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Im Zweifel gegen links

Prozeß gegen Thüringer Antifaschisten in Wien läuft an. Untersuchungshaft trotz dürftiger Beweislage verlängert
Von John Lütten, junge Welt 11.6.2014

Engagement gegen rechts unerwünscht: Seit 138 Tagen sitzt Josef S. in österreichischer Untersuchungshaft (Proteste gegen den »Akademikerball« in Wien, 24.1.2014)

In Wien hat am vergangenen Freitag der Gerichtsprozeß gegen Josef S. aus Thüringen begonnen, der im Zuge der Proteste gegen den »Wiener Akademikerball« im Januar verhaftet wurde und seitdem in Untersuchungshaft einsitzen muß. Dem 24jährigen Studenten aus Jena werden versuchte schwere Körperverletzung, schwere Sachbeschädigung sowie Landfriedensbruch mit führender Beteiligung vorgeworfen. Die Beweislage scheint dünn und die geladenen Zeugen gaben am ersten Verhandlungstag widersprüchliche Aussagen ab. Einem Enthaftungsantrag der Verteidigung wurde dennoch nicht stattgegeben, der junge Antifaschist muß weiterhin in Haft sitzen. Die österreichische Justiz scheint fest entschlossen, den Fall zum abschreckenden Beispiel für aktive Antifaschisten zu machen.

Rund 6000 Menschen protestierten am 24. Januar dieses Jahres gegen den von der rechtspopulistischen Freiheitlichen Partei Österreichs (FPÖ) organisierten »Wiener Akademikerball« (jW berichtete). Nach Zusammenstößen mit der Polizei wurden 14 Personen festgenommen, darunter auch Josef S., der als einziger noch in Untersuchungshaft sitzt. Mit Verweis auf eine drohende »Tatbegehungsgefahr« – was unterstellt, daß S. nach der Freilassung prompt neue Straftaten begehen würde – wurde diese seitdem viermal neu bestätigt. Am heutigen Mittwoch verbringt der Jenaer Student, der bislang nie straffällig oder anderweitig auffällig war, seinen 138. Tag in Untersuchungshaft.

Die Anklage stützt sich auf mehrere Zeugen der Polizei, die S. beim Schmeißen u.a. eines Mülleimers und dem Anfeuern gewaltbereiter Demonstranten gesehen haben wollen. Bewiesen wurde bislang keiner der Vorwürfe. Auf einem Handyvideo soll der Angeklagte mit »Tempo, Tempo, weiter!« zu hören sein. Ein vom Gericht angefordertes Tongutachten hat jedoch ergeben, daß es sich dabei nicht um Josef S. handeln könne.

Zweites Beweisstück der Anklage ist eine Videoaufnahme des öffentlich-rechtlichen ORF, die den Angeklagten beim Hantieren mit einem Mülleimer zeigt. Entgegen der Vorwürfe ist S. dabei aber nicht bei einer Straftat zu sehen, sondern beim Aufstellen der Mülltonne. Die geladenen Zeugen wollen S. beim Randalieren beobachtet haben, machen darüber jedoch widersprüchliche Angaben: So will der Belastungszeuge u.a. gesehen haben, wie S. eine Rauchbombe in einem demolierten Polizeiwagen platziert habe – in seinem Amtsvermerk vom 24. Januar war davon aber keine Rede. Und auf die Rädelsführerschaft des Angeklagten habe er lediglich wegen dessen Handbewegungen geschlossen. Trotz dieser und weiterer Ungereimtheiten lehnte der Richter den Antrag auf Enthaftung ab und erklärte sogar, der Verdacht gegen den Jenaer Antifaschisten habe sich erhärtet. Bis mindestens Ende Juli bleibt der Antifaschist in U-Haft. Wird er verurteilt, droht eine mehrjährige Haftstrafe.

»Wir haben den Eindruck, daß wir Josef sozusagen ›freibeweisen‹ müssen«, kritisierte Verteidigerin Kristin Pietrzyk das richterliche Vorgehen im Gespräch mit junge Welt. Offenbar sei die Staatsanwaltschaft nicht in der Pflicht, die Vorwürfe tatsächlich zu belegen. Zum nächsten Verhandlungstag sind u.a. ein Kameramann des ORF, weitere Polizisten und ein Fotojournalist geladen – alle auf Antrag der Verteidigung.

Unterdessen mehren sich öffentliche Stimmen, die Zweifel an der Legitimität der Anklage anmelden. »Das Verfahren gegen Josef und der Einsatz des Landfriedensbruch-Paragraphen sind die direkte Fortsetzung der Kriminalisierung von Protesten und sozialen Bewegungen in den letzten Jahren«, erklärte Lisa Mittendrein, Vorstandsmitglied von ­ATTAC Österreich, in einer Stellungnahme. Sie erinnerte an den Prozeß gegen 13 österreichische Tierrechtsaktivisten, denen ab 2010 für die angebliche »Bildung einer kriminellen Organisation« der Prozeß gemacht wurde. Sie mußten schließlich freigesprochen werden, der entsprechende Strafparagraph 278a wurde anschließend reformiert. Doch die Angeklagten waren ökonomisch und psychisch schwer angeschlagen und ihre politische Arbeit lag brach. Viele befürchten, daß unter Einsatz des Landfriedensbruch-Paragraphen ein ähnliches Exempel an Josef S. statuiert werden soll.

Weiter verhandelt wird am 21. oder 22. Juli. Unter dem Motto »Freiheit für Josef!« organisieren Unterstützergruppen aus Wien und Jena eine breite Solidaritätskampagne und fordern zur kritischen Prozeßbeobachtung auf.

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