Seit der Enttarnung der Beamtin Maria Böhmichen als ehemalige verdeckte Ermittlerin in Hamburgs linker Szene am 26.08.2015 ist einiges geschehen. Dieser Text soll einige weitere Informationen zugänglich machen. Sie kommen aus unterschiedlichen Quellen: Aus dem Hamburger Innenausschuss wenige Tage nach der Veröffentlichung, aus der Presse und von Betroffenen.
Der Einsatzrahmen
Der Einsatz der verdeckten Ermittlerin Maria Böhmichen begann im Juni 2008 und endete im Sommer/Ende 2012. Sie wurde über den Zeitraum von vier Jahren als verdeckte Ermittlerin (VE) zur „Gefahrenabwehr“ in der linken Szene vom LKA Hamburg geführt – wobei sie kurzzeitig in 2009 etwa einen Monat lang nicht VE, sondern Beamtin für Lageerkenntnisse (BfL) gewesen sei. Der Einsatz teilte sich somit in mindestens drei Einsätze auf, von denen die Einsätze als VE vorgangskonform staatsanwaltschaftlich genehmigt wurden. Ihre Aufträge als Verdeckte Ermittlerin liefen nach bisherigem Informationsstand nach dem §12 des Hamburger Gesetz zur Datenverarbeitung der Polizei (PolDVG) zur Gefahrenabwehr.
Die Einsatzfelder
Bereits in der Veröffentlichung zu ihrer Enttarnung wurde auf ihre durchaus aktive Beteiligung an linken Strukturen und Aktionen verwiesen. Neuerdings ist bekannt, dass sie z.B. im Jahre 2009 auch im Rahmen von Protesten gegen Castor-Transporte in einer Sitzblockade vor dem Zwischenlager Gorleben andere Anwesende zu aktivem Widerstand aufforderte und bei der Räumung selbst Widerstand geleistet hat.
Zudem arbeitet die Beamtin Böhmichen in diversen Gruppen und Initativen mit. So war sie neuen Erkenntnissen zu Folge (https://enttarnungen.blackblogs.org/wilhelmsburg/) aktives Mitglied im Verein „Initiative für ein soziales Wilhelmsburg e.V.“ und beteiligte sich von 2009 bis 2011 aktiv im selbstverwalteten Projekt „Infoladen Wilhelmsburg“. Dort nahm sie u.a. regelmäßig an Plena teil, übernahm Schichten und beteiligte sich an organisatorischen Aufgaben, wie u.a. an der Finanzierungsgruppe.
Wie tief Maria in die Linke-Szene Hamburgs eingetaucht ist, wird erst nach und nach durch das Zusammentragen von Informationen bekannt. Es zeigt sich, dass sie in unterschiedlichen linken Initiativen und Gruppen unterschiedlich aufgetreten ist. Während sie sich in antirassistischen Zusammenhängen eher zurückhaltend gab, fiel die Beamtin Böhmichen in anderen antikapitalistischen Zusammenhängen hingegen als radikal bis (verbal-)militant auf. Insbesondere auf Aktionen/Protesten wurde sie als risikobereit wahrgenommen und pushte/forderte andere Aktivist_innen zum Widerstand oder gezielten Vorgehen gegen die Polizei auf – nicht selten über deren Grenzen.
Es ist außerdem bekannt geworden, dass sie selbstständig Kontakte zu linken Strukturen in anderen Städte aufgebaut hat und Aktivist_innen eigenständig besuchte. Trotzdem behaupten die Behörden weiterhin, die Beamtin Böhmichen sei nur zur lokalen Gefahrenabwehr, ohne weitere Kompetenzen, eingesetzt gewesen.
O-Ton eines Betroffenen: „Wie kann es sein, dass eine Person, die verdeckt für den Staat arbeitet, zu Aktionen animiert, die strafrechtliche Konsequenzen und Repression durch denselben Staat zufolge haben können?“
Kontinuitäten katastrophaler öffentlicher Aufarbeitung und Aufklärung
Ein Aufklärungswille der verantwortlichen Behördenvertreter_innen und des Polizeipräsidenten ist wie beim Fall Iris Plate offensichtlich nicht vorhanden. Es werden der Salamitaktik folgend nach und nach ausschließlich bereits bewiesene und nicht mehr öffentlich zu leugnende Tatsachen zugegeben. Auf Anfragen wird nach wie vor sehr ausweichend und abweisend reagiert. So wurde im Hamburger Innenausschuss am 28. August 2015 behauptet, dass es beim Einsatz der Beamtin Böhmichen keinen Anlass zur Annahme von Regelverstößen gebe.
Der Polizeipräsident sah zu dem Zeitpunkt angeblich keinerlei Hinweise auf eine Beteiligung an Straftaten, „speziell nicht auf die in der Darstellung genannten“ (Wortprotokoll Innenausschuss, Polizeipräsident Meyer, 28.8.15). Dabei ist mittlerweile unbestritten, dass die Beamtin Böhmichen an strafrechtlichen Handlungen beteiligt war und diese sogar forcierte.
So nahm die Beamtin Böhmichen im Rahmen der Gegenprotesten zum NATO-Gipfel in Straßbourg 2009 an einer verbotenen Demonstration teil und durchbrach dabei Polizeiabsperrungen und Polizeiketten. Damit hat sie rechtlich gegen das Versammlungsgesetz verstoßen und Landfriedensbruch begangen. Zudem war sie 2011 in Hamburg an einer Aktion beteiligt, bei der ein leerstehendes Gebäude geöffnet und Transparente in Solidarität zu verschiedenen (Haus-) Besetzungen aufgehängt wurden, was strafrechtlich als Hausfriedensbruch geahndet wird (http://de.indymedia.org/2011/10/318657.shtml).
Die Behörden bestreiten, dass die Beamtin Böhmichen direkt für das Bundeskriminalamt oder die Generalbundesanwaltschaft tätig gewesen sei. Außerdem erklärten sie, die Beamtin habe an diese auch keine Informationen übermittelt. Es ist aber damit zurechnen, dass das Gegenteil der Fall ist, u.a. weil Auslandseinsätze über internationale Anfragen an das BKA laufen können, welches diese dann an die Landeskriminalämter weiterleitet. Inwieweit dies für den Einsatz von Maria Böhmichen zutrifft ist noch nicht transparent gemacht.
Darüber hinaus ist damit zu rechnen, dass die von der Beamtin Böhmichen erhobenen Daten an den Verfassungsschutz übermittelt wurden, wie es auch im Fall Iris „Schneider“/ Plate gewesen ist.
Zudem gibt es weitere Neuigkeiten, z.B. dass sie neben den Auslandseinsätzen in Griechenland, Belgien und Dänemark auch in Frankreich eingesetzt wurde (s.o. NATO-Gipfel 2009). Außerdem ist mittlerweile ein weiteres sexuelles Verhältnis zu einem Aktivisten bekannt, somit hat die Beamtin Böhmichen mindestens zwei sexuelle Verhältnisse zu Personen geführt, die sie ausforschen sollte. Dies wurde im Hamburger Innenausschuss ebenfalls geleugnet. Daneben hat sie regelmäßig eine Vielzahl an Privatwohnungen von Aktivist_innen und deren Umfeld betreten. Dieses massive Eindringen in die Privatsphäre von Aktivist_innen ist nicht – wie im Fall Iris Plate v.a. von der Polizeiführung versucht wird hinzustellen – ein einzelner aus dem Ruder gelaufener Einsatz. Scheinbar ist es vielmehr ekelhafte Normalität des Polizeialltags verdeckter Ermittler_innen.
Nazis morden, der Staat schiebt ab… und infiltriert linke Initiativen
Über Jahre hinweg spionierte die Beamtin Maria Böhmichen die antirassistische und antifaschistische Szene Hamburgs aus. Sie beteiligte sich bundesweit an Gegendemonstrationen von Naziaufmärschen. So nahm sie bereits im Februar 2009 an Gegenprotesten zum Naziaufmarsch in Dresden – einem der größten Naziaufmärsche in jenen Jahren – teil und bespitzelte Teilnehmer_innen. Im gleichen Jahr fuhr sie mit einem losen Zusammenhang nach Lübeck, um sich an antifaschistischen Blockadeaktionen zu beteiligen.
Gegen Ende ihres Einsatzes war sie aktiver Teil der Blockadestrukturen gegen den Tag der Deutschen Zukunft am 02.06.2012 in Hamburg. Sie übernahm im Rahmen einer Blockade eine zentrale Position und hat die Entscheidung als Demonstration den Kundgebungs-/Blockadeort zu verlassen, vorangetrieben. Die Demonstration wurde nach wenigen Metern von der Polizei gewaltsam unter dem Einsatz von Wasserwerfern und massivem Versprühen von Pferfferspray aufgelöst und eingekesselt. In diesem später juristisch angefochtenen Kessel waren über 500 Personen mehrere Stunden gefangen, während die Polizei die Nazis demonstrieren ließ.
O-Ton einer Betroffenen: „Es ist bezeichnend, dass sich in Deutschland rassistischer Terror ausbreiten kann und in Heidenau sowie in anderen Orten Geflüchtetenunterkünfte angegriffen werden, während Leute wie wir, die antirassistische und antifaschistische Arbeit leisten und gegen den Scheiß kämpfen, über Jahre hinweg auf Schritt und Tritt überwacht, ausspioniert und kriminalisiert werden.“
Weitere Informationen und Kontaktmöglichkeiten auf https://enttarnungen.blackblogs.org
Folgende Veröffentlichungen präsentieren weitere Informationen und behandeln das Ausforschen von linker Stadtteilpolitik im Hamburger Stadtteil Wilhelmsburg durch die Beamtin Böhmichen:
Gemeinsame Pressemitteilung der “Initiative für ein soziales Wilhelmsburg e.V.” und des “Infoladen Wilhelmsburg” zum Einsatz der ehemaligen verdeckten Ermittlerin “Maria Block” (Okt 2009 bis Apr 2011) vom 13.10.15
Veröffentlichung „Ehemalige verdeckte Ermittlerin Maria „Block“ / Böhmichen in Wilhelmsburg“
abrufbar unter https://enttarnungen.blackblogs.org/wilhelmsburg