. Damit ist die Richtung der Gewalt bestimmt.
Die Ausdifferenziertheit ihrer Formen und die Entwicklung ihrer Potenz entsprechen der Ausdifferenziertheit der Arbeitsteilung und dem Entwicklungsstand der Produktivkräfte: vom Steuereintreiber zum Finanzamt, vom Gewehr zur Gaskammer, von den Daumenschrauben zur Isolationshaft, von der Religion zu Clickbait-Content, KI und digitaler Totalüberwachung. Das ist die kapitalistische Entwicklung, die immer so weitergeht, wenn man sie nicht beendet.
Die Gewalt kann nicht anders als mit Gegengewalt aufgehalten werden, sie zwingt ihre Opfer, entweder selbst Gewalt anzuwenden, um sich zu erhalten (das ist die Notwehr nach §§ 32 – 35 Strafgesetzbuch und Artikel 51 UN-Charta), oder sich vertreiben, verletzen oder töten zu lassen. Gewalt erzeugt also Gegengewalt, wo sie nicht auf vollständige Wehrlosigkeit trifft. Übrigens macht die von der Gewalt erzeugte Gegengewalt wieder neue Gewalt zu ihrer Unterdrückung notwendig, die oben unter 1. noch gar nicht eingerechnet ist. Aktuell dürfte sich diese auf die Personen fokussieren, die den Tesla-Strommast in Grünheide zerstört haben. Ein Paradebeispiel für Notwehr, für die Gegengewalt zur Verteidigung der Lebensgrundlage Wasser gegen den Angriff des Kapitals, das dieselbe vernichtet und dabei von der Brandenburger Regierung tatkräftig unterstützt wird. Die Zerstörung des Strommasts wäre gar nicht nötig gewesen, hätte die Brandenburger Regierung ihren Amtseid, Schaden von der Bevölkerung abzuhalten, nicht mit der Ansiedelung von Tesla gebrochen. Es gibt an dem ganzen Tesla-Projekt ja rein gar nichts, das der Bevölkerung nicht schaden würde. Dagegen bewirkte der Stromausfall, dass eine Woche lang das Grundwasser nicht verseucht und das knappe Trinkwasser nicht in enormen Mengen für die Produktion von Klimakillern verbraucht wurde. Die Umwelt sagt danke, so viel steht fest. - An die Hetze, die anlässlich der Festnahme der ehemaligen RAF-Fighterin Daniela Klette gegen die historische RAF medial verbreitet wird, soll hier nichts verschwendet werden. Von kühleren Gemütern aber wird ohne jeden Hass gefordert, Daniela Klette müsse für ihre Straftaten bestraft werden, damit der soziale Friede wieder hergestellt werde. Dieser Forderung liegt die Annahme zugrunde, dass, gäbe es keine Gesetzesverstöße, die Gesellschaft friedlich wäre, sie fasst die Gesetze als Friedensgarant. Die Sklaverei war gesetzlich, die Apartheid war gesetzlich, der Holocaust war gesetzlich, und jetzt ist die Vernichtung des Ökosystems, mithin unserer selbst, gesetzlich. Gesetzlich sind Zwangsräumungen aus Mietwohnungen, Kinderarmut und die neue Munitionsfabrik von Rheinmetall. Gesetzlich sind die amtlichen Maßnahmen, mit denen die vom Kapital überflüssig Gemachten systematisch schikaniert, von sozialer Teilhabe ausgeschlossen, für Armutsdelikte in Gefängnisse eingesperrt werden, bestraft werden dafür, dass das Kapital sie nicht gebrauchen kann. Gesetzlich sind ebensolche, aber deutlich schärfere Maßnahmen gegen geflüchtete und rassifizierte Personen. Gesetzlich sind Rekordrenditen dank der Pandemie und die kaputte Pflege. Gesetzlich ist der unmittelbare Angriff auf die körperliche Unversehrtheit der Menschen in den Städten durch das verkehrspolitische Diktat der Autoindustrie. Diese Aufzählung ließe sich endlos fortsetzen. Sie enthielte noch nicht die Dauer-Ungesetzlichkeiten jenes »sozialen Friedens«, der mit der Bestrafung Daniela Klettes »wieder« hergestellt werden soll, wie etwa der Polizeigewahrsam als Todesursache für Schwarze und PoC, oder die circa 900, teils bewaffnet, mit Haftbefehl frei rumlaufenden Nazis, oder die CumEx-Olaf, Maut-Andreas, Masken-Jens and all the rest of it.
Der »soziale Frieden« in Gesellschaften, in welchen kapitalistische Warenproduktion herrscht, ist eine ungeheure Ansammlung von Gewalttätigkeiten. Er erfordert ein Konsumniveau, das nur durch die gewalttätigste, brutalste Ausplünderung des Trikonts hergestellt werden kann. Er muss beendet werden, oder er beendet uns, das ist jenseits aller Gerechtigkeitserwägungen inzwischen eine physische Tatsache. Einen gewaltfreien Anfang kann die Polizei machen, indem sie bei extraktivistischen Projekten von der Durchsetzung des Privateigentums an der Erde absieht, indem sie sich Klimaaktivisti gegenüber genauso verhält, wie sie es Nazis gegenüber tut – nicht zuletzt für das Leben ihrer eigenen Kinder.
Der Text erschien zuerst in AK analyse und kritik, Zeitung für linke Debatte und Praxis, am 17. März 2024
Das Buch »Erzählung zur Sache« ist 2023 bei Secession Berlin erschienen und kostet 28 €
Erklärung zur Gewaltfrage
- September 2024 / Kommentar verfassen
Am Montag, 7.10., kommt Stephanie Bart mit Ihrem Roman “Erzählung zur Sache” in den ROTEN SALON HAMBURG. Es geht darin um die RAF-Zeit, mit besonderem Blick auf Gudrun Ensslin, eine “linke Zeitreise”, schrieb ein Rezensent. Der Roman hat viel Aufmerksamkeit bekommen und gilt vielen als literarische Meisterleistung.
Ein breiter, drängender, filmischer Erzählstrom führt Riesenmengen an dokumentarischen, bisher unbekannten Details wie Treibgut mit sich und bahnt sich mit Macht den Weg ins Bewusstsein des Lesers und der Leserin, die hier eine ganz außergewöhnliche Leseerfahrung machen können. Das Buch passt perfekt ins Profil des ROTEN SALON, der sich mit politisch relevanten Büchern befasst, ohne sich auf ein Genre festzulegen.
Moderiert wird die Veranstaltung von der Hamburger Verlegerin Else Laudan, die den Argument/ariadne Verlag leitet. Über die Website des ROTEN SALON, der auch auf Social Media erreichbar ist, könnt Ihr Euch, wenn Ihr wollt, anmelden. Die Veranstaltung an der Uni Hamburg beginnt um 18 Uhr 30. https://roter-salon-hamburg.de/
steohaniebart22
Im MAC Blog beginnt heute die Veröffentlichung vorbereitenden Materials, wie Ihr es schon von bisherigen ROTEN SALONS kennt. Und ganz am Anfang steht ein Originalbeitrag von Stephanie Bart selbst, der die alte Frage des Sympathisantentums aufnimmt, die 40 Jahre danach immer noch in den Köpfen herumspukt.
Obwohl das Buch sehr gut für sich selbst stehen kann, bemerkte Stephanie Bart an der Rezeption einen von ihr als Autorin geforderten „Rechtfertigungsreflex“, den Druck, der Gewalt (okay, ohne Anführungszeichen) abzuschwören, ohne je gewalttätig geworden zu sein. Ihr Text beinhaltet zu diesem Thema wichtige Klarstellungen aus einer antikapitalistischen Perspektive, die sehr gut an den Beginn der Diskussion über das Buch passen.
Es ist immer noch heikel, sich mit der RAF zu beschäftigen, wenn man kein „Ich distanziere mich“-Tatoo auf die Stirn gestempelt hat. Auch vom ursprünglich gewählten Titel des ROTEN SALON „Warum wir die RAF heute noch brauchen“ wurde besorgt abgeraten. Getextet wurde er im Februar 2024, als der ROTE SALON mit Stephanie Bart das erste Mal angekündigt werden konnte, unter dem Eindruck der Verhaftung der RAF-Rentnerin Daniela Klette, die von Staat und manchen Medien dermaßen groß inszeniert wurde, dass man schon sehr große Balken vor den Augen haben musste, um nicht zu erkennen, wie sehr der Staat Staatsfeinde braucht, um sich selbst zu spüren. Kein Staat ohne Staatsfeinde, eigentlich klar.
Das Wort ist schon gefallen, antikapitalistische Perspektive. Warum hat der ROTE SALON gerade dieses Buch und diese Autorin eingeladen? Die Antwort ist ganz kurz: Der Terror ist heute allgegenwärtig und alltäglich und findet immer neue Formen. Gerade in diesen Tagen sind wir schockiert über die Pager-Attacke im Libanon, die dem Terror in der Verschmelzung von Cybergewalt mit analoger Realität eine wirklich neue Dimension gibt. Terrorismus und Gewalt bleiben ein bestimmendes Thema unserer Zeit. Die Diskussion kann gar nicht aufhören. Wichtig ist, ihr eine antikapitalistische Dimension zu geben. Dazu wollen wir einen Beitrag leisten. M.H.
Von Stephanie Bart
In der Rezeption von »Erzählung zur Sache« gibt es den Reflex, mir als Autorin Sympathie mit der Roten Armee Fraktion vorzuwerfen oder mich gegen diesen Vorwurf damit zu verteidigen, dass er unzutreffend sei. Dabei wird stillschweigend vorausgesetzt, es sei deshalb verwerflich, mit der Roten Armee Fraktion zu sympathisieren, weil ihre Aktionen gewalttätig waren.
- Die Methode der Gewalt ist die Zufügung von körperlichen, emotionalen und geistigen Schmerzen, sie verursacht Leiden, Leiden ist intrinsisch schlecht: weg damit! Weg frei für die gewaltfreie Gesellschaft! Je schneller, desto besser. Gesellschaften, die sich gewaltfrei reproduzieren, gibt es schon immer, sie werden wissenschaftlich untersucht unter dem Begriff »peaceful societies«.
Ich bekenne mich hier ausdrücklich zum Ziel der gewaltfreien Gesellschaft, nichts will ich mehr als diese, nichts weniger als die Gewalt. Unbedingt will ich eine Gesellschaft, in der Finanzminister Lindners »Brutalitäten in den Sozialsystemen« erst gar nicht möglich sind.
»Brutalitäten in den Sozialsystemen« sind keine Lindner-Spezialität, sondern ein Kennzeichen des Kapitalismus, sind nicht bug, sondern feature, nicht Auswuchs oder Störung, sondern Gestalt gebendes Fundament seiner gesellschaftlichen Ordnung. Diese Gewalt besteht darin, Menschen von den Früchten der Erde via Privateigentum an der Erde abzuschneiden, damit sie dazu erpresst werden können, um ihrer nackten Existenz Willen Surplus zu schuften für die Privateigentümer*innen an der Erde. Die Erde, das ist der nicht angewachsene Leib des Menschen, seine Lebensgrundlage, seine Existenzbedingung und das Abschneiden davon ein Vorgang, der ohne Gewalt überhaupt nicht vonstattengehen kann, weil die Existenz zum Existieren essen muss, ran muss an die Früchte, von denen sie abgeschnitten wird. (Keine Supermarktkasse ohne staatliches Gewaltmonopol.)
Und dann muss diese Trennung aufrecht erhalten werden, was die dauerhafte Wiederholung der Gewalt notwendig macht; und dann muss zusätzliche Gewalt zwischen den Abgeschnittenen erzeugt werden, sie müssen gegeneinander aufgebracht werden, weil sie viel mehr sind als die Enteignerinnen und diesen im Zusammenschluss ihr mörderisches Handwerk legen können; und dann muss noch mehr Gewalt eingesetzt werden, denn man kann die notwendigen Arbeitskräfte nicht erpressen, wenn man die überflüssigen essen lässt, daher das Verbot des Containerns. »Wer den Hungernden kein Brot gibt, der will die Gewalttat.« (Brecht 1931) Und obendrein muss die notwendige Gewalt kontinuierlich mit dem berühmten »Wirtschaftswachstum« mitwachsen, genau wie seine Widersprüche und das Ausmaß der ökologischen Zerstörung mit ihm mitwachsen. Kurz, die Privateigentümerinnen an der Erde machen allen anderen effektiv ihr Existenzrecht streitig durch Entzug der Existenzbedingung. Das Privateigentum an der Erde, das ist der Terrorismus seiner Definition nach: nämlich die Verbreitung von Angst und Schrecken. Welche Angst und welcher Schrecken könnten weiter gehen als der Entzug der Existenzbedingung? Und die »verbreitet« werden müssen, um Terror zu sein, in die Breite der Gesellschaft wirken, die also nicht etwa nur einzelne Individuen, zum Beispiel einen Milliardär, adressieren dürfen, sondern auf die Vielen zielen müssen.
- Die Gewaltbilanz der Roten Armee Fraktion, das sind 34 Tote in 28 Jahren, steht gegenüber der Gewaltbilanz des von ihr bekämpften Kapitals, das ist kein Tag ohne Krieg und Hunger, das sind die Massengräber im Mittelmeer und in der mexikanischen Wüste, das sind Obdachlose bei leerstehenden Häusern, das ist die Vernichtung von Nahrungsmitteln bei Hunger, das ist die Extraktionsindustrie, das ist die Vernichtung der Lebensgrundlage der Menschheit und zahlloser anderer Lebewesen: das ist der Ökozid. »… im Blute watend, von Schmutz triefend – so steht die bürgerliche Gesellschaft da, so ist sie.« (Luxemburg 1915). Die bürgerliche Gesellschaft ist Inbegriff und Verkörperung der Gewalt. Die Gewaltmittel, die sie entwickelt, ihre Waffensysteme, ihre Überwachungssysteme und ihre zahllosen Zwangsanstalten sagen alles über sie. Es läuft darauf hinaus, dass das Kapital sich mehren oder untergehen muss, und dass es darum in den nazifaschistischen Arbeits-KZs, wo es nicht für den Erhalt der Arbeitskraft bezahlen muss, ganz zu sich selbst kommt: Da optimiert es sich – das steht geschrieben in seinen Bilanzen. Wer Gewalt ablehnt, muss die kapitalistische, mithin maximal gewalttätige und destruktive Reproduktionsweise der bürgerlichen Gesellschaft ablehnen.
Wer Gewalt ablehnt, muss die kapitalistische, mithin maximal gewalttätige und destruktive Reproduktionsweise der bürgerlichen Gesellschaft ablehnen.
Angenommen, man hält das bis hier Gesagte für unzutreffend, so muss man doch irgendeine Erklärung beibringen, wie man nicht mit Leuten sympathisieren kann, die den Computer zerstören, mit dem eine Weltmacht den Vernichtungskrieg gegen eine Bevölkerung von kolonisierten Reisbäuer*innen steuert. Vorausgesetzt, dass man nicht mit dem Vernichtungskrieg sympathisiert, muss doch das Herz aufgehen, wo diesem Grauen Einhalt geboten wird, und Erleichterung dabei empfunden werden. Und wenn man das nicht fühlen kann, kann man sich immerhin gedanklich in die Lage der Betroffenen versetzen und so ganz leicht ermessen, wie segensreich dies Attentat war und wie es hätten noch viel mehr solcher Attentate sein sollen (anstatt der sinnlosen Angriffe auf deutsche Polizeistationen).
- Die Gewalt hat eine Richtung. Sie wird von Täterinnen angeordnet und exekutiert gegen Opfer. Täterinnen und Opfer befinden sich an je bestimmten Stellen in der Gesellschaft und üben bestimmte Funktionen im Reproduktionsprozess aus. Sei es, dass sie den Reichtum hervorbringen, verwalten oder aneignen, sei es, dass sie die Armut erzeugen, aufrechterhalten oder erleiden müssen. Damit ist die Richtung der Gewalt bestimmt.
Die Ausdifferenziertheit ihrer Formen und die Entwicklung ihrer Potenz entsprechen der Ausdifferenziertheit der Arbeitsteilung und dem Entwicklungsstand der Produktivkräfte: vom Steuereintreiber zum Finanzamt, vom Gewehr zur Gaskammer, von den Daumenschrauben zur Isolationshaft, von der Religion zu Clickbait-Content, KI und digitaler Totalüberwachung. Das ist die kapitalistische Entwicklung, die immer so weitergeht, wenn man sie nicht beendet.
Die Gewalt kann nicht anders als mit Gegengewalt aufgehalten werden, sie zwingt ihre Opfer, entweder selbst Gewalt anzuwenden, um sich zu erhalten (das ist die Notwehr nach §§ 32 – 35 Strafgesetzbuch und Artikel 51 UN-Charta), oder sich vertreiben, verletzen oder töten zu lassen. Gewalt erzeugt also Gegengewalt, wo sie nicht auf vollständige Wehrlosigkeit trifft. Übrigens macht die von der Gewalt erzeugte Gegengewalt wieder neue Gewalt zu ihrer Unterdrückung notwendig, die oben unter 1. noch gar nicht eingerechnet ist. Aktuell dürfte sich diese auf die Personen fokussieren, die den Tesla-Strommast in Grünheide zerstört haben. Ein Paradebeispiel für Notwehr, für die Gegengewalt zur Verteidigung der Lebensgrundlage Wasser gegen den Angriff des Kapitals, das dieselbe vernichtet und dabei von der Brandenburger Regierung tatkräftig unterstützt wird. Die Zerstörung des Strommasts wäre gar nicht nötig gewesen, hätte die Brandenburger Regierung ihren Amtseid, Schaden von der Bevölkerung abzuhalten, nicht mit der Ansiedelung von Tesla gebrochen. Es gibt an dem ganzen Tesla-Projekt ja rein gar nichts, das der Bevölkerung nicht schaden würde. Dagegen bewirkte der Stromausfall, dass eine Woche lang das Grundwasser nicht verseucht und das knappe Trinkwasser nicht in enormen Mengen für die Produktion von Klimakillern verbraucht wurde. Die Umwelt sagt danke, so viel steht fest.
- An die Hetze, die anlässlich der Festnahme der ehemaligen RAF-Fighterin Daniela Klette gegen die historische RAF medial verbreitet wird, soll hier nichts verschwendet werden. Von kühleren Gemütern aber wird ohne jeden Hass gefordert, Daniela Klette müsse für ihre Straftaten bestraft werden, damit der soziale Friede wieder hergestellt werde. Dieser Forderung liegt die Annahme zugrunde, dass, gäbe es keine Gesetzesverstöße, die Gesellschaft friedlich wäre, sie fasst die Gesetze als Friedensgarant. Die Sklaverei war gesetzlich, die Apartheid war gesetzlich, der Holocaust war gesetzlich, und jetzt ist die Vernichtung des Ökosystems, mithin unserer selbst, gesetzlich. Gesetzlich sind Zwangsräumungen aus Mietwohnungen, Kinderarmut und die neue Munitionsfabrik von Rheinmetall. Gesetzlich sind die amtlichen Maßnahmen, mit denen die vom Kapital überflüssig Gemachten systematisch schikaniert, von sozialer Teilhabe ausgeschlossen, für Armutsdelikte in Gefängnisse eingesperrt werden, bestraft werden dafür, dass das Kapital sie nicht gebrauchen kann. Gesetzlich sind ebensolche, aber deutlich schärfere Maßnahmen gegen geflüchtete und rassifizierte Personen. Gesetzlich sind Rekordrenditen dank der Pandemie und die kaputte Pflege. Gesetzlich ist der unmittelbare Angriff auf die körperliche Unversehrtheit der Menschen in den Städten durch das verkehrspolitische Diktat der Autoindustrie. Diese Aufzählung ließe sich endlos fortsetzen. Sie enthielte noch nicht die Dauer-Ungesetzlichkeiten jenes »sozialen Friedens«, der mit der Bestrafung Daniela Klettes »wieder« hergestellt werden soll, wie etwa der Polizeigewahrsam als Todesursache für Schwarze und PoC, oder die circa 900, teils bewaffnet, mit Haftbefehl frei rumlaufenden Nazis, oder die CumEx-Olaf, Maut-Andreas, Masken-Jens and all the rest of it.
Der »soziale Frieden« in Gesellschaften, in welchen kapitalistische Warenproduktion herrscht, ist eine ungeheure Ansammlung von Gewalttätigkeiten. Er erfordert ein Konsumniveau, das nur durch die gewalttätigste, brutalste Ausplünderung des Trikonts hergestellt werden kann. Er muss beendet werden, oder er beendet uns, das ist jenseits aller Gerechtigkeitserwägungen inzwischen eine physische Tatsache. Einen gewaltfreien Anfang kann die Polizei machen, indem sie bei extraktivistischen Projekten von der Durchsetzung des Privateigentums an der Erde absieht, indem sie sich Klimaaktivisti gegenüber genauso verhält, wie sie es Nazis gegenüber tut – nicht zuletzt für das Leben ihrer eigenen Kinder.
Der Text erschien zuerst in AK analyse und kritik, Zeitung für linke Debatte und Praxis, am 17. März 2024
Das Buch »Erzählung zur Sache« ist 2023 bei Secession Berlin erschienen und kostet 28 €