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Israelischer Minister verlangt „gezielte Ermordung“ der Drachenflieger von Gaza

Mit Drachen wehren sich palästinensische Demonstranten gegen die tödliche Gewalt israelischer Soldaten am Grenzzaun von Gaza. Nun verlangt der israelische Minister für Öffentliche Sicherheit ihre „vorbeugende Ermordung“. 

Erdan sprach während der Einweihung des neuen Administrationszentrums in der südlichen Stadt Sderot nahe des Grenzzauns von Gaza. „Angesichts der Tatsache, dass die Hamas es ist, die das Schießen und das Aufsteigenlassen von Drachen zulässt, müssen wir zu vorbeugenden Ermordungen zurückkehren. Jene, die solche Drachen fliegen lassen, und die Hamas-Anführer müssen ein Ziel sein für vorbeugende Tötungen“, sagte Erdan in seiner Ansprache.

Gegenüber der Nachrichtenagentur Reuters führte der Minister dies weiter aus und sagte: „Ich erwarte von der IDF (israelischen Armee), diese Drachenflieger genauso zu behandeln, wie jeden Terroristen, und dass die gezielten Morde der IDF auch für Drachenflieger gelten müssen.“

Damit räumte erstmals ein israelischer Minister ein, dass es sich bei den Tötungen am Grenzzaun von Gaza um „gezielte Morde der IDF“ handelt. Für die Chefanklägerin am Internationalen Strafgerichtshof (ICC), die derzeit Ermittlungen gegen Israel wegen der Gewalt und der vielen getöteten Palästinenser seit dem 30. März prüft, dürfte diese Aussage von besonderer Bedeutung sein.

Mit Drachen versuchen junge Demonstranten in Gaza, sich gegen die Gewalttätigkeit der israelischen Armee am Grenzzaun zur Wehr zu setzen, nachdem in den letzten zehn Wochen 131 Palästinenser – darunter 14 Kinder – durch israelische Scharfschützen getötet und weit über 13.000 Palästinenser verletzt wurden.

Zunächst wurden die Versuche belächelt, Drachen mit angehängten brennenden Lappen über den Grenzzaun nach Gaza fliegen zu lassen. Doch inzwischen sind die Drachen für Israel ein ernstzunehmendes Problem geworden. Immer mehr davon lancieren die jungen Palästinenser ins Gebiet jenseits des Grenzzauns, wo wegen der nachwinterlichen Trockenheit riesige Flächen von Weizenfeldern in Flammen aufgingen. Allein am Dienstag ließen die jugendlichen Demonstranten mehr als ein Dutzend Drachen aufsteigen und verursachten damit 15 Feuer an verschiedenen Stellen entlang des Grenzzauns.

Nach Angaben des israelischen Verteidigungsministers, Avigdor Lieberman, wurden in den letzten Wochen rund 200 Drachen gestartet, die 198 Feuer auslösten und damit 9.000 Dunams (ca. 900 Hektar) Land verbrannt hätten. Die israelischen Behörden vor Ort sprechen dagegen von rund 5.000 Dunams (ca. 500 Hektar) mit meist Weizen im Wert von rund 1,4 Million US-Dollar. Hinzu kämen 2.100 Dunams (ca. 200 Hektar) Wald im Naturschutzgebiet des Jewish National Fund sowie weitere gut 4.000 Dunams (ca. 400 Hektar) im Besor Forest Nature Reserve.

Zunächst belächelt, heute gefürchtet: Drachen aus Gaza sollen bereits um die 900 Hektar landwirtschaftliche Fläche verbrannt haben. (Foto: qudsn)
Viele israelische Farmer haben sich inzwischen lautstark über die Schäden beklagt, und die israelische Regierung hat versprochen, sie für Ernteausfälle zu entschädigen. Man werde sich das Geld von der Palästinensischen Autonomiebehörde zurückholen, indem man es einfach von den Steuerüberweisungen einbehalten werde, die Israel an die Palästinenser abführen muss. Die Palästinensische Autonomiebehörde, die auf die Drachenflieger in Gaza keinen Einfluss nehmen kann, sprach von „Raub und Banditentum“ und protestierte scharf gegen die Pläne.

Dass die simplen, handgefertigten Drachen derartige Auswirkungen haben könnten, hat nicht nur die israelische Regierung überrascht, sondern auch die Drachenflieger selbst.

„Es begann ganz spontan“, erzählte einer der Drachenflieger, der sich Shadi nennt, gegenüber Reuters. „Wir hätten niemals gedacht, dass wir so gute Resultate erzielen würden. Die Idee ist simpel: mit den einfachsten Mitteln der Besatzung den größtmöglichen Schaden zufügen.“

Die Vorwürfe, auf Drachen wären auch Hakenkreuze zu sehen, wies der junge Drachenflieger zurück. Seine Gruppe hätte solche Zeichen nie verwendet. Im Gegenteil, sie setzten ausschließlich transparente Drachen ein, da diese am Himmel für die israelische Armee fast unsichtbar seien.

Rückendeckung erhielten die Akteure inzwischen von niemandem Geringeren als dem israelischen Dramatiker und Schriftsteller Jehoschua Sobol, der unter anderem mit seinem – in diesem Zusammenhang vielsagend betitelten – Stück „Ghetto“ internationalen Erfolg hatte. „Ich versuche mir vorzustellen, ich wäre heutzutage ein Kind in Gaza. Meine Nachbarn oder Freunde sind entweder getötet oder verletzt. Was hätte ich als Kind getan? Ich hätte einen brennenden Drachen steigen lassen!“

Aufhören wollen die Drachenflieger von Gaza nicht so schnell. Selbst wenn die Demonstrationen nachließen, würden sie weiter Drachen über den Grenzzaun schicken, versicherte Shadi. Auf einigen Drachen würden dann auch Fotos von ermordeten Demonstranten zu sehen sein, wie am letzten Wochenende, als Drachen mit dem Bild der getöteten Rettungssanitäterin Razan al-Najjar in den Himmel über Gaza aufstiegen und nach Israel flogen.

Am Samstag ließen Demonstranten einen Drachen in Erinnerung an die tags zuvor von israelischen Scharfschützen getötete 21jährige Rettungssanitäterin Razan al-Najjar aufsteigen. (Fotos: qudsn)
Für die israelische Regierung und die Armee sind diese Methoden, mit einfachsten Mitteln gegen tödliche Gewalt erfolgreich zurückzuschlagen, neu und Anlass zur Ratlosigkeit. Die Tatsache, dass der israelische Minister von „vorbeugenden Ermordungen“ spricht, zeigt den Grad der Verzweiflung. Und auch ein israelischer General machte gegenüber Reuters keinen Hehl daraus, dass man gegen die Drachen wenig ausrichten kann. „Wir werden am Ende wahrscheinlich keine Wahl haben, als die Drachenflieger auch zu erschießen“, so der General gegenüber Reuters.
https://palaestina-nachrichten.de/2018/06/05/israelischer-minister-verlangt-gezielte-ermordung-der-drachenflieger-von-gaza/