Hungern für Zivilklamotten

Linke Journalistin wehrt sich gegen Gefängniskleidung

Özgül Emre wird die Mitgliedschaft in ei ner ausländischen terroristischen Ver einigung vorgeworfen. In Untersu chungshaft soll sie Anstaltskleidung tragen – und tritt in einen Hungerstreik dagegen.

Als Özgül Emre am 16. Mai in Heidelberg festgenommen wurde, trat sie noch am glei chen Tag in einen unbefristeten Hungerstreik. Damit protestiert sie gegen den Zwang, An staltskleidung tragen zu müssen. Der Gene ralbundesanwalt wirft der linken Journalis tin, die im bundesdeutschen Exil lebt, die Mitgliedschaft in der verbotenen türkischen DHKP-C (Revolutionäre Volksbefreiungspar tei-Front) vor. Daraus folgt eine Anklage we gen angeblicher »Mitgliedschaft in einer aus ländischen terroristischen Vereinigung« nach Paragraf 129b im Strafgesetzbuch. Am glei chen Tag wurden auch Ihsan Cibelik in Bo chum und Serkan Küpeli in Hamburg unter dem gleichen Vorwurf festgenommen. Emre wurde nach ihrer Festnahme in die Justizvollzugsanstalt Rohrbach in Rheinland Pfalz gebracht. Dort wurde ihr eröffnet, dass es für sie verpflichtend sei, Anstaltskleidung zu tragen. Dies ist aus Sicht politischer Ge fangener eine gezielte Maßnahme, um ihnen ihre politische Identität zu nehmen und ihren Willen zu brechen. In der Türkei, Irland und weiteren Ländern gab es bereits harte Ausei nandersetzungen um diese Frage. Der Hun gerstreik-Protest gegen Anstaltskleidung ist also ein bekanntes Phänomen. Dennoch re agierte die Anstaltsleitung der JVA aus Sicht des Rechtsanwaltes Yener Sözen unerwartet und verantwortungslos, als Emre die Einnah me von Salz und Zucker verweigert wurde. »Diese Maßnahme ist wirklich unglaub lich. Es ist kein Spezialwissen, dass Salz und Zucker verabreicht werden muss im Fall eines Hungerstreiks, um Langzeitschäden zu ver meiden und das Leben zu verlängern. Den noch hat sich der Anstaltsarzt nach meinen Informationen dagegen ausgesprochen. Ob dies aus Unkenntnis geschah oder was da hinter steckt kann ich nicht sagen. Klar ist aber, dass ich der JVA-Leiterin Annabel Fran zen mitgeteilt habe, dass ich darin die Grenze zu einer vorsätzlichen Handlung sehe und wir uns weitere rechtliche Schritte vorbehalten«, erklärt Sözen im Gespräch mit »nd«. Der Vorgang ist aus mehreren Gründen ku rios. Zum einen ist es wichtig zu wissen, dass es keine einheitliche bundesweite Regelung zur Frage der Anstaltskleidung gibt, sondern die Länder diese Frage klären. Cibelik und Küpeli, die in Köln-Ossendorf und Hamburg in Untersuchungshaft sitzen, können ohne Probleme ihre Kleidung tragen. Und auch Ge setze in Rheinland-Pfalz sehen für Untersu chungshäftlinge keine Anstaltskleidung vor. Den letzten Kontakt hatte Sözen zu Emre am vergangenen Freitag, da war sie noch bei vollem Bewusstsein. Inzwischen hat sich ihr Zustand derart verschlechtert, dass sie ins Justizvollzugskrankenhaus Wittlich eingelie fert wurde. Unterdessen hat die Anstaltslei tung am Montag mitgeteilt, dass zivile Klei dung inzwischen eingetroffen sei und sich auf dem Weg nach Wittlich befinde. Emre hatte angekündigt, den Hungerstreik zu beenden, sobald ihre Kleidung einträfe. Damit könnte die Auseinandersetzung nun mit einem po litischen Sieg enden. Es bleibt die Frage zu klären, warum eine Gefängnisinsassin in Un tersuchungshaft sich 44. Tage fast zu Tode hungern muss für ihre Kleidung.
nd 29.6.22 HENNING VON STOLTZENBERG