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HH:Prozesserklärung von Ulrike

Der Prozess gegen Ulrike fand am 09. November 2017 in Hamburg – Amtsgericht, Sievekingplatz 3 statt –
sie berichtete davon selbst: Kurze Info zu meinem Prozess:
Erst einmal vielen Dank an alle für Eure Solidarität im Vorfeld, für Eure Begleitung heute. Ihr seid einfach super. Zum Prozess gibt es nicht so viel zu sagen. Ich habe eine Prozesserklärung gehalten zum Schanzenhof, Gentrifizierung im allgemeinen und dem G 20 Gipfel. Der Staatsanwalt hat 40 Tagessätze a. 20 € gefordert. Rausgekommen sind 40 Tagessätze a. 20 € auf 1 Jahr Bewährung. Ich muss außerdem 200 € an eine Drogenhilfeeinrichtung zahlen.
So weit so kurz
Liebe Grüße an alle
Ulrike

Prozesserklärung von Ulrike Winkelmann:

vom 09.11.2017
Dass ich hier vor Gericht stehe und nicht die Brüder Schommartz, die Eigentümer des Schanzenhofs, sagt viel über dieses Rechtssytem aus.
Zur Geschichte des Schanzenhofs:
Die Stadt kaufte 1990 den Schanzenhof für 3,5 Millionen D-Mark von der Firma Mont Blanc.
1991 zogen Initiativen, Vereine, soziale, kulturelle und bildungspolitische Einrichtungen ein. Dazu gehören das Hotel und Restaurant Schanzenstern, das Kino 3001, die Drogenhilfeeinrichtung Palette und die Kulturetage.
2006 verkaufte der damalige Finanzsenator Peiner den Schanzenhof an die Deutsche Immobilien Chancen Investmentgesellschaft in Frankfurt, nur zwei Jahre später wurde der Schanzenhof für nunmehr 7,5 Millionen an die Schanzenhof 75 GmbH verkauft, 2013 erfolgte dann für 8,5 Millionen Euro der Verkauf an die Gebrüder Schommartz von der HWS.
Nach 25 Jahren erfolgte dann 2016 die Kündigung durch Maximilian (SPD) und Moritz Schommartz gegen die Mieter*innen, betroffen waren die Drogenberatungsstelle Palette, das Hotel / Bio-Restaurant Schanzenstern, die Kulturetage und der Boxclub Epeios.
Sofort nach den Kündigungen gründete sich eine Stadtteilinitiative, um gegen die Geschäftsgebaren der Brüder Schommartz zu protestieren. Die Reaktion folgte prompt: So wurde der Volkshochschule mit der fristlosen Kündigung gedroht, weil sie Transparente raushängte, die sich mit den gekündigten Mieter*innen solidarisierten.
Gegen die Stadtteilaktivist*innen wurden Strafverfahren eingeleitet, die jeder Grundlage entbehrten. Mieter*innen erhielten Anzeigen wegen Hausfriedensbruch, obwohl sie im Besitz gültiger Mietverträge waren. Nach der Räumung des Schanzenhofs durch die Polizei erhielten z.B. alle Mitarbeiter*innen des Schanzensterns lebenslanges Hausverbot, welches sich auch auf das Kino und den Besuch eines Kurses bei der Volkshochschule erstreckte. Ich habe nach zwanzig Jahren Arbeit in der Drogenhilfe meine Arbeit verloren, weil Schommartz meinem Arbeitgeber, der Palette mit dem sofortigen Verlust der Räume drohte, falls sie gegen mich kein Hausverbot aussprechen würden.

Durch die Hinauswurf der Mieter*innen wurden Existenzen zerstört: die Kulturetage hat bis jetzt keine Räume gefunden, das Hotel und Restaurant Schanzenstern musste zumachen, das Kino 3001 ist nach wie vor in seiner Existenz bedroht.
Die Klient*innen der Palette haben ihre Arbeit verloren. Einige Klient*innen waren von der Hausgemeinschaft für die Treppenhausreinigung eingestellt, für sie bedeutete dieser Job die Aufstockung ihres kläglichen Hartz IV Satzes, sie werden keine Tätigkeit mehr finden.
Die sozialen Bezüge wurden zerstört, eine gewachsene solidarische Hausgemeinschaft, vernichtet.
Das alles ist in diesem Rechtssystem legal, die Vernichtung materieller Existenzen, die Zerschlagung sozialer Strukturen, der Widerstand dagegen wird kriminalisiert.
Die gesellschaftliche Spaltung der Stadt verschärft sich weiter. Unzählige Menschen schlagen sich in prekären Beschäftigungsverhältnissen durch, müssen von staatlichen Transferleistungen leben. Durch die Aufwertung billiger Wohngegenden werden sie systematisch aus der Innenstadt verdrängt.

Die Verdrängung armer Bevölkerungsgruppen an den Stadtrand, stellt auch eine politische Kapitulation vor den tatsächlichen Problemen dar. stattfindet. Die Gewissheit, Probleme wie Armut, Arbeitslosigkeit, soziale Ausgrenzung, Jugendgewalt oder Kinderarmut nicht lösen zu können, werden diese in Richtung der Stadtgrenzen verdrängt. Die Stadt ist hier Spiegel der gesamtgesellschaftlichen Verhältnisse.
Solche Verdrängungsprozesse werden als Gentrifizierung bezeichnet.
Gentrifizierung, also die Verdrängung ärmerer Bevölkerungsschichten durch Besserverdienende findet völlig legal statt, durch die Städte bzw. den Staat und die Gesetzgebung gefördert, subventioniert oder gezielt vorangetrieben.
Sie sind ein weiterer Ausschlussmechanismus für einkommensschwache Gruppen, alternative Lebenskonzepte und subkulturelle Räume

In den 80ern eröffneten im Schanzenviertel alternative Kneipen, Buchläden, es gab erfolgreiche Hausbesetzungen, ab 1989 war das ehemalige Konzerthaus Rote Flora besetzt. Durch das alternative Flair fand das Viertel Eingang in die Feuilletons und Reiseführer. Angelockt wurden damit nicht nur die sogenannten Investoren, sondern auch die Bessergestellten und Erfolgreichen, die sich einen Hauch des Besonderen in jenen Vierteln erkaufen wollten. Für eine Wohnung im alternativen Viertel waren sie bereit überhöhte Mieten zu zahlen. Absurd anmutendes Ergebnis ist dabei die Verdrängung der vormaligen Strukturen. So wichtig die alternativen Projekte für die ‚Entdeckung’ der Viertel waren, so überflüssig scheinen sie bei deren Verwertung. Kollektive und preiswerte Lebensalternativen werden plötzlich als Hindernis wahrgenommen und verdrängt. An ihrer Stelle entsteht die Einheitskultur von diversen Ketten und Shoppingmeilen.
Aber nicht nur der Kampf gegen Mieterhöhungen und Vertreibung ist von Repression betroffen. Jeglicher Widerstand, der die herrschenden kapitalistischen Verhältnisse bekämpft, wird verfolgt und bekämpft. Ein Ausdruck davon sind auch die seit Wochen laufenden Prozesse gegen die G20-Gegner*innen.

Der G-20-Gipfel sollte der medialen Inszenierung der politischen Eliten des globalen Kapitalismus dienen, ein Treffen von Regierenden, die Tausende von Toten auf dem Mittelmeere zu verantworten haben, die für ein Wirtschaftssystem stehen, indem alle fünf Sekunden ein Kind unter zehn Jahren verhungert. Ein Treffen von Regierenden, die wachsweiche Verpflichtungen zum Klimaschutz eingehen, während die Welt unter Dürren und Extremwetterphasen leidet.

Das Spektakel in den Messenhallen und der Elbphilharmonie sollte den Menschen suggerieren: „Wir sind in der Lage, den Menschen Sicherheit, Frieden, Auskommen und eine reale Zukunftsperspektive zu bieten. Dabei vollzieht sich vor unser aller Augen das genaue Gegenteil. In der Einladung zur zweiten Aktionskonferenz gegen den G20-Gipfel hieß es dazu: „Die herrschende Weltordnung ist eine täglich weiter eskalierende Welt-un-ordnung von brutaler sozialer Ungleichheit, strukturell verankertem Sexismus und Rassismus, ökologischer Verwüstung und sich ausbreitenden Kriegen.“ Weit über 60 Millionen Menschen sind auf der Flucht, 1,4 Milliarden Menschen leben in extremer Armut, 2,5 Milliarden Menschen leben von weniger als 2 Dollar pro Tag. Jedes Jahr sterben 10 Millionen Kinder im Alter von fünf Jahren oder jünger an Unterernährung. Millionen Kinder haben keinen Zugang zum Grundschulunterricht oder schließen die Grundschule nicht ab.
Und auch hier in der BRD sind immer mehr Menschen von Prekarisierung betroffen, seit Jahren nimmt die Zahl von Arbeitsplätzen mit zu geringer Einkommenssicherheit zu, also Arbeitsplätze, mit denen der Betroffene nicht seine Existenz bestreiten kann. Zugleich wird eine kleine globale Oberschicht fortwährend reicher und reicher. Acht Milliardäre besitzen genauso viel Vermögen wie die ärmere Hälfte der Weltbevölkerung. Das reichste Prozent der Weltbevölkerung besitzt 50,8 Prozent des weltweiten Vermögens– und damit mehr als die restlichen 99 Prozent zusammen.
Zurück zum G20:

Bereits im Vorfeld des G20 wurde mächtig Stimmung gegen jegliche Form von Widerstand gegen die G20 gemacht, mit dem Versuch den Protest zu delegitimieren und zu kriminalisieren. Der Versuch, die Camps zu verbieten, das klar rechtswidrige Verhalten der Polizei trotz Entscheidung des Verwaltungsgerichts, Schlafplätze zu genehmigen, waren ein Ausdruck davon. Ebenso wie der Bau eines provisorischen Gefängnisses, der großmäuligen Ankündigung, innerhalb von einer Minute an jedem Ort in Hamburg präsent sein zu können Dazu gehörte auch das massive und gewalttätige Auftreten der Polizei beim Abriss der Zelte in Entenwerder. Dazu gehörte auch die Verfügung einer Demoverbotszone, die sich über einen knapp 40 Quadratkilometer großen Bereich zwischen St. Pauli und dem Flughafen erstreckte.
Damit wurde schon vor dem G20-Gipfel klar, dass das von Innensenator Grote angekündigte „Festival der Demokratie“ ein polizeistaatliches Spektakel werden würde.
Zum G20 kamen die politischen Repräsentanten dieser Weltunordnung, die Mauern und Zäune errichten und Menschen auf der Flucht eiskalt ertrinken lassen, die für eine Politik stehen, die für die Mehrheit der Menschen auf der Welt ein Leben in der Hölle bedeutet, nach Hamburg. Welcome to hell, so war dann auch das Motto der Demo am 6. Juli, einen Tag vor der Eröffnung des Gipfels.
Die brutale Zerschlagung der Demo durch die Polizei, die indem sie die Menschen an die Flutschutzmauer drückte, sie mit Knüppeln und Pfefferspray malträtierte auch Tote in Kauf nahm, führte nicht – wie es von Dudde und seinen Schergen wohl erhofft war – zur Lahmlegung oder Niederhaltung des Widerstands. Ganz im Gegenteil – die Menschen nahmen sich die Straße. Das Zusammenwirken verschiedener Aktionen, die Blockaden und Barrikaden, die Aktionen kleiner gut organisierter Gruppen, die Demos, die Solidarität der Menschen untereinander auf der Straße sorgten in den folgenden Tagen dafür, dass die großmäuligen Versprechen von Scholz, Grote, Dudde und Co. ins Leere liefen. Es wurde weder ein Hafengeburtstag gefeiert noch schaffte es die Zurschaustellung modernster Polizeitechnik den Widerstand aufzuhalten, trotz monatelanger Vorbereitung der Gegenseite und bewaffneter polizeilicher Armeen.
Wir haben ihnen gezeigt, dass sie in Hamburg nicht willkommen sind!
Die jetzt folgende Repression, die Prozesse, die Knaststrafen treffen wenige, gemeint sind aber wir alle. Die bisherigen Urteile gegen die Aktivist*innen sprechen jeder sorgfältigen juristischen Bewertung Hohn. Sie sind Teil einer politischen Kampagne gegen alle, die während des G20 auf der Straße waren. Zahlreiche Politiker, darunter der Hamburger Bürgermeister Olaf Scholz (SPD), riefen unaufhörlich nach harten Strafen gegen die inhaftierten Demonstrant*innen auf und übten damit Druck auf die Justiz aus.

Hinter den G20-Urteilen stehen bewusste politische Entscheidungen. Darüber kann auch die fadenscheinige Behauptung der Richter, es ginge ihm nicht darum, die Forderungen der Politiker zu erfüllen, nicht hinwegtäuschen. Die absurd hohen Strafmaße und die äußerst geringen Beweislagen sind typische Merkmale von politischen Willkürurteilen, wie es in diktatorischen Regimen wie der Türkei zum Alltag gehören. Das Ziel besteht darin, jeden Widerstand im Keim zu ersticken. Die Vorsitzende des Republikanischen Anwaltsvereins Franziska Nedlmann erklärte dazu: „Die Politik befeuert ein Gesellschaftsbild, mit dem ganze Personengruppen außerhalb der Rechtsordnung gestellt werden, und bestreitet damit die Geltung der Grundrechte für alle. Wir nennen das Feindstrafrecht“.
Wir leben in einem System, das durchzogen ist von unzähligen Gewaltverhältnissen. Der Kapitalismus war von seinem Beginn an ein globales System, zu dessen Entstehungsgrundlagen koloniale Eroberung und Ausbeutung gehörten. Immer schon war er – als Herrschafts- und Ausbeutungsverhältnis – mit Gewalt verbunden. Diese Gewalt wird als normal und unabänderlich angesehen. Der Widerstand gegen diese Gewaltverhältnisse hingegen wird als illegal, kriminell usw. diffamiert, wenn er die symbolische Ebene verlässt und zum ernsthaften Versuch wird, die Gewaltverhältnisse zu beseitigen.
Zum Recht auf Widerstand hat schon Herbert Marcuse gesagt:

Aber ich glaube, dass es für unterdrückte und überwältigte Minderheiten ein „Naturrecht“ auf Widerstand gibt, außergesetzliche Mittel anzuwenden, sobald die gesetzlichen sich als unzulänglich herausgestellt haben. Gesetz und Ordnung sind überall und immer Gesetz und Ordnung derjenigen, welche die etablierte Hierarchie schützen; es ist unsinnig, an die absolute Autorität dieses Gesetzes und dieser Ordnung denen gegenüber zu appellieren, die unter ihr leiden und gegen sie kämpfen – nicht für persönlichen Vorteil und aus persönlicher Rache, sondern weil sie Menschen sein wollen. Es gibt keinen anderen Richter über ihnen außer den eingesetzten Behörden, der Polizei und ihrem eigenen Gewissen. Wenn sie Gewalt anwenden, beginnen sie keine neue Kette von Gewalttaten, sondern zerbrechen die etablierte. Da man sie schlagen wird, kennen sie das Risiko, und wenn sie gewillt sind, es auf sich zu nehmen, hat kein Dritter, und am allerwenigsten der Erzieher und Intellektuelle, das Recht, ihnen Enthaltung zu predigen.

Solidarität mit allen G20-Gefangenen
Sie sind drinnen für uns, wir sind draußen für sie
United we stand!

Zum Hintergrund:
.) Zunächst einmal stehen alle Infos zum Schanzenhof –
wie Flugblätter und Presseartikel auf dieser Homepage
http://schanzenhof.info/
Wenn Du auf der Seite rechts ins Archiv gehst, finden sich die Veröffentlichungen jeweils zum Erscheinungsmonat zugeordnet. Dazu möchten wie diese Infos hervorheben:
.) Das erste Flugblatt zum Schanzenhof nach Ulrikes Kündigung:
http://schanzenhof.info/wp-content/uploads/2015/10/Flugblatt-Schanzenhof_1.pdf und
http://schanzenhof.info/wp-content/uploads/2015/10/Flugblatt-Schanzenhof_2-1.pdf
.) Artikel vom 26.09. Auf dem Foto sowohl der Palette Vereinsvorsitzende als auch die Geschäftsführerin der Palette, die dann 6 Monate später völlig auf den Kurs von Schommartz umgeschwenkt sind:
http://st.pauli-news.de/schlaglicht/fuenf-schanzenhof-mieter-erhalten-die-kuendigung/
.) Artikel aus der Taz Gentrifizierung im Schanzenviertel „Diversität wird zerstört“:
http://www.taz.de/!5233089/

.) Artikel in der Mopo, auch hier die Palette an vorderster Front dabei: https://www.mopo.de/hamburg/investoren-wollen-kasse-machen–schanzen-aufstand-gegen-spekulanten-23125800
.) Youtube Video Hände weg vom Schanzenhof! Schanzenhof bleibt! VoKü 23.01.16 https://www.youtube.com/watch?v=U5voAyIW_gY
.) Kurzbericht über die Info-Veranstaltung am 25.02.2016 – UPDATE 03.03.2016: Gedächtnisprotokoll
http://schanzenhof.info/kurzbericht-ueber-die-info-veranstaltung-am-25-02-2016
.) Schanzenfrühjahrsfest 26.03.2016:
http://schanzenhof.info/wp-content/uploads/2016/03/Schanzenfest2016.pdf
.) Artikel auf St. Pauli selber machen vom 08.02.2016:
http://schanzenhof.info/artikel-auf-st-pauli-selber-machen-vom-08-02-2016
.) Pressemitteilung vom 01.04.2016:
http://schanzenhof.info/pressemitteilung-vom-01-04-2016
.) Flugblatt gegen das Hausverbot von Ulrike, einer Betriebsrätin der Palette:
http://schanzenhof.info/wp-content/uploads/2016/06/Flugblatt-zum-Hausverbot.pdf
.) Drogenhelferin unter Druck – Taz-Artikel zu Ulrikes Hausverbot:
http://schanzenhof.info/wp-content/uploads/2016/06/tpkPNqOo.pdf
.) FORDERUNG: Sofortige Aufhebung des Hausverbots gegen die Betriebsratsvorsitzende von Palette e.V. Ulrike Winkelmann: http://www.labournet.de/interventionen/solidaritaet/wir-fordern-sofortige-aufhebung-des-hausverbots-gegen-die-betriebsratsvorsitzende-von-palette-e-v-ulrike-winkelmann/